Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des I in E, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. April 1993, Zl. 4.342.508/2-III/13/93, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer (Staatsangehörigkeit: Bosnien-Herzegowina) ist am 25. Jänner 1993 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 2. Februar 1993 den Antrag auf Asylgewährung gestellt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Februar 1993 wurde der Antrag abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück.
In der Berufung des Beschwerdeführers vom 25. Februar 1993, die mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden war, war zur Zulässigkeit der Berufung ausgeführt worden, daß der bei der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes anwesende Dolmetscher dem Beschwerdeführer gegenüber erklärt habe, er habe zwar die Möglichkeit eines Rechtsmittels, es werde aber eine negative Entscheidung ergehen. Dies hätte zur Folge, daß er das Land verlassen müßte. Im Falle eines Rechtsmittelverzichtes könnte er im Flüchtlingslager Traiskirchen weiterhin wohnen und Unterstützung bekommen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei das Vorliegen eines Berufungsverzichtes streng zu prüfen. Allfällige Willensmängel würden zur Unwirksamkeit einer Verzichtserklärung führen. Unter den bei der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes des Beschwerdeführers aufgrund einer unrichtigen Rechtsbelehrung, insbesondere über die Folgen einer Berufung und die Folgen eines Rechtsmittelverzichts, angegebenen Umständen sei der Rechtsmittelverzicht mit einem Willensmangel behaftet. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland erneut asylrechtlich relevante Verfolgung befürchten müßte, insbesondere wieder in einem Internierungslager inhaftiert zu werden. Ein unter solchen Umständen abgegebener Rechtsmittelverzicht könne keinerlei Rechtswirkung entfalten, da er unter Druck zustandegekommen sei.
Die belangte Behörde übermittelte die Berufung des Beschwerdeführers dem Bundesasylamt. In einem Aktenvermerk vom 12. März 1993 stellte der Beamte des Bundesasylamtes, der den erstinstanzlichen Bescheid ausgehändigt hatte, aus seiner Sicht die Vorgänge bei Aushändigung des Bescheides am 10. Februar 1993 und bei Abgabe des Rechtsmittelverzichtes am 11. Februar 1993 dar. Es sei dem Beschwerdeführer am 10. Februar 1993 erklärt worden, daß er nicht in die Bundesbetreuung aufgenommen werden könnte, weil er keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 hätte. Es bestünde für ihn lediglich die Möglichkeit, in die sogenannte "de-facto-Aktion" aufgenommen zu werden. Letzteres setze aber voraus, daß das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei. Dies wäre dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer auf die Einbringung eines Rechtsmittels verzichte. Er sei darauf hingewiesen worden, daß er eine Abschiebung nach Bosnien nicht zu befürchten hätte, auch dann nicht, wenn er keinen Rechtsmittelverzicht abgebe, da er in Bosnien einer Verfolgung ausgesetzt sei. Da sich der Beschwerdeführer vorerst nicht habe entschließen können, sei er ins Bundesministerium für Inneres begleitet worden, wo ihm mittels eines Dolmetschers die Voraussetzungen für die Aufnahme in die "de-facto-Aktion" noch einmal erklärt worden seien. Anschließend sei ihm die Möglichkeit gegeben worden, sich die Entscheidung reiflich zu überlegen und am nächsten Morgen bekanntzugeben. Daraufhin hätte der Beschwerdeführer am 11. Februar 1993 den Rechtsmittelverzicht abgegeben und sei er in der Folge in die "de-facto-Aktion" aufgenommen worden.
Die belangte Behörde vertrat zur Frage der Wirksamkeit des Berufungsverzichtes in dem angefochtenen Bescheid die Auffassung, es sei nicht glaubwürdig, daß der Beschwerdeführer unter Druck gesetzt worden sei. Der Beschwerdeführer sei auf die Möglichkeit der Aufnahme in die sogenannte "de-facto-Aktion" mit dem Hinweis aufmerksam gemacht worden, daß dies nur nach rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens möglich sei. Nach dem Aktenvermerk vom 12. März 1993 sei dem Beschwerdeführer erklärt worden, daß er auch bei Einbringung eines Rechtsmittels nicht mit der Abschiebung rechnen müßte. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme es nicht auf die einer Erklärung zugrunde liegenden Motive an. Allein aus dem Umstand, daß der Rechtsmittelverzicht nicht unmittelbar nach der dem Beschwerdeführer erteilten Rechtsbelehrung erfolgt sei, könne geschlossen werden, daß er nicht unter Druck gesetzt worden sei. Der Beschwerdeführer habe am Morgen des 11. Februar 1993 freiwillig einen Rechtsmittelverzicht abgegeben. Im letzten Absatz des angefochtenen Bescheides führt die belangte Behörde folgendes aus:
"Zudem haben Sie das gegenständliche Rechtsmittel erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingebracht. Allein aufgrund dieser Tatsache wäre die Berufung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zurückzuweisen gewesen."
In der gegen diesen Bescheid der belangten Behörde erhobenen Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Er erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes, auf Bescheidbegründung gemäß § 60 AVG, auf Parteiengehör gemäß § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG und auf Entscheidung der Berufungsbehörde in der Sache selbst gemäß § 66 Abs. 4 "iVm § 63 Abs. 4 AVG" verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß die Berufung u.a. als verspätet zurückgewiesen worden sei, ohne daß sich die belangte Behörde mit dem gleichzeitig mit der Berufung gestellten Wiedereinsetzungsantrag auseinandergesetzt habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Slg. Nr. 12275/A) ist die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem bloß anhängigen, aber noch nicht entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden. Die belangte Behörde hat daher zutreffend die Berufung wegen Verspätung zurückgewiesen. Angemerkt wird, daß nach der zitierten Vorjudikatur der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft tritt, wenn die belangte Behörde über den noch nicht erledigten Wiedereinsetzungsantrag positiv entscheidet.
Es wird weiters zur Annahme der Behörde, es liege ein wirksamer Rechtsmittelverzicht vor, darauf hingewiesen, daß diese Auffassung nicht im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zlen. 93/01/1165, 1166, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) steht. Sofern die belangte Behörde im Hinblick auf diese Annahme im Rahmen ihrer Entscheidung über den noch offenen Wiedereinsetzungsantrag verneinen würde, daß der Beschwerdeführer durch die Versäumung der Berufung im Sinne des § 71 Abs. 4 AVG einen Rechtsnachteil erlitten habe, steht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, dies im Rahmen der Berufung gemäß § 72 Abs. 4 AVG gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung geltend zu machen.
Da im Hinblick auf die auch vom Beschwerdeführer unbestrittene Verspätung der Berufung diese zu Recht zurückgewiesen wurde, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung AnfechtungserklärungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993011275.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008