Entscheidungsdatum
17.09.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I414 2256148-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien (BFA-ASt-Wien) vom 24.05.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.09.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 (alias römisch 40 ), geb. römisch 40 , StA. SYRIEN, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien (BFA-ASt-Wien) vom 24.05.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.09.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der 30-jährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.09.2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit, dass in Syrien Krieg herrsche, er nicht zum Militär und nicht kämpfen wolle und er Angst habe im Krieg zu sterben.
Am 07.12.2021 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) statt. Dabei gab er hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien von der syrischen Armee oder den Kurden rekrutiert werden würde.
Mit Bescheid vom 19.05.2022 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2022, Zl. XXXX rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.Mit Bescheid vom 19.05.2022 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.). Die gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2022, Zl. römisch 40 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
Am 21.03.2023 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. In der noch am selben Tag erfolgten Erstbefragung erklärte er, dass er um Asyl ansuche, um in Österreich arbeiten und ein besseres Leben führen zu können. Ferner wolle er seine Familie besuchen und für seine Ausreise einen Reisepass erhalten. All diese Möglichkeiten hätte er mit dem ihm erteilten subsidiären Schutzstatus nicht. Er habe Angst, seine Familie nicht mehr zu sehen.
Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 10.10.2023 abermals vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei er unter anderem einen Einberufungsbefehl sowohl vom syrischen Regime als auch von den Kurden jeweils in Kopie in Vorlage brachte. Befragt zu den Gründen seiner erneuten Asylantragstellung gab er an, dass er wegen dem Militärdienst gesucht werde und ihn in Syrien das syrische Regime und die Kurden zum Militärdienst einziehen würden.
Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 24.05.2024 wies das Bundesamt den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.03.2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer vorgelegten Einberufungsbefehlen um keine tauglichen Beweismittel handeln würde und seine vagen Angaben zur Erlangung derselben unglaubwürdig seien. Bereits im ersten Asylverfahren habe man sich mit einer Rekrutierung des Beschwerdeführers zum Militärdienst befasst und sei das Vorbringen als unglaubhaft qualifiziert und sowohl eine Rekrutierung durch das syrische Regime als auch durch kurdische Gruppierungen als unwahrscheinlich erachtet worden. Der Beschwerdeführer habe nunmehr keine neuen Angaben gemacht und sei den vorgebrachten Beweismitteln kein Glaube zu schenken. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 24.05.2024 wies das Bundesamt den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.03.2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer vorgelegten Einberufungsbefehlen um keine tauglichen Beweismittel handeln würde und seine vagen Angaben zur Erlangung derselben unglaubwürdig seien. Bereits im ersten Asylverfahren habe man sich mit einer Rekrutierung des Beschwerdeführers zum Militärdienst befasst und sei das Vorbringen als unglaubhaft qualifiziert und sowohl eine Rekrutierung durch das syrische Regime als auch durch kurdische Gruppierungen als unwahrscheinlich erachtet worden. Der Beschwerdeführer habe nunmehr keine neuen Angaben gemacht und sei den vorgebrachten Beweismitteln kein Glaube zu schenken.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde. Dabei wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der Beschwerdeführer zwei Einberufungsbefehle erhalten und aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung als Feind des syrischen Regimes und der kurdischen Truppen gelte, weshalb er mit einer Verhaftung, Folter und dem Tod zu rechnen habe. Ihm drohe die zwangsweise Einziehung zum Wehrdienst. Ferner würde es in der Heimatregion des Beschwerdeführers zunehmend zu gewaltsamen Konflikten zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen kommen und habe das Bundesamt diese allgemein zugänglichen Berichte nicht in ihre Beurteilung miteinbezogen.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden in weiterer Folge vom Bundesamt vorgelegt und sind am 12.07.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Am 13.09.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die arabische Sprache sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Lebensumständen in Syrien sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der 30-jährige Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum, seine Identität steht fest. Er ist syrischer Staatsangehöriger, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Muttersprache ist Arabisch und ist er ferner gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX , der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements im Norden Syriens geboren, ist dort aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2015 gelebt. In seiner Heimatstadt hat er zwei Jahre lang die Schule besucht und in einem Süßwarengeschäft und in einer Werkstatt gearbeitet.Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt römisch 40 , der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements im Norden Syriens geboren, ist dort aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2015 gelebt. In seiner Heimatstadt hat er zwei Jahre lang die Schule besucht und in einem Süßwarengeschäft und in einer Werkstatt gearbeitet.
Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2014 geheiratet. Seine Ehefrau wurde ebenfalls in der Stadt XXXX geboren. Der Ehe entstammen drei gemeinsame, minderjährige Söhne, die mit seiner Ehegattin in der Türkei leben. Der Beschwerdeführer hat drei Brüder und vier Schwestern, ein Bruder lebt in Saudi-Arabien, zwei Schwestern sind verheiratet, seine weiteren Geschwister und seine Mutter leben in der Türkei. Sein Vater ist bereits verstorben.Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2014 geheiratet. Seine Ehefrau wurde ebenfalls in der Stadt römisch 40 geboren. Der Ehe entstammen drei gemeinsame, minderjährige Söhne, die mit seiner Ehegattin in der Türkei leben. Der Beschwerdeführer hat drei Brüder und vier Schwestern, ein Bruder lebt in Saudi-Arabien, zwei Schwestern sind verheiratet, seine weiteren Geschwister und seine Mutter leben in der Türkei. Sein Vater ist bereits verstorben.
Der Beschwerdeführer hat Syrien im November 2015 verlassen und war in der Folge bis zum Jahr 2021 in der Türkei wohnhaft. Anschließend reiste er unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.09.2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 19.05.2022 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2022, Zl. XXXX rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerdeführer hat Syrien im November 2015 verlassen und war in der Folge bis zum Jahr 2021 in der Türkei wohnhaft. Anschließend reiste er unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.09.2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 19.05.2022 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.). Die gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2022, Zl. römisch 40 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der 30-jährige Beschwerdeführer stammt aus der Stadt XXXX , der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements, im Norden Syriens. Sein Heimatort ist Teil der AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) und befindet sich – wie auch die ihn umgebende Region – nicht im Einfluss- und Kontrollgebiet des syrischen Regimes, vielmehr steht dieser seit November 2017 unter Kontrolle der kurdisch geführten Sicherheitskräfte (Demokratische Kräfte Syriens [SDF]). Der 30-jährige Beschwerdeführer stammt aus der Stadt römisch 40 , der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements, im Norden Syriens. Sein Heimatort ist Teil der AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) und befindet sich – wie auch die ihn umgebende Region – nicht im Einfluss- und Kontrollgebiet des syrischen Regimes, vielmehr steht dieser seit November 2017 unter Kontrolle der kurdisch geführten Sicherheitskräfte (Demokratische Kräfte Syriens [SDF]).
Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst für die syrische Armee zwar nicht abgeleistet, allerdings hat das syrische Regime keinen Zugriff auf den unter Kontrolle der Kurden stehenden Herkunftsort des Beschwerdeführers und kann dort keine Rekrutierungen vornehmen. Er ist daher im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsort nicht der Gefahr ausgesetzt, zum verpflichtenden Wehrdienst in der syrischen Armee zwangsrekrutiert zu werden.
In den unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebieten, nämlich in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“, besteht eine Pflicht zur Selbstverteidigung bzw. „Wehrpflicht“ für Männer, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Der im Jahr XXXX geborene Beschwerdeführer ist aktuell in einem unter Kontrolle der SDF/AANES stehenden Gebiet nicht zum Wehrdienst verpflichtet, weshalb eine Einziehung zum Wehrdienst in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Doch selbst im Falle einer Einziehung des Beschwerdeführers wäre nicht davon auszugehen, dass er an Kampfhandlungen und/oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt sein würde. Auch wäre der Beschwerdeführer im Falle der Weigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen oder unverhältnismäßig bestraft zu werden und kann eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer drohenden Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte somit nicht festgestellt werden.In den unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebieten, nämlich in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“, besteht eine Pflicht zur Selbstverteidigung bzw. „Wehrpflicht“ für Männer, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Der im Jahr römisch 40 geborene Beschwerdeführer ist aktuell in einem unter Kontrolle der SDF/AANES stehenden Gebiet nicht zum Wehrdienst verpflichtet, weshalb eine Einziehung zum Wehrdienst in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Doch selbst im Falle einer Einziehung des Beschwerdeführers wäre nicht davon auszugehen, dass er an Kampfhandlungen und/oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt sein würde. Auch wäre der Beschwerdeführer im Falle der Weigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen oder unverhältnismäßig bestraft zu werden und kann eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer drohenden Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte somit nicht festgestellt werden.
Es gibt demnach insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre und kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund von Stammeskonflikten droht.
Eine sichere Erreichbarkeit der Herkunftsregion ist gegeben.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (auszugsweise soweit entscheidungsrelevant) wiedergegeben:
Politische Lage
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29884854, Zugriff 15.2.2024
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2089904.html, Zugriff 23.6.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 23.6.2023
Alaraby - New Arab, the (31.5.2023): Why Syria's Kurds and Hayat Tahrir al-Sham are offering to host refugees, https://www.newarab.com/analysis/why-syrias-kurds-and-hts-are-offering-host-refugees, Zugriff 28.6.2023
Brookings (27.1.2023): Syria’s dissolving line between state and nonstate actors, https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2023/01/27/syrias-dissolving-line-between-state-and-nonstate-actors/, Zugriff 27.6.2023
CMEC - Carnegie Middle East Center (16.5.2023): An Inauspicious Return, https://carnegie-mec.org/diwan/89762, Zugriff 23.6.2023
FH - Freedom House (9.3.2023): Freedom in the World 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2088564.html, Zugriff 23.6.2023
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103131.html, Zugriff 22.1.2024
IPS - Inter Press Service (20.5.2022): What the Russian Invasion Means for Syria, https://www.ipsnews.net/2022/05/russian-invasion-means-syria/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=russian-invasion-means-syria, Zugriff 27.6.2023
SOHR - The Syrian Observatory For Human Rights (7.5.2023): Assad will demand high price for return of refugees, https://www.syriahr.com/en/298175/, Zugriff 23.6.2023
Spiegel, Der (29.8.2016): Die Fakten zum Krieg in Syrien, https://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1, Zugriff 23.6.2023
USIP - United States Institute for Peace (14.3.2023): Syria’s Stalemate Has Only Benefitted Assad and His Backers, https://www.usip.org/publications/2023/03/syrias-stalemate-has-only-benefitted-assad-and-his-backers, Zugriff 27.6.2023
Wilson - Wilson Center (6.6.2023): Syria and the Arab League, https://www.wilsoncenter.org/blog-post/syria-and-arab-league, Zugriff 23.6.2023
Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
Anmerkung: s. die entsprechenden Unterkapitel des Kapitels Sicherheitslage zum Frontverlauf in Nordsyrien sowie zur Vorgehensweise der Türkei.
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29884854, Zugriff 15.2.2024
AAA - Asharq Al-Awsat (24.6.2023): Syria: AANES Issues Warning Regarding Outcomes of ‘Astana Meetings’, https://english.aawsat.com/arab-world/4399071-syria-aanes-issues-warning-regarding-outcomes-%E2%80%98astana-meetings%E2%80%99, Zugriff 28.6.2023
Alaraby - New Arab, the (31.5.2023): Why Syria's Kurds and Hayat Tahrir al-Sham are offering to host refugees, https://www.newarab.com/analysis/why-syrias-kurds-and-hts-are-offering-host-refugees, Zugriff 28.6.2023
Brookings (27.1.2023): Syria’s dissolving line between state and nonstate actors, https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2023/01/27/syrias-dissolving-line-between-state-and-nonstate-actors/, Zugriff 27.6.2023
FH - Freedom House (9.3.2023): Freedom in the World 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2088564.html, Zugriff 23.6.2023
ICG - International Crisis Group (18.11.2021): Syria: Shoring Up Raqqa’s Shaky Recovery, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064234/229-raqqas-shaky-recovery.pdf, Zugriff 29.6.2023
K24 - Kurdistan 24 (22.1.2023): Syrian Kurds deny stealing oil and wheat, https://www.kurdistan24.net/en/story/30513-Syrian-Kurds-deny-stealing-oil-and-wheat, Zugriff 28.6.2023
K24 - Kurdistan 24 (6.9.2018): New administration formed for northeastern Syria, https://www.kurdistan24.net/en/news/c9e03dab-6265-4a9a-91ee-ea8d2a93c657, Zugriff 28.6.2023
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (4.12.2018): Zwischen den Fronten - Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1, Zugriff 28.6.2023
MEI - Middle East Institute (26.4.2022): Divided Syria: An examination of stabilization efforts and prospects for state continuity, https://www.mei.edu/publications/divided-syria-examination-stabilization-efforts-and-prospects-state-continuity, Zugriff 27.6.2023
ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 28.6.2023
Savelsberg, Eva: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017). In STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 28.6.2023
SD - Syria Direct (22.7.2021): Authoritarian tendencies mar the AANES’ quest for recognition, https://syriadirect.org/authoritarian-tendencies-mar-the-aanes-quest-for-recognition/, Zugriff 28.6.2023
SO - Syrian Observer, the (27.6.2022): Belgium Seeks Recognition of AANES – Belgian Envoy to Syria, https://syrianobserver.com/news/76218/belgium-seeks-recognition-of-aanes-belgian-envoy-to-syria.html, Zugriff 28.6.2023
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des 'Islamischen Staates', https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf, Zugriff 28.6.2023
taz - Tageszeitung, die (15.10.2022): Kurdischer Kanton Afrin in Nordsyrien: Eine Bande durch die andere ersetzt, https://taz.de/Kurdischer-Kanton-Afrin-in-Nordsyrien/!5888260/, Zugriff 28.6.2023
TWI - Washington Institute for Near East Policy, the (18.7.2022): How the Autonomous Administration Leadership and Civilians Will View a Turkish Incursion into Northeast Syria, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-autonomous-administration-leadership-and-civilians-will-view-turkish-incursion, Zugriff 28.6.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): Country Report on Human Rights Practices 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089061.html, Zugriff 23.6.2023
Sicherheitslage
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). United Nations Ge