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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die in Abwesenheit des Rechtsanwaltes verhängte Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von zwei MonatenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird daher abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer, er ist Rechtsanwalt in Wien, wurde mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. November 1987, Zlen. D 43/85, D 130/86, D 151/86, D 166/86, D 192/86 und D 224/86, wegen mehrfacher Vergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zur Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von zwei Monaten und zum Ersatz der anteiligen Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.
1.2. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK). Die Berufungsverhandlung wurde für 30. September 1991 anberaumt. Sie wurde jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt, als kurz vor Aufruf der Sache ein Telegramm des Beschwerdeführers einlangte, in welchem er mitteilte, daß er der Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben müsse und eine ärztliche Bestätigung darüber nachreichen werde. In der Folge wurde als Verhandlungstermin einvernehmlich der 18. November 1991 festgelegt. Als sich jedoch auch an diesem Termin der Beschwerdeführer mit neuerlich knapp vor Verhandlungsbeginn einlangendem Telegramm aus gesundheitlichen Gründen entschuldigte, beschloß die OBDK, welche die Voraussetzungen des §35 des Disziplinarstatutes 1990 (DSt 1990) als gegeben erachtete, zur Vermeidung weiterer Verzögerungen das Verfahren in Abwesenheit des Beschuldigten durchzuführen und das Erkenntnis ohne dessen Beisein zu fällen. In dem in der Folge ergangenen Erkenntnis wurde der Berufung des Beschuldigten keine Folge gegeben. Außerdem wurden ihm die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
1.3.1. Gegen dieses Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher mit näherer Begründung die Verletzung des Beschwerdeführers in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf ein faires Verfahren gerügt sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
1.3.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde mangels der Voraussetzungen des Art144 Abs1 letzter Satz B-VG zurückzuweisen bzw. der Beschwerde nicht Folge zu geben.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:
2.1. Die belangte Behörde hält die Beschwerde für unzulässig; hiezu führt sie aus:
"Vorausgeschickt sei, daß der Beschwerdeführer inhaltlich seiner Beschwerdeschrift offenbar in der Lage gewesen wäre, für seine Verhinderung, an der Berufungsverhandlung am 18. November 1991 teilzunehmen, eine 'ausreichende Entschuldigung nachzubringen' (siehe S 9 der Beschwerdeschrift). Verbunden mit einem gemäß §§51 Abs4, 35 DSt 1990 zu erhebenden Einspruch gegen das in seiner Abwesenheit am 18. November 1991 gefällte Erkenntnis hätte er die rechtliche Möglichkeit gehabt, allenfalls eine neue Berufungsentscheidung zu erwirken. So gesehen erscheint daher die Beschwerde mangels der Voraussetzungen des Art144 Abs1 letzter Satz B-VG unzulässig."
2.2. Gemäß Art144 B-VG ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof das Vorliegen eines letztinstanzlichen Bescheides einer Verwaltungsbehörde (VfSlg. 9232/1981 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) bzw. - seit der B-VG-Novelle 1988 - das Vorliegen eines Bescheides eines unabhängigen Verwaltungssenates. Wie der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof übereinstimmend ausgesprochen haben, kann von der Erschöpfung des Instanzenzuges nur gesprochen werden, wenn "der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren von den ihm gebotenen Rechtsmitteln restlos Gebrauch gemacht hat" (VwSlg. 1087 F/1955; VfSlg. 3305/1958). Der Weg zum Verfassungsgerichtshof steht nur dann offen, wenn ein Bescheid vorliegt, der weder mit einem ordentlichen Rechtsmittel noch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf selbständig bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 11608/1988, 12113/1989).
Im gegenständlichen Fall ist in einem Verfahren gegen den Beschwerdeführer in seiner Abwesenheit ein Disziplinarerkenntnis gefällt worden. Gemäß §51 Abs4 iVm §35 DSt 1990 und §427 Abs3 StPO steht dem Beschuldigten die Möglichkeit offen, innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen ein in seiner Abwesenheit gefälltes Disziplinarerkenntnis Einspruch an die OBDK zu erheben. Wird diesem stattgegeben, weil nachweislich ein unabweisbares Hindernis das Erscheinen des Beschuldigten zur Verhandlung unmöglich gemacht hat, so ist eine neue Verhandlung anzuordnen.
Der Beschwerdeführer hat von der Möglichkeit, Einspruch zu erheben, keinen Gebrauch gemacht. Dies bedeutet aber nur, daß er der belangten Behörde nicht anlasten kann, daß er von ihr bei der Berufungsverhandlung nicht gehört worden wäre oder daß ihm von der belangten Behörde in rechtswidriger Weise die Möglichkeit abgeschnitten worden wäre, Vorbringen, die zu seiner Entlastung geführt hätten, bei der Berufungsverhandlung zu äußern. Das Unterbleiben des Einspruches bewirkt somit nur den Verlust solcher Einreden, die er im Falle eines begründeten Einspruches hätte vorbringen können; allerdings ist zu prüfen, ob die Beschwerde fristgerecht eingebracht wurde. Wie sich aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang der maßgeblichen Regelung ergibt, ist die Beschwerdefrist von sechs Wochen zur Bekämpfung des angefochtenen Bescheides ab dessen Zustellung zu berechnen. Dies wurde eingehalten. Die Beschwerde ist daher - entgegen der Meinung der belangten Behörde - zulässig.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache selbst erwogen:
3.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil er nach dem Ausscheiden des Anwaltsrichters Dr. F nicht informiert worden sei, wer dessen Stelle bei der für 18. November 1991 stattfindenden Verhandlung einnehmen solle und er diesen somit nicht hätte ablehnen können.
Hiezu genügt es festzuhalten, daß dem Beschwerdeführer bereits mit Erledigung vom 23. Juni 1988 die auch den Namen des dem Dr. F später nachgefolgten Anwaltsrichters enthaltende Liste der Mitglieder der OBDK mit der Aufforderung übermittelt wurde, binnen drei Tagen allfällige Ablehnungsgründe bekanntzugeben. Der Beschwerdeführer, dem diese Aufforderung am 28. Juni 1988 nachweislich zugekommen ist, hat weder innerhalb der genannten Frist noch später Ablehnungsgründe gegen eines der Mitglieder des erkennenden Senates geltend gemacht, der den angefochtenen Bescheid erlassen hat. Damit erübrigt es sich, auf den Beschwerdevorwurf weiter einzugehen.
3.2. Der Beschwerdeführer macht weiters eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie des Rechtes auf das "rechtliche Gehör" gemäß Art6 EMRK geltend.
Hiezu wird in der Begründung der Beschwerde insbesondere darauf hingewiesen, daß die Durchführung der Verhandlung vor der OBDK am 18. November 1991 in Abwesenheit des Beschwerdeführers sowohl einen Willkürakt darstelle, als auch gegen das "'rechtliche Gehör' gemäß Art6 MRK" verstoße. Außerdem hätte die OBDK, wenn sie die Entschuldigung des Beschwerdeführers für sein Fernbleiben von der Verhandlung vom 18. November 1991 nicht für ausreichend erachtet hätte, ihm den Auftrag zur Nachreichung einer ausreichenden Entschuldigung erteilen müssen.
Zu diesen Vorwürfen ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, daß er von der Möglichkeit eines Einspruches nach §51 Abs4 DSt 1990 keinen Gebrauch gemacht hat. Auf diese Vorwürfe ist daher nicht einzugehen.
Soweit aber der Beschwerdeführer der belangten Behörde anlastet, daß sie sein Sachvorbringen ignoriert, zurückgewiesen und als unerheblich abgetan hätte und der angefochtene Bescheid deshalb gegen das Willkürverbot verstoße, ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, daß seine völlig unsubstantiierten Ausführungen nicht geeignet sind, eine Verletzung des Gleichheitsgebotes oder der nach Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nachzuweisen. Die belangte Behörde hat sich zu jedem einzelnen Tatbestand, der dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird, mit dem Sach- und Rechtsvorbringen eingehend auseinandergesetzt und dieses in durchaus vertretbarer Weise gewürdigt. Ob die belangte Behörde richtig entschieden hat, hat der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht seines Prüfungsmaßstabes nicht zu beurteilen.
Die behauptete Verletzung des Gleichheitsgebotes und der nach Art6 EMRK gewährleisteten Rechte liegt somit nicht vor.
4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen - verfassungsrechtliche Bedenken wurden weder vorgebracht noch sind solche im Zuge des Verfahrens entstanden - ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, KollegialbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B347.1992Dokumentnummer
JFT_10078788_92B00347_2_00