TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/29 93/05/0088

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Veröffentlicht am 29.03.1995
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Index

L10013 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt
Niederösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §61 Abs3;
AVG §61;
AVG §61a;
AVG §71 Abs1 Z1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs2;
GdO NÖ 1973 §61 Abs3;
GdO NÖ 1973 §61;
VwGG §46 Abs1;
ZPO §146 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Gemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister, dieser vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 5. März 1993, Zl. R/1-V-92196/00, betreffend Wiedereinsetzung und Vorstellung (mitbeteiligte Partei: C, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Gemeinde H hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Mitbeteiligte stellte im Hinblick auf mehrere von ihr bei der Gemeinde gestellte Anträge auf Durchführung einer Feststellungsverhandlung betreffend das auf dem Grundstück Nr. 99, KG H, befindliche Wohnhaus einen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG auf Übergang der Entscheidungspflicht auf den Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde. Dieser Devolutionsantrag wurde vom Gemeinderat mit Bescheid vom 17. August 1992 mangels Verschuldens der Baubehörde erster Instanz abgewiesen. Die Mitbeteiligte übernahm diesen Bescheid am 19. August 1992. Dieser Bescheid enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß kein ordentliches Rechtsmittel zulässig sei und die Möglichkeit einer Vorstellung an die Aufsichtsbehörde bestehe, der keine aufschiebende Wirkung zukomme. Am 9. Oktober 1992 gab sie eine Vorstellung und zugleich einen Wiedereinsetzungsantrag gerichtet an die belangte Behörde zur Post. Sie sei durch einen Liegegips infolge einer Schleimbeutelentzündung daran gehindert gewesen, persönlich bei der Nö. Landesregierung die Vorstellungsfrist zu erfragen. Sie habe sich am 25. August 1992 bei der Nö. Landesregierung bei dem Vertreter des an sich von ihr zur Rücksprache gewünschten und bekannten Referenten nach der Frist für die Erhebung einer Vorstellung erkundigt, der ihr mitgeteilt habe, die Frist betrage 6 Wochen. Am 25. September 1992 habe sie mit dem mittlerweile vom Urlaub zurückgekehrten Mitarbeiter der Landesregierung gesprochen, den sie zunächst habe kontaktieren wollen, der sie darauf hingewiesen habe, daß die Frist nur 2 Wochen betrage.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde in Spruchpunkt 1. dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG stattgegeben, da die Behauptung einer Handlungsunfähigkeit infolge einer Erkrankung einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen könne. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liege nur dann keine Glaubhaftmachung einer behaupteten unrichtigen Auskunft im Falle einer fernmündlichen Anfrage vor, wenn weder das Datum des Telefongesprächs noch der Name der Auskunftsperson mitgeteilt werde. Diese Angaben habe die Mitbeteiligte machen können. Der fragliche Beamte habe nicht ausschließen können, daß er die Sechswochenfrist für die Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde mit der Vorstellungsfrist verwechselt habe. Dieser Umstand stelle in Verbindung mit der behaupteten Handlungsunfähigkeit infolge eines Liegegipses die gesetzlich geforderte Glaubhaftmachung für das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses als Hinderungsgrund für die Einhaltung der Frist dar. Im übrigen gab die belangte Behörde im Spruchpunkt 2. der Vorstellung Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die rechtswidrige Wiedereinsetzung verletze die beschwerdeführende Gemeinde in ihren Rechten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1991 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A, ausgesprochen, daß nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG sein kann. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990 BGBl. Nr. 357; beruhend auf § 146 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Art. IV Z. 24 Zivilverfahrensnovelle 1983) unterläuft (siehe das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an beruflich rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz. 580)

In der im Bescheid des Gemeinderates vom 17. August 1992 erteilten Rechtsmittelbelehrung wurde auf die Möglichkeit der Vorstellung an die Aufsichtsbehörde allerdings ohne Hinweis auf § 61 Nö. Gemeindeordnung hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat immer wieder betont, daß sich der Wiedereinsetzungswerber von der Wirkung eines Bescheides vorsorglich bei Rechtskundigen informieren muß (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1992, Zl. 91/10/0251, mwN). Dabei muß er mit der ihm zumutbaren und nach Lage des Falles gebotenen Sorfalt vorgehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/07/0012). Die Mitbeteiligte hat sich nun, veranlaßt durch ihre Krankheit, die auch von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt wird, telefonisch an einen Organwalter der Nö. Landesregierung um die entsprechende Rechtsauskunft gewendet. Die Mitbeteiligte gab in ihrem Antrag das Datum des Telefongesprächs und den Namen des betreffenden Organwalters an, der dazu einvernommen nicht ausschließen konnte, daß er die Frist unter Umständen falsch angegeben habe, indem er sie mit der Beschwerdefrist für die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde verwechselt habe. Der Mitbeteiligten war es angesichts ihres Liegegipses zu dieser Zeit nicht zuzumuten, weitere Erkundigungen über die Frist für die Vorstellung gemäß § 61 der N.ö. Gemeindeordnung (insbesondere die Beschaffung der entsprechenden Regelung der Gemeindeordnung oder die Einsichtnahme in diese bei der Gemeinde selbst) einzuholen. Die im vorliegenden Fall erfolgte falsche mündliche Rechtsmittelauskunft stellt somit ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z.1 AVG dar. Die mitbeteiligte Partei hat den Wiedereinsetzungsgrund auch glaubhaft dargetan (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 1984, Zl. 84/13/0019, 0020).

Wenn die beschwerdeführende Gemeinde nun meint, die Mitbeteiligte hätte die Vorstellung zumindest innerhalb der irrtümlich angenommenen 6 Wochen einbringen müssen, weil gemäß dem AVG bei einer falschen längeren Rechtsmittelbelehrung das Rechtsmittel innerhalb der längeren Frist eingebracht werden könne, ist ihr entgegenzuhalten, daß sich aus § 61 Abs. 2 und 3 Nö. Gemeindeordnung ergibt, daß eine falsche Rechtsmittelbelehrung eine Fristverlängerung nicht herbeiführen kann.

Die beschwerdeführende Gemeinde bestreitet im übrigen nicht, daß der Anruf der mitbeteiligten Partei am 25. September 1992 des Beamten, den sie ursprünglich zur Vorstellungsfrist befragen wollte und der zunächst auf Urlaub war, die Mitbeteiligte von dem Wiedereinsetzungsgrund in Kenntnis setzte, da er sie dahin belehrte, daß die Frist nur zwei Wochen nach der Zustellung des Bescheides betrage. Gemäß § 71 Abs. 2 AVG ist die Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Kenntnis des Wiedereinsetzungsgrundes einzubringen. Diesem Erfordernis hat die Mitbeteiligte aber entsprochen, indem sie binnen zwei Wochen nach dem 25. September 1992

am 9. Oktober 1992 den Wiedereinsetzungsantrag samt Vorstellung stellte.

War aber die Bewilligung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht erfolgt, dann kommt auch der Auffassung der Beschwerdeführerin, die Vorstellung wäre als verspätet zurückzuweisen gewesen, keine Berechtigung zu. Gegen die konkret erfolgte Vorstellungsentscheidung erhob die Beschwerdeführerin im übrigen keine Bedenken.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993050088.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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