Entscheidungsdatum
24.09.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W152 2266706-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Walter KOPP als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen
Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2022, Zl. 1292591104-220033399, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Walter KOPP als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, gegen
Spruchpunkt römisch eins des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2022, Zl. 1292591104-220033399, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG idgF nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge: BF) ist Staatsangehöriger Syriens. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 06.01.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 07.01.2022 erfolgte die Erstbefragung des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.
Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er an, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben. Seinen Dienst als Polizist habe er aufgegeben, weil er im Krieg keine Menschen töten wollte. Das seien alle seine Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.
2. Am 01.06.2022 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er seine syrische Heiratsurkunde mit Übersetzung, den syrischen Familenregisterauszug mit Übersetzung, sowie den syrischen Personalausweis in Kopie und einen syrischen Dienstausweis in Kopie vor, erklärte bezüglich der Erstbefragung, er wolle richtigstellen, dass er kein Polizist gewesen sei, aber für die Polizei gearbeitet habe, und gab zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen an, jeder der beim Regime tätig sei und vom Dienst weglaufe, bekomme die Todesstrafe. Der BF sei von seinem Dienst geflohen, weil er nicht an den Kämpfen habe teilnehmen wollen. Acht Jahre hätte er dort in Gefahr gelebt und Syrien verlassen, nachdem das Regime in seine Gegend vorgerückt sei. Er habe Angst um sich und seine Familie bekommen. Weitere Gründe verneinte der BF ausdrücklich.
Eingesetzt gewesen sei er im Innenministerium in Aleppo. Im Juli 2012 habe er ein Schreiben bekommen, dass jeder bei den Demonstrationen am 15.07.2012 „mitmachen“ müsse. Damals sei noch nicht auf die Demonstranten geschossen worden, sondern hätten sie die Demonstrationen mit Hilfe von Wasserwerfern usw. auflösen sollen. Bei den Demonstranten seien damals auch Verwandte und Bekannte aus den Dörfern gewesen, er habe nichts gegen diese unternehmen wollen, sein Leben riskiert und die Arbeit verlassen, um da nicht mitmachen zu müssen. Er sei normaler Polizist gewesen. Die Polizei sei in Syrien auf zwei Teile aufgeteilt, die Strafverfolgung und die Verwaltung. Sie hätten keinen Rang gehabt.
Dem BF vorgehalten wurden das Länderinformationsblatt sowie eine Anfragebeantwortung (Strafen bei Desertion vom Polizeidienst, Konsequenzen bei Rückkehr; Einsatz von Polizisten, die jahrelang ausschließlich in der Verwaltung gearbeitet haben, auch auf der Straße oder im Außendienst) vom 02.05.2022.
3. Am 06.06.2022 langte die Stellungnahme des BF zu der Anfragebeantwortung beim BFA ein, am 04.08.2022 das Ergebnis der kriminalpolizeilichen Untersuchung (Schriftsatz vom 02.08.2022) betreffend den mittlerweile im Original vorgelegten Personalausweis des BF.
4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid zu Zl. 1292591104-220033399 vom 27.12.2022 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigter gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III).4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid zu Zl. 1292591104-220033399 vom 27.12.2022 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigter gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 zu (Spruchpunkt römisch II) und erteilte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, es stehe fest, dass der BF nicht vom Polizeidienst desertiert sei und dass er acht Jahre ohne eine Verfolgung durch die syrische Regierung in der Region Idlib gelebt habe. Das Camp XXXX bzw. sein Heimatort XXXX stünden nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung. Es bestehe für den BF keine maßgebliche Gefahr, in seiner Heimatregion durch die syrische Regierung zwangsrekrutiert oder wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden. Es gebe keine maßgebliche Gefahr, in der Heimatregion zwangsweise zum Militärdienst eingezogen zu werden. Das XXXX bzw. XXXX seien auch über einen der wenigen nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergänge über die Türkei oder dem (kurdischen) Irak (Dreiländereck Türkei/Irak/Syrien) grundsätzlich erreichbar. Festgestellt wurde, dass der BF in seinem Heimatstaat weder vorbestraft noch inhaftiert gewesen sei und keine Probleme aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe. Er sei nicht politisch tätig und kein Mitglied einer politischen Partei gewesen.Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, es stehe fest, dass der BF nicht vom Polizeidienst desertiert sei und dass er acht Jahre ohne eine Verfolgung durch die syrische Regierung in der Region Idlib gelebt habe. Das Camp römisch 40 bzw. sein Heimatort römisch 40 stünden nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung. Es bestehe für den BF keine maßgebliche Gefahr, in seiner Heimatregion durch die syrische Regierung zwangsrekrutiert oder wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden. Es gebe keine maßgebliche Gefahr, in der Heimatregion zwangsweise zum Militärdienst eingezogen zu werden. Das römisch 40 bzw. römisch 40 seien auch über einen der wenigen nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergänge über die Türkei oder dem (kurdischen) Irak (Dreiländereck Türkei/Irak/Syrien) grundsätzlich erreichbar. Festgestellt wurde, dass der BF in seinem Heimatstaat weder vorbestraft noch inhaftiert gewesen sei und keine Probleme aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe. Er sei nicht politisch tätig und kein Mitglied einer politischen Partei gewesen.
Das BFA stellte hiebei zur Lage in Syrien auf Grundlage der Länderinformationen der Staatendokumentation SYRIEN, Version 7, zu dem BF im Wesentlichen Folgendes fest (Auszug):
„Politische Lage
[…]
Gebietskontrolle
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). [Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage".] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).
Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). - Für mehr Informationen siehe insbesondere Unterkapitel "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 09.08.2022
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit Stand 5.8.2022 [Anm.: zu verbleibenden Rückzugsgebieten des IS siehe Abschnitte zu den Regionen]:
CC 5.8.2022
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a) (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022).
Die folgende Karte zeigt auch die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessensschwerpunkte in Syrien:
Quelle: Zenith 11.2.2022
Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).
Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des "Institute for the Study of War" zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
[…]Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vergleiche SNHR 1.1.2021).
[…]
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).
Die folgende Aufstellung listet die konfliktrelevanten Vorfällen für das erste Halbjahr mittels Vergleich zwischen den beiden ersten Quartalen auf:
Quelle: CC 5.8.2022
[…]
"Versöhnungsabkommen" (auch "Beilegungsabkommen")
Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als "settlement agreements" bezeichnet] folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021)."Versöhnungsabkommen" (auch "Beilegungsabkommen")
Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vergleiche STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als "settlement agreements" bezeichnet] folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vergleiche ÖB 1.10.2021).
Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 12.4.2022).Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vergleiche ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vergleiche AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 12.4.2022).
[…]
Nordwest-Syrien
Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:
Quelle: Zenith 11.2.2022
Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Quelle: Zenith 11.2.2022
Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vergleiche KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vergleiche UNHRC 31.1.2019).
[…]
Im 2. Quartal 2022 gab es 434 Konfliktereignisse zwischen den Kräften der syrischen Regierung und ihren Verbündeten einerseits und bewaffneten Oppositionsgruppen andererseits - ein Rückgang von 602 derartigen Vorfällen im vorhergehenden Quartal. Darunter fielen 348 Ereignisse mit Granatbeschuss, 26 Luftangriffe und 59 Zusammenstöße. Im April fanden 142 dieser sicherheitsrelevanten Ereignisse statt, im Mai 169 und im Juni ging die Zahl auf 123 Vorfälle zurück. Der Anstieg auf Vorfälle zwischen den Gruppen der SNA auf 51 im Vergleich zu elf Ereignissen im 1. Quartal 2022 geht auf Spaltungen innerhalb der SNA zurück (CC 5.8.2022). Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5-Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vgl. ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnach so, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlibzu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022) Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara’a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020). Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 4.12.2020). Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation ’Spring Shield’ mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Die Offensive des syrischen Regimes auf das Gebiet von Idlib hatte eine hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zur Folge (UNSC 28.2.2020). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben, 26 und es kam zu einer massiven humanitären Krise (UNOCHA 17.2.2020; vgl. OHCHR 18.2.2020). Entlang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib (UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021). Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen [Anm.: Stand September 2021] war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 1.10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe zielten immer wieder im Lauf von 2021 auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF13.12.2021; vgl. HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in Idlib Luftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL2.1.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022). Die von Präsident Erdogan ankündigte Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien gegen das Selbstverwaltungsgebiet (auch Rojava) ist laut Einschätzung des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) „weiterhin möglich“: „Im Gegensatz zu früheren Operationen (z.B. Afrin 2018) dürfte dieses Mal aber die Existenz „Rojavas“ auf dem Spiel stehen“ (IFK 8.2022). Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra’s al-’Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra’s al-’Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).Im 2. Quartal 2022 gab es 434 Konfliktereignisse zwischen den Kräften der syrischen Regierung und ihren Verbündeten einerseits und bewaffneten Oppositionsgruppen andererseits - ein Rückgang von 602 derartigen Vorfällen im vorhergehenden Quartal. Darunter fielen 348 Ereignisse mit Granatbeschuss, 26 Luftangriffe und 59 Zusammenstöße. Im April fanden 142 dieser sicherheitsrelevanten Ereignisse statt, im Mai 169 und im Juni ging die Zahl auf 123 Vorfälle zurück. Der Anstieg auf Vorfälle zwischen den Gruppen der SNA auf 51 im Vergleich zu elf Ereignissen im 1. Quartal 2022 geht auf Spaltungen innerhalb der SNA zurück (CC 5.8.2022). Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5-Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vergleiche ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnach so, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlibzu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022) Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara’a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020). Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konfli