Entscheidungsdatum
11.10.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W217 2294820-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX . vom 05.06.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion römisch 40 , Außenstelle römisch 40 . vom 05.06.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 04.08.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er stamme aus XXXX , in Syrien herrsche Krieg, es gebe dort keine Arbeit und er könne dort nicht leben. Er sei mit seinem Bruder XXXX gemeinsam nach Österreich gereist. Sein Bruder XXXX lebe bereits seit 2020 in Österreich. 1. Der Beschwerdeführer stellte am 04.08.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er stamme aus römisch 40 , in Syrien herrsche Krieg, es gebe dort keine Arbeit und er könne dort nicht leben. Er sei mit seinem Bruder römisch 40 gemeinsam nach Österreich gereist. Sein Bruder römisch 40 lebe bereits seit 2020 in Österreich.
2. Am 04.06.2024 wurde der Beschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), niederschriftlich einvernommen.
Im Zuge der Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, er habe bis 2012 in XXXX , in der Stadt XXXX und Anfang 2012 in XXXX gelebt. Er sei verheiratet. Seine Eltern, seine Ehefrau und sein Bruder XXXX würden in der Türkei leben. Er habe Syrien im Jahr 2013 verlassen und habe anschließend für zehn Jahre in der Türkei gelebt. Sein Bruder XXXX sei in Österreich asylberechtigt. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, er sei sehr jung gewesen. Die Al Nusra Front sei nach XXXX gekommen und es hätten Kampfhandlungen mit der Regierung stattgefunden. Daher habe die Familie entschieden, nach XXXX zu gehen. Nachdem sein Bruder durch eine Autobombe tödlich verletzt wurde, habe der Vater entschieden, dass die Familie Syrien verlasse.Im Zuge der Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, er habe bis 2012 in römisch 40 , in der Stadt römisch 40 und Anfang 2012 in römisch 40 gelebt. Er sei verheiratet. Seine Eltern, seine Ehefrau und sein Bruder römisch 40 würden in der Türkei leben. Er habe Syrien im Jahr 2013 verlassen und habe anschließend für zehn Jahre in der Türkei gelebt. Sein Bruder römisch 40 sei in Österreich asylberechtigt. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, er sei sehr jung gewesen. Die Al Nusra Front sei nach römisch 40 gekommen und es hätten Kampfhandlungen mit der Regierung stattgefunden. Daher habe die Familie entschieden, nach römisch 40 zu gehen. Nachdem sein Bruder durch eine Autobombe tödlich verletzt wurde, habe der Vater entschieden, dass die Familie Syrien verlasse.
Er habe den Militärdienst nicht absolviert, Dokumente aus Syrien habe er keine, da er sehr jung ausgereist sei. Im Falle seiner Rückkehr nach Syrien werde er einberufen, da er im wehrdienstfähigen Alter sei.
Im Falle seiner Rückkehr würde er inhaftiert und zu Tode gefoltert werden.
Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer einen türkischen Führerschein im Original sowie ein Familienbuch in Kopie vor.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). 3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Die belangte Behörde führte im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht.
4. Mit Schriftsatz vom 01.07.2024 erhob der Beschwerdeführer binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides.4. Mit Schriftsatz vom 01.07.2024 erhob der Beschwerdeführer binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides.
Diese wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass dem Beschwerdeführer ein zwangsweiser Einzug zum verpflichtenden Wehrdienst bei der syrischen Armee bzw. ein Einsatz an der Front und damit zusammenhängend eine erhebliche Gefahr für sein Leben und der Zwang, sich an schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu beteiligen, drohen würden. Der Beschwerdeführer verweigere den Wehrdienst aus politischen und Gewissensgründen, weshalb ihm massive Repressionen durch die syrischen Behörden drohe. Ein Freikauf vom Wehrdienst sei dem Beschwerdeführer nicht möglich bzw. zumutbar. Ferner könne der Beschwerdeführer seinen Herkunftsort nicht sicher und legal erreichen, ohne mit dem syrischen Regime vorher zwangsläufig in Berührung zu kommen. Bereits die Tatsache, dass der Beschwerdeführer illegal aus Syrien ausgereist sei und aus einem oppositionellen Gebiet stamme, würde dazu führen, dass die syrischen Behörden ihm eine oppositionelle Gesinnung zuschreiben würden. Darüber hinaus werde der Bruder des Beschwerdeführers – wie vom Bundesverwaltungsgericht unter GZ W209 2258755-1/3E festgestellt – vom syrischen Regime aus politischen Gründen verfolgt, weshalb für den Beschwerdeführer auch die Gefahr bestehe, wegen seiner Familienangehörigeneigenschaft zu seinem Bruder inhaftiert und gefoltert zu werden.
5. Mit Schriftsatz vom 01.07.2024 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.09.2024 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Entsendung eines Vertreters.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der volljährige Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist gesund und erwerbsfähig. Seine Identität steht nicht fest.
Er ist verheiratet und hat keine Kinder. Seine Eltern, seine Ehefrau und sein Bruder XXXX leben in der Türkei. Zwei Brüder leben in Österreich, davon ist einer asylberechtigt.Er ist verheiratet und hat keine Kinder. Seine Eltern, seine Ehefrau und sein Bruder römisch 40 leben in der Türkei. Zwei Brüder leben in Österreich, davon ist einer asylberechtigt.
Der Beschwerdeführer ist in der Stadt XXXX geboren und hat dort ungefähr sieben Jahre gelebt. Danach ist er mit seiner Familie nach XXXX , im Gouvernement Idlib, umgezogen. Anschließend zog er von 2011 bis 2012 nach XXXX und danach bis Ende 2013 nach XXXX , von wo aus er mit seiner Familie in die Türkei ausreiste. Der Beschwerdeführer ist in der Stadt römisch 40 geboren und hat dort ungefähr sieben Jahre gelebt. Danach ist er mit seiner Familie nach römisch 40 , im Gouvernement Idlib, umgezogen. Anschließend zog er von 2011 bis 2012 nach römisch 40 und danach bis Ende 2013 nach römisch 40 , von wo aus er mit seiner Familie in die Türkei ausreiste.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer besuchte die Schule in Syrien ca. bis zur fünften oder sechsten Klasse, in der Türkei sodann bis zur neunten oder zehnten Klasse. In der Türkei arbeitete der Beschwerdeführer ca. drei bis vier Jahre als Taxifahrer und Tischler.
Die Stadt XXXX im Gouvernement Idlib, welcher vom Beschwerdeführer als Heimatort bezeichnet wird, liegt im Einfluss-und Kontrollbereich der HTS. Die Stadt römisch 40 im Gouvernement Idlib, welcher vom Beschwerdeführer als Heimatort bezeichnet wird, liegt im Einfluss-und Kontrollbereich der HTS.
Ende 2013 reiste der Beschwerdeführer von Syrien in die Türkei aus und gelangte mithilfe eines Schleppers nach Österreich, wo er am 04.08.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und es wurde ihm eine für ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Er ist strafgerichtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund gesetzt.
1.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
1.2.1 Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien in seine Herkunftsregion, die Stadt XXXX im Gouvernement Idlib, ist der Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr der Verfolgung durch das syrische Regime bzw. einer Einberufung zum Militärdienst zur syrischen Armee ausgesetzt. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers steht nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung, sondern unter jener der HTS. 1.2.1 Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien in seine Herkunftsregion, die Stadt römisch 40 im Gouvernement Idlib, ist der Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr der Verfolgung durch das syrische Regime bzw. einer Einberufung zum Militärdienst zur syrischen Armee ausgesetzt. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers steht nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung, sondern unter jener der HTS.
1.2.2 Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst zur syrischen Armee bisher nicht abgeleistet, er wurde nie aufgefordert, diesen abzuleisten und hat auch nie einen diesbezüglichen schriftlichen Einberufungsbefehl erhalten. Ebenso hat er kein Wehrdienstbuch.
In der Provinz Idlib sind regimefeindliche Milizen, insbesondere die HTS, an der Macht. Das syrische Regime bzw. dessen Sicherheits- und Militärbehörden können im Heimatort des Beschwerdeführers nicht auf ihn (oder eine andere Person) greifen, auch wenn das syrische Militär schon in das Gouvernement Idlib vorgedrungen ist. Die militärische Lage ist aber derzeit stabil. Es ist nicht zu sehen, dass das syrische Militär in nächster Zukunft die Stadt XXXX einnehmen würde.In der Provinz Idlib sind regimefeindliche Milizen, insbesondere die HTS, an der Macht. Das syrische Regime bzw. dessen Sicherheits- und Militärbehörden können im Heimatort des Beschwerdeführers nicht auf ihn (oder eine andere Person) greifen, auch wenn das syrische Militär schon in das Gouvernement Idlib vorgedrungen ist. Die militärische Lage ist aber derzeit stabil. Es ist nicht zu sehen, dass das syrische Militär in nächster Zukunft die Stadt römisch 40 einnehmen würde.
1.2.3 Dem Beschwerdeführer droht auch nicht die Gefahr von der HTS zwangsrekrutiert zu werden. Anders als die Regierung und die SDF, erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten herrscht auch kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Versuche seitens der HTS, den Beschwerdeführer zu rekrutieren, gab es nicht.
1.2.4 Der Beschwerdeführer kann nach Syrien in seinen Herkunftsort über den syrisch-türkischen Grenzübergang Bab al-Hawa einreisen. Das Gebiet des Grenzübergangs wird von der HTS kontrolliert. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers ist ohne Kontakt mit dem syrischen Regime erreichbar.
1.2.5 Der Beschwerdeführer ist keine politisch exponierte Person oder politisch aktiv.
1.2.6 Ferner droht dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, aufgrund der Familienzugehörigkeit bzw. der Verwandtschaft zu seinem Bruder, vom syrischen Regime verfolgt zu werden.
1.2.7 Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung im Ausland, seiner Herkunft aus XXXX oder einer ihm allfällig unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung.1.2.7 Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung im Ausland, seiner Herkunft aus römisch 40 oder einer ihm allfällig unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung.
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Syrien aus Gründen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner konkreten Gefährdung ausgesetzt.
1.3 Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:
● das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024 (LIB)
● EASO/EUAA Country Guidance Syrien (vom 07.02.2023) samt deren Spartendokumenten,
● Screenshot „Türkiye Syria: Border Crossings Status (18 April 2023)“ von Türkiye Syria: Border Crossings Status (18 April 2023) [EN/AR/TR] - Syrian Arab Republic ReliefWeb, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/OCHA – Turkey – Syria: Border Crossings Status, 18.04.2023
● UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/OCHA – Turkey – Syria: Border Crossings Status, 18.04.2023, https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/turkiye-syria-border-crossings-status-18-april-2023-enartr; OCHA – Turkey – Syria: border crossing status, https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/turkey-syria-border-crossings-status-30-april-2022-enartr; NPA – North Press Agency, 09.05.2022, https://npasyria.com/en/77441/; ACCORD-Anfragebeantwortung [a-11859-2], https://www.ecoi.net/de/dokument/2073438.html)
● Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 14.11.2022: Durchreise syrischer Staatsbürger durch die Türkei nach Syrien
● Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.10.2022 zum Thema: Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung
● Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien-Grenzübergänge aus dem COI-CMS Stand 25.10.2023
● Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Syrien, Wehrdienst vom 27.01.2022
● Information der Staatendokumentation Syrien: Wehrdienstverweigerer an syrischen Grenzübergängen inklusive Hinweise auf bereits erstellte Informationen vom 17. August 2023
● EASO: Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, Stand: Juni 2021
● Country of Origin Information (COI), Brief Report, Syria, Treatment upon Return, May 2022
● EASO (nunmehr EUAA) Syria Military service Country of Origin Information Report April 2021
● EUAA Country Guidance Syria Februar 2023
● EUAA Country of Origin Information Syria Security Situation von September 2022
● ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion (a-11951) vom 08.09.2022
1.3.1 Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:
„3 Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
3.1. Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 2024-03-08 11:06
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das "Volksrat" genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba'ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 Prozent (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).
Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.2.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.3.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022).
Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.3.2023).
3.2. Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Letzte Änderung 2023-07-11 09:24
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).
In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto