TE Vfgh Erkenntnis 1992/12/5 G169/92, G196/92

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Veröffentlicht am 05.12.1992
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ASVG §238 Abs2 Z3
ASVG §253 Abs1 idF ArtI Z6 lita Sozialrechts-ÄnderungsG 1991

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Regelung über das unterschiedliche Pensionsalter von Mann und Frau nach dem ASVG idF des Sozialrechts-ÄnderungsG 1991 bis zum Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung über die Zulässigkeit unterschiedlicher Altersgrenzen; Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung betreffend Ermittlung der Bemessungszeit mangels Präjudizialität

Spruch

I. Die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" im §253 Abs1 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955, BGBl. Nr. 189/1955, über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG) idF des ArtI Z6 lita des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 157/1991, war bis zum Ablauf des 30. November 1991 verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

II. Der Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck auf Feststellung, daß die Wortfolgen "nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei männlichen" und "bei weiblichen Versicherten" im §238 Abs2 Z3 ASVG idF des ArtIV Z6 der 44. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 609/1987, bis zum Ablauf des 30. November 1991 verfassungswidrig waren, wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen stellte beim Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 7. Juli 1992 den Antrag festzustellen, daß bis zum Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung des ArtI des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" im §253 Abs1 ASVG sowie die Wortfolgen "nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei männlichen" und "bei weiblichen Versicherten" im §238 Abs2 Z3 ASVG verfassungswidrig waren.

Dieser Antrag ist hg. zu Z G169/92 protokolliert.

1.2.1. Es liegt ihm folgender Sachverhalt zugrunde:

Der am 29. Juni 1931 geborene Pensionswerber hat am 20. August 1991 den Antrag auf Gewährung der Alterspension gestellt, wobei er keine der im Formular vorgedruckten Kästchen für Alterspension, für vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer und für vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit angekreuzt hatte. Am 5. September 1991 hat er seinen Antrag dahin präzisiert, daß er die Zuerkennung der Alterspension, in eventu die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer beantrage.

Mit einem nicht als Bescheid bezeichneten Schreiben vom 5. September 1991 teilte die die Sozialversicherungsanstalt der Angestellten, dem Pensionswerber mit, daß nach der derzeitigen Rechtslage (§253 ASVG) eine "normale" Alterspension für männliche Versicherte erst mit der Erreichung des 65. Lebensjahres gewährt werden könne. Sein Antrag vom 27. August 1991 werde daher als Antrag auf vorzeitige Alterspension gemäß §253b ASVG gewertet.

Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Angestellten vom 18. September 1991 wurde dem Pensionswerber die vorzeitige Alterspension ab 1. September 1991 zuerkannt und die ihm monatlich gebührende Pension ziffernmäßig festgesetzt.

Mit einer rechtzeitig eingebrachten Klage begehrte der Pensionswerber, die Sozialversicherungsanstalt der Angestellten schuldig zu erkennen, ihm ab 1. September 1991 die Alterspension gemäß §253 ASVG im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, und wendete sich dagegen, daß bei der Berechnung der vorzeitigen Alterspension eine Bemessungszeit von 180 anstelle von 120 Versicherungsmonaten herangezogen wurde. Letztere wären - wie der Pensionswerber meint - zu berücksichtigen, wenn es um die Pension einer Frau ginge.

Das Erstgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger erhobene Berufung, über die das antragstellende Gericht nunmehr zu entscheiden hat.

1.2.2. Zur Präjudizialität führt das Oberlandesgericht Innsbruck aus:

"Auch wenn der angefochtene Bescheid nur über die vorzeitige Alterspension abspricht, ist davon auszugehen, daß mit diesem Bescheid in Verbindung mit dem Schreiben der beklagten Partei vom 5.9.1991 über das Begehren des Klägers auf Alterspension nach §253 ASVG ablehnend entschieden wurde. Auch wenn man das Schreiben ...

selbst als ... nur nicht in der entsprechenden Form ausgefertigten

Bescheid auffaßt, war die Klage ... noch rechtzeitig ... erhoben

... Es liegt sohin eine zulässige Klage gegen die Ablehnung der ...

Alterspension nach §253 ASVG vor.

Die Bestimmung des §253 Abs1 ASVG (in der Fassung des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1991 BGBl 157/1991) lautet im hier relevanten Teil:

'Anspruch auf Alterspension hat der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres, ....'

Die Bestimmung des §238 Abs2 lautet hinsichtlich der hier relevanten Ziffer 3:

'Für die Ermittlung der Bemessungszeit kommen in Betracht:

3. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei männlichen und nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, vermindert sich der Zeitraum der letzten 180 Versicherungsmonate nach Z2 je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um einen Versicherungsmonat bis zum Ausmaß von 120 Versicherungsmonaten.'

Die Bestimmung des §253 ASVG ist dafür maßgebend, ob dem Kläger die in erster Linie begehrte Alterspension und nicht bloß die zuerkannte, bloß eventualiter begehrte vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer gemäß §253 b ASVG zusteht. Die Bestimmung des §238 Abs2 Z3 leg cit ist für die Ermittlung der Bemessungszeit und damit indirekt für die Ermittlung der Höhe der dem Kläger zustehenden Pension maßgebend. Diese Bestimmungen sind daher vom Oberlandesgericht Innsbruck bei der Entscheidung über die Berufung des Klägers anzuwenden ..."

1.2.3. Seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen legt das Oberlandesgericht Innsbruck wie folgt dar:

"Die genannten Bestimmungen des ASVG unterscheiden nach dem Geschlecht. Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Innsbruck bestehen gegen die sachliche Rechtfertigung dieser Unterscheidung Bedenken:

Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6.12.1990, G223/88, 235/88, 33/90, 63/90, 144/90, kommt dieser zum Ergebnis, daß Bestimmungen betreffend ein ungleiches Pensionsalter, die bloß allgemein nach dem Geschlecht unterscheiden und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenüberstellen, in Wahrheit nicht jene Besonderheiten berücksichtigen, die zu ihrer Rechtfertigung dienen sollen. Sie kämen vorwiegend jenen Frauen zugute, deren Rollenbild sich von jenem der Männer nicht unterscheide, während jene Frauen, die durch Haushaltsführung und Obsorge für Angehörige besonders belastet seien, von solchen Regelungen im wesentlich geringerem Maß Gebrauch machen könnten. Das unterschiedliche Maß der Belastung von Frauen und die tatsächliche körperliche Beanspruchung finde daher in derart undifferenzierten Regelungen keinen Niederschlag. Solchen Regelungen fehle daher die sachliche Rechtfertigung. Im übrigen darf zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Gründe des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ... verwiesen werden.

Die Bestimmung des §236 Abs1 Z3 ASVG ist insoweit, als sie an ein unterschiedliches Pensionsalter für Männer und Frauen für die Ermittlung der Bemessungszeit anknüpft, nicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil es sachlich gerechtfertigt erscheint, daß der Gesetzgeber die Bemessungsgrundlage für eine vorzeitige Pension an andere Bestimmungen knüpft als die Bemessungszeit bei der 'normalen' Alterspension. Da aber die Bestimmung des §238 Abs2 Z3 ASVG nicht unmittelbar daran anknüpft, ob eine vorzeitige Alterspension oder eine Alterspension nach §253 ASVG zuerkannt wird, sondern schlechthin an das Alter in Verbindung mit dem Geschlecht, gelten die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §253 ASVG in gleicher Weise auch für die Parallelbestimmungen des §238 Abs2 Z3 ASVG."

Im Hinblick auf ArtI und ArtIV Abs1 des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, die als Verfassungsbestimmungen erlassen wurden, führt das Oberlandesgericht Innsbruck noch aus, daß der Schluß der Verhandlung der ersten Instanz in der vorliegenden Rechtssache am 14. Jänner 1992 gewesen sei und die Entscheidung des Erstgerichtes sohin aufgrund der Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt zu ergehen gehabt habe. Nach dieser Rechtslage sei aber der maßgebliche Stichtag für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Leistung aus der Pensionsversicherung gebühre, gemäß §223 Abs2 ASVG der auf die Antragstellung folgende Monatserste, also der 1. September 1991 bzw.

-

wenn man auf das Schreiben vom 5. September 1991 abstellen wollte

-

der 1. Oktober 1991. In jedem Fall liege also der Stichtag vor dem 1. Dezember 1991, dem Tag des Inkrafttretens der genannten Verfassungsbestimmung.

2.1. Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen stellte beim Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 22. Juli 1992 den Antrag, die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" im §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 157/1991, als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß in der angeführten Bestimmung diese Wortfolge verfassungswidrig war.

Dieser Antrag ist hg. zu G196/92 protokolliert.

2.2.1. Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der am 30. April 1930 geborene Pensionswerber ist Rechtsanwalt. Er stellte am 25. April 1991 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellen die Anträge, ihm die Alterspension gemäß §270 iVm §253 ASVG, hilfsweise die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß §270 iVm §253b Abs1 ASVG zu gewähren.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellen vom 29. Mai 1991 wurde sein Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension abgewiesen, weil die Voraussetzung des §253b Abs1 litc ASVG nicht erfüllt sei.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 22. Juli 1991 wurde auch sein Antrag auf Gewährung der Alterspension gemäß §270 iVm §253 ASVG abgewiesen, weil er das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

Das Erstgericht verband in der Folge die vom Pensionswerber eingebrachten Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies beide ab. Dagegen hat der Pensionswerber Berufung erhoben, über die nunmehr das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden hat.

2.2.2. In seinem Antrag führt das Oberlandesgericht Linz im wesentlichen folgendes aus:

"Die Berufung des Klägers richtet sich in erster Linie gegen die Abweisung seines Begehrens auf Gewährung der Alterspension. Er habe am 30.4.1991 das 61. Lebensjahr vollendet. Das Erstgericht stütze die Abweisung auf §253 Abs1 ASVG idF des BGBl. 1991/157

...

Einer sachlichen Erledigung der Berufung, soweit sie die Abweisung des Begehrens nach Gewährung der Alterspension ab 1.5.1991 betrifft ... , steht entgegen, daß aus den nachstehenden Gründen gegen die anzuwendende Bestimmung des §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl. 157/1991, - Wortfolge in der zum Stichtag 1.5.1991 geltenden Fassung 'nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte ...' jene verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, die der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 6.12.1990, G223/88 u.a., zum Anlaß genommen hat, die Wortfolge 'nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte' im §253 b Abs1 ASVG und die ähnlichen Bestimmungen des §236 Abs1 Z1 lita) und b) ASVG als verfassungswidrig aufzuheben; der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis ausgesprochen, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 30.11.1991 in Kraft tritt.

In der Folge wurde das Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991, BGBl. 1991/157, beschlossen, das am 1.4.1991 in Kraft trat und das vor allem die notwendigen legistischen Maßnahmen zur Aufhebung der Ruhensbestimmungen im ASVG in Entsprechung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 15.12.1990 enthält.

Das Bundesgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. 1991/627, enthält in ArtI und IV die Verfassungsbestimmungen, gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, sind zulässig (ArtI) und ArtI tritt mit 1.12.1991 in Kraft und mit Ablauf des 31.12.1992 außer Kraft (ArtIV). Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (251 der Beilagen NR 18.GP), ... sieht die Lösung in den bereits angeführten befristeten Verfassungsbestimmungen. Durch diese Lösung soll dem Spruch des Verfassungsgerichtshofes für die Zeit vom 1.12.1991 bis 31.12.1992 die Wirksamkeit genommen werden. Durch die angeführten Verfassungsbestimmungen im Bundesgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten wurden die unterschiedlichen Altersgrenzen von namentlich weiblichen Sozialversicherten nur für die Zeit vom 1.12.1991 bis 31.12.1992 verfassungsrechtlich abgesichert, nicht aber die unterschiedlichen Altersgrenzen in der Zeit bis 30.11.1991. Der Pensionsstichtag des Klägers liegt am 1.5.1991.

Gemäß Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG sind alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Gesetzliche Regelungen, die nach dem Geschlecht unterscheiden, widersprechen daher dem Gleichheitsgrund, soferne keine sachliche Rechtfertigung für die geschlechtsspezifische Unterscheidung vorliegt. Der angefochtenen - bloß nach dem Geschlecht differenzierenden - Regelung des §253 Abs1 ASVG in der zum Stichtag 1.5.1991 geltenden Fassung fehlt jedoch die sachliche Rechtfertigung. Sie verletzt daher den Gleichheitsgrundsatz (vgl. VfGH vom 6.12.1990, G223/88 u.a.).

Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat daher gewichtige Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im vorliegenden Fall zur Beurteilung der Alterspension des Klägers anzuwendenden gesetzlichen Regelung des §253 Abs1 ASVG (Stichtag 1.5.1991). ... "

3.1. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

3.2. Des weiteren hat im Verfahren G169/92 der Kläger des Anlaßverfahrens eine Äußerung abgegeben, in der er sich den Bedenken des Oberlandesgerichtes Innsbruck anschließt und ersucht, dem Antrag stattzugeben und ihm als mitbeteiligte Partei den Ersatz der Kosten des Verfahrens zuzuerkennen.

4.1.1. Der unter der Überschrift "Bemessungsgrundlage" stehende §238 ASVG - die vom Oberlandesgericht Innsbruck angefochtene Wortfolge in dessen Abs2 Z3 idF des ArtIV Z6 der 44. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 609/1987, ist hervorgehoben (vgl. die wörtliche Wiedergabe durch das antragstellende Gericht unter Punkt 1.2.2.) - lautet:

"§238. (1) Bemessungsgrundlage für die Leistungen aus der Pensionsversicherung ist der Betrag, der sich aus der Teilung der Summe der in die Bemessungszeit (Abs3) fallenden Beitragsgrundlagen nach Maßgabe des §242 durch die um ein Sechstel erhöhte Zahl der die Bemessungszeit bildenden Versicherungsmonate ergibt. Die Bemessungsgrundlage ist auf volle Schilling aufzurunden.

(2) Für die Ermittlung der Bemessungszeit kommen in Betracht:

1. wenn der Stichtag (§223 Abs2) vor Vollendung des 50. Lebensjahres des (der) Versicherten liegt, die letzten 120 Versicherungsmonate aus allen Zweigen der Pensionsversicherung, die vor dem Kalenderjahr liegen, in das der Berechnungszeitpunkt fällt;

2. wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres des (der) Versicherten liegt, verlängert sich der Zeitraum der letzten 120 Versicherungsmonate nach Z1 je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Versicherungsmonat, bis zum Höchstausmaß von

180 Versicherungsmonaten;

3. wenn der Stichtag nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei männlichen, nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, vermindert sich der Zeitraum der letzten 180 Versicherungsmonate nach Z2 je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Versicherungsmonat bis zum Ausmaß von 120 Versicherungsmonaten;

4. wenn es für den Versicherten (die Versicherte) günstiger ist, anstelle der nach Z1 bis 3 in Betracht kommenden Versicherungsmonate die letzten 180 Versicherungsmonate aus allen Zweigen der Pensionsversicherung, die vor dem Kalenderjahr liegen, in das der Bemessungszeitpunkt fällt.

Versicherungsmonate, die zwischem dem 1. Jänner 1947 und dem 31. Dezember 1950 liegen, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, daß Versicherungsmonate nur in diesem Zeitraum vorliegen. Bemessungszeitpunkt ist der Stichtag.

(3) Die Bemessungszeit umfaßt die nach Abs2 in Betracht kommenden Beitragsmonate und Ersatzmonate nach §229.

(4) Bei der Anwendung der Abs2 und 3 bleiben außer Betracht:

..."

Diese Bestimmung ist gemäß ArtX Abs1 der 44. Novelle zum ASVG mit 1. Jänner 1988 in Kraft getreten.

4.1.2. Ebenfalls mit 1. Jänner 1988 ist aber auch der unter der Überschrift "Übergansgsbestimmungen" stehende ArtVI Abs11 der 44. Novelle zum ASVG in Kraft getreten (vgl. ArtX Abs1 leg.cit.), der bestimmt:

"(11) §238 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes in der Fassung des ArtIV Z6 ist nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. Dezember 1987 liegt, und zwar mit der Maßgabe, daß

1. in Z2 bis 4 jeweils das Ausmaß von 180 Versicherungsmonaten im Jahr 1988 durch 132 Versicherungsmonate,

im Jahr 1989 durch 144 Versicherungsmonate,

im Jahr 1990 durch 156 Versicherungsmonate

und

im Jahr 1991 durch 168 Versicherungsmonate

zu ersetzen ist;

2. in Z3 jeweils das 60. Lebensjahr bzw. das 55. Lebensjahr

im Jahr 1988 durch das 64. Lebensjahr bzw. das 59. Lebensjahr,

im Jahr 1989 durch das 63. Lebensjahr bzw. das 58. Lebensjahr,

im Jahr 1990 durch das 62. Lebensjahr bzw. das 57. Lebensjahr

und

im Jahr 1991 durch das 61. Lebensjahr bzw. das 56. Lebensjahr zu ersetzen ist und

3. für die Ermittlung der Bemessungszeit nach Z2 und 3

a) bei männlichen Versicherten der Geburtsjahrgänge bis 1927 120 Versicherungsmonate,

...

bei männlichen Versicherten des Geburtsjahrganges 1931

168 Versicherungsmonate,

b) bei weiblichen Versicherten der Geburtsjahrgänge bis 1932 120 Versicherungsmonate,

...

höchstens in Betracht kommen."

4.2.1. §253 Abs1 ASVG idF des ArtI Z6 lita des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 157/1991, - die von den Oberlandesgerichten Innsbruck und Linz angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:

"(1) Anspruch auf Alterspension hat der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres, wenn die Wartezeit (§236) erfüllt ist, und

1. wenn der (die) Versicherte am Stichtag (§223 Abs2) weder in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert ist;

2. solange der (die) Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem Stichtag (§223 Abs2) weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz begründende selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Außer Betracht bleibt jedoch eine solche Erwerbstätigkeit, die

a) nicht bei dem Dienstgeber ausgeübt wird - oder bei einem anderen Unternehmen, das sich im wirtschaftlichen Entscheidungsbereich dieses Dienstgebers befindet oder mit diesem in einer konzernartigen Verbindung steht -, bei dem sie während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) überwiegend ausgeübt worden ist,

b) als betriebliche Tätigkeit bzw. selbständige Tätigkeit im Sinne der §§2 und 3 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes ausgeübt wird, sofern sie der (die) Versicherte nicht während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) überwiegend ausgeübt hat,

c) nicht auf der Fortführung des unmittelbar vor dem Stichtag (§223 Abs2) geführten land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (§2 Abs1 Z1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes) beruht bzw. die nicht auf einer Beschäftigung im Sinne des §2 Abs1 Z2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes beruht, die während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§223 Abs2) ausgeübt worden ist.

Eine Pflichtversicherung auf Grund einer Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes und eine Pflichtversicherung auf Grund eines am Stichtag bereits beendeten Beschäftigungsverhältnisses, aus dem dem (der) Versicherten noch ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung oder ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld anstelle von Kündigungsentschädigung zusteht, haben hiebei außer Betracht zu bleiben."

4.2.2. ArtV Abs3 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 bestimmt:

"(3) Die §§253 Abs1, 253 b Abs1, 254 Abs1, 271 Abs1, 276 Abs1 und 3, 276 b Abs1 und 279 Abs1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes in der Fassung des ArtI Z6 lita, 7, 8, 12, 14 lita und b, 15 und 16 sind nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. März 1991 liegt."

Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991 ist (mit Ausnahme des ArtIX) mit 1. April 1991 in Kraft getreten (ArtXI Abs1 dieses Gesetzes).

4.3. Die für die vorliegenden Anträge bedeutsamen Bestimmungen des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, lauten:

"Artikel I

(Verfassungsbestimmung)

Gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, sind zulässig."

"Artikel IV

(1) (Verfassungsbestimmung) ArtI tritt mit 1. Dezember 1991 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft.

(2) ArtII und III treten mit 1. Dezember 1991 in Kraft."

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig ausgeschlossen (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).

5.1.1. Die Präjudizialitätsfrage wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck und vom Oberlandesgericht Linz hinsichtlich der angefochtenen Wortfolge im §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 denkmöglich beantwortet. Da im Verfahren auch keine sonstigen Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, sind diese Gesetzesprüfungsanträge zulässig.

5.1.2. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Innsbruck im Hinblick auf seinen Antrag betreffend eine bestimmte Wortfolge des §238 Abs2 Z3 ASVG idF der 44. Novelle zum ASVG anscheinend die Übergangsbestimmung des ArtVI Abs11 der 44. Novelle zum ASVG übersehen.

Unter Zugrundelegung der Annahme des Oberlandesgerichtes Innsbruck ist der im Anlaßfall maßgebende Stichtag (§223 Abs2 ASVG) der 1. September oder der 1. Oktober 1991 (vgl. unter 1.2.3.). Der Kläger ist am 29. Juni 1931 geboren und hatte sohin am Stichtag zwar das 60., aber noch nicht das 61. Lebensjahr vollendet. Unter Bedachtnahme auf die Übergangsbestimmung des ArtVI Abs11 der 44. Novelle zum ASVG ist es daher ausgeschlossen, daß das antragstellende Gericht die von ihm wörtlich idF des ArtIV Z6 der 44. Novelle zum ASVG zitierte Bestimmung des §238 Abs2 Z3 ASVG anzuwenden hat; für das Jahr 1991 ist infolge des ArtVI Abs11 der 44. Novelle zum ASVG §238 Abs2 Z3 wie folgt zu lesen:

"(2) Für die Ermittlung der Bemessungszeit kommen in Betracht:

1. ...

2. ...

3. wenn der Stichtag nach Vollendung des 61. Lebensjahres bei männlichen, nach Vollendung des 56. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, vermindert sich der Zeitraum der letzten 168 Versicherungsmonate nach Z2 je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Versicherungsmonat bis zum Ausmaß von 168 Versicherungsmonaten;

4. ..."

Der Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß die Wortfolgen "nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei männlichen" und "bei weiblichen Versicherten" im §238 Abs2 Z3 ASVG idF des ArtIV Z6 der 44. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 609/1989, bis zum Ablauf des 30. November 1991 verfassungswidrig waren, ist daher zurückzuweisen.

5.2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Gesetzesprüfungsanträge betreffend die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" im §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 - diese sind zulässig (s. 5.1.1.) - in der Sache selbst erwogen:

Die Bedenken treffen zu.

5.2.1. Mit Erkenntnis vom 6. Dezember 1990, G223/88 ua., hat der Verfassungsgerichtshof (auch) die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im §236 Abs1 Z1 litb ASVG, die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im §236 Abs2 Z1 ASVG und die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im §253b Abs1 ASVG wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufgehoben. In der Begründung zu dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere ausgeführt:

"Der Verfassungsgerichtshof geht ... davon aus, daß viele Frauen aufgrund ihrer traditionellen gesellschaftlichen Rolle besonderen Belastungen durch die Haushaltsführung und Obsorge für Kinder ausgesetzt waren und noch ausgesetzt sind. In Übereinstimmung mit den antragstellenden Gerichten ist aber der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, daß auch bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung die Festlegung eines unterschiedlichen Pensionsalters für Frauen und Männer kein geeignetes Mittel ist, um den Unterschieden in der gesellschaftlichen Rolle der Frauen und Männer angemessen Rechnung zu tragen.

... Zu Recht wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, daß eine nicht unerhebliche und daher nicht zu vernachlässigende Anzahl berufstätiger Frauen gar nicht der erwähnten Doppelbelastung ausgesetzt sei und daß die derzeitige Regelung auch nicht berücksichtige, in welchem Maße Frauen tatsächlich durch die Haushaltsführung und Kindererziehung besonders belastet sind.

Daß es keinen adäquaten Ausgleich für die bei einer bestimmten Anzahl der Frauen bestehende Doppelbelastung durch Beruf und Familie darstellt, wenn für sozialversicherte Frauen generell ein niedrigeres Pensionsanfallsalter festgesetzt wird als für Männer, zeigt sich besonders deutlich in jenen Fällen, in denen Frauen wegen der Obsorge für Kinder ihre Berufslaufbahn später beginnen oder unterbrechen mußten: Sie haben dadurch gegenüber Männern und Frauen, die ihre Berufslaufbahn unmittelbar nach der Ausbildung begonnen haben und ununterbrochen fortsetzen konnten, in ihrer pensionsrechtlichen Stellung bedeutende Nachteile. Entweder kommen sie überhaupt nicht in den Genuß der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer (Frühpension) oder sie müssen aufgrund der geringeren Versicherungszeiten (Beitragszeiten und Ersatzzeiten) eine niedrigere Pension in Kauf nehmen. ...

...

Was immer der Grund dafür gewesen sein mag, daß der Unterschied im tatsächlichen Pensionszugangsalter zwischen Männern und Frauen weit unter fünf Jahren liegt, das Verfahren hat jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die besondere Belastung durch die Haushaltsführung und Obsorge für Kinder tatsächlich durch das niedrigere Pensionszugangsalter von Frauen abgegolten wird. Das niedrigere Pensionsanfallsalter für Frauen kommt eher jener Gruppe von Frauen zugute, deren Berufslaufbahn nicht durch Haushaltsführung und Obsorge für Kinder unterbrochen war, die also mehr Versicherungszeiten erwerben konnten als jene Frauen, deren Belastung abgegolten werden soll.

Die von der Bundesregierung vorgelegten Statistiken bestätigen, daß die Belastung von Frauen zunimmt, je mehr Kinder zu betreuen sind. Je größer diese Belastung jedoch ist, umso weniger ist eine Frau in der Regel in der Lage, die für einen frühen Pensionsantritt erforderlichen Versicherungszeiten zu erwerben.

Die angefochtenen Bestimmungen begünstigen somit vorwiegend jene Frauen, die der Belastung, die das niedrigere Pensionsalter ausgleichen soll, gar nicht oder wesentlich weniger ausgesetzt waren als Frauen, die infolge Haushaltsführung und Obsorge für Kinder ihre Berufslaufbahn unterbrechen mußten, und deren tatsächliches Pensionsanfallsalter daher in Wahrheit jenem der Männer in der Regel gleichkommt. ...

...

Auch die Behauptung der Bundesregierung, daß bei Frauen früher als bei Männern die Arbeitskraft unter das für den Verbleib im Arbeitsprozeß notwendige Ausmaß sinke, gilt keineswegs allgemein. Der Verfassungsgerichtshof verkennt dabei nicht, daß es noch immer Berufe gibt, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden und die erhöhte körperliche Beanspruchung mit sich bringen. Selbst eine Durchschnittsbetrachtung rechtfertigt aber nicht eine (scheinbare oder wirkliche) Begünstigung aller Frauen in gleicher Weise, also eine rein geschlechtsspezifische Differenzierung, wohl aber würde sie eine nach der Art der Tätigkeit differenzierende Regelung rechtfertigen (vgl. zB ArtVII des Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetzes).

Auch der statistische Vergleich des Pensionszugangsalters bei Männern und Frauen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit stützt die Argumente der Bundesregierung nicht. Er zeigt vielmehr folgendes Bild:

Bei selbständig Erwerbstätigen und Bauern bestand im langjährigen Durchschnitt überhaupt kein Unterschied im Pensionszugangsalter von Männern und Frauen. ...

...

Auch mit anderen Fakten konnte die Bundesregierung nicht belegen, daß die für die berufliche Tätigkeit erforderliche Leistungsfähigkeit generell bei Frauen in einem niedrigeren Lebensalter wegfällt als bei Männern. Die dem Verfassungsgerichtshof von den Parteien vorgelegten und von ihm eingeholten weiteren Unterlagen belegen die Behauptungen der Bundesregierung ebenfalls nicht. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte für deren Zutreffen ergeben.

Die bestehenden Unterschiede im gesetzlich festgelegten Pensionsalter lassen sich daher auch nicht durch biologische Gründe rechtfertigen.

... Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, wenn er bei Änderung der Rechtslage plötzlich und intensiv in erworbene Rechtspositionen eingreift. Dieser aus dem Gleichheitssatz erfließende Vertrauensschutz bedarf dann besonderer Beachtung, wenn Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit ihre Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension eingerichtet haben (vgl. VfSlg. 11288/1987 und 11665/1988). Der Verfassungsgerichtshof hatte daher zu prüfen, ob eine Beseitigung der derzeitigen Regelung nicht zu einem so intensiven Eingriff in erworbene Rechtspositionen führt, daß dadurch eine andere Unsachlichkeit und somit Gleichheitswidrigkeit bewirkt würde.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß der Vertrauensschutz zwar eine Beibehaltung der bisherigen Regelung für jene Frauen rechtfertigt, die nahe dem Pensionsalter sind und die daher ihre Lebensführung bereits auf den herannahenden Ruhestand eingerichtet haben. Die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Regelung für alle Frauen, also auch für jene, die dem Pensionsalter fern sind, würde aber für den überwiegenden Teil berufstätiger Frauen ein Vertrauen in die ständige Aufrechterhaltung einer an sich gleichheitswidrigen Regelung schaffen. Der Verfassungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf seine Ausführungen im Erkenntnis VfSlg. 8871/1980 (Witwerpension), die in gleicher Weise auch für den Abbau von Unterschieden im Pensionsalter gelten. In diesem Erkenntnis führte der Verfassungsgerichtshof aus:

'Ein Grund für die zumindest vorläufige Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung könnte allerdings im Bestreben gefunden werden, erworbene Anwartschaften unberührt zu lassen und die Hinterbliebenenversorgung zugunsten des Mannes allmählich auszubauen; die erheblichen Kosten der Verwirklichung dieses Zieles und die technischen Schwierigkeiten einer sofortigen Angleichung auf niedrigerem Niveau könnten dann die vorübergehende Hinnahme einer ungleichen Behandlung nahelegen.

    Solche Überlegungen führen aber im vorliegenden Fall nicht zum

Ergebnis, daß der gegenwärtige Rechtszustand völlig unverändert

beibehalten werden darf. ... Es können indessen nur solche

Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in der Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden.'

    ... Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Überlegungen:

Es fällt in den rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers, unterschiedliche Belastungen von Personen oder Personengruppen im Arbeitsleben bei der Gestaltung des Leistungsrechtes der Pensionsversicherung entsprechend zu berücksichtigen.

Die angefochtenen Regelungen, die allgemein bloß nach dem Geschlecht unterscheiden und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenüberstellen, berücksichtigen in Wahrheit nicht jene Besonderheiten, die zu ihrer Rechtfertigung dienen sollen. Sie kommen vorwiegend jenen Frauen zugute, deren Rollenbild sich von jenem der Männer nicht unterscheidet, während jene Frauen, die durch Haushaltsführung und Obsorge für Angehörige besonders belastet sind, von solchen Regelungen in wesentlich geringerem Maße Gebrauch machen können. Das unterschiedliche Maß der Belastung von Frauen und die tatsächliche körperliche Beanspruchung findet in derart undifferenzierten Regelungen keinen Niederschlag. Solche Regelungen sind daher ungeeignet, den aufgezeigten faktischen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber kann allerdings, ohne gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend Nachteile, die Gruppen von Personen im Arbeitsleben etwa durch erhöhte physische oder psychische Belastung typischerweise erleiden, durch eine entsprechende Gestaltung des Leistungsrechtes und dabei etwa auch durch Festlegung eines niedrigeren Pensionsanfallsalters abgelten.

Den angefochtenen - bloß nach dem Geschlecht differenzierenden - Regelungen fehlt jedoch die sachliche Rechtfertigung. Sie verletzen den Gleichheitsgrundsatz und waren daher aufzuheben."

5.2.2. Da die hier angefochtene Bestimmung des §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 ebenso wie jene Regelungen, die aufgrund der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990, G223/88 ua., und vom 4. März 1991, G22/90, der Aufhebung verfallen waren, bloß allgemein nach dem Geschlecht unterscheidet und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenüberstellt, treffen die eben wiedergegebenen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes - da Kriterien, die eine andere Beurteilung zuließen, weder behauptet wurden noch dem Verfassungsgerichtshof erkennbar sind - in gleicher Weise auch für die im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren angefochtene Regelung des §253 Abs1 ASVG zu (vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Dezember 1992, G132/92 ua.).

5.2.3. §253 Abs1 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 ist mit 1. April 1991 in Kraft getreten (ArtXI Abs1 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991) und nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. März 1991 liegt (ArtV Abs3 leg.cit.).

Mit 1. Dezember 1991 ist gemäß dem im Verfassungsrang stehenden ArtIV Abs1 des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, die Verfassungsbestimmung des ArtI dieses Gesetzes in Kraft getreten, die bestimmt, daß gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, zulässig sind. Die hier angefochtene Wortfolge findet daher ab diesem Zeitpunkt (bis zum 31. Dezember 1992, das ist der Tag, an dem ArtI des BG BGBl. Nr. 627/1991 gemäß ArtIV Abs1 leg.cit. wieder außer Kraft tritt) ihre Deckung in dieser Bestimmung. Im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren kommt es entscheidend auf die für die Anlaßfälle maßgebliche Rechtslage vor Inkrafttreten des ArtI des BG BGBl. Nr. 627/1991 an (da der gemäß §223 Abs2 ASVG maßgebliche Stichtag in beiden Anlaßfällen nach dem 31. März 1991 und vor dem 1. Dezember 1991 liegt). Der Umstand, daß die Ungleichbehandlung ab 1. Dezember 1991 verfassungsrechtlich gedeckt ist, kann eine vorher bestandene Verfassungswidrigkeit nicht rückwirkend beseitigen, sondern nur eine Aufhebung der angefochtenen Norm durch den Verfassungsgerichtshof verhindern und bewirken, daß sich dieser mit der Feststellung begnügen muß, daß die angefochtene Wortfolge bis zum Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung des ArtI des BG BGBl. Nr. 627/1991 verfassungswidrig war.

Es war daher auszusprechen, daß die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" im §253 Abs1 ASVG idF des ArtI Z6 lita des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot bis zum Ablauf des 30. November 1991 verfassungswidrig war.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.

Eine Fristsetzung für das Außerkrafttreten der Aufhebung kommt bei einem Ausspruch gemäß Art140 Abs4 B-VG nicht in Betracht (vgl. VfSlg. 9814/1983); ohne gleichzeitigen Ausspruch, daß die Gesetzesstelle auch auf die vor der Feststellung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist (Art140 Abs7 B-VG) wirkt sich eine solche Feststellung allerdings nur auf die Anlaßfälle aus (VfSlg. 8726/1980, 10834/1986).

Ein Kostenzuspruch ist im Verfahren nach §§62 bis 65 VerfGG nicht vorgesehen. Es wird Aufgabe des antragstellenden Oberlandesgerichtes Innsbruck sein, über einen allfälligen Kostenersatzanspruch des Klägers, der im hg. Verfahren G169/92 eine Äußerung abgegeben hat (vgl. 3.2.), zu erkennen (vgl. VfSlg. 10832/1986, VfGH 16.10.1992 G322/91, V301,302/91).

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Pensionsalter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G169.1992

Dokumentnummer

JFT_10078795_92G00169_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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