Entscheidungsdatum
09.10.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W207 2294600-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA: Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2024, IFA-Zahl/Verfahrenszahl 1353952303/231010572, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.09.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 StA: Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2024, IFA-Zahl/Verfahrenszahl 1353952303/231010572, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.09.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 24.05.2023 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am 24.05.2023 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe Syrien im Jahr 2014 aus Angst vor dem Krieg in Richtung Türkei verlassen, wo er bis 2023 gelebt habe. Die türkischen Behörden und das türkische Volk seien in letzter Zeit sehr rassistisch gegenüber den Syrern, deshalb sei er nach Europa geflüchtet. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab er an, er habe Angst um sein Leben und vor dem Krieg. Die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm im Falle einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe oder sonstige Sanktionen drohen würden, verneinte der Beschwerdeführer.
Am 13.12.2023 wurde der Beschwerdeführer durch die nunmehr belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), in der Sprache Arabisch einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, er sei in einem näher genannten Bezirk in der Stadt Aleppo geboren, aufgewachsen und habe bis zu seiner im Jahr 2014 erfolgten Ausreise aus Syrien immer dort gelebt. Er sei nicht verheiratet, aber verlobt und habe keine Kinder. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester würden in der Türkei leben, eine Schwester lebe in Syrien. Er habe in Syrien sieben Jahre die Schule besucht, er habe die Schule mit 13 Jahren abgeschlossen. Er habe dann zu arbeiten begonnen und seine Familie versorgt. Er habe am Anfang als Fräser gearbeitet und dann als Tischler bis zum Jahr 2012. Von 2012 bis zu seiner Ausreise habe er als Tellerwäscher gearbeitet. In der Türkei habe er als Tischler gearbeitet. Der Beschwerdeführer habe 4.000 € für die Reise bezahlt. Das Geld stamme teilweise aus seiner Arbeit und teilweise habe er sich Geld ausgeliehen.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Es habe auch kein Leben mehr in Syrien gegeben und er sei zum Militärdienst einberufen worden. Er habe im Jahr 2013 sein Militärbuch bekommen, er hätte seinen Militärdienst im Jahr 2014 antreten sollen, er habe aber einen Aufschub von 2014 bis 2016 bekommen, dies um seine Familie zu versorgen, für diesen Aufschub habe er 300.000 syrische Lira bezahlt, er habe sich diesen Aufschub also gegen Bestechung erkauft. Nach Erlangung des Aufschubes sei er aus Syrien ausgereist. Es würde 10.000 USD kosten, wenn man sich vom Militärdienst freikaufe, er gebe aber dem Regime kein Geld, weil das Regime „ein Verbrecher“ sei. Auf die Frage, warum er dann dem Regime für den Aufschub Geld bezahlt habe, wenn es ein Verbrecher sei, gab er an, weil er dies machen habe müssen; wenn er aber nun nach Syrien zurückkehren würde, würde er sich nicht vom Militärdienst freikaufen, weil das Regime ein Verbrecher sei und Menschen töte. Er habe nach Ablauf seines Aufschubes keinen Einberufungsbefehl erhalten, weil er in der Türkei gewesen sei. Er würde aber den Militärdienst leisten, wenn es keinen Krieg in Syrien gäbe.
Außerdem habe der Beschwerdeführer in Syrien von 2011 bis 2012, bis der Krieg nach Aleppo gekommen sei, auch an über 20 friedlichen Demonstrationen teilgenommen, er habe aber keine Waffen getragen. Er sei aber wegen der Teilnahme an Demonstrationen niemals angehalten, festgenommen oder erkennungsdienstlich behandelt worden, sie hätten die Demos immer aufgelöst und er habe vor ihnen weglaufen können. Er werde aber vom syrischen Regime wegen der Teilnahme an Demonstrationen gesucht, weil es Personen gegeben habe, die Fotos und Videos aufgenommen hätten und weil es auch viele Informanten gegeben habe, die diese Infos weitergegeben hätten. Er habe aber kein Video oder Foto von einer Teilnahme an einer Demonstration, diese habe er gelöscht. Obwohl er zeitgleich gesucht worden sei, habe man ihm ein Militärbuch mit dem Aufschub ausgestellt; dies sei deshalb möglich gewesen, weil wenn man in Syrien zahle, dann könne man alles machen. Er habe sich das Militärbuch und den Aufschub geholt und bezahlt (gemeint: auf Grundlage von Bestechung), weil er bei den Checkpoints durchkommen habe wollen; er habe auch bei den Checkpoints Geld bezahlt. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Der Beschwerdeführer gab im Rahmen dieser Einvernahme auf entsprechende Nachfragen aber auch an, er habe in seinem Heimatland keine Probleme mit den Behörden in der Heimat, es bestünden keine aktuellen staatlichen Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbriefe etc. und er sei nie politisch aktiv gewesen.
Im Verfahren vor der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer einen syrischen Personalausweis im Original (dieser wurde im Rahmen einer Überprüfung durch das BFA als echt befunden), ausgestellt am 05.06.2011, vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.05.2024 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.05.2024 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte das BFA zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (zu Spruchpunkt I.) im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zwar ein Militärbuch erhalten, seinen Wehrdienst in der syrischen Armee aber noch nicht abgeleistet und sei auch bisher nicht einberufen worden. Er habe bei seiner Ausreise aus Syrien Kontrollen des syrischen Regimes passieren können ohne Probleme bekommen zu haben. Er habe nicht glaubhaft vorgebracht, einer Verfolgung zu unterliegen aufgrund seines nicht abgeleisteten Militärdienstes. Weiters sei der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge nicht exilpolitisch tätig gewesen, auch aus seinem sonstigen Vorbringen ergäben sich keinerlei Hinweise dafür, dass er in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten wäre. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien sei es aber wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer zum Wehrdienst bei der regulären syrischen Armee eingezogen werden würde, da er sich im wehrfähigen Alter befinde. Da der Beschwerdeführer bis dato nicht versucht habe, eine der Befreiungsmöglichkeiten vom Wehrdienst in Anspruch zu nehmen, könne nicht automatisch von einer staatlichen Verfolgung aufgrund einer ihm möglicherweise unterstellten regimekritischen oder oppositionellen Gesinnung ausgegangen werden. Eine Behandlung als Deserteur scheide aus, da er bis dato noch keinen Wehrdienst geleistet habe und daher auch noch nie „Soldat“ gewesen sei. Der Beschwerdeführer werde im Zuge des regulären syrischen Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu Kampfeinsätzen herangezogen werden, wie sich aus den Länderfeststellungen ergebe, denen zu entnehmen sei, dass zwar alle Eingezogenen potenziell an die Front abkommandiert werden könnten, der Einsatz jedoch vom Bedarf der Armee für Truppen, sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung abhänge; einschlägige Qualifikationen bzw. Erfahrungen habe der Beschwerdeführer aber nicht. Zudem bestehe für den Beschwerdeführer gemäß den aktuellen Länderinformationen die Möglichkeit, sich vom Militärdienst freizukaufen („badal an-naqdi"). Abgesehen davon handle es sich beim Militärdienst um eine Pflicht, die jeder Staat seinen Bürgern auferlegen könne. Da die Einberufung des Beschwerdeführers zur syrischen Armee im Falle einer Rückkehr keine zielgerichtet gegen ihn gerichtete Maßnahme darstellen würde, sondern sämtliche männliche Staatsangehörige im wehrpflichtigen Alter treffe, könne die bloße Ableistung des Wehrdienstes die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im konkreten Fall nicht rechtfertigen, zumal dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keine regimekritische oder oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde und bestünden auch sonst keine Hinweise dafür, dass dem Beschwerdeführer eine im Vergleich zu anderen syrischen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung drohen würde. Selbst wenn der Beschwerdeführer sofort zum Militärdienst eingezogen werden würde, sei nicht anzunehmen, dass er sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an Kriegsverbrechen beteiligen müsste.Begründend führte das BFA zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (zu Spruchpunkt römisch eins.) im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zwar ein Militärbuch erhalten, seinen Wehrdienst in der syrischen Armee aber noch nicht abgeleistet und sei auch bisher nicht einberufen worden. Er habe bei seiner Ausreise aus Syrien Kontrollen des syrischen Regimes passieren können ohne Probleme bekommen zu haben. Er habe nicht glaubhaft vorgebracht, einer Verfolgung zu unterliegen aufgrund seines nicht abgeleisteten Militärdienstes. Weiters sei der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge nicht exilpolitisch tätig gewesen, auch aus seinem sonstigen Vorbringen ergäben sich keinerlei Hinweise dafür, dass er in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten wäre. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien sei es aber wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer zum Wehrdienst bei der regulären syrischen Armee eingezogen werden würde, da er sich im wehrfähigen Alter befinde. Da der Beschwerdeführer bis dato nicht versucht habe, eine der Befreiungsmöglichkeiten vom Wehrdienst in Anspruch zu nehmen, könne nicht automatisch von einer staatlichen Verfolgung aufgrund einer ihm möglicherweise unterstellten regimekritischen oder oppositionellen Gesinnung ausgegangen werden. Eine Behandlung als Deserteur scheide aus, da er bis dato noch keinen Wehrdienst geleistet habe und daher auch noch nie „Soldat“ gewesen sei. Der Beschwerdeführer werde im Zuge des regulären syrischen Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu Kampfeinsätzen herangezogen werden, wie sich aus den Länderfeststellungen ergebe, denen zu entnehmen sei, dass zwar alle Eingezogenen potenziell an die Front abkommandiert werden könnten, der Einsatz jedoch vom Bedarf der Armee für Truppen, sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung abhänge; einschlägige Qualifikationen bzw. Erfahrungen habe der Beschwerdeführer aber nicht. Zudem bestehe für den Beschwerdeführer gemäß den aktuellen Länderinformationen die Möglichkeit, sich vom Militärdienst freizukaufen („badal an-naqdi"). Abgesehen davon handle es sich beim Militärdienst um eine Pflicht, die jeder Staat seinen Bürgern auferlegen könne. Da die Einberufung des Beschwerdeführers zur syrischen Armee im Falle einer Rückkehr keine zielgerichtet gegen ihn gerichtete Maßnahme darstellen würde, sondern sämtliche männliche Staatsangehörige im wehrpflichtigen Alter treffe, könne die bloße Ableistung des Wehrdienstes die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im konkreten Fall nicht rechtfertigen, zumal dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keine regimekritische oder oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde und bestünden auch sonst keine Hinweise dafür, dass dem Beschwerdeführer eine im Vergleich zu anderen syrischen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung drohen würde. Selbst wenn der Beschwerdeführer sofort zum Militärdienst eingezogen werden würde, sei nicht anzunehmen, dass er sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an Kriegsverbrechen beteiligen müsste.
Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Syrien für den Beschwerdeführer die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge der derzeitigen Menschenrechtslage mit sich bringen würde.Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II.) begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Syrien für den Beschwerdeführer die reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge der derzeitigen Menschenrechtslage mit sich bringen würde.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides vom 14.05.2024 erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.06.2024 fristgerecht Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbringt, der Herkunftsort Aleppo stehe derzeit unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Im Fall einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen, der Weigerung, den verpflichteten, aber nicht geleisteten Militärdienst anzutreten und aufgrund der illegalen Ausreise sowie der Asylantragstellung im Ausland, und zwar wegen einer dem Beschwerdeführer zumindest unterstellten politischen Gesinnung. Es sei zu anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Wehrdienstes gegen seinen Willen gezwungen wäre, sich an Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte zu beteiligen. Im Falle einer Weigerung müsse er mit drakonischen Strafen bis hin zur Hinrichtung rechnen. Der Beschwerdeführer lehne das Tragen von Waffen ab und wole keinesfalls im Bürgerkrieg kämpfen. Er wolle weder dazu gezwungen werden, seine Mitbürger zu töten, noch sich an anderen Kriegsverbrechen beteiligen müssen. Der Beschwerdeführer könne sich nicht wirksam vom Wehrdienst freikaufen. Er lehne es ab, das syrische Regime durch die Zahlung einer Befreiungsgebühr zu unterstützen und sich dadurch mittelbar an Kriegsverbrechen zu beteiligen. Außerdem sei er gar nicht in der Lage die finanziellen Mittel aufzubringen, um die Gebühr zu entrichten und fehlten ihm auch die erforderlichen Dokumente dafür. Des Weiteren sei von der belangten Behörde nicht ausreichend ermittelt worden, auf welchem Wege die hypothetische Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien erfolgen könnte beziehungsweise, ob der Beschwerdeführer auch ohne Kontakt mit den syrischen Behörden in seinen Herkunftsort zurückreisen könnte.Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides vom 14.05.2024 erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.06.2024 fristgerecht Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbringt, der Herkunftsort Aleppo stehe derzeit unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Im Fall einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen, der Weigerung, den verpflichteten, aber nicht geleisteten Militärdienst anzutreten und aufgrund der illegalen Ausreise sowie der Asylantragstellung im Ausland, und zwar wegen einer dem Beschwerdeführer zumindest unterstellten politischen Gesinnung. Es sei zu anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Wehrdienstes gegen seinen Willen gezwungen wäre, sich an Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte zu beteiligen. Im Falle einer Weigerung müsse er mit drakonischen Strafen bis hin zur Hinrichtung rechnen. Der Beschwerdeführer lehne das Tragen von Waffen ab und wole keinesfalls im Bürgerkrieg kämpfen. Er wolle weder dazu gezwungen werden, seine Mitbürger zu töten, noch sich an anderen Kriegsverbrechen beteiligen müssen. Der Beschwerdeführer könne sich nicht wirksam vom Wehrdienst freikaufen. Er lehne es ab, das syrische Regime durch die Zahlung einer Befreiungsgebühr zu unterstützen und sich dadurch mittelbar an Kriegsverbrechen zu beteiligen. Außerdem sei er gar nicht in der Lage die finanziellen Mittel aufzubringen, um die Gebühr zu entrichten und fehlten ihm auch die erforderlichen Dokumente dafür. Des Weiteren sei von der belangten Behörde nicht ausreichend ermittelt worden, auf welchem Wege die hypothetische Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien erfolgen könnte beziehungsweise, ob der Beschwerdeführer auch ohne Kontakt mit den syrischen Behörden in seinen Herkunftsort zurückreisen könnte.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 01.07.2024 vom BFA zur Entscheidung vorgelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.09.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat – im auf die Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten eingeschränkten Verfahren – erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat – im auf die Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten eingeschränkten Verfahren – erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers
Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruch angeführte Geburtsdatum.
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, er bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört der arabischen Volksgruppe an. Seine Muttersprache ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Aleppo, konkret wurde er im Bezirk XXXX geboren, wo er auch aufwuchs und bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2014 immer lebte.Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Aleppo, konkret wurde er im Bezirk römisch 40 geboren, wo er auch aufwuchs und bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2014 immer lebte.
Als Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist die Stadt Aleppo und deren umliegende Umgebung anzusehen. Das Herkunftsgebiet steht aktuell unter der Kontrolle der syrischen Zentralregierung.
Der Beschwerdeführer verließ seine Herkunftsregion und Syrien im Jahr 2014 in Richtung Türkei, wo er sich bis zum Jahr 2023 aufhielt, bevor er seine Weiterreise in Richtung Europa antrat. Seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester leben aktuell in der Türkei. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 24.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr einer Verfolgung durch die syrische Zentralregierung wegen Teilnahmen an Demonstrationen gegen die syrische Zentralregierung in den Jahren 2011 und 2012 und damit wegen einer dem Beschwerdeführer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung droht.
Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Der Beschwerdeführer ist 29 Jahre alt und hat seinen Wehrdienst für die syrische Zentralregierung noch nicht abgeleistet. Die Wehrdienstverweigerung stellt aber nicht das einzige Mittel dar, mit dem der Beschwerdeführer einer Ableistung des Wehrdienstes und einer damit allenfalls verbundenen Beteiligung an Kriegsverbrechen entgehen kann.
Das syrische Gesetz sieht für männliche syrische Staatsbürger, die im Ausland niedergelassen sind, die Möglichkeit vor, sich durch die Zahlung einer Gebühr dauerhaft von der Wehrpflicht zu befreien. Diese Möglichkeit steht auch dem Beschwerdeführer offen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die syrischen Behörden Personen, die sich vom Wehrdienst freigekauft haben (selbst wenn dies nicht zeitnah nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters erfolgte), eine oppositionelle Gesinnung unterstellen oder diese Personen trotz der entrichteten Wehrersatzgebühr dennoch systematisch und generell und daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum Wehrdienst einziehen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass dies im Fall des Beschwerdeführers erfolgen würde.
Abgesehen und unabhängig davon kann nicht festgestellt werden, dass die syrischen Behörden sämtlichen Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen und haben sich auch im Fall des Beschwerdeführers keine glaubhaften diesbezüglichen Anhaltspunkte ergeben. Insbesondere weist der Beschwerdeführer keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen die syrische Zentralregierung oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf.
Ebenso droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise oder seiner Asylantragstellung im Ausland bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Nicht jedem Rückkehrer, der ausgereist ist und der im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024 (LIB, Version 11)
? UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von syrischen Staatsangehörigen aus März 2021 (UNHCR)
? EUAA Country Guidance: Syria aus April 2024 (EUAA)
? ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Kontrollen durch Sicherheitsbehörden bei Einreise, Auswirkungen von negativem Asylbescheid [a-12124-5] vom 09.06.2023
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 2024-03-08
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
Sicherheitslage
„Versöhnungsabkommen“ (auch „Beilegungsabkommen“)
Letzte Änderung 2024-03-08
Individuelle Versöhnungsabkommen
Soweit bekannt, gibt es auch individuelle Versöhnungsabkommen für Syrer, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren wollen, bzw. für Vertriebene, die in ein Gebiet unter der Kontrolle der Behörden zurückkehren. Der Abschluss eines individuellen Versöhnungsabkommens ist auch hier kein genau definiertes Verfahren und kann von Person zu Person und von Botschaft zu Botschaft variieren; in der Regel beinhaltet es jedoch die Unterzeichnung eines Dokuments in einer Botschaft, in dem die Person ihre „Straftat“ zugibt. Versöhnungsabkommen bieten allerdings keinen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen (NMFA 5.2022). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gibt an, dass der individuelle Versöhnungsprozess entweder aus dem Ausland oder aus einem Gebiet, das nicht unter Regierungskontrolle steht, begonnen werden kann, aber der Abschluss in einem Gebiet unter Regierungskontrolle erfolgen muss. Das Dokument zur Bestätigung dieses individuellen Versöhnungsprozesses kann nur in einem Gebiet unter der Kontrolle der syrischen Regierung ausgestellt werden. Dieselbe Quelle merkt an, dass Personen, die einen solchen individuellen Versöhnungsprozess beginnen, erst recht die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden auf sich ziehen (NMFA 8.2023).
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Letzte Änderung 2024-03-08
Mittlerweile hat das Assad-Regime, unterstützt von Russland und Iran, unterschiedlichen Quellen zu Folge zwischen 60 Prozent (INSS 24.4.2022; vgl. GIS 23.5.2022) und 70 Prozent des syrischen Territoriums wieder unter seine Kontrolle gebracht (USCIRF 11.2022; EUAA 9.2022; vgl. CFR 24.1.2024). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; vgl. SWP 3.2020, FP 15.3.2021, EUI 13.3.2020) (Anm.: siehe dazu auch das Überkapitel Sicherheitslage).Mittlerweile hat das Assad-Regime, unterstützt von Russland und Iran, unterschiedlichen Quellen zu Folge zwischen 60 Prozent (INSS 24.4.2022; vergleiche GIS 23.5.2022) und 70 Prozent des syrischen Territoriums wieder unter seine Kontrolle gebracht (USCIRF 11.2022; EUAA 9.2022; vergleiche CFR 24.1.2024). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; vergleiche SWP 3.2020, FP 15.3.2021, EUI 13.3.2020) Anmerkung, siehe dazu auch das Überkapitel Sicherheitslage).
Die zivilen Behörden haben nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbollah, die iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defence Forces - NDF), deren Mitglieder zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 20.3.2023). Für alle Regionen Syriens gilt dabei, dass eine pauschale ebenso wie eine abschließende Lagebeurteilung nicht möglich ist. Auch innerhalb der verschiedenen Einflussgebiete unterscheidet sich die Lage teilweise von Region zu Region und von Ort zu Ort (AA 2.2.2024).
Die Sicherheitslage zwischen militärischen Entwicklungen und Menschenrechtslage
Ungeachtet der obigen Ausführungen bleibt Syrien bis hin zur subregionalen Ebene territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zor zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Die Hizbollah und andere von Iran unterstützte schiitische Milizen kontrollieren derzeit rund 20 Prozent der Grenzen des Landes. Obwohl die syrischen Zollbehörden offiziell für die Grenzübergänge zum Irak (Abu Kamal), zu Jordanien (Nasib) und zum Libanon (al-Arida, Jdeidat, al-Jousiyah und al-Dabousiyah) zuständig sind, liegt die tatsächliche Kontrolle bei anderen: Die libanesische Grenze ist von der Hizbollah besetzt, die auf der syrischen Seite Stützpunkte eingerichtet hat (Zabadani, al-Qusayr), von denen aus sie die Bergregion Qalamoun beherrscht. Auch die irakischen schiitischen Milizen verwalten beide Seiten ihrer Grenze von Abu Kamal bis at-Tanf (WI 10.2.2021).
Vor allem Aleppo, die größte Stadt Syriens und ihr ehemaliger wirtschaftlicher Motor, bietet einen Einblick in die derzeitige Lage: Die Truppen des Regimes haben die primäre, aber nicht die ausschließliche Kontrolle über die Stadt, weil die Milizen, auch wenn sie nominell mit dem Regime verbündet sind, sich sporadische Zusammenstöße mit Soldaten und untereinander liefern und die Einwohner schikanieren. Die Rebellen sind vertrieben, kein ausländischer Akteur hat ein Interesse an einer erneuten Intervention, um das Regime herauszufordern, und die Bevölkerung ist durch den jahrelangen Krieg zu erschöpft und verarmt und zu sehr damit beschäftigt, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, um einen weiteren Aufstand zu führen. Außerdem konnten die meisten Einwohner der Stadt, die in von der Opposition gehaltene Gebiete oder ins Ausland vertrieben wurden, nicht zurückkehren, vor allem weil sie entweder die Einberufung oder Repressalien wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung am Aufstand fürchten (ICG 9.5.2022). Gebiete, in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021).
Andere Regionen wie der Westen des Landes, insbesondere die Gouvernements Tartus und Latakia (Kerneinflussgebiete des Assad-Regimes), blieben auch im Berichtszeitraum von aktiven Kampfhandlungen vergleichsweise verschont. Unverändert kam es hier nur vereinzelt zu militärischen Auseinandersetzungen, vorwiegend im Grenzgebiet zwischen Latakia und Idlib (AA 2.2.2024). Damaskus, insbesondere im Zentrum sowie die Provinz Latakia gelten als Gebiete mit relativ stabiler Sicherheitslage (NMFA 8.2023).
Unabhängig von militärischen Entwicklungen kommt es laut Vereinten Nationen (VN) und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteile