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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag des P in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde in dem mit Beschluß vom 27. Juli 1994, 94/13/0077, abgeschlossenen Verfahren, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juli 1994, 94/13/0077, wurde das Verfahren betreffend die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom 16. August 1993, Zl 6/1-1168/92-06, betreffend Einkommensteuer 1990, eingestellt, weil der Antragsteller dem an ihn ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde insoweit nicht entsprochen hat, als er zwar innerhalb offener Frist unter Anschluß der zurückgestellten Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen einen ergänzenden Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung eingebracht, die der Verfassungsgerichtshofbeschwerde angeschlossene Beilage (Kopie des angefochtenen Bescheides) aber nicht wieder vorgelegt hat. Der Beschluß wurde dem Antragsteller am 5. September 1994 an seine ausgewiesene Vertreterin zugestellt.
Im fristgerecht zur Post gegebenen Antrag wird unter gleichzeitiger Vorlage der Kopie des angefochtenen Bescheides die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln begehrt. Aus den Ausführungen des Antragstellers und der beigeschlossenen eidesstattlichen Erklärung ergibt sich folgender, vom Verwaltungsgerichtshof als bescheinigt angesehener Sachverhalt:
Auf Grund des Mängelbehebungsauftrages vom 20. April 1994 habe seine Vertreterin fristgerecht einen Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung eingebracht und in diesem Schriftsatz auch angemerkt, daß Beilagen mitvorgelegt werden. In der Kanzlei habe seine Vertreterin der zuständigen Sekretärin die Weisung erteilt, der von seiner Rechtsvertreterin unterfertigten Ausfertigung der "Verwaltungsgerichtshofbeschwerde" die zurückgestellten Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen und den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland anzuschließen. Trotz dieser Weisung wäre aus einem Versehen heraus der Schriftsatz lediglich mit den zurückgestellten
Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen, nicht jedoch unter Anschluß des bekämpften Bescheides zur Post gegeben worden. Die mit dieser Tätigkeit betraute Sekretärin seiner Vertreterin sei seit dem Bestehen der Rechtsanwältinnenkanzlei eine äußerst verläßliche und sorgfältige Mitarbeiterin. Sie verfüge über insgesamt 16 Jahre Berufserfahrung als Büroangestellte in Rechtsanwaltskanzleien. Daß der bekämpfte Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland dem Schriftsatz nicht angeschlossen worden sei, obwohl die zurückgestellten
Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen angeschlossen wurden, sei auf einen minderen Grad des Versehens der an sich äußerst tüchtigen Angestellten der Rechtsanwaltskanzlei zurückzuführen.
Dem Antrag ist eine eidesstattliche Erklärung der erwähnten Kanzleikraft beigeschlossen, in der die Ausführungen des Antragstellers bestätigt werden und überdies darauf hingewiesen wird, daß der Kanzleikraft ein derartiger Fehler in ihrer bisherigen Berufslaufbahn noch nicht passiert sei.
Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der Antrag aus folgenden Erwägungen berechtigt: Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl, S 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmungen des § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad eines Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat. Unterläuft einer Kanzleikraft, deren Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben samt den dazugehörigen Beilagen durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies nach der
hg Rechtsprechung ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl etwa den hg Beschluß vom 20. Juni 1990, 90/13/0136). Eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht dessen Sorgfaltspflicht überspannen.
Diese in der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes enthaltenen Erwägungen kommen auch im vorliegenden Fall zum Tragen. Auch hier hat die Rechtsvertreterin des Antragstellers das für die fristgerechte Erfüllung des ihm erteilten Auftrages zur Verbesserung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Zur Versäumung der aufgetragenen Frist kam es nur auf Grund des oben beschriebenen Versehens einer Kanzleikraft, das dieser erst nach fristgerechter Unterfertigung aller Ausfertigungen des Mängelbehebungsschriftsatzes durch die Rechtsvertreterin des Antragstellers und Erteilung der Weisung, diese Ausfertigungen samt den zurückgestellten Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen und dem Bescheid der Finanzlandesdirektion dem Verwaltungsgerichtshof zu übersenden, im Zug der Abfertigung unterlaufen ist. Da dem Antragsteller und seiner Rechtsvertreterin ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994130227.X00Im RIS seit
20.11.2000