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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 1994, Zl. 4.344.778/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 11. Juni 1994 in das Bundesgebiet ein und stellte am 21. Juni 1994 (bereits anwaltlich vertreten) einen schriftlichen Asylantrag.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG (am 25. August 1994) erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Juli 1994 abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei der niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 12. Juli 1994 hinsichtlich seiner "Fluchtgründe" unter anderem folgendes angegeben:
"Seit 1988 bin ich in meiner Heimat Mitglied der Bangladesh-Jatiya Party und in dieser Partei arbeitete ich im Studentenflügel. ... Anfänglich war ich einfaches Mitglied, ab 1990 war ich Sekretär im Gebiet Rajpur. Für besagte Partei war ich tätig, indem ich Versammlungen und Demonstrationen organisierte bzw. Mitglieder geworben habe. Am 22.12.1993 hielt unsere Partei in Rajpur eine Jugendversammlung ab, an der cirka 300 unserer Mitglieder teilnahmen. Diese Veranstaltung wurde von cirka 100 Mitgliedern der Bangladesh-National Party gestört. Im Zuge der Auseinandersetzungen kam es zu Handgreiflichkeiten, bei denen cirka 20 bis 25 Personen verletzt wurden. In weiterer Folge wurde die Veranstaltung von der Polizei aufgelöst und die Teilnehmer zerstreuten sich. Ich wurde am 24.12.1993 von der Polizei verhaftet, weil die Polizei vermutete, daß ich der Hauptorganisator der Versammlung und der Schuldige für die darauffolgenden Auseinandersetzungen war. Ich war eine Nacht in Haft, ich wurde verhört und auch geschlagen. Von den Schlägen trug ich keinerlei sichtbare Verletzungen davon. Bei den Verhören wollte die Polizei von mir Namen und Adressen der Teilnehmer unserer Versammlung wissen, ich gab jedoch keinerlei Information preis. Außerdem wollte sie das Programm unserer Oppositionspartei erfahren. Nachdem ich am nächsten Tag aus der Haft entlassen wurde, wohnte ich tageweise bei Freunden, Parteigenossen und bei meinen Geschwistern. Bis zu meiner Ausreise wohnte ich im Untergrund. Nachdem ich fast 5 Monate im Untergrund gelebt habe, gab mir mein Führer M den Rat, meine Heimat zu verlassen. Weil ich von der Polizei, Militär und von den Mitgliedern der BNP gesucht wurde, hatte ich große Angst in meiner Heimat zu bleiben. Außerdem gibt es gegen mich verschiedenste falsche Anzeigen bei der Polizei (Schlägerei, Spionage und Gegnerschaft zur Regierung) wegen denen es gegen mich auch einen Haftbefehl gibt. Ich reiste wie bereits in meiner ersten Niederschrift angegeben, am 19.5.1994 aus Bangladesh aus. ..."
Das Bundesasylamt begründete seinen abweislichen Bescheid damit, daß der Beschwerdeführer seinem eigenen Vorbringen zufolge nicht Flüchtling (im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991) und danach die Asylgewährung ausgeschlossen sei.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung (vorerst) damit, daß die vom Beschwerdeführer dargelegten Beeinträchtigungen nicht geeignet seien, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen, weil er einer von staatlichen Autoritäten ausgehenden Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen sei. Seine behördliche Verfolgung sei wegen strafrechtlich relevanter Delikte erfolgt und lasse sich daher nicht unter die in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aufgezählten Verfolgungsmotive subsumieren.
Der Beschwerdeführer tritt dieser Beurteilung seines Vorbringens entgegen. Er sei in seinem Heimatland eindeutig durch das Vorgehen der Behörden in Persönlichkeitsrechten verletzt worden. Seine daraus resultierende "wohlbegründete Furcht" habe auch im Zeitpunkt seiner Flucht aus Bangladesch noch bestanden. Im Falle seiner Wiedereinreise habe er neuerliche und massivere Übergriffe zu erwarten. Dieser gegen die rechtliche Würdigung (die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bzw. seiner Angaben hat die belangte Behörde nicht in Zweifel gezogen) der Angaben des Beschwerdeführers gerichteten Rüge kommt Berechtigung zu.
Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung ausgesagt, er sei nach Auflösung der von seiner Partei organisierten Jugendversammlung am 24. Dezember 1993 von der Polizei unter dem Verdacht verhaftet worden, als Hauptorganisator dieser Veranstaltung für die tätlichen Auseinandersetzungen verantwortlich gewesen zu sein. Des weiteren hat der Beschwerdeführer angegeben, sein Heimatland deshalb verlassen zu haben, weil er (nach seiner Haftentlassung) von der Polizei, Militär und Mitgliedern der BNP gesucht worden sei. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist dem Vorbringen bzw. den Angaben des Beschwerdeführers aber hinreichend deutlich zu entnehmen, daß relevante Verfolgungshandlungen von staatlichen Autoritäten ausgegangen sind.
Insoweit die belangte Behörde das Vorgehen der staatlichen Stellen (mit Verhaftung und Ausstellung eines Haftbefehles) lediglich als asylrechtlich unerhebliche strafrechtliche Verfolgung gewertet hat, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland strafrechtlichen Verfolgungen ausgesetzt bzw. mit dem Vorwurf der Begehung strafbarer Handlungen konfrontiert war, schließt nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft noch keineswegs aus, weil damit noch nicht gesagt ist, daß die eingeleiteten und allenfalls vom Beschwerdeführer zu erwartenden Sanktionen ihre Grundlage allein in strafrechtlichen Belangen und nicht auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten sind, hätten. Einer strafrechtlichen Verfolgung wäre der Charakter einer asylrelevanten Verfolgung aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) nämlich nur dann genommen, wenn die Durchführung des Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet wäre, weil erst dadurch der Aspekt einer mit Konventionsgründen im Zusammenhang stehenden Verfolgung derart in den Hintergrund treten würde, daß von asylrelevanter Verfolgung nicht mehr die Rede sein könnte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0986, und vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0291). Daß der Beschwerdeführer durch das Vorgehen der staatlichen Stellen seines Heimatlandes aber einer derartigen rein strafrechtlichen Verfolgung im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens ausgesetzt gewesen wäre, ist seinem Vorbringen freilich nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde hat in dieser Hinsicht auch keine (auf Ermittlungsergebnissen beruhenden) Feststellungen getroffen.
Den Angaben des Beschwerdeführers kann vielmehr entnommen werden, daß seine Verhaftung durch die Polizei aufgrund seiner politischen Tätigkeit (als Organisator von Parteiversammlungen und Demonstrationen) erfolgte bzw. mit dieser Tätigkeit im Zusammenhang gestanden ist, und daß er danach einer "Verfahrensbehandlung" unterzogen wurde, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen ist, sodaß auf der Grundlage der Angaben des Beschwerdeführers eine Prognose dahin, dieser hätte ein ordentliches Gerichtsverfahen zu erwarten gehabt (und wäre aus diesem Grund gehalten gewesen, sich den wider ihn erhobenen Vorwürfen in einem solchen Verfahren zu stellen) nicht möglich erscheint. Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers erweist sich sohin als mit einem Begründungsmangel (und demnach mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften) belastet.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer aber auch deshalb kein Asyl gemäß § 3 Asylgesetz 1991 gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie stützte sich insoweit auf die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Vernehmung am 12. Juli 1994, wonach dieser sich in Bulgarien aufgehalten habe und folgerte daraus, daß der Beschwerdeführer bereits in Bulgarien sicher gewesen sei und bei den dortigen Behörden um Asyl ansuchen hätte können.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Annahme der belangten Behörde. Er bringt dazu vor, es sei unzutreffend, daß er "in einem Drittstaat" (damit erkennbar gemeint: Bulgarien) Verfolgungssicherheit erlangt habe. Sein Aufenthalt in diesem Land sei nicht zwingend geeignet, seine Verfolgungssicherheit annehmen zu können. Für ihn habe objektiv keine Möglichkeit bestanden, Verfolgungssicherheit (im Bulgarien) zu aktualisieren.
Diese Beschwerdeausführungen sind nach Maßgabe der einen Asylwerber im Verfahren hinsichtlich des gebrauchten Ausschließungsgrundes treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde insoweit unterlaufenen Verletzung von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß den §§ 11, 16 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit den §§ 39, 45 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413).
Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, daß in dem seiner Beschwerde zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, um annehmen zu können, Bulgarien hätte ihm aufgrund seiner "im großen und ganzen effektiv geltenden Rechtsordnung" als Zufluchtsstaat bereits einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention - insbesondere hinsichtlich des Rückschiebungsschutzes - entsprechenden Schutz geboten. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nämlich nicht entsprechend der durch § 60 (in Verbindung mit § 67) AVG gebotene Begründung dargelegt, aufgrund welcher Ermittlungen und Überlegungen sie zu der Feststellung gelangte, der Beschwerdeführer habe nicht darzutun vermocht, daß er keinen Rückschiebungsschutz (in Bulgarien) genossen habe.
Des weiteren verstößt das erstmals in der Beschwerde gegen die Annahme von "Verfolgungssicherheit" in Bulgarien erstattete Vorbringen deshalb nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG), weil der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 erstmals im angefochtenen Bescheid gebraucht wurde und die belangte Behörde ihre insoweit zugrunde gelegten Annahmen dem Beschwerdeführer vor der Bescheiderlassung nie im Verfahren zur Kenntnis gebracht und ihm daher zu dieser Frage entgegen dem § 45 Abs. 3 AVG Parteiengehör nicht gewährt hat.
Die aufgezeigten Verletzungen von Verfahrensvorschriften sind auch wesentlich, weil unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und dem nach der Aktenlage hinsichtlich des gebrauchten Ausschließungsgrundes fehlenden Ermittlungsverfahren nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren für nicht erforderliche (zusätzliche) Ausfertigungen des angefochtenen Bescheides - unabhängig davon, ob diese Gebühren tatsächlich entrichtet wurden - nicht zu ersetzen sind (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 679 f angegeben hg. Judikatur und a.a.O., S. 31, Anm. 2).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200725.X00Im RIS seit
20.11.2000