Entscheidungsdatum
09.10.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I422 2298554-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2024 zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2024 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. bis VII. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides lautet: Die Beschwerde gegen Spruchpunkte römisch eins. bis römisch VII. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides lautet:
„Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“„Gemäß Paragraph 55, Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“
Im Übrigen wird der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VIII. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.Im Übrigen wird der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch VIII. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Ein türkischer Staatsangehöriger (im Folgenden: Beschwerdeführer) stellte am 20.07.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Rahmen seiner am darauffolgenden Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit begründete, dass er die Schule und das Internat der Gülen-Bewegung besucht habe. Außerdem habe er an Sitzungen dieser Partei teilgenommen. Deswegen bestehe ein Haftbefehl und sei eine 15jährige Haftstrafe vorgesehen. Des Weiteren habe ihm die Polizei vor ca. fünf Jahren eine illegale Waffe abgenommen, die er fürs Hüten des Weideviehs bei sich trug. Auch das sei bei den 15 Jahren Haft dazugerechnet worden. Dies seien all seine Fluchtgründe. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er inhaftiert zu werden.
Am 06.08.2024 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) einvernommen. Hierbei bestätigte er sein bisher genanntes Fluchtmotiv und führt im Wesentlichen an, dass er bereits vor Jahren wegen seiner Mitgliedschaft in der „Gülen-Bewegung“ und einmal wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt worden sei. Im Falle einer Rückkehr befürchte er eine Inhaftierung und bestehe gegen ihn ein Haftbefehl. Als Beweismittel reichte er einen Festnahmebefehl betreffend seine Person und die Anordnung zur zwangsweisen Vorführung nach.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25.08.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und zugleich festgestellt, dass ihm gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise zukommt (Spruchpunkt VII.). Des Weiteren wurde über den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt VIII.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht und er zukünftig keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25.08.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 5, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt römisch VI.) und zugleich festgestellt, dass ihm gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise zukommt (Spruchpunkt römisch VII.). Des Weiteren wurde über den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt römisch VIII.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht und er zukünftig keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe.
Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 28.08.2024 vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei erhebliche Verfahrensfehler sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung moniert. Der Beschwerdeführer gehöre der Gülen-Bewegung an und sei Parteimitglieder der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP). Aus diesem Grund sei gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden. Ihm drohe daher aus politischen Gründen eine Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2024 vorgelegt und langten am 05.09.2024 in der Gerichtsabteilung des erkennenden Richters ein.
Mit Teilerkenntnis vom 09.09.2024, GZ: I422 2298554-1/3Z erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu. Am 07.10.2024 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert. Mit Teilerkenntnis vom 09.09.2024, GZ: I422 2298554-1/3Z erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu. Am 07.10.2024 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum islamischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Er leidet an keinen schwerwiegenden und lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen und ist erwerbsfähig
Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX in der türkischen Provinz Ad?yaman in Südostanatolien, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt und seinen Lebensmittelpunkt hatte. Er hat in seinem Herkunftsstaat neun Jahre die Schule besucht und im Anschluss daran eine fünfjährige Ausbildung zum Schweißer absolviert. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Beschwerdeführer in der Türkei aus einer Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft, als Fotograf, als Taxifahrer sowie als Schweißer. Der Beschwerdeführer stammt aus römisch 40 in der türkischen Provinz Ad?yaman in Südostanatolien, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt und seinen Lebensmittelpunkt hatte. Er hat in seinem Herkunftsstaat neun Jahre die Schule besucht und im Anschluss daran eine fünfjährige Ausbildung zum Schweißer absolviert. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Beschwerdeführer in der Türkei aus einer Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft, als Fotograf, als Taxifahrer sowie als Schweißer.
Der Beschwerdeführer ist in zweiter Ehe verheiratet. Aus der Ehe mit der ersten Ehefrau hat der Beschwerdeführer zwei minderjährige Kinder. Mit seiner aktuellen Ehegattin hat der Beschwerdeführer keine Kinder. Darüber hinaus umfasst seine Familie noch seine Eltern, vier Schwestern und einen Bruder, die nach wie vor alle in der Türkei leben. Der Beschwerdeführer steht in aufrechtem Kontakt zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsstaat.
Ende Mai 2024 trat der Beschwerdeführer die Ausreise nach Mitteleuropa an, indem er zunächst auf dem Landweg illegal nach Griechenland einreiste und dort am 28.05.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer wartete das Ergebnis seines Asylantrages in Griechenland nicht ab und beabsichtigte zu Verwandte nach Italien zu gelangen. In weiterer Folge versuchte der Beschwerdeführer über Serbien und Ungarn kommend am 20.07.2024 nach Österreich einzureisen. Hierbei wurde er einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen, wobei er im Zuge dessen den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
In Österreich lebt ein Cousin des Beschwerdeführers. Auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten weist der Beschwerdeführer über weitere familiären Anknüpfungspunkte auf. So ist eine Tante des Beschwerdeführers in Frankreich wohnhaft. Zudem sind ein Cousin und ein Neffe des Beschwerdeführers in Italien aufhältig. Mit seinen in Österreich und auf dem Gebiet der Mitgliedsstaaten lebenden Verwandten steht der Beschwerdeführer in Kontakt. Ein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis besteht zu ihnen jedoch nicht.
Der Beschwerdeführer weist – mit Ausnahme seiner Erfassung in einem Polizeianhaltezentrum vom 23.07.2024 bis dato – keine meldebehördliche Eintragung im Bundesgebiet auf. Er ging im Bundesgebiet bislang keiner angemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Maßgebliche Integrationsmerkmale in sprachlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht liegen ebenfalls nicht vor.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Entgegen seinem Vorbringen vermochte der Beschwerdeführer keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aufgrund seiner Angehörigkeit zur Gülen-Bewegung und aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der HDP glaubhaft machen. Der Beschwerdeführer ist in der Türkei nicht der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines politischen Hintergrundes ausgesetzt.
Es besteht auch keine reale Gefahr, dass er im Falle seiner Rückkehr in die Türkei einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei aus dem COI-CMS (Version 8, 07.03.2024) auszugsweise soweit entscheidungsrelevant wiedergegeben:
Politische Lage
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 4f.).Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 4f.).
Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 5; vgl. EC 8.11.2023, S. 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, S. 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker,