TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/28 94/19/1360

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Veröffentlicht am 28.03.1995
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
B-VG Art18 Abs1;
B-VG Art50 Abs1;
B-VG Art50 Abs3;
FlKonv Art33 Abs1;
FlKonv;
Rechtsstellung der Flüchtlinge Protokoll 1974;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des R in S, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Mai 1994, Zl. 4.344.387/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger Nigerias - ist am 24. März 1994 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 28. März 1994 den Antrag gestellt, ihm Asyl zu gewähren. Mit Bescheid vom 12. April 1994 wies das Bundesasylamt diesen Antrag ab. Es erachtete einerseits die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 für nicht gegeben und bejahte andererseits das Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit.. Diesbezüglich ging die Behörde erster Instanz von einer Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Benin, Tunesien und der Tschechischen Republik aus.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Mai 1994 wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei abgewiesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer, ohne sich - wie das Bundesaylamt - mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie ebenfalls der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Dies sei für den Beschwerdeführer in Niger und Tunesien der Fall gewesen.

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides davon ausgeht, daß die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoße, ist ihm entgegenzuhalten, daß es die Konvention zuläßt, daß ein Flüchtling, der aus einem Staat eingereist ist, in dem er nicht von Verfolgung im Sinne des Art. 33 Abs. 1 der Konvention bedroht wäre, in einen solchen zurück- oder ausgewiesen wird, und aus Art. 31 Abs. 1 der Konvention keine Verpflichtung ihrer Mitgliedstaaten zur Aufnahme von Flüchtlingen abgeleitet werden kann, die unabhängig davon wäre, ob der Asylwerber direkt aus einem Verfolgerstaat kommt oder nicht (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/1177, und vom 23. Februar 1994, Zl. 94/01/0022). Der Beschwerdeführer übersieht auch, daß dem Asylgesetz 1991 im Falle eines (im übrigen, wie aufgezeigt, im gegebenen Zusammenhang gar nicht bestehenden) Konfliktes mit der (ihm gegenüber nicht höherrangigen) Konvention als lex posterior und lex specialis der Vorrang einzuräumen wäre (vgl. die bereits zitierten Erkenntnisse vom 15. Dezember 1993 und vom 23. Februar 1994). Dem einem Flüchtling zuzubilligenden Sicherheitsbedürfnis ist bereits dann entsprochen, wenn er sich nach Verlassen seines Heimatlandes in einem anderen Staat, selbst nur im Zuge der Durchreise, befunden hat und diese (seit Betreten dieses Staates vorhandene) Sicherheit schon dort hätte in Anspruch nehmen können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357).

Auch trifft nicht zu - wie der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ausführt - daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nur dann zum Tragen käme, wenn den Behörden des Drittstaates der Aufenthalt des Beschwerdeführers dort bekannt wäre und von ihnen geduldet würde (vgl. nur das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, u.v.a.).

Der Beschwerdeführer geht im weiteren (wohl auch hinsichtlich des nicht ausdrücklich angeführten Staates Niger) davon aus, daß die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht entsprochen habe, ob der Beschwerdeführer wirksamen "Rückschiebeschutz" gehabt hätte.

Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß es "legitim" sei, "davon auszugehen, daß in einem Staat, dessen Rechts- und Verfassungsordnung im Großen und Ganzen effektiv ist, wie das für Niger und Tunesien ja gilt, auch größere Teilbereiche dieses Rechtsbestandes, wie eben das Nonrefoulementrecht ebenfalls effektiv in Geltung stehen". Hiebei reiche eine generalisierende Betrachtung aus.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag im Beschwerdefall diese Ansicht der belangten Behörde nicht zu teilen. Weder liegen Beweisergebnisse des Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Effektivität der Rechts- und Verfassungsordnungen von Niger und Tunesien vor, noch hat die Behörde überprüfbare Quellen für die Notorietät genannt. Sie hat auch verabsäumt, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, zu allfälligem amtsbekannten Wissen betreffend den allgemein gewährten Rückschiebungsschutz hinsichtlich seiner Person im besonderen Stellung nehmen zu lassen. Es kann daher auch nicht gesagt werden, daß die Partei ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413) nicht entsprochen hätte.

Da sohin der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt (nämlich hinsichtlich des Rückschiebungsschutzes in Niger und Tunesien) einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Umfang des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994191360.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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