Entscheidungsdatum
09.10.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2166327-4/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2021, Zahl 1093282109-211280133, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.09.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2021, Zahl 1093282109-211280133, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.09.2024 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Vorverfahren:
1.1.1 Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 03.11.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).1.1.1 Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 03.11.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.1.2. Mit Bescheid vom 07.07.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) den Antrag des BF vom 03.11.2015 auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG. Es wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 und 3 wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt.1.1.2. Mit Bescheid vom 07.07.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) den Antrag des BF vom 03.11.2015 auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG. Es wurde gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins und 3 wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt.
1.1.3. Am 21.11.2018 stellte der BF neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass seine Gründe aus dem ersten Verfahren aufrecht seien und er zusätzlich zum Christentum konvertieren wolle.
1.1.4. Nach Einvernahme des BF am 08.01.2019 wies das BFA diesen (zweiten) Antrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurück und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei.1.1.4. Nach Einvernahme des BF am 08.01.2019 wies das BFA diesen (zweiten) Antrag wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, AVG zurück und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass seinem neuen Vorbringen kein glaubhafter Kern zukomme.
1.1.5. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Erkenntnis vom 09.04.2019 als unbegründet ab.
1.1.6. Von 01.05.2019 bis 29.10.2019 war der BF in Deutschland aufhältig, wo er ebenfalls einen Asylantrag stellte.
Aufgrund des Wiederaufnahmeersuchens von Deutschland gemäß Dublin-Übereinkommen wurde der BF am 29.10.2029 nach Österreich rücküberstellt, wo er noch am selben Tag einen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.1.7. Nach weiteren Einvernahmen vor dem BFA am 05.11.209, 12.11.2019 und 15.11.2019 wies das BFA auch diesen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 28.11.2019 wegen entschiedener Sache zurück, erließ neuerlich eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde gegen den BF ein auf die Dauer von „2“ [zwei] Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich weder bezüglich seiner individuellen Verfolgungsgründe noch hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat ein neuer objektiver Sachverhalt ergeben hätte.
1.1.8. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 03.01.2020 als unbegründet abgewiesen.
1.2. Gegenständliches Verfahren:
1.2.1. Am 07.09.2021 stellte der BF einen (vierten) Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner Erstbefragung am 07.09.2021 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu den Gründen seiner neuerlichen Asylantragstellung befragt an, dass er vor mehr als zwei Jahren seine Religion gewechselt habe, er sei nun protestantischer Christ.
Seit ca. einem Jahr habe er nun ein Tattoo mit einem Kreuz am rechten Unterarm, das offen zu sehen sei. Deswegen würde er von den Taliban auf der Stelle getötet werden, zumal er aus einem ungläubigen Land zurückkehren würde. Zudem sei aufgrund des Regimewechsels nun keine Provinz mehr sicher.
Er habe sich in Österreich integriert, seine Sprache verbessert, in einem Sozialmarkt ausgeholfen und eine fixe Anstellung in Aussicht.
1.2.2. Am 02.11.2021 wurde der BF vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi, einvernommen und bestätigte dabei die bei der Erstbefragung am 07.09.2021 gemachten Angaben und führte sie näher aus. Er habe das Deutschzertifikat B1 erworben. Er sei im Iran aufgewachsen und spreche Farsi und Dari. Im Iran habe er Schaufensterpuppen aufgebaut und verkauft. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Er wohne seit ca. einem Jahr mit einer namentlich genannten Freundin zusammen, sei aber wegen Angst vor Abschiebung nicht gemeldet. Er arbeite in einem Sozialmarkt in 1210 Wien.
Der BF legte seine Taufurkunde der Vereinigten Pfingstkirche Österreichs vom 20.01.2019, ein Empfehlungsschreiben eines Pastors dieser Kirche vom 01.04.2019 und mehrere weitere Empfehlungsschreiben sowie eine Niederschrift des Magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk Wien vom 07.01.2019 vor, wonach der BF seinen Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich erklärte.
1.2.3. Mit Bescheid vom 11.11.2021 wies das BFA den – gegenständlichen – Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.09.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte von „1“ [einem] Jahr (Spruchpunkt III.). 1.2.3. Mit Bescheid vom 11.11.2021 wies das BFA den – gegenständlichen – Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.09.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz 2, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte von „1“ [einem] Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF seine behauptete Konversion vom Islam zum Christentum schon in seinem ersten und zweiten Folgeantragsverfahren vorgebracht und nicht glaubhaft gemacht hätte. Es sei davon auszugehen, dass der BF sein Tattoo lediglich aus verfahrenstaktischen Gründen zur Erlangung von Asyl habe stechen lassen.
Aus der in den Feststellungen genannten momentanen Lage in Afghanistan, insbesondere die derzeit volatile Sicherheitslage seit der Machtübernahme durch die Taliban, ergebe sich eine Rückkehrgefährdung des BF.
1.2.4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF mit Schreiben seiner Vertretung vom 13.12.2021 fristgerecht Beschwerde an das BVwG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und erheblicher Verfahrensmängel.1.2.4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der BF mit Schreiben seiner Vertretung vom 13.12.2021 fristgerecht Beschwerde an das BVwG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und erheblicher Verfahrensmängel.
Er führte im Wesentlichen aus, dass der BF seinen christlichen Glauben in Österreich praktiziere und die Farsi Gemeinde der Vereinigten Pfingstkirche Österreichs besuche. Er trage auf seinem Unterarm ein deutlich sichtbares Tattoo, das ein Kreuz als Symbol des Christentums zeige. Das BFA habe keinerlei Fragen dazu gestellt, ob und wie der BF seinen christlichen Glauben auslebe bzw. in den vergangenen zwei Jahren praktiziert habe. Der Abfall vom Islam und der inzwischen verinnerlichte „westliche“ Lebensstil des BF sei unvereinbar mit der streng islamisch-konservativen Ideologie der Taliban. Moniert wurde darüber hinaus eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit des BF zur Volksgruppe der Hazara.
Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.
1.2.5. Das BVwG führte am 28.07.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich und in Begleitung seiner Vertretung erschien. Das BFA nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil.
In der Niederschrift wurde festgehalten, dass der BF mangels Aufenthalt in seinem Herkunftsstaat Afghanistan nicht die Möglichkeit hatte, dort bereits mit dem Christentum in Kontakt zu treten und sich zumindest innerlich zum Christentum zu bekennen.
Im Hinblick auf ein beim Gerichtshof der Europäischen Union (in der Folge EuGH) anhängiges Vorabentscheidungsverfahren werde daher beabsichtigt, das gegenständliche Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH in dieser Sache auszusetzen.
1.2.6. Mit Beschluss vom 04.08.2022, W159 2166327-4/4Z, setzte das BVwG das gegenständliche Verfahren bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH in der Rechtssache C-222/22 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (in der Folge VwGH) vom 16.03.2021, EU 2022/0001-1, vorgelegten Fragen aus, weil der Beantwortung der vom VwGH vorgelegten Fragen auch für die Behandlung der vorliegenden Beschwerde Bedeutung zukam.
1.2.7. Mit Bescheid vom 13.10.2022 verlängerte das BFA die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF für subsidiär Schutzberechtigte „für 2“ [zwei] Jahre.
1.2.8. Der Inhalt des Urteils des EuGH vom 29.02.2024, C-222/22, JF, mit dem über das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH entschieden wurde, bewirkt im Wesentlichen, dass § 3 Abs. 2 (erster Satz) AsylG (in Verbindung mit Abs. 1 leg. cit.) dahin auszulegen sind, dass die österreichischen rechtsanwendenden Behörden und Gerichte jeden – auf subjektiven Nachfluchtgründen eines Antragstellers beruhenden – Folgeantrag auf internationalen Schutz individuell zu prüfen haben, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Falles vorzunehmen ist. 1.2.8. Der Inhalt des Urteils des EuGH vom 29.02.2024, C-222/22, JF, mit dem über das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH entschieden wurde, bewirkt im Wesentlichen, dass Paragraph 3, Absatz 2, (erster Satz) AsylG (in Verbindung mit Absatz eins, leg. cit.) dahin auszulegen sind, dass die österreichischen rechtsanwendenden Behörden und Gerichte jeden – auf subjektiven Nachfluchtgründen eines Antragstellers beruhenden – Folgeantrag auf internationalen Schutz individuell zu prüfen haben, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Falles vorzunehmen ist.
Eine Rechtsansicht, wonach Asylwerbern der Status des/der Asylberechtigten nicht zuzuerkennen wäre, weil die Verfolgungsgefahr auf Grund seiner/ihrer Konversion zum Christentum auf Umständen beruhe, die erst nach Verlassen des Herkunftsstaates geschaffen worden und nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung seien, ist dem folgend unzutreffend.
1.2.9. Wegen in Aussicht genommener Ruhestandsversetzung des Leiters der vormals zuständigen Gerichtsabteilung wurde die gegenständliche Rechtssache aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses am 26.04.2024 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
1.2.10. Das BVwG führte am 02.09.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich und in Begleitung seiner Vertretung erschien. Das BFA nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil.
Der BF wiederholte bzw. bestätigte seine bisher im Verfahren gemachten Angaben zu seinen Lebensumständen und legte weiters einen Dienstvertrag mit einer Abeitsüberlassungsfirma vor. Er sei derzeit in Vorarlberg angestellt.
Seit Oktober 2023 sei er mit einer Bekannten, die er seit Kindheit kenne und mit der er über IMO Kontakt gehabt habe, verheiratet. Sein Schwiegervater habe über einen Freund die Registrierung im iranischen Standesamt veranlasst. Seine Frau sei ohne Bekenntnis und komme wie er aus einer nicht sehr religiösen Familie. Sie sei von seiner Konversion zunächst überrascht gewesen und inzwischen interessiert.
Der BF beantwortete Wissens- und Motivationsfragen zu seiner Konversion vom Islam zum Christentum in wesentlichen Punkten plausibel und glaubhaft, und ist es ihm gelungen, einen diesbezüglich authentischen Eindruck zu hinterlassen. Er besuche die Messe, wann immer er dazu Zeit finde, und er besuche regelmäßig mindestens einmal im Monat Bibelkurse, die ein Freund organisiere, zuletzt vortags.
Der BF gab an, dass mehrere Menschen durch ihn Christ geworden seien. Zur ergänzenden Vorlage diesbezüglicher Belege wurde dem BF eine Nachfrist eingeräumt.
Das erkennende Gericht brachte aktuelle Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt. Es hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.
1.2.11 Mit ergänzendem Schreiben vom 26.09.2024 legte der BF zum Beweis seiner Missionierungstätigkeit Bestätigungsschreiben samt Taufurkunde von zwei Personen vor, die durch den BF zu Christen geworden seien. Der BF habe auch mit seiner eigenen Taufe zugewartet, damit diese Personen gemeinsam mit ihm getauft werden könnten.
Auch diese Beweismittel wurden dem BFA übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
● Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt und die Vorakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung aufgrund des gegenständlichen (dritten) Folgeantrages vom 07.09.2021 und der Einvernahme vor dem BFA vom 02.11.2021, die vom BF vorgelegten Bescheinigungsmittel, den angefochtenen Bescheid sowie die gegenständliche Beschwerde
● Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA, Aktenseiten 124 bis 205)
● Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 02.09.2024 sowie Einsicht in die vom BF vorgelegten – und binnen Nachfrist nachgebrachten – Beweismittel und Belege zu seinem Fluchtvorbringen und zu seiner Integration
● Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte betreffend Afghanistan (Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, zur Religionsfreiheit, zur Lage der Hazara, zur Lage von Personen, denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein, sowie zur Lage afghanischer Flüchtlinge im Iran)
o UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I von Februar 2023o UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update römisch eins von Februar 2023
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:
3.1. Zur Person und den Lebensumständen des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, kommt aus einer schiitisch-muslimischen Familie und bekennt sich nunmehr zum protestantischen (evangelikalen) Christentum. 3.1.1. Der BF führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, kommt aus einer schiitisch-muslimischen Familie und bekennt sich nunmehr zum protestantischen (evangelikalen) Christentum.
Der BF ist nach seinen Angaben seit Oktober 2023 verheiratet und kinderlos. Die Muttersprache des BF ist Dari, darüber hinaus spricht er aufgrund seines Aufwachsens im Iran Farsi und etwas Englisch und Türkisch. Er hat die Deutschprüfung B1 absolviert.
3.1.2. Der BF ist im Iran geboren und aufgewachsen und als Kleinkind mit seiner Familie nach Qom übersiedelt. Er hat im Iran sieben Jahre eine Schule besucht. Er hat die Familie im Iran, weitere Verwandte im Iran und Afghanistan und seit ca. neun Jahren einen Bruder in Schweden. Er hat nach seinen Angaben mit seiner Frau fast täglich und mit seinen anderen Familienangehörigen ca. einmal im Monat über IMO Kontakt.
3.1.3. Der BF verließ seinen Herkunftsstaat aus angegebenen Gründen und reiste nach Europa, wo er am 03.11.2015 in Österreich einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellte, der mit Erkenntnis des BVwG vom 10.08.2018, W266 2166327-1/27E, abgewiesen wurde.
Am 21.11.2018 stellte der BF einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerde gegen dessen Zurückweisung durch das BFA wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 09.04.2019, W204 2166327-2/4E, als unbegründet abgewiesen.Am 21.11.2018 stellte der BF einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerde gegen dessen Zurückweisung durch das BFA wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, AVG wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 09.04.2019, W204 2166327-2/4E, als unbegründet abgewiesen.
Vom 01.05.2019 bis 29.10.2019 war der BF in Deutschland aufhältig und stellte dort ebenfalls einen Asylantrag. Am 29.10.2010 wurde der BF im Rahmen des Dublin-Übereinkommens nach Österreich rücküberstellt und stellte hier einen dritten Antrag auf internationalen Schutz, der nach drei Einvernahmen durch das BFA neuerlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Die Beschwerde dagegen wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 03.01.2020, 2166327-3/3E, als unbegründet abgewiesen.
Am 07.09.stellte der BF gegenständlichen neuerlichen (vierten) Antrag auf internationalen Schutz.
3.1.4. Der BF befindet sich seit 2015 – mit Unterbrechung eines mehrmonatigen Aufenthalts in Deutschland – in Österreich. Der BF bemüht sich um seine Integration in Österreich, verfügt über gute Deutschkenntnisse und ist erwerbstätig.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF bekennt sich zum protestantischen (evangelikalen) Christentum. Er hat sich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen von seiner bisherigen Religion, dem Islam, abgewendet. Er ist nicht bereit, den Regeln des Islams zu folgen und die damit verbundenen religiösen Pflichten einzuhalten. Er scheut sich nicht, seinen Glaubensabfall vom Islam gegenüber anderen frei zu zeigen, und hat dies bereits wiederholt getan. Er hat auch entsprechende Schritte gesetzt, um sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren, und ist bemüht, sich innerhalb der Glaubensgemeinschaft gut zu vernetzen. Er hat auch andere Personen zum Christentum geführt.
3.2.2. Der BF trägt seinen christlichen Glauben nach außen und lebt ihn aus. Er wurde am 20.01.2019 in einer Freikirche in Wien getauft, besucht – soweit zeitlich möglich – regelmäßig christliche Messfeiern und einen Bibelkurs und hat hinreichendes Wissen über die christliche Religion dargelegt.
Es ist davon auszugehen, dass der BF den nachhaltigen inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben. In Afghanistan müsste der BF aus diesem Grund mit erheblichen Sanktionen rechnen und wäre dort gezwungen, seinen Glauben zu unterdrücken bzw. zu verleugnen.
Der BF befürchtet, im Fall seiner „Rückkehr“ nach Afghanistan aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum verfolgt zu werden. Die Konversion zum Christentum von Muslimen wird in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen und gilt als schwerer Verstoß gegen das Werteverständnis der afghanischen Gesellschaft. Dem BF droht in Afghanistan aufgrund seiner Hinwendung zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt, dies umso mehr nach der Machtübernahme durch die Taliban.
Der BF konnte das Vorliegen seines Nachfluchtgrundes – der Konversion vom Islam zum Christentum – glaubhaft machen.
3.2.3. Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen wäre.
3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
3.3.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Stand 10.04.2024, Schreibfehler teilweise korrigiert):
„[…] 3 Politische Lage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 01.06.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vgl. VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.08.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.06.2023).Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 01.06.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vergleiche VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.08.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.06.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.08.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 07.07.2022a; vgl. REU 07.09.2021a, VOA 19.08.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 08.09.2021; vgl. DIP 04.01.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 01.06.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.06.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansäßige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 01.06.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.08.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.08.2022; vgl. HRW 04.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.08.2021; vgl. USDOS 12.04.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.09.2021; vgl. Guardian 20.09.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.06.2023).Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.08.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 07.07.2022a; vergleiche REU 07.09.2021a, VOA 19.08.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 08.09.2021; vergleiche DIP 04.01.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 01.06.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.06.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansäßige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 01.06.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.08.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.08.2022; vergleiche HRW 04.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.08.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.09.2021; vergleiche Guardian 20.09.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.06.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.06.2023). [...]
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 08.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 18.07.2023). Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 08.09.2021; vergleiche REU 07.09.2021b, Afghan Bios 18.07.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 07.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 16.02.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.02.2021 unterzeichnete (AJ 07.09.2021; vgl. VOA 29.02.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 07.07.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 07.07.2022b; vgl. UNSC o. D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 05.10.2021, UNGA 28.01.2022).Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 07.09.2021; vergleiche REU 07.09.2021b, Afghan Bios 16.02.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.02.2021 unterzeichnete (AJ 07.09.2021; vergleiche VOA 29.02.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 07.07.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 07.07.2022b; vergleiche UNSC o. D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vergleiche 8am 05.10.2021, UNGA 28.01.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 04.03.2023; vgl. JF 05.11.2021) als Innenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 04.03.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 06.09.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 06.09.2023; vgl. RFE/RL 29.08.2020).Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 04.03.2023; vergleiche JF 05.11.2021) als Innenminister (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 04.03.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vergleiche UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 06.09.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 06.09.2023; vergleiche RFE/RL 29.08.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.08.2022). Diese Dynamik wurde am 23.03.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.08.2022; vgl. RFE/RL 24.03.2022, UNGA 15.06.2022). Seitdem sind die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansäßigen Taliban zu sprechen (USIP 17.08.2022), und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 03.06.2022a).Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.08.2022). Diese Dynamik wurde am 23.03.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.08.2022; vergleiche RFE/RL 24.03.2022, UNGA 15.06.2022). Seitdem sind die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansäßigen Taliban zu sprechen (USIP 17.08.2022), und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 03.06.2022a).
Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.08.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.04.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.04.2023; vergleiche BAMF 30.06.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wird als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 05.06.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wird als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 05.06.2023; vergleiche BAMF 30.06.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 05.05.2023; vgl. VOA 06.05.2023).Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 05.05.2023; vergleiche VOA 06.05.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vergleiche AMU 22.11.2023).
Internationale Anerkennung der Taliban
Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 09.01.2024; vgl. VOA 10.12.2023), dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.03.2023; vgl. OI 25.03.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.02.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.02.2023; vgl. KP 23.02.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.02.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 07.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansäßig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters).Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 09.01.2024; vergleiche VOA 10.12.2023), dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.03.2023; vergleiche OI 25.03.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.02.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.02.2023; vergleiche KP 23.02.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.02.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meist