Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des AE in L, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 8. Juni 1990, Zl. Vd-San-14.807/1, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge einer lebensmittelpolizeilichen Überprüfung in einem Gasthaus in Lienz am 7. März 1989 entnahm das Lebensmittelaufsichtsorgan eine Probe vakuumverpackter Bratwürste, die aus dem Betrieb des Beschwerdeführers stammten.
Die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Innsbruck erstellte folgendes Gutachten:
"Bei der vorliegenden Probe handelt es sich um eine verpackte Ware, die den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 lit. c der Lebensmittelkennzeichnungs-Verordnung 1973 unterliegt.
Folgende Kennzeichnungselemente fehlen bzw. sind genau zu
deklarieren:
§ 3
Ziffer 1 - die handelsübliche Sachbezeichnung;
Ziffer 3 - das Füllgewicht nach metrischem System, das ist
das durchschnittliche Gewicht des zur Verpackung
gelangenden Lebensmittels;
Ziffer 8 - die Lagerbedingungen;
Ziffer 9 - der Zeitpunkt der Verpackung in verschlüsselter
Form, bestimmt nach
a) Tag, Monat und Jahr;
Ziffer 10 - der Zeitpunkt, bis zu dem das Lebensmittel bei
Einhaltung der angegebenen Lagerbedingungen mindestens haltbar ist, in unverschlüsselter Form (empfohlene Aufbrauchsfrist), bestimmt nach
a) Tag und Monat;
Ziffer 18 - das Verzeichnis der Bestandteile - ausgenommen
Wasser, soweit dessen Zusatz der Verkehrsauffassung entspricht, und Zusatzstoffe - in absteigender Reihenfolge ihres Anteiles oder ihrer Bedeutung, wobei Gattungsbezeichnungen verwendet werden dürfen.
Als verantwortlich ist der Erzeuger anzusehen."
Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Lienz (BH) vom 27. Dezember 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 6. März 1989 dem Gastwirt R.T. Bratwürste, vakuumverpackt, geliefert, wobei auf der verpackten Ware die Kennzeichnungselemente gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. c in Verbindung mit § 3 Z. 1 (Sachbezeichnung), Z. 3 (Füllgewicht), Z. 8 (Lagerbedingungen), Z. 9 (Zeitpunkt der Verpackung), Z. 10 (Aufbrauchsfrist) und Z. 18 (Verzeichnis der Bestandteile) der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung fehlten. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG) in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. c leg. cit. begangen. Es wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 1.000,-- verhängt.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch.
Die BH vernahm das Lebensmittelaufsichtsorgan, das die lebensmittelpolizeiliche Überprüfung durchgeführt hatte und den kontrollierten Gastwirt als Zeugen.
Das Lebensmittelaufsichtsorgan gab an, es habe am 7. März 1989 im Berggasthaus M. im Beisein des Gastwirtes eine Lebensmittelkontrolle durchgeführt. Im Kühlschrank habe der Gastwirt 4 Packungen a 4 Stück Bratwürste gelagert, wobei auf der verpackten Ware als Erzeugungsdatum der 7. März 1989 von der Firma des Beschwerdeführers angebracht gewesen sei. Der Gastwirt habe erklärt, daß er 5 Packungen Bratwürste durch Selbstabholung am 6. März 1989 bei der Firma des Beschwerdeführers erstanden hätte. Auf der verpackten Ware hätten sich keine weiteren Hinweise nach der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung befunden außer dem Erzeugungsdatum und dem Ablaufdatum 28. März 1989 sowie der Hinweis auf den Verpacker.
Der kontrollierte Gastwirt gab an, die Bratwürste seien durch Selbstabholung am 6. März 1989 bei der Firma des Beschwerdeführers erstanden worden. Die Ware sei nicht im Verkaufsgeschäft, sondern in der Metzgerei geholt worden. Er habe nicht darauf geachtet, ob die vorgeschriebene Kennzeichnung auf der verpackten Ware angebracht gewesen sei.
Am 11. Dezember 1989 erließ die BH gegenüber dem Beschwerdeführer ein mündlich verkündetes Straferkenntnis.
Hierüber findet sich folgende Niederschrift im Akt:
"Niederschrift
gemäß § 44 Abs. 3 lit. b VStG
Der - Die Beschuldigte AE sen. L, P-Str. Nr. 14 hat heute ein volles Geständnis abgelegt, die in der Anzeige des Gendarmeriepostens LMUA Innsbruck vom 12.9.1989 GZ-P - 1803/89 näher beschriebene(n) Verwaltungsübertretung(en) nach § 74 (5) Zif. 1 LMG i.V.m. § 4 (1) Zif. 1 lit. c LMKV.
Über den - die Beschuldigte(n) wird wegen der vorgenannten Verwaltungsübertretung(en) gemäß § 84 (5) LMG 1975 eine Geldstrafe von S 1.000,-- verhängt.
Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe tritt an deren Stelle eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von einem Tag."
Es folgt der Ausspruch über den Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens und die Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Ersatz der Barauslagen.
Diese Niederschrift ist vom Leiter der Amtshandlung und vom Beschwerdeführer unterfertigt.
Der Beschwerdeführer berief und machte geltend, der Gastwirt R.T., bei dem die Lebensmittelkontrolle durchgeführt wurde, habe ihm trotz mehrmaliger Aufforderung bis zum heutigen Tag nicht die Gegenprobe gebracht.
Mit Bescheid vom 8. Juni 1990 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie stützte sich dabei im wesentlichen auf die Aussagen des als Zeugen vernommenen Lebensmittelaufsichtsorgans.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Beschwerdeführer bringt vor, eine Bestrafung nach § 74 Abs. 5 Z. 1 LMG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. c LMKV 1973 sei nur dann möglich, wenn die Probenziehung gesetzmäßig abgewickelt werde. Dies treffe in seinem Fall nicht zu. § 39 LMG bestimme ausdrücklich, daß die Probe in zweifacher Ausfertigung zu ziehen und die Gegenprobe zu Beweiszwecken dem beanstandeten Erzeuger mit Begleitschreiben auszufolgen sei. Dies sei nicht geschehen. Die LMKV werde vom Beschwerdeführer genau eingehalten. Bei jeder Verpackung würden zwei Aufkleber angebracht, die dem gesetzlich geforderten Inhalt entsprächen. Wenn die gezogene Probe den zweiten Aufkleber nicht aufweise, so stamme die Probe entweder nicht vom Beschwerdeführer oder es sei der Aufkleber mit den Kennzeichnungselementen nach dem Verkauf ohne sein Zutun entfernt worden. Bei Ziehung der gesetzlich vorgeschriebenen Gegenprobe hätte sich herausgestellt, daß der Beschwerdeführer alle Vorschriften der LMKV eingehalten habe. Der Gastwirt R.T. habe vom Lebensmittelaufsichtsorgan keine Gegenprobe erhalten; der Beschwerdeführer sei von der Probenziehung nicht verständigt worden.
Sowohl das Straf- als auch das Berufungserkenntnis verletzten § 44a VStG. Die Behörde sei verpflichtet, die Strafnorm des Tatbildes anzuführen. Das sei nicht geschehen.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bemängelt, daß ihm keine Gegenprobe ausgefolgt wurde.
Nach § 39 Abs. 1 LMG sind die Aufsichtsorgane befugt, Proben von Waren, die diesem Bundesgesetz unterliegen, zu entnehmen. Die im § 38 genannten Personen - das sind die Geschäfts- oder Betriebsinhaber sowie ihre Stellvertretungbeauftragten - haben die Entnahme von Proben zu dulden.
Nach § 39 Abs. 2 leg. cit. ist die entnommene Probe, soweit es ihrer Natur nach möglich ist und hiedurch nicht ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt wird, in zwei gleiche Teile zu teilen; hernach ist jeder Teil der Probe zweckentsprechend zu verpacken und amtlich zu verschließen. Der eine Teil ist der amtlichen Untersuchung zuzuführen, der andere der Partei zu Beweiszwecken zurückzulassen. Die Partei ist berechtigt, im Beisein des Aufsichtsorgans auf jeder Verpackung der beiden Teile Angaben über die Unternehmung (Firmenstempel u.dgl.) anzubringen.
Ist eine Teilung der entnommenen Probe ihrer Natur nach nicht möglich oder deshalb nicht durchführbar, weil durch die Teilung ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt würde, so hat nach § 39 Abs. 3 LMG das Aufsichtsorgan die Probe ohne vorherige Teilung der amtlichen Untersuchung zuzuführen. Sind noch augenscheinlich gleiche Wareneinheiten vorhanden, hat das Aufsichtsorgan hievon eine Wareneinheit zu entnehmen und der Partei zurückzulassen.
§ 39 Abs. 2 LMG sieht lediglich EINE Gegenprobe vor. Diese ist der Partei zurückzulassen. § 39 definiert nicht, wer als Partei anzusehen ist, doch kann der Begriff der Partei in diesem Zusammenhang nur so gedeutet werden, daß darunter der Inhaber des kontrollierten Betriebes zu verstehen ist. Partei in diesem Sinn war im Beschwerdefall der Gastwirt R.T. Ihm war eine Gegenprobe - falls die Möglichkeit zur Herstellung oder Ziehung einer Gegenprobe überhaupt möglich war - zurückzulassen. Dem Beschwerdeführer kam kein Anspruch auf eine Gegenprobe zu.
Zur Feststellung des Umstandes, daß auf den kontrollierten Lebensmitteln die erforderlichen Kennzeichnungselemente nicht vorhanden waren, konnte sich die belangte Behörde auf die Aussage des als Zeuge vernommenen Lebensmittelaufsichtsorgans stützen. Die einwandfreie Feststellung dieses Umstandes muß einem geschulten Aufsichtsorgan zugemutet werden. Zudem hat der Beschwerdeführer vor der BH, wie sich aus der von ihm unterfertigten Niederschrift ergibt, das Faktum des Fehlens erforderlicher Kennzeichnungselemente selbst zugestanden.
Der Beschwerdeführer behauptet weiters einen Verstoß gegen § 44 a VStG.
Nach § 74 Abs. 5 Z. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG) macht sich, sofern die Tat nicht nach den §§ 56 bis 64 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig, wer den Bestimmungen der im § 77 Abs. 1 Z. 1, 3, 4 bis 16 oder 18 bis 21 angeführten Rechtsvorschriften zuwiderhandelt.
Zu den in § 74 Abs. 5 Z. 1 erwähnten Vorschriften gehört auch die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973, BGBl. Nr. 627 (§ 77 Abs. 1 Z. 19 LMG). Sie wurde durch § 77 LMG 1975 in Gesetzesrang erhoben.
Nach § 1 Abs. 1 LMKV 1973 sind verpackte Lebensmittel, sofern sie im Inland gewerbsmäßig verkauft, feilgehalten oder sonst in Verkehr gesetzt werden, entsprechend den Bestimmungen dieser Verordnung zu kennzeichnen.
Nach § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. c LMKV 1973 unterliegen der Kennzeichnungspflicht unbeschadet der Bestimmungen des § 5 sonstige Waren im Umfang des § 3 Z. 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9 lit. a, 10 lit. a, 13, 18 und 19.
Im § 3 leg. cit. sind die erforderlichen Kennzeichnungselemente festgelegt.
Im erstinstanzlichen Straferkenntnis wurde die Tat durch einen Verweis auf das Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung umschrieben. Ein solcher Hinweis würde ausreichen, wenn in dem Gutachten bereits alle für die Umschreibung der Tat erforderlichen Tatbestandsmerkmale in eindeutiger Form enthalten wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1987, Zl. 86/03/0209). In dem die Auflistung von beanstandeten Kennzeichnungselementen einleitenden Satz dieses Gutachtens ist jedoch davon die Rede, daß "folgende Kennzeichnungselemente fehlen bzw. genau zu deklarieren sind."
Damit ist aber die Tat nicht in einer den Erfordernissen des § 44a VStG entsprechenden Eindeutigkeit und Genauigkeit umschrieben; vielmehr liegt ein unzulässiger Alternativvorwurf vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 1990, Zl. 89/10/0244).
In der Aufzählung der fehlenden bzw. nicht genau bezeichneten Kennzeichnungselemente findet sich auch die Ziffer 10 des § 3 LMKV 1973 ("der Zeitpunkt, bis zu dem das Lebensmittel bei Einhaltung der angegebenen Lagerbedingungen mindestens haltbar ist, in unverschlüsselter Form (empfohlene Aufbrauchsfrist), bestimmt nach Tag und Monat"). Demgegenüber findet sich in der Niederschrift über die Vernehmung des Lebensmittelsaufsichtsorgans, auf dessen Aussagen sich die belangte Behörde stützt, die Aussage, daß sich auf der verpackten Ware das Ablaufdatum befunden hat.
Aus den dargestellten Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1990100147.X00Im RIS seit
20.11.2000