TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/6 93/15/0061

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Veröffentlicht am 06.04.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §263 Abs1;
BAO §270 Abs1;
BAO §270 Abs2;
BAO §270 Abs3;
BAO §299 Abs1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerde des W in R, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 5. Jänner 1993, Zl. 6/1-1143/92-08, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 1985, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Berufungssenat II der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland die vom Beschwerdeführer gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes Wien-Umgebung des Landes Niederösterreich für das Jahr 1985 erhobene Berufung unter gleichzeitiger Neufestsetzung der Abgabe als unbegründet ab. Diese Berufungsentscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 9. Februar 1993 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 263 Abs. 1 BAO sieht vor, daß für den Bereich jedes Bundeslandes eine Berufungskommission zu bilden ist, deren Geschäfte der Präsident der Finanzlandesdirektion leitet.

Gemäß § 270 Abs. 1 BAO bildet der Präsident der Finanzlandesdirektion aus der Berufungskommission (§ 263) die Berufungssenate und weist diesen die Senatsmitglieder und Stellvertreter in erforderlicher Anzahl zu.

Nach Abs. 2 der zuletzt zitierten Gesetzesstelle sind die Zusammensetzung der Berufungssenate und deren Geschäftsverteilung, die der Präsident der Finanzlandesdirektion bestimmt, durch Anschlag an der Amtstafel zu veröffentlichen.

Gemäß dem ersten Satz des § 270 Abs. 3 BAO in der Fassung vor Art. XXIV Z. 24 des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. Nr. 818/1993, entscheidet über Berufungen gemäß § 260 Abs. 2 leg. cit. ein fünfgliedriger Berufungssenat, der sich aus dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion oder einem von ihm bestimmten rechtskundigen Finanzbeamten als Vorsitzenden und vier Beisitzern zusammensetzt. Nach dem folgenden Satz haben von den Beisitzern einer der Gruppe der ernannten und drei der Gruppe der entsendeten Mitglieder der Berufungskommission anzugehören.

Die im Zeitpunkt der kollegialen Beschlußfassung und Zustellung des angefochtenen Bescheides maßgebende Fassung der gemäß § 270 Abs. 2 BAO kundgemachten Geschäftsverteilung sieht für den Berufungssenat II keine Zuständigkeit zur Entscheidung über Berufungen gegen erstinstanzliche Bescheide des Finanzamtes Wien-Umgebung vor; vielmehr ist zur Entscheidung über Berufungen gegen Umsatzsteuerbescheide (ausgenommen Einfuhrumsatzsteuerbescheide) des Finanzamtes Wien-Umgebung mit hier nicht bedeutsamen Ausnahmen der Berufungssenat IX der in Rede stehenden Finanzlandesdirektion zuständig. Bei Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers wurde aber nicht nur die in Rede stehende Geschäftsverteilung verletzt, sondern war der Berufungssenat darüber hinaus auch unrichtig zusammengesetzt; gehören doch den genannten Berufungssenaten deswegen andere als die gesetzlich berufenen Personen als entsendete Mitglieder an, weil diese Mitglieder nicht der für den Bereich des Bundeslandes Niederösterreich, sondern der für den Bereich der Bundeshauptstadt Wien gebildeten Berufungskommission entstammen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Kollegialorgan, das nicht in der nach dem Gesetz vorgeschriebenen Besetzung entscheidet, als unzuständige Behörde im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG anzusehen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 583 Abs. 5, zitierten hg. Erkenntnisse). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird durch die Entscheidung einer gesetzwidrig zusammengesetzten Kollegialbehörde das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. z.B. VfSlg. Nr. 8865/1980, auf welches auch Stoll, Kommentar zur BAO, 2670, hinweist).

Entscheidungen eines nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgans einer Behörde können ebenso wie Entscheidungen einer im engeren Sinn unzuständigen Behörde gemäß § 299 Abs. 1 lit. a BAO von der Oberbehörde in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufgehoben werden.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit einer Behörde ist, sofern sich aus den Verwaltungsvorschriften nichts anderes ergibt, immer der Zeitpunkt der Vornahme der Amtshandlung, bei Bescheiden somit der Zeitpunkt ihrer Erlassung oder Verkündung (vgl. das zu § 6 Abs. 1 AVG ergangenen hg. Erkenntnis vom 11. April 1984, Zl. 82/11/0358).

Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß der Vorsitzende des Berufungssenates II der belangten Behörde die Unzuständigkeit dieses Senates sehr wohl erkannt, aber offenbar deswegen darüber hinweggesehen hat, weil ein sachlicher Zusammenhang mit den Berufungen der W GesmbH & Co KG besteht und der Beschwerdeführer keinen Einwand gegen die Entscheidung durch den Berufungssenat II vorbrachte.

Hiebei wurde aber übersehen, daß für eine Verschiebung der Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers vom Berufungssenat IX auf den Berufungssenat II keine gesetzliche Grundlage besteht und daß der zuletzt genannte Berufungssenat durch seine schon erwähnte unrichtige Zusammensetzung zur Entscheidung nicht zuständig war.

Die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl. hiezu Dolp, a.a.O., 581 Abs. 5).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Für das fortzusetzende Verfahren sei aus Zweckmäßigkeitsgründen schon jetzt darauf aufmerksam gemacht, daß im nunmehrigen Beschwerdefall die im hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1988, Zl. 86/14/0140, vermißten Sachverhaltsfeststellungen analog zu treffen sein werden. Der nach OZ 10/3 und 4 der Verwaltungsakten ergangene Vorhalt bezieht sich schon nach seinem allerdings nur teilweise aktenkundigen Inhalt nicht auf den nunmehr strittigen Rechtserwerb.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Stempelgebührenersatz war über den Schriftsatzaufwand hinaus nur insoweit zuzubilligen, als die Beschwerdebeilagen zur Beschwerdeführung erforderlich waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993150061.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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