TE Bvwg Erkenntnis 2024/10/10 W108 2176898-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2024
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Entscheidungsdatum

10.10.2024

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §88 Abs2a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. FPG § 88 heute
  2. FPG § 88 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  3. FPG § 88 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  4. FPG § 88 gültig von 01.01.2006 bis 31.12.2009

Spruch


W108 2176898-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2023, Zl. 648402108/220366681, betreffend eine fremdenrechtliche Angelegenheit nach mündlicher Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , Staatsangehörigkeit: Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2023, Zl. 648402108/220366681, betreffend eine fremdenrechtliche Angelegenheit nach mündlicher Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 2a FPG stattgegeben wird. Der Beschwerdeführerin XXXX ist ein Fremdenpass von der belangten Behörde auszustellen.Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG stattgegeben wird. Der Beschwerdeführerin römisch 40 ist ein Fremdenpass von der belangten Behörde auszustellen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang/Sachverhalt und Vorbringen:römisch eins. Verfahrensgang/Sachverhalt und Vorbringen:

1. Verfahrensgegenständlich ist der Antrag der Beschwerdeführerin, einer in Österreich subsidiär schutzberechtigten syrischen Staatsangehörigen, vom 21.04.2023 auf Ausstellung eines (neuen) Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 88 Abs. 2a FPG.1. Verfahrensgegenständlich ist der Antrag der Beschwerdeführerin, einer in Österreich subsidiär schutzberechtigten syrischen Staatsangehörigen, vom 21.04.2023 auf Ausstellung eines (neuen) Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG.

2. Mit Schreiben vom 30.06.2023 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) der Beschwerdeführerin im Wege des Parteiengehörs mit, dass die Beschwerdeführerin ein syrisches Originaldokument (einen syrischen Reisepass) für den Nachweis ihrer Identität besitze, mit dem sie für die Ausstellung eines heimatstaatlichen Reisepasses bei der syrischen Botschaft vorstellig werden könnte. Mit ihrem Antrag habe die Beschwerdeführerin keine Bestätigung der syrischen Botschaft über die endgültige Unmöglichkeit der Ausstellung eines Reisepasses vorgelegt.

3. Die Beschwerdeführerin (bzw. ihr Ehemann für diese) nahm hierzu mit Schriftsätzen vom 05.07.2023, 06.07.2023, 20.07.2023 und 21.07.2023 dahin Stellung, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, sich ein Reisedokument ihres Heimatstaates ausstellen zu lassen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei seit 2004 aufgrund politischer Verfolgung wegen seiner Tätigkeit als journalistischer Fotograf Asylberechtigter in Österreich und seit über 10 Jahren österreichischer Staatsbürger. Er habe politische Probleme mit dem Assad-Regime. Die Beschwerdeführerin habe einen Fremdenpass beantragt, weil sie aus Angst vor einer Verhaftung nicht in die syrische Botschaft gehen könne. Es sei für die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann unmöglich, die syrische Botschaft zu besuchen, deshalb benötige sie unbedingt den österreichischen Fremdenpass. Ohne diesen erhalte die Beschwerdeführerin keine neue E-Card mit Foto. Der Ehemann der Beschwerdeführerin und seine Familie wären in großer Gefahr, wenn das Assad-Regime seinen Aufenthalt erführe. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin Verwandte im Rebellengebiet Nordostsyrien, in dieser Region lebten die Eltern und weitere Verwandte der Beschwerdeführerin. Zu ihren Angehörigen habe die Beschwerdeführerin regelmäßig Kontakt. Da die Familie nicht in den vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten aufhältig sei, sei davon auszugehen, dass diesem die oppositionelle Haltung der Familie bekannt sei. Der von der Beschwerdeführerin damals vorgelegte syrische Reisepass sei bereits abgelaufen und die Beschwerdeführerin müsste sich zur Erlangung eines neuen Reisepasses an die syrische Botschaft wenden. Die Beschwerdeführerin habe Angst, durch den Kontakt mit der syrischen Botschaft Repressionen ausgesetzt zu sein. Ferner fürchte sie, dass dem syrischen Regime dadurch ihre Reisebewegungen und der Umstand, dass sich ihre Angehörigen Großteils in den Rebellengebieten Nordostsyriens aufhielten, bekannt werden könnten und ihre Angehörigen in Gefahr zu bringen. Es sei zu befürchten, dass Informationen, beispielsweise der Umstand, dass sie und ihr Ehemann sich in Österreich aufhielten und ihm internationaler Schutz zukomme, an die syrischen Sicherheits- und Geheimdienstbehörden oder an Dritte weitergegeben werden. Dass ihre Angst nicht rein subjektiv, sondern objektiv begründet sei, zeigten Länderberichte, insbesondere die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.11.2017, und mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes. Es könne ihr nicht zugemutet werden, die syrische Botschaft zu kontaktieren, dies insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeit, ihre noch in Syrien aufhältigen Familienangehörigen in Gefahr zu bringen. Auch wenn sich diese nicht im Regierungsgebiet in Syrien aufhielten, sei jedenfalls nicht von einer sicheren Situation auszugehen.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 2a FPG abgewiesen. 4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde unter Darstellung des Verfahrensganges zu den Gründen für die Versagung des Fremdenpasses insbesondere aus: Die Beschwerdeführerin habe sich bei ihrer Asylantragstellung mit einem syrischen Reisepass mit Gültigkeit von XXXX 2011 bis XXXX 2017 ausgewiesen. Dieses Dokument sei der belangten Behörde als Beweismittel vorgelegt worden. Nach Abschluss des Verfahrens sei ihr der syrische Reisepass wieder ausgehängt worden. Für die Behörde stehe fest, dass die Beschwerdeführerin ein syrisches Originaldokument für den Nachweis ihrer Identität besitze und damit für die Ausstellung eines heimatstaatlichen Dokuments auf der syrischen Botschaft vorstellig werden könnte. In der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie darüber informiert worden, dass es Personen, welchen über den Status des subsidiär Schutzberechtigten verfügten, zumutbar sei, bei der Botschaft ihres Herkunftslandes für die Beantragung eines Reisepasses vorstellig zu werden. Es sei ihr aufgrund der Entscheidung im Asylverfahren durchaus zumutbar, sich an die syrische Botschaft zu wenden, da der subsidiäre Schutz allein aufgrund der Situation in Syrien erteilt worden sei und gegen die Beschwerdeführerin persönlich keine Verfolgungsgründe vorlägen. Aufgrund des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens könne festgestellt werden, dass es ihr zumutbar sei, sich an die syrische Botschaft für die Ausstellung eines Reisepasses zu wenden. Bereits in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie darauf hingewiesen worden, dass die Passbeantragung auch mit einem abgelaufenen Reisepass möglich sei. Da die Beschwerdeführerin im Asylverfahren keine Verfolgung im Herkunftsstaat habe glaubhaft machen können, sei sie auch in der Lage, sich ein gültiges Reisedokument aus dem Heimatstaat zu beschaffen. Fest stehe auch, dass sie der Behörde nicht habe nachweisen können, dass sie Bemühungen für die Erlangung eines heimatstaatlichen Reisedokuments unternommen habe.Begründend führte die belangte Behörde unter Darstellung des Verfahrensganges zu den Gründen für die Versagung des Fremdenpasses insbesondere aus: Die Beschwerdeführerin habe sich bei ihrer Asylantragstellung mit einem syrischen Reisepass mit Gültigkeit von römisch 40 2011 bis römisch 40 2017 ausgewiesen. Dieses Dokument sei der belangten Behörde als Beweismittel vorgelegt worden. Nach Abschluss des Verfahrens sei ihr der syrische Reisepass wieder ausgehängt worden. Für die Behörde stehe fest, dass die Beschwerdeführerin ein syrisches Originaldokument für den Nachweis ihrer Identität besitze und damit für die Ausstellung eines heimatstaatlichen Dokuments auf der syrischen Botschaft vorstellig werden könnte. In der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie darüber informiert worden, dass es Personen, welchen über den Status des subsidiär Schutzberechtigten verfügten, zumutbar sei, bei der Botschaft ihres Herkunftslandes für die Beantragung eines Reisepasses vorstellig zu werden. Es sei ihr aufgrund der Entscheidung im Asylverfahren durchaus zumutbar, sich an die syrische Botschaft zu wenden, da der subsidiäre Schutz allein aufgrund der Situation in Syrien erteilt worden sei und gegen die Beschwerdeführerin persönlich keine Verfolgungsgründe vorlägen. Aufgrund des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens könne festgestellt werden, dass es ihr zumutbar sei, sich an die syrische Botschaft für die Ausstellung eines Reisepasses zu wenden. Bereits in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie darauf hingewiesen worden, dass die Passbeantragung auch mit einem abgelaufenen Reisepass möglich sei. Da die Beschwerdeführerin im Asylverfahren keine Verfolgung im Herkunftsstaat habe glaubhaft machen können, sei sie auch in der Lage, sich ein gültiges Reisedokument aus dem Heimatstaat zu beschaffen. Fest stehe auch, dass sie der Behörde nicht habe nachweisen können, dass sie Bemühungen für die Erlangung eines heimatstaatlichen Reisedokuments unternommen habe.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher sie zusammengefasst ausführte, dass die Behörde in keiner Weise ihre individuelle Situation ermittelt habe, obwohl aus den eingebrachten Stellungnahmen hervorgehe, dass sie und ihr Ehemann sich nicht an die Botschaft wenden könnten und wollten und es ihr somit faktisch nicht möglich sei, einen Reisepass zu besorgen. Die belangte Behörde habe den Inhalt der Stellungnahmen offenbar gänzlich ignoriert. Sie und ihre Familie befürchteten, dass im Fall einer Kontaktaufnahme mit der syrischen Botschaft Informationen durch Botschaftsmitarbeiter an andere Personen in Syrien weitergegeben werden könnten. Aufgrund des Vorbringens hätte die Behörde entsprechende Ermittlungen bezüglich der Folgen einer Flucht aus Syrien und die Auswirkungen auf Familienmitglieder in Syrien tätigen müssen. In Syrien lebten noch ihre Eltern sowie ihre zwei Brüder. Die Mutter und der Bruder ihres Ehegatten befänden sich ebenfalls noch in Syrien. Ihr Ehegatte sei asylberechtigt gewesen und besitze nun die österreichische Staatsbürgerschaft. Schon allein aus diesem Grund hätte die Behörde ermitteln müssen, ob Daten der Botschaft auf irgendeinem Weg nach Syrien gelangten, wo Angehörige dann verfolgt würden. Mit ihrer Flucht hätten sie ihre regierungsfeindliche Gesinnung dem herrschenden Regime gegenüber verdeutlicht. Ihre restlichen Familienmitglieder seien nach Europa geflohen. Ohne die Einholung weiterer Informationen sei es der Behörde nicht möglich gewesen, abschließend zu beurteilen, ob es ihr möglich sei, einen syrischen Pass zu erhalten. 5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG, in welcher sie zusammengefasst ausführte, dass die Behörde in keiner Weise ihre individuelle Situation ermittelt habe, obwohl aus den eingebrachten Stellungnahmen hervorgehe, dass sie und ihr Ehemann sich nicht an die Botschaft wenden könnten und wollten und es ihr somit faktisch nicht möglich sei, einen Reisepass zu besorgen. Die belangte Behörde habe den Inhalt der Stellungnahmen offenbar gänzlich ignoriert. Sie und ihre Familie befürchteten, dass im Fall einer Kontaktaufnahme mit der syrischen Botschaft Informationen durch Botschaftsmitarbeiter an andere Personen in Syrien weitergegeben werden könnten. Aufgrund des Vorbringens hätte die Behörde entsprechende Ermittlungen bezüglich der Folgen einer Flucht aus Syrien und die Auswirkungen auf Familienmitglieder in Syrien tätigen müssen. In Syrien lebten noch ihre Eltern sowie ihre zwei Brüder. Die Mutter und der Bruder ihres Ehegatten befänden sich ebenfalls noch in Syrien. Ihr Ehegatte sei asylberechtigt gewesen und besitze nun die österreichische Staatsbürgerschaft. Schon allein aus diesem Grund hätte die Behörde ermitteln müssen, ob Daten der Botschaft auf irgendeinem Weg nach Syrien gelangten, wo Angehörige dann verfolgt würden. Mit ihrer Flucht hätten sie ihre regierungsfeindliche Gesinnung dem herrschenden Regime gegenüber verdeutlicht. Ihre restlichen Familienmitglieder seien nach Europa geflohen. Ohne die Einholung weiterer Informationen sei es der Behörde nicht möglich gewesen, abschließend zu beurteilen, ob es ihr möglich sei, einen syrischen Pass zu erhalten.

6. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG, § 21 BFA-VG durch, an welcher sich die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Rechtsvertretung persönlich beteiligte. 7. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß Paragraph 24, VwGVG, Paragraph 21, BFA-VG durch, an welcher sich die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Rechtsvertretung persönlich beteiligte.

In der Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage, insbesondere durch Vernehmung der Beschwerdeführerin, Besprechung der Verfahrensakten und der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel/Urkunden, Vernehmung ihres Ehemannes als Zeugen, Einräumung von Parteiengehör und Aktualisierung der Länderberichte, erörtert und geklärt.

Die Beschwerdeführerin wiederholte ihr bisheriges Vorbringen und verwies insbesondere darauf, dass es ihr wegen ihres Ehemannes nicht zumutbar sei, einen neuen syrischen Reisepass zu beantragen. Eine Kontaktaufnahme mit der syrischen Botschaft würde sie und ihre in Österreich und in Syrien lebenden Familienangehörigen/Verwandten in den Fokus der syrischen Behörden rücken und sie in Gefahr bringen. Selbst wenn diese derzeit in einer Region lebten, die sich nicht unter der vollen Kontrolle des syrischen Regimes befinde, bedeutet dies nicht, dass das syrische Regime nicht dauerhaft keine Zugriffsmöglichkeiten auf die Familienangehörigen/Verwandten hätte bzw. dass diese nicht in Gefahr wären, beispielsweise bei Verlassen der Region oder bei einem Checkpoint. Die Kontaktaufnahme sei daher nicht zumutbar.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin gab als Zeuge vernommen insbesondere an, sei Name stehe immer noch auf der Suchliste der syrischen Behörden. Nach seiner Ausreise habe der syrische Geheimdienst seinen Bruder und seinen Vater mehrmals seinetwegen verfolgt.

8. In der Folge gab die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme vom 29.04.2024 ab, in der sie neuerlich ausführte, dass die Kontaktaufnahme mit der syrischen Botschaft jedenfalls ein zusätzliches Sicherheitsrisiko für ihre in Syrien verbliebenen Angehörigen und Verwandten und für ihren Ehemann darstelle und die Passbeantragung ihr daher nicht zumutbar sei.

9. Die belangte Behörde gab mit Schriftsatz vom 06.05.2024 eine Stellungnahme ab, in der sie unter Vorlage der Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 12.12.2022 und 23.11.2017 ausführte:

„In den Jahren 2016 und 2017 wurden für syrische Staatsbürger, welche über den Status des subsidiär Schutzstatus verfügten, durch das Bundesamt Fremdenpässe gem. § 88 Abs. 2a FPG ausgestellt. Der Kontakt zur syrischen Botschaft stellte sich, für in Österreich lebende syrische Staatsbürger, als kompliziert dar und war eine Passbeantragung mit einer Personenüberprüfung durch die Botschaft verbunden. Weiters ist den Anfragen der Staatendokumentation zu entnehmen, dass bei der Antragstellung auf der Botschaft zusätzliche Zahlungen an Beamte der syrischen Botschaft gefordert wurden. „In den Jahren 2016 und 2017 wurden für syrische Staatsbürger, welche über den Status des subsidiär Schutzstatus verfügten, durch das Bundesamt Fremdenpässe gem. Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG ausgestellt. Der Kontakt zur syrischen Botschaft stellte sich, für in Österreich lebende syrische Staatsbürger, als kompliziert dar und war eine Passbeantragung mit einer Personenüberprüfung durch die Botschaft verbunden. Weiters ist den Anfragen der Staatendokumentation zu entnehmen, dass bei der Antragstellung auf der Botschaft zusätzliche Zahlungen an Beamte der syrischen Botschaft gefordert wurden.

Eine genaue Stellungnahme, aus welchem Grund der [Beschwerdeführerin] im Jahr 2016 und 2017 ein Fremdenpass ausgestellt wurde, kann nicht mitgeteilt werden, da zum damaligen Zeitpunkt bei einer Passausstellung keine Begründung oder Aktenvermerk angelegt wurde.

Erstmals wurde durch die [Beschwerdeführerin] am 30.12.2014 ein Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses gem. § 88 Abs. 2a FPG gestellt. Da [die Beschwerdeführerin] jedoch im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses war, wurde dieser Antrag abgewiesen. Im Bescheid wurde festgehalten:
zu den Gründen für die Versagung des Fremdenpasses: Es wurde Ihnen mitgeteilt, dass eine Bestätigung der syrischen Botschaft, dass Sie keinen nationalen Reisepass erhalten, für die Ausstellung eines Fremdenpasses erforderlich ist. Sie haben keine Stellungnahme abgegeben.
Sie verfügen über einen syrischen Inlandsreisepass Nr. XXXX ausgestellt von XXXX gültig XXXX 2011 bis XXXX 2017.
Erstmals wurde durch die [Beschwerdeführerin] am 30.12.2014 ein Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses gem. Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG gestellt. Da [die Beschwerdeführerin] jedoch im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses war, wurde dieser Antrag abgewiesen. Im Bescheid wurde festgehalten:
zu den Gründen für die Versagung des Fremdenpasses: Es wurde Ihnen mitgeteilt, dass eine Bestätigung der syrischen Botschaft, dass Sie keinen nationalen Reisepass erhalten, für die Ausstellung eines Fremdenpasses erforderlich ist. Sie haben keine Stellungnahme abgegeben.
Sie verfügen über einen syrischen Inlandsreisepass Nr. römisch 40 ausgestellt von römisch 40 gültig römisch 40 2011 bis römisch 40 2017.

Danach folgte die Ausstellung des Fremdenpasses mit der Nummer XXXX , gültig von XXXX 2016 bis XXXX 2017. Warum dieser Fremdenpass, trotz des bereits bestehenden gültigen syrischen Reisedokumentes ausgestellt wurde, kann nicht festgestellt werden, da grundsätzlich, der Besitz eines gültigen syrischen Reisedokuments zu einer Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Fremdenpasses führen würde.Danach folgte die Ausstellung des Fremdenpasses mit der Nummer römisch 40 , gültig von römisch 40 2016 bis römisch 40 2017. Warum dieser Fremdenpass, trotz des bereits bestehenden gültigen syrischen Reisedokumentes ausgestellt wurde, kann nicht festgestellt werden, da grundsätzlich, der Besitz eines gültigen syrischen Reisedokuments zu einer Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Fremdenpasses führen würde.

Anschließend verlor der syrische Reisepass seine Gültigkeit und der Partei wurde auf Antrag ein Fremdenpass mit der Nummer XXXX , gültig von XXXX 2017 bis XXXX 2022 ausgestellt. Eine Einschränkung der Gültigkeitsdauer findet nur auf Antrag oder bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach vorangegangenem Ermittlungsverfahren statt.Anschließend verlor der syrische Reisepass seine Gültigkeit und der Partei wurde auf Antrag ein Fremdenpass mit der Nummer römisch 40 , gültig von römisch 40 2017 bis römisch 40 2022 ausgestellt. Eine Einschränkung der Gültigkeitsdauer findet nur auf Antrag oder bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach vorangegangenem Ermittlungsverfahren statt.

Mittlerweile wurde ein Onlineportal für die Beantragung von syrischen Dokumenten eingerichtet. Aus der Anfrage der Staatendokumentation vom 12.12.2022 ist zu entnehmen (Seite 6, Anfrage der Staatendokumentation vom 12.12.2022):
„Darüber hinaus hat die syrische Regierung eine Möglichkeit zur Passbeantragung über ein Online-Portal geschaffen, das auch von Österreich aus genutzt werden kann. Das Online-Portal soll Syrern die Möglichkeit bieten, Bestechung und Korruption zu umgehen und unerwünschte oder sogar riskante Kontakte mit Regierungsbeamten einzuschränken Die syrische Regierung hofft außerdem aufsteigende Einnahmen, wenn mehr Syrer in der Lage sind, ihre Dokumente ohne Bestechungsgelder und zusätzliche Zahlungen an sogenannte Fixer zu beschaffen. [Anm.: zur Umsetzung des Portals in der Praxis konnten im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche nur wenige Informationen gefunden werden].“

Seite 11, Beilage A – Anfrage der Staatendokumentation vom 12.12.2022)
Das Center for Operational Analysis and Research (COAR), ein internationales Beratungsunternehmen für Politik und Entwicklung, berichtete am 13.12.2021 ebenfalls von der Einführung des „Online-Portals für syrische Auslandsdienste“. Bei dem Portal handle es sich praktisch um ein Online-Konsulat, über das im Ausland lebende Syrer konsularische Dienste in Anspruch nehmen und Dokumente, einschließlich Pässe, beantragen können. Diese neuen Dienstleistungen sollten vor dem Hintergrund der laufenden Anpassung der syrischen Regierung an die neue Realität nach einem Jahrzehnt des Konflikts gesehen werden, in dem die staatlichen Stellen weitgehend als gewinnbringende Instrumente eingesetzt werden. Das "Online-Konsulat" kann Syrern die Möglichkeit bieten, Bestechung und Korruption zu umgehen und unerwünschte oder sogar riskante Kontakte mit Regierungsbeamten einzuschränken, während die Regierung hofft, dass ihre Einnahmen steigen, da mehr Syrer in der Lage sind, ihre Dokumente ohne Bestechungsgelder und zusätzliche Zahlungen an Fixer zu beschaffen. Ohne Reformen der zugrundeliegenden Verwaltungs-, Aufzeichnungs- und Registrierungssysteme werden die Syrer jedoch wahrscheinlich weiterhin Probleme haben, ihre Eigentumsrechte geltend zu machen, benötigte Dokumente zu erwerben und überhaupt Zugang zu staatlichen Dienstleistungen zu erhalten.

Weiters ist aus mehreren Anfragen zu entnehmen, dass die syrische Botschaft mittlerweile Reisepässe ausstellt und die Beantragung solcher u.a. online möglich ist.

Eine Anfragebeantwortung von der Staatendokumentation betreffend Ausstellung von Reisepässen bei der syrischen Botschaft in Wien vom 23.11.2017 wurde folgendes mitgeteilt:

Ein von der Konsularabteilung der syrischen Botschaft Wien übermitteltes Dokument listet die zur Ausstellung eines Reisepasses nötigen Dokumente auf:
– Das Formular zur Ausstellung eines Reisepasses (Formular der Botschaft) persönlich in der Botschaft ausgefüllt und unterzeichnet.
– 6 Passfotos.
– Eine Kopie des alten Reisepasses.
– Personalausweis oder ein beglaubigter Zivilregisterauszug, der nicht älter als 3 Monate ist, mit einem Foto darauf, das den offiziellen Stempel trägt, um den Pass das erste Mal zu beantragen.
– In dem Dokument wird außerdem darum gebeten alle erforderlichen Personendokumente mit den Kopien vorzulegen.

Einer weiteren Anfragebeantwortung von der Staatendokumentation betreffend Ausstellung von Reisepässen bei der syrischen Botschaft in Wien vom 12.12.2022 ist zu entnehmen, dass als Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses durch die syrische Botschaft in Wien das Vorweisen diverser Dokumente notwendig ist. Für die Beantragung ist ein persönliches Erscheinen in der Konsularabteilung erforderlich, eine Terminvereinbarung ist nicht notwendig.

Weiters ist der Staatendokumentation vom 12.12.2022 zu entnehmen, dass die syrische Botschaft in Wien Reisedokumente für alle syrischen Staatsbürger, ohne Einschränkungen, ausstellt. Das Gesetzesdekret sieht die Ausstellung von Pässen für alle Syrer innerhalb und außerhalb des Landes vor, ohne jegliche Diskriminierung zwischen Regimegegnern und Regimebefürwortern, wobei die gleichen Regeln für diejenigen gelten sollen, die das Land illegal verlassen haben.

Gemäß § 88 Abs. 2a FPG sind Fremdenpässe Fremden auszustellen, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen.Gemäß Paragraph 88, Absatz 2 a, FPG sind Fremdenpässe Fremden auszustellen, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen.

Die Erteilungsvoraussetzung, die Nichtausstellung eines heimatstaatlichen Reisedokuments nachzuweisen, wurde nicht erfüllt.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1. Zur Lage in Syrien:

1.1.1. Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11, Datum der Veröffentlichung: 2024-03-27:

Sicherheitslage/Gebietskontrolle:

Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen …:

Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo 50 die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024). Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021). Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa’at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa’at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo 50 die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024). Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021). Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa’at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa’at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der ’Syrian National Army’ (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021)

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024). SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als „Hauptschauplatz für den Aufstand des IS“ (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024). Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023). Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (ISAngehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023). Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024).Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024). SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als „Hauptschauplatz für den Aufstand des IS“ (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024). Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023). Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (ISAngehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vergleiche NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023). Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024).

Folter und unmenschliche Behandlung

Im März 2022 wurde ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet (HRW 11.1.2024). Das Gesetz Nr. 16 von 2022 sieht Strafen von drei Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe vor (OSS 18.1.2023b). Die Todesstrafe gilt für Folter mit Todesfolge oder in Verbindung mit einer Vergewaltigung (HRW 12.1.2023). Eine lebenslange Strafe ist für Fälle vorgesehen, in welchen Kinder oder Menschen mit Beeinträchtigungen gefoltert wurden oder das Opfer einen permanenten Schaden davonträgt (OSS 18.1.2023b). Das Gesetz verbietet auch das Anordnen von Folter durch Behörden (HRW 12.1.2023). Es weist jedoch wichtige Lücken auf, und die Anwendung bleibt unklar. So werden keine Organisationen genannt, auf welche das Gesetz angewendet werden soll. Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats einschließlich der Zollbehörden sowie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen (OSS 18.1.2023), was durch Dekrete gedeckt ist (OSS 1.10.2017b, STJ 12.7.2022) - ebenso wie Gefängnisse (OSS 18.1.2023b). Dort wurden und werden Zehntausende gefoltert (OSS 18.1.2023b, FH 9.3.2023), und zahlreiche Menschen starben in der Haft oder man ließ sie "verschwinden" (FH 9.3.2023). SNHR kritisiert unter anderem, dass das Gesetz keine Folterstraftaten, die vor seinem Erlass begangen wurden, umfasst, keinen Bezug auf grausame Haftbedingungen nimmt und andere Gesetze, welche Angehörigen der vier Geheimdienste Straffreiheit gewähren, weiterhin in Kraft bleiben (SNHR 26.6.2022). Weitere NGOs kritisieren außerdem, dass das Gesetz keine konkreten Schutzmaßnahmen für Zeugen oder Überlebende von Folter sowie keine Wiedergutmachungen vorsieht, und zwar weder für frühere Folteropfer noch für die Angehörigen im Falle des Todes. Auch beinhaltet das Gesetz keine Präventionsmaßnahmen, die ergriffen werden könnten, um Folter in Haftanstalten und Gefängnissen zukünftig zu verhindern (AI 31.3.2022).

Der Einsatz von Folter, des Verschwindenlassens und schlechter Bedingungen in den Gefängnissen ist keine Neuheit seit Ausbruch des Konflikts, sondern war bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019). Folter bleibt eine der meisten schweren Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung und ist breit dokumentiert (STJ 12.7.2022). Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung u. a., sodass die Zustände insgesamt lebensbedrohlich sind. Die Regierung hält wei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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