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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsgegenstandLeitsatz
Zurückweisung eines Antrages des Landesvolksanwalts von Vorarlberg auf Aufhebung von Planungsrichtlinien mangels Verordnungscharakter des bekämpften AktesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Die vom Bürgermeister der Gemeinde Lochau (Vorarlberg) undatiert gefertigten "Planungsrichtlinien für den Bereich zwischen Ruggburgstraße und Galgenbühel" haben folgenden Wortlaut:
"1)
Räumlicher Geltungsbereich:
nördlich der Pfändertunnelstraße bis zur Gemeindegrenze,
Am Reutelebach, zwischen der Ruggburgstraße und der Parzelle Galgenbühel.
2)
Art der baulichen Nutzung:
Wohnungsgebäude und deren Nebenanlagen
3)
Maß der baulichen Nutzung:
BNZ = max. 30 %
4)
Höchstgeschoßanzahl:
HGZ = 2,5 G (lt. §6 der Baubemessungsverordnung 1976) an der Talseite.
5)
Höhenlage:
die Oberkante des Fußbodens im Erdgeschoß (oder Obergeschoß) darf bergseits max. 80 cm über dem bestehenden (= gewachsenen Gelände liegen.)
6)
Abstände und Abstandsflächen:
gemäß §6 des Baugesetzes 1972
7)
Stellplätze (PKW):
je Wohnung wird 1 Einstellplatz (Garage) und je Wohnung wird ein Abstellplatz, zuzüglich des Garagenvorplatzes. Es dürfen keine freistehenden Garagen vorgesehen werden.
8)
Dachausbildung:
Grundform ist das Satteldach, bei untergeordneten Bauteilen sind auch andere geneigte Dachformen zulässig.
9)
Dachneigung:
mind. 25o bis 35o
10)
Dacheindeckung:
Farbe: dunkel,
Material: Ziegel
11)
Firstrichtung:
wahlweise Firstrichtungen (senkrecht oder parallel zum Hang)
12)
Außenraum und Umgebungsgestaltung:
Einfriedungen als lebende Zäune (h = max. 1,80m) oder
als Holzzäune (h = max. 0,80m)
Stützmauern sind möglichst zu vermeiden, falls unbedingt
erforderlich h = max. 1,0m und Einpflanzung mit Rankgewächsen.
Pflanzenempfehlung = Mittel- oder Hochstamm
Pflanzenarten für Hochstämme, Mittelstämme und Heckengehölze nur in örtlich heimischen Arten zulässig.
13)
Gelände:
Das natürliche Gelände ist möglichst wenig zu verändern, Aufschüttungen dürfen nur mit flach auslaufenden Böschungen erfolgen.
14)
Flächenwidmung:
Baufläche-Wohngebiet bzw. Baufläche-Wohngebiet Erwartung.
15)
Ausnahmen:
Die Baubehörde kann im Einvernehmen mit den zuständigen Gemeindegremien geringfügige Abweichungen zulassen, wenn zuvor festgestellt wurde, daß durch die Abweichung der Flächenwidmungsplan sowie die Gesetze und Verordnungen eingehalten werden und die Qualität der Baugestaltung nicht beeinträchtigt wird.
Diese Richtlinien gelten für alle nach dem 1. August 1983 kommissionell verhandelten Bauvorhaben.
Der Bürgermeister"
2. Der Landesvolksanwalt für Vorarlberg stellt gemäß Art139 Abs1 B-VG sowie gemäß Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. 30/1984, den Antrag, diese Planungsrichtlinien als gesetzwidrig aufzuheben.
Nach Ansicht des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg sind die genannten Planungsrichtlinien als Verordnung zu qualifizieren und wegen Unzuständigkeit der erlassenden Behörde bzw. wegen mangelnder Kundmachung gesetzwidrig. Der Antragsteller bringt hiezu im wesentlichen folgendes vor:
a) Die sogenannten Planungsrichtlinien seien als Verordnung zu qualifizieren, da sie alle dafür maßgeblichen inhaltlichen Kriterien erfüllten: Insbesondere sei der Adressatenkreis generell umschrieben und sie gälten für alle nach dem 1. August 1983 kommissionell verhandelten Bauvorhaben in einem näher bezeichneten räumlichen Geltungsbereich. Weiters hätten die Planungsrichtlinien einen anordnenden Inhalt, was sich aus der imperativen Ausdrucksweise und den bis in alle Einzelheiten detailliert aufgelisteten Vorschreibungen ergäbe. Schließlich entfalte die Anordnung auch Außenwirkung, da sie auf Grund ihrer Textierung offensichtlich nicht nur für den amtsinternen Gebrauch bestimmt sei und dem Landesvolksanwalt ein Exemplar der sogenannten Planungsrichtlinien von einem durch sie betroffenen Bauwerber überreicht worden sei.
Es könne also kein Zweifel daran bestehen, daß es sich bei diesen Planungsrichtlinien um eine Verordnung in Form eines Bebauungsplanes handle, da sie eine klar formulierte Baugestaltung für einen bestimmten Teil des Gemeindegebietes vorschrieben und ihre Gliederung streng an der für Bauungspläne geltenden Bestimmung des §26 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz orientiert sei.
b) Bei der Erlassung der als Bebauungsplan zu charakterisierenden Verordnung seien sämtliche Verfahrensvorschriften des §27 Vorarlberger Raumplanungsgesetz (Beschluß der Gemeindevertretung, Vorlage an die Landesregierung, ordnungsgemäße Kundmachung etc.) mißachtet worden. Auch eine Vorlage an die Aufsichtsbehörde sei nicht erfolgt. Die sogenannten Planungsrichtlinien seien daher wegen Unzuständigkeit der erlassenden Behörde bzw. wegen mangelnder Kundmachung aufzuheben.
3. Sowohl die Vorarlberger Landesregierung als auch die Gemeinde Lochau erstatteten eine Äußerung zum Antrag des Landesvolksanwaltes.
a) Die Vorarlberger Landesregierung meint, daß es sich bei den vom Landesvolksanwalt bekämpften Planungsrichtlinien nicht um eine Verordnung im Sinne des Art18 Abs2 B-VG handle, sondern lediglich um eine Äußerung des Bürgermeisters bzw. des Bauausschusses der Gemeinde Lochau, die keinerlei unmittelbare Rechtsverbindlichkeit entfalte. Durch die Planungsrichtlinien sollten lediglich in möglichst einfacher und verständlicher Weise den Bauwerbern die auf Seiten der Gemeinde Lochau bestehenden Vorstellungen über eine Bebauung des betreffenden Areales dargelegt werden. Rechtsverbindlichkeit der genannten Planungsrichtlinien trete erst dann ein, wenn diesbezügliche Anordnungen in einen Baubewilligungsbescheid aufgenommen würden. Da jeder Baubewilligungsbescheid durch entsprechende Rechtsmittel bekämpft werden könnte, sei es aus Rechtsschutzgründen nicht geboten, den Planungsrichtlinien der Gemeinde Lochau Verordnungsqualität beizumessen. Demgemäß sei der Antrag des Landesvolksanwaltes mangels Vorliegens einer Verordnung zurückzuweisen.
b) Die Gemeinde Lochau bestreitet ebenfalls den Verordnungscharakter der Richtlinien und stützt sich dabei im wesentlichen auf dieselben Argumente wie die Vorarlberger Landesregierung. Die Planungsrichtlinien seien in der Gemeindevertretung weder diskutiert noch beschlossen worden, da sie lediglich ein Hilfsmittel für die Baubehörde, den Bauausschuß und das Bauamt darstellten. Um eine "einheitliche Uniformierung der Objekte" zu vermeiden, sei von einer rechtsverbindlichen Anordnung Abstand genommen worden, für die Erlassung eines Bebauungsplanes gemäß §26 Vorarlberger Raumplanungsgesetz bestehe derzeit auch keine Notwendigkeit.
II. Der Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg ist unzulässig.
Gemäß Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung in Verbindung mit Art148i Abs2 B-VG ist der Landesvolksanwalt von Vorarlberg befugt, Verordnungen einer Landesbehörde wegen Gesetzwidrigkeit vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten.
1. Verordnungen im Sinne der Bundesverfassung sowie im Sinne des damit übereinstimmend auszulegenden Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung sind gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg. 2071/1950, 6946/1972, 8807/1980, 9353/1982, 10882/1986) von einer Verwaltungsbehörde erlassene generelle Rechtsnormen. Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer Verordnung ist neben der generellen Umschreibung des Adressatenkreises der normative Charakter, also die Rechtsverbindlichkeit des behördlichen Aktes.
Für die Rechtsverbindlichkeit und damit für die Verordnungsqualität eines behördlichen Aktes hat der Verfassungsgerichtshof (vgl. etwa VfSlg. 10170/1984 sowie VfSlg. 12574/1990) darauf abgestellt, ob der behördliche Erlaß in der Diktion imperativ gehalten ist und nicht nur eine unverbindliche Empfehlung ausspricht. Er ist insbesondere davon ausgegangen, daß dann eine Verordnung vorliegt, wenn der behördliche Akt auf Grund seiner normativen Wirkung dem Normadressaten die Möglichkeit nimmt, ihm mit Erfolg entgegenzutreten (z.B. VfSlg. 8807/1980).
2. Zwar scheint die Formulierung des letzten Satzes der vom Landesvolksanwalt von Vorarlberg angefochtenen "Planungsrichtlinien" auf einen derartigen normativen Sinn, also auf die Rechtsverbindlichkeit der Richtlinien hinzudeuten. Der Satz "Diese Richtlinien gelten für alle nach dem 1. August 1983 kommissionell verhandelten Bauvorhaben." kann aber auch als Ankündigung des als Baubehörde erster Instanz zuständigen Bürgermeisters verstanden werden, daß er bei mündlichen Bauverhandlungen ab dem genannten Zeitpunkt anhand der Richtlinien vorzugehen beabsichtigt. Über den Inhalt einer (in fünfzehn Punkte gegliederten) Zielvorstellung der Baubehörde erster Instanz für die zukünftige bauliche Gestaltung des in der Z1 der Richtlinien bezeichneten räumlichen Bereiches sollte dadurch nicht hinausgegangen, geschweige denn den Richtlinien die normative Wirkung einer Verordnung beigelegt werden.
Die fünfzehn Punkte (der Richtlinien) erschöpfen sich in stichwortartigen Hinweisen auf die Rechtslage (Z4 und 6), in Wiederholungen der dem Flächenwidmungsplan vorbehaltenen Festlegungen (Z2 und 14), in Absichtserklärungen der Baubehörde über das Maß der baulichen Nutzung (Z3), die Höchstgeschoßanzahl (Z4), Höhenlage (Z5), Stellplätze (Z7), Dachausbildung (Z8), Dachneigung (Z9), Dacheindeckung (Z10), Firstrichtung (Z11), den Außenraum und die Umgebungsgestaltung (Z12) sowie das Gelände (Z13), die durchwegs als Leitlinien für die baubehördliche Begutachtung formuliert sind. Dieser bloß empfehlende Charakter der Planungsrichtlinien ist nicht nur aus dem Wortlaut einzelner Punkte ersichtlich (etwa in der Z12 über Außenraum und Umgebungsgestaltung sowie in der Z13 zum Gelände), sondern er wird auch daraus besonders deutlich, daß in ihrer Z15 Abweichungen von den Richtlinien im Rahmen der für die Errichtung von Bauwerken geltenden Rechtsnormen ausdrücklich als möglich bezeichnet werden.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 8807/1980 ausgesprochen hat, muß dann, wenn sich aus der sprachlichen Fassung eines Erlasses nicht mit Sicherheit ergibt, ob ihm der Charakter einer Rechtsverordnung zukommt, aus dem Sinn, der ihm innewohnt, erschlossen werden, wie er zu beurteilen ist.
Der Sinn der Planungsrichtlinien, deren Überprüfung auf ihre Gesetzmäßigkeit vom Landesvolksanwalt von Vorarlberg beantragt wurde, liegt jedoch nach dem überzeugenden Vorbringen der Gemeinde Lochau und der Vorarlberger Landesregierung nicht in einer rechtsverbindlichen, gemäß §26 Vorarlberger Raumplanungsgesetz der Gemeindevertretung vorbehaltenen Festlegung der in §26 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz vorgesehenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung eines Bauwerkes in Gestalt eines Bebauungsplanes. Vielmehr sollte ohne präzise, rechtsverbindliche Festlegung in Gestalt eines Bebauungsplanes, für welche keine Notwendigkeit gesehen wurde, mit den "Richtlinien" lediglich eine Hilfe für den Bauwerber angeboten werden, in einfacher und verständlicher Weise die Vorstellungen der Gemeinde über die Bebauung eines bestimmten Gebietes kennenzulernen. Darauf deutet auch der Umstand, daß die "Richtlinien" vom Bürgermeister, also nicht von der Gemeindevertretung, das ist das für die Erlassung des Bebauungsplanes zuständige Organ, und ohne Beachtung des dafür gesetzlich vorgesehenen Verfahrens, erstellt wurde.
Es ist von Rechts wegen nichts dagegen einzuwenden, daß die Baubehörde als (Planungs)"Richtlinien" ohne verbindliche Festlegung der dem Bebauungsplan vorbehaltenen Vorschriften über die Bebauung der einzelnen Grundstücke ihre Vorstellungen über die Bebauung eines bestimmten Gebietes offenlegt. Im Interesse des Bürgers liegt es, daß ihm derartige "Planungsrichtlinien" auch mitgeteilt werden, sodaß er sein Bauvorhaben danach ausrichten kann.
Wiewohl die bloße Planungsrichtlinie, die sich die Baubehörde erster Instanz für ihre Tätigkeit selbst erstellt, einen zweckmäßigen und auch für den Bauwerber sinnvollen Anhaltspunkt für die rechtliche Beurteilung seines zukünftigen Ansuchens liefert, bleibt auf diese Weise ein größerer Spielraum für die individuelle Planung des einzelnen Bauvorhabens gewahrt als dies bei den zwangsläufig detaillierten und starren Festlegungen gemäß §26 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz in einem Bebauungsplan möglich ist. Gleichwohl erzielt die Baubehörde durch diese für sich selbst aufgestellten Richtlinien die im Hinblick auf das Gleichheitsgebot erforderliche Gleichmäßigkeit bei der Handhabung der Rechtsvorschriften. (Ähnlich VfSlg. 6818/1972, 8629/1979, 9111/1981 für Beförderungsrichtlinien unter Hinweis auf deren "normlosen" Charakter.)
Daß sich die "Planungsrichtlinien" am Inhalt eines Bebauungsplanes gemäß §26 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz orientieren, wie der Landesvolksanwalt von Vorarlberg zutreffend wahrnimmt, verschlägt nichts. Entgegen seiner Auffassung handelt es sich gleichwohl bei den Planungsrichtlinien lediglich um Absichtserklärungen der Baubehörde und Empfehlungen an die Bauwerber, denen keine normative Wirkung nach Art des als Verordnung zu erlassenden Bebauungsplanes zukommt, weil mit den Richtlinien entgegen §26 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz die Art und Form der baulichen Nutzung bestimmter Liegenschaften nicht "festgelegt" wurden.
Besitzen die vom Bürgermeister der Gemeinde Lochau unterfertigten "Planungsrichtlinien für den Bereich zwischen Ruggburgstraße und Galgenbühel" keinen normativen Charakter, sind sie auch keine Verordnung. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg ist sohin verfassungsrechtlich nicht ermächtigt, die Aufhebung der "Planungsrichtlinien" durch den Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Sein Antrag war zurückzuweisen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Verordnungsbegriff, Raumordnung, VfGH / PrüfungsgegenstandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:V265.1991Dokumentnummer
JFT_10078797_91V00265_00