TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/28 93/05/0210

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Veröffentlicht am 28.03.1995
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Index

L85003 Straßen Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1460;
ABGB §1488;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §48;
AVG §56;
B-VG Art118 Abs2;
B-VG Art118 Abs3 Z4;
LStG NÖ 1979 §2 Abs1;
LStG NÖ 1979 §2 Abs2;
LStG NÖ 1979 §2 Abs3;
LStG NÖ 1979 §2;
LStG NÖ 1979 §32 Abs7 Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des A und der H XY in B, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 16. Juli 1993, Zl. R/1-V-93051/00, betreffend Feststellung der Öffentlichkeit einer Privatstraße (mitbeteiligte Partei: Gemeinde B, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde führte am 30. September 1992 von Amts wegen eine Verhandlung durch, deren Gegenstand die Klärung der Merkmale der Öffentlichkeit jener Privatstraße bildete, welche einen Teil einer Verbindung zwischen dem Ortszentrum Breitenstein und dem Ortsteil Klamm schafft. Die Privatstraße besteht aus den Wegparzellen (von Breitenstein in Richtung Klamm) Nr. 446/2, die den Beschwerdeführern gehört, Nr. 466/3, die der NÖ Gebietskrankenkasse gehört, und Nr. 466/4, 1138, .43 und 1139/1, die den Beschwerdeführern gehören.

Die Beschwerdeführer machten zunächst die Unzuständigkeit des Bürgermeisters geltend, weil entsprechend § 32 Abs. 5 NÖ Landesstraßengesetz der Gemeinderat zuständig wäre. Sie bestritten, daß Merkmale der Öffentlichkeit vorlägen. Die Straße werde nicht mindestens 30 Jahre lang benützt. Die Benützung erfolge nicht von jedermann, sondern von einem im wesentlichen auf Anrainer beschränkten Personenkreis. Ununterbrochene Benützung liege nicht vor, da auch nach dem Vorbringen der Anrainer der Weg jedenfalls vor zwei Jahren abgesperrt worden sei. Eine Absperrung westlich des Hofes der Beschwerdeführer sei vor 10 Jahren erfolgt, und zwar während der Sommermonate im Zusammenhang mit dem Weidebetrieb. Bei dem Weg handle es sich um einen privaten Interessentenweg; diesbezüglich sei das Übereinkommen der Weggemeinschaft "Blauer Einschnitt" abgeschlossen worden. Der Weg sei nur einige 100 m kürzer, als der Weg über die Landesstraße L 4167. Wegen des Gefälles, der Fahrbahnoberfläche, der geringen Breite sowie wegen des Umstandes, daß über eine längere Strecke nur in einer Richtung gefahren werden könne und Ausweichmöglichkeiten nicht vorlägen, sei der Weg zur Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses nicht geeignet. Der Weg sei weiters auch für den öffentlichen Verkehr im Winter ungeeignet. Die Beschwerdeführer beantragten die Vernehmung der Zeugen I und M P zum Beweis dafür, daß schon vor 10 Jahren eine Absperrung erfolgt sei und sie beantragten die Einholung des Gutachtens eines Verkehrssachverständigen zur Erstellung einer Zeitwegrechnung zum Beweis dafür, daß die Benützung des gegenständlichen Weges längere Zeit in Anspruch nehme als der Weg über die Landesstraße 4167.

Die Behörde führte bei dieser Verhandlung einen Ortsaugenschein durch, wobei unter Beiziehung eines verkehrstechnischen Sachverständigen zusammenfassend folgende Feststellungen getroffen wurden:

Abzweigend von jener Gemeindestraße, die zwischen dem Ortszentrum Breitenstein in Richtung zum Kinderheim der Gebietskrankenkasse verläuft, ist der Weg zunächst auf eine Strecke von 80 m staubfrei befestigt und sodann auf eine Länge von 900 m bis zur Unterführung unter die Südbahn mit Schotter befestigt. In diesem Bereich verläuft der Weg bergab und bergauf; die befahrbare Breite dieser Strecke beträgt 3 m. Nach der Bahnunterführung ist der Weg seit Sommer 1992 mit einer bituminösen Decke versehen und sind Erdbankette vorhanden. 180 m nach der Eisenbahnunterführung verläuft der Weg durch das Anwesen der Beschwerdeführer zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude. Sodann beträgt die Weglänge bis zum Anschluß an die nächste Gemeindestraße (Grundstück Nr. 1140) annähernd 500 m (diese Aufzählung ergibt eine Weglänge von 1660 m).

Verglichen wurden bei diesem Lokalaugenschein die Wegstrecke von einer Kreuzung nächst der Ortsmitte Breitenstein zur Einmündung in die Gemeindestraße Grundstück Nr. 1140, wenn entweder die gegenständliche Privatstraße gewählt oder die Landesstraße L 4167 durch den Adlitzgraben benützt werde. Der verkehrstechnische Sachverständige ermittelte, daß die Verkürzung etwa 800 m betrage, wobei allerdings für Bewohner in einem Bereich zwischen Gemeindeamt und Kinderheim in Breitenstein die Verkürzung noch größer sei. Außerdem befinde sich der Friedhof von Breitenstein in Klamm. Weiters wurde angegeben, daß im Falle einer Sperre des Adlitzgrabens nur über die Privatstraße ein möglicher weitaus größerer Umweg vermieden werden könne. Bei entsprechenden Instandsetzungsarbeiten und bei Räumung im Winter sei eine ordnungsgemäße Befahrbarkeit gegeben, auch bestünden immer wieder Ausweichmöglichkeiten. Die Durchführung einer Zeitwegrechnung wurde vom Sachverständigen im Hinblick auf die Vielfalt von Beförderungsmitteln abgelehnt.

Anwesende "Vertreter der Gemeinde", deren Namen nicht angeführt sind, erklärten, daß der Weg eine für viele Ortsbewohner notwendige Verbindung darstelle. Sie verwiesen darauf, daß die Gemeinde an der bestehenden Erhaltungsgemeinschaft "Blauer Einschnitt" mit 25 % beteiligt sei. Auch verwiesen sie auf die Notwendigkeit des Weges für den Fremdenverkehr, und zwar für Fußgänger und für Radfahrer. Von den Anrainern gab der Vertreter der ÖBB, deren Gleisstrecke den Weg überfährt, an, daß die Wegbenützung für die ÖBB unbedingt erforderlich sei. Der Vertreter der NÖ Gebietskrankenkasse verwies auf die Benützung durch diese Gebietskrankenkasse zur Wartung eines im Abschnitt bis zum Hof der Beschwerdeführer befindlichen Wasserbehälters samt Pumpwerk. Die Benützung des Weges vom Hof der Beschwerdeführer nach Klamm sei für das Kindererholungsheim der Gebietskrankenkasse nicht erforderlich. Die Vertreter des Gendarmerieposten Semmering erklärten, daß der gegenständliche Weg hin und wieder befahren würde.

Aus den Aussagen der weiters befragten 12 Personen geht einhellig hervor, daß der Weg seit vielen Jahren ständig von Fußgängern, Fuhrwerken, landwirtschaftlichen Fahrzeugen und zum Teil auch von Pkws benützt wird. Eine Person verwies auf eine Benützung seit 1934, eine andere auf eine Benützung seit 1956. Aus den Aussagen der befragten Personen ergibt sich weiters, daß seit etwa zwei Jahren Absperrungen vorhanden sind; manche Personen benützten den Weg seither nicht mehr, andere haben die Absperrungen geöffnet und wieder geschlossen.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1992 stellte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde als Straßenbehörde erster Instanz fest:

"1. Der Privatstraße der H und des A XY, beginnend beim Haus Nr. 189 und endend beim Haus Nr. 37 (Wegparzellen ...) kommen gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Landesstraßengesetz, LGBl. 8500-0, die Merkmale der Öffentlichkeit zu.

2. Die unter Z. 1 bezeichnete Straße dient dem Fußgängerverkehr, dem Radfahr- und dem Fahrzeugverkehr (auch mit Fahrzeugen zur Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe).

3. Die Verhandlungsschrift vom 25.11.1992 liegt dem Bescheid bei und bildet hinsichtlich der Erklärungen sowie des Gutachtens des straßenverkehrstechnischen Sachverständigen einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides.

4. Die in der Natur bereits vorhandenen Absperrungen bzw. die aufgestellten Fahrverbotstafeln sind aus den unter Z. 1 bis 3 genannten Gründen und unter Hinweis auf § 5 des NÖ Landesstraßengesetzes zu entfernen."

In der Begründung wurde unter Hinweis auf den Wortlaut des § 2 des NÖ Landesstraßengesetzes auf das Vorliegen aller Merkmale dieser Gesetzesbestimmungen hingewiesen.

In ihrer Berufung machten die Beschwerdeführer geltend, daß die von ihnen geführten Zeugen I und M P zum Beweis dafür, daß Absperrungen seit 10 Jahren erfolgten, nicht einvernommen worden wären, weshalb das Verfahren mangelhaft geblieben sei. Zum Beweis der Behauptung, daß der Weg keineswegs dauernd durch 30 Jahre hindurch durch jedermann benützt werden konnte, sondern jeweils entsprechend abgesperrt worden sei, wurde die Vernehmung von sieben weiteren Zeugen beantragt. Aus dem Beweisverfahren hätte sich nur ergeben, daß die Straße von den Anrainern benützt werde, aber nicht von jedermann. Auch hätten fünf der in der Verhandlung befragten Personen angegeben, daß Absperrungen erfolgt seien. Es liege auch kein notwendiges Verkehrsbedürfnis vor, weil die wesentlich besser ausgebaute Landesstraße nur um einige 100 m länger sei. Schließlich wurde abermals die Unzuständigkeit des Bürgermeisters als Straßenbehörde erster Instanz geltend gemacht.

Dieser Berufung gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 9. Februar 1993 keine Folge. Was die nichtvernommenen Zeugen betrifft, wurde ausgeführt, daß anders als im privatrechlichen Verfahren im Verwaltungsverfahren der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit herrsche, was bedeute, daß die Behörde nicht an das tatsächliche Parteivorbringen gebunden sei, sondern von sich aus den wahren Sachverhalt durch die Aufnahme der nötigen Beweise festzustellen hätte. Durch die Einvernahme der von Amts wegen befragten Zeugen sei der Sachverhalt hinlänglich geklärt worden.

Aufgrund der dagegen von den Beschwerdeführern erhobenen Vorstellung führte die belangte Behörde am 19. Mai 1993 an Ort und Stelle bzw. im Gemeindeamt eine Verhandlung durch. Es wurde hinsichtlich der Verkehrsbedeutung des Privatweges festgestellt, daß sich dieser Weg als Abkürzung zwischen den Orten Breitenstein und Klamm bzw. als Ausweichstrecke bei kurzfristigem Sperren der Landesstraße durch den Adlitzgraben darstelle. Durch diesen Weg werde der Wirtschaftsverkehr zu verschiedenen landwirtschaftlichen Gehöften abgewickelt bzw. würden gewisse Gebäude damit erschlossen. Der Bürgermeister berichtete bei dieser Verhandlung, daß im "heurigen" Sommer wegen Wildbacharbeiten an der Adlitzgrabenstraße diese für zwei Tage gesperrt werden habe müssen, sodaß für Notfälle auch die gegenständliche Privatstraße herangezogen werden müsse. Der Hauptverkehr sei zu dieser Zeit über die ca. 10 km längere Strecke über die Gemeinde Semmering umgeleitet worden.

Die Beschwerdeführer verwiesen in der Verhandlung darauf, daß sich die Privatstraße aufgrund ihrer Bauweise und ihres Erhaltungszustandes nicht eigne, als Ersatzstraße für die Adlitzgrabenstraße herangezogen zu werden. Über hunderte von Metern weise die Straße keinerlei Ausweichmöglichkeiten auf, insbesondere bei den vorhandenen Steilstücken, wo im Falle der Begegnung von Fahrzeugen jeweils eines der Fahrzeuge über mehrere hunderte Meter zurückschieben habe müssen, um ein Vorbeikommen zu ermöglichen. Weiters verwiesen die Beschwerdeführer auf ihren Standpunkt, daß die Privatstraße keinesfalls 30 Jahre ununterbrochen für jedermann benützt werden konnte, weil sie des öfteren abgesperrt werden mußte, um den Viehtrieb zu ermöglichen und die landwirtschafltichen Arbeiten durchzuführen. Der Beweisantrag auf Einvernahme der bisher namhaft gemachten Zeugen werde aufrecht erhalten.

Dieser Vorstellung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Sie nahm alle Voraussetzungen des § 2 Landesstraßengesetz als gegeben an und erkannte keine Verfahrensmängel, weil der Sachverhalt durch die aufgenommenen Beweise hinreichend geklärt sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf (gemeint wohl: uneingeschränkte) Benützung der in ihrem Eigentum stehenden Privatstraße verletzt erachten.

Die belangte Behörde legte die Akten vor und erstattete

eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der berufungs- und aufsichtsbehördlich gebilligte Bescheid des Bürgermeisters vom 14. Dezember 1992 enthielt in seinem Punkt 4. das Leistungsgebot, "die in der Natur bereits vorhandene Absperrung bzw. die aufgestellten Fahrverbotstafeln ... zu entfernen". Gesetzliche Grundlage eines derartigen Gebotes ist das NÖ Landesstraßengesetz, LGBl. 8500-0, in der zuletzt durch die Novelle LGBl. 8500-3 geänderten Fassung (im folgenden: LStG), dessen § 5 Abs. 1 vorsieht, daß niemand an der Benützung öffentlicher Straßen gehindert werden darf und daß gemäß Abs. 2 die Behörde die Entfernung einer nichtbewilligten Anlage jederzeit verfügen kann. Eine derartige Kompetenz der Behörde besteht somit auf "öffentlichen" Straßen, das sind gemäß § 1 Abs. 2 alle dem Verkehr von Menschen und Fahrzeugen dienenden Flächen, die dem öffentlichen Verkehr ausdrücklich gewidmet worden sind; als öffentliche Straßen gelten Privatstraßen dann, wenn ihnen gemäß § 2 Abs. 2 die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen.

§ 2 LStG lautet:

"Privatstraßen; Merkmale der Öffentlichkeit

(1) Eine Privatstraße gilt als öffentliche Straße, wenn sie mindestens 30 Jahre lang ununterbrochen von jedermann ohne ausdrückliche Bewilligung zur Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses benützt wird.

(2) Über die Frage, ob einer Privatstraße (Brücke, Straßenbauwerk) die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen, entscheidet auf Begehren eines Beteiligten oder von Amts wegen die Behörde aufgrund einer örtlichen Verhandlung.

(3) In dem gemäß Abs. 2 zu erlassenden Bescheid ist festzustellen, für welche Arten des öffentlichen Verkehrs (Fahrzeug-, Reit-, Radfahr-, Fußgängerverkehr) die Straße dient. Beteiligte, die privatrechtliche Einwendungen erhoben haben, sind auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen, soferne hierüber ein gütliches Übereinkommen nicht erzielt werden konnte."

Diese Bestimmung ist somit die gesetzliche Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheides (vgl. Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 112, der den Unterschied zwischen der (konstitutiven) öffentlichen Erklärung einer Privatstraße und der (deklarativen) Feststellung der Öffentlichkeit hervorhebt). Die im Gesetz genannte 30-Jahresfrist muß gegenwartsbezogen sein, weil es ja darauf ankommt, ob die Straße "benützt wird" und nicht etwa, ob sie - irgendwann, also allenfalls auch vor Jahrzehnten - 30 Jahre lang "benützt wurde". Tatsachengrundlage des angefochtenen Bescheides ist, daß der Weg seit ein bis eineinhalb Jahren (wegen der von den Beschwerdeführern angebrachten Hindernisse) nicht mehr benützt wird; aus dem Beweisverfahren läßt sich ein Zeitraum von zwei Jahren diesbezüglich entnehmen. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob die Voraussetzungen für ein derartiges Feststellungsverfahren noch vorliegen, wenn im Zeitpunkt seiner Einleitung die Benützung - aus welchen Gründen immer - nicht mehr erfolgt. Allerdings kann es nicht angehen, daß Hinderungsmaßnahmen des Grundeigentümers nach Ablauf von 30 Jahren jedenfalls unterbrechend wirken, weil es nicht auf das Ergebnis eines "Wettlaufes" zwischen der einschreitenden Behörde und dem Hindernisse setzenden Grundeigentümer ankommen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im Erkenntnis vom 21. Jänner 1957, Zl. 2039/56, ausgesprochen, daß eine im Jahr 1955 vorgenommene Hinderungshandlung (der Berufungsbescheid datiert mit 31. August 1956) außer Betracht zu bleiben hat, weil es sich "um den Anlaß des Streites gehandelt habe, über den im vorliegenden Verfahren entschieden werde". Genauso wurde im Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zl. 94/05/0225, darauf abgestellt, daß es bei Hinderungshandlungen ein Jahr vor dem Feststellungsverfahren, die das Verwaltungsverfahren ausgelöst haben, nur darauf ankommt, daß ZUVOR volle 30 Jahre lang der Gemeingebrauch bestand.

Im vorliegenden Fall ist vom Hinderungshandlungen die Rede, die zwei Jahre vor dem Verfahren erster Instanz gesetzt worden wären, wobei die Gründe, die die Gemeinde zur amtswegigen Einleitung des Feststellungsverfahrens veranlaßt haben, nicht aktenkundig sind. Die Beschwerdeführer behaupten solche Hinderungshandlungen bereits zehn Jahre vor Einleitung des Feststellungsverfahrens gesetzt zu haben. Es ist daher zu klären - um den schon genannten "Wettlauf" zu vermeiden, aber auch die Gegenwartsbezogenheit der Feststellung nicht zu vernachlässigen - in welchem Rahmen ein zeitlicher Zusammenhang bestehen muß.

Das Landesstraßengesetz gibt für die Lösung dieser Frage nichts her. Gäbe es das öffenlich-rechtliche Feststellungsverfahren nicht, müßte auf die Bestimmungen des ABGB über die Ersitzung von Wegerechten durch langjährigen Gemeingebrauch zurückgegriffen werden (siehe Schubert in Rummel, Kommentar zum ABGB I2, RZ 5 zu § 1460 ABGB) , um ein - in materieller Hinsicht - ähnliches Ergebnis zu erzielen. Daher liegt es nahe, im Falle der Behinderung des (seit 30 Jahren bestehenden) Gemeingebrauches die Bestimmung des § 1488 ABGB analog heranzuziehen.

Danach verjährt das Recht der Dienstbarkeit, wenn sich der verpflichtete Teil der Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinanderfolgende Jahre sein Recht nicht geltend gemacht. Dabei liegt ein "Widersetzen" nur vor, wenn der Servitutsverpflichtete der tatsächlichen Ausübung entgegentritt; wenn also Vorkehrungen getroffen werden, die die normale Ausübung der Servitut unmöglich machen oder erschweren. Es muß sich nicht nur um Absperrungsmaßnahmen handeln, es genügen auch Drohungen und Verbote, wenn sich der Berechtigte fügt. Das Hindernis muß nicht unüberwindbar sein, es genügt, daß die Benützung des Weges auf gewöhnliche und allgemeine Art unmöglich wird (Schubert aaO, RZ 2 zu § 1488 ABGB).

Die Einleitung des Feststellungsverfahrens läßt sich mit der Geltendmachung des Rechtes durch den Berechtigten vergleichen. Daher müssen auch bei Beurteilung der Merkmale der Öffentlichkeit, zumal das Straßenrecht dazu keine Aussage trifft, Widersetzungshandlungen, die innerhalb von drei Jahren vor Verfahrenseinleitung gesetzt wurden, außer Betracht bleiben, soweit vor Beginn der Widersetzungshandlungen die 30jährige Frist verstrichen ist.

Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob und inwieweit die Beschwerdeführer schon drei Jahre vor dem 16. Oktober 1992 (Zustellung der Ladung zur Verhandlung), also vor dem 16. Oktober 1989 nachhaltig die Wegbenützung gehindert haben. Nach den von den Verwaltungsbehörden aufgenommenen Beweisen lagen die Hinderungshandlungen jedenfalls nicht länger als drei Jahre zurück.

Die Beschwerdeführer haben aber ständig behauptet und darüber Beweise angeboten, daß davor ein 30jähriger Gemeingebrauch nicht bestanden hätte; vor zehn Jahren hätten Absperrungen in den Sommermonaten wegen des Weidebetriebes stattgefunden. In der Berufung wurden weitere sieben Zeugen zum Beweis dafür geführt, wonach während der letzten zehn Jahre Absperrungen erfolgt seien. Auch die Vorstellung rügte das Unterbleiben der beantragten Beweisaufnahme.

Es kann im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, daß die Verwaltungsbehörden zu anderen Feststellungen gelangt wären, wenn sie die Beweise aufgenommen hätten, die angeboten worden sind. Vor allem muß der Ansicht der Berufungsbehörde entgegengetreten werden, der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit entbinde sie von der Verpflichtung zur vollständigen Aufnahme der für die Beurteilung erforderlichen Beweise. Angebotene Beweise dürfen ja nur dann von vornherein abgelehnt werden, wenn die Beweise an sich nicht geeignet sind, über den Gegenstand einen Beweis zu liefern (Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 411). Daß die insgesamt neun beantragten Zeugen nicht geeignet wären, zur Frage des 30jährigen Gemeingebrauches bzw. der Aufstellung von Hindernissen Aussagen zu treffen, wurde nicht begründet; die Abqualifizierung durch die Vorstellungsbehörde als "den Vorstellungswerbern nahestehenden Zeugen" ist durch den Akteninhalt nicht gedeckt und auch nach dem AVG keine Grundlage dafür, diese Zeugen von vornherein nicht zu hören. Erst wenn von allen Seiten aufgebotene Beweise durchgeführt worden sind, läßt sich allenfalls eine Beschränkung der Beweisaufnahme rechtfertigen, so etwa dann, wenn Personen wegen ihres Alters als "Gedenkzeugen" nicht in Betracht kommen (allerdings fehlt auch bei den bis jetzt vernommenen Personen eine Altersangabe). Andererseits ist eine Beschränkung der Beweisaufnahme dahingehend möglich, daß es auf eine Benützung durch unmittelbare Anrainer (beispielsweise die ÖBB und die Gebietskrankenkasse) nicht ankommt, weil diese Personen das Tatbestandsmerkmal "jedermann" nicht erfüllen.

Jedenfalls belastete die Vorstellungsbehörde dadurch, daß sie die unzureichende diesbezügliche Beweisaufnahme durch die Straßenbehörden billigte, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Im fortgesetzten Verfahren wird darauf zu achten sein, daß durch Aufnahme weiterer Zeugenbeweise und durch eine sorgfältige Beweiswürdigung geklärt wird, wann welche Hinderungsmaßnahmen gesetzt wurden und ob die Benützung 30 Jahre zuvor ununterbrochen von jedermann erfolgte. Sollten sich nur Behinderungen durch Weidezäune zu bestimmten Zeiten herausstellen, vermögen diese Behinderungen den Gemeingebrauch möglicherweise nicht zu unterbrechen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich im Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0122, ausgeführt, es entspreche der Lebenserfahrung, daß Weidezäune vor allem dazu dienen, die Tiere am Entweichen zu hindern, nicht aber auch die allgemeine Benützung des über die Weide führenden Weges einer Beschränkung zu unterwerfen. Es muß also geklärt werden, für welche Verkehrsmittel die Weidezäune ein Hindernis waren und ob sie ohne weiters von jedermann geöffnet werden konnten, sodaß allenfalls eine effektive Hinderung der Benützung nicht gegeben gewesen wäre.

Die erfolgte Beweisaufnahme ist auch hinsichtlich des weiteren Merkmales der Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses mangelhaft geblieben. Eine Verkürzung um 800 m mag für Fußgänger, Radfahrer und wohl auch Traktoren ein Verkehrsbedürfnis rechtfertigen; bei motorisierten Fahrzeugen stellt sich aber die Frage, ob bei einer rund 5 km langen Strecke diese Verkürzung wirklich durch die damit verbundenen Nachteile (Breite nur 3 m, lange Strecken keine Ausweichmöglichkeiten, Schotteroberfläche) nicht kompensiert wird. Jedenfalls kann die zeitliche Komponente nicht unberücksichtigt bleiben, weil ein notwendiges Verkehrsbedürfnis nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht anzunehmen ist, wenn eine andere kaum längere taugliche Verkehrsverbindung zur Verfügung steht (hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1989, Zl. 84/05/0064, m.w.N.). "Tauglich" ist aber eine Verbindung wohl nur dann, wenn sie zumindest in derselben Zeit bewältigt werden kann, wie die (entfernungsmäßig) längere Alternativstrecke.

Nicht gefolgt werden kann den Beschwerdeausführungen allerdings dahingehend, daß der Bürgermeister zur Erlassung des Feststellungsbescheides in erster Instanz nicht zuständig gewesen wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich schon mehrfach mit dieser Frage auseinandergesetzt und ausgeführt, daß dann, wenn es sich bei der zu beurteilenden Straße nicht um eine der in den Anlagen A und B des NÖ LStG angeführten Straßenzüge, also um eine Gemeindestraße handle, die Zuständigkeit der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich gegeben sei, sodaß die Zuständigkeitsbestimmung des § 32 Abs. 7 Z. 2 LStG zur Anwendung gelange (siehe etwa die hg. Erkenntnise vom 17. November 1987, Zl. 84/05/0246, und vom 28. November 1989, Slg. 13.070/A).

Der angefochtene Bescheid war daher, da die Vorstellungsbehörde die aufgezeigten Verfahrensmängel des gemeindebehördlichen Verfahrens nicht wahrnahm, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Im Hinblick auf die Entscheidung in der Sache selbst erübrigt sich ein Eingehen auf den jüngst gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen; allerdings wird auf einen gleichlautenden Antrag im Vorstellungsverfahren hingewiesen.

Schlagworte

Ablehnung eines Beweismittels Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Beweismittel Zeugen Beweismittel Zeugenbeweis Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993050210.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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