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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AKG 1992;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. September 1994, Zl. UVS-07/13/00079/94, betreffend Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde unter Spruchpunkt "I. Berufungsbescheid" der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als zur Vertretung einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in W nach außen berufenes Organ (Geschäftsführer) in Bestätigung eines Straferkenntnisses des Magistrates der Stadt Wien schuldig erkannt, es verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten zu haben, daß sich in einer im Land Steiermark gelegenen Filiale des Unternehmens am 9. August 1993 ein Verstoß gegen eine Bestimmung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung ereignet habe; ein Notausgang sei mit einem Drahtkorb mit Backwaren verstellt gewesen, dies habe dem zweiten Satz des § 23 Abs. 3 AAV, wonach u.a. Notausgänge auch vorübergehend nicht verstellt sein dürfen, widersprochen. Dadurch habe er eine Übertretung nach § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes begangen. Über ihn wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Unter Spruchpunkt "II. Kostenersatzbescheid" wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 64 Abs. 3 VStG ein Barauslagenersatz vorgeschrieben.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt, mitgeteilt, daß auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet wird, und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1) Der Beschwerdeführer bekämpft laut
"Anfechtungserklärung" seiner Beschwerde den Berufungsbescheid,
"mit welchem ... das Straferkenntnis ... bestätigt und mir ...
ein Beitrag ... zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt
wurde, zur Gänze" und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerdepunkt lautet dahin, er sei in seinem Recht verletzt, für Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht bestraft zu werden, wenn er sich rechtmäßig von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit habe. Der Verwaltungsgerichtshof vermag angesichts dieser Formulierungen nicht zu erkennen, daß mit der vorliegenden Beschwerde auch der mit Spruchpunkt II ergangene Kostenersatzbescheid angefochten wäre, obwohl dieser mit dem "Berufungsbescheid" insofern in einem unabdingbaren Zusammenhang steht, als die Auferlegung eines Barauslagenersatzes nach § 64 Abs. 3 VStG die Bestrafung voraussetzt.
2) Der Beschwerdeführer behauptet, er hätte wegen des verfahrensgegenständlichen Verstoßes gegen die AAV nicht bestraft werden dürfen, weil für die betreffende Filiale verantwortliche Beauftragte im Sinne des § 9 Abs. 2 und Abs. 4 VStG bestellt worden seien.
Die belangte Behörde hat festgestellt, daß dem zuständigen Arbeitsinspektorat am 19. April 1993 die schriftliche Mitteilung über die Bestellung von zwei Personen, des zuständigen "Bezirksleiters" und der Filialleiterin, als verantwortliche Beauftragte für die in Rede stehende Filiale im Sinne des § 9 Abs. 2 und 3 (richtig wohl: Abs. 2 letzter Satz und Abs. 4) VStG zugegangen sei. Sie vertritt aber die Auffassung, daß diese Bestellung nicht dem § 23 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 entspreche und daher unwirksam sei, sodaß die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit beim Beschwerdeführer als Organ im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG geblieben sei; die namhaft gemachten Personen seien keine leitenden Angestellten.
Gemäß § 23 Abs. 2 ArbIG 1993, BGBl. Nr. 27, können Arbeitnehmer/innen für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes zu verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG rechtswirksam nur bestellt werden, wenn sie leitende Angestellte sind, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt zunächst die Auffassung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, daß der in verschiedenen arbeitsrechtlichen Vorschriften vorkommende Begriff des leitenden Angestellten nicht durchwegs denselben Begriffsinhalt hat. Die belangte Behörde führt außer dem hier zum Tragen kommenden ArbIG noch das Arbeiterkammergesetz (§ 5 Abs. 2 lit. b, wonach den Arbeiterkammern leitende Angestellte, denen dauernd maßgebender Einfluß auf die Führung des Unternehmens zusteht, nicht angehören), das Arbeitsverfassungsgesetz (§ 36 Abs. 2 Z. 3, wonach leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluß auf die Führung des Betriebes zusteht, nicht als Arbeitnehmer gelten), das Arbeitszeitgesetz (§ 1 Abs. 2 Z. 8) und das Arbeitsruhegesetz (§ 1 Abs. 2 Z. 5, nach welchen Bestimmungen leitende Angestellte, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind, vom Geltungsbereich dieser Bundesgesetze ausgenommen sind) sowie - der Sache nach ohne die Wörter "leitende Angestellte" zu verwenden - das Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen (§ 2 Abs. 2 lit. f, wonach dieses Bundesgesetz nicht für Dienstnehmerinnen, die verantwortliche Stellungen leitender oder technischer Art innehaben, gilt) an. Dieser Unterschied im Begriffsinhalt sei zunächst aus den dem Begriff des leitenden Angestellten beigegebenen zusätzlichen Umschreibungen abzuleiten. Der Begriff im § 23 Abs. 2 ArbIG sei sowohl sprachlich dem AZG und dem ARG nachgebildet als auch kämen die Schutzzwecke der genannten Regelungen einander am nächsten; in allen diesen Fällen sollen alle zu schützenden Personen keine leitenden Angestellten sein. Nur im Hinblick auf die innerbetriebliche Stellung der leitenden Angestellten sollten sie für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen verantwortlich sein. Die belangte Behörde verweist in diesem Zusammenhang in ihrer Mitteilung, auf die Erstattung einer Gegenschrift zu verzichten, auf einen in der ÖJZ 1994, S 452 ff, veröffentlichten Aufsatz ihres Mitgliedes Bachler ("Der leitende Angestellte im Arbeitsinspektionsgesetz"), welcher sich weitgehend mit der Begründung des angefochtenen Bescheides deckt.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag den zuletzt wiedergegebenen Erwägungen betreffend die Gleichsetzung des betreffenden Begriffes im AZG und ARG einerseits, im ArbIG andererseits nicht zu folgen: In den arbeitszeitrechtlichen Vorschriften geht es darum, daß Arbeitnehmer mit einer besonderen Stellung im Betrieb, die regelmäßig durch besonders hohe Verantwortung und Entlohnung gekennzeichnet ist und die damit insofern dem funktionalen Bild eines Arbeitgebers eher entspricht als dem eines typischen Arbeitnehmers, keinen Schutz vor zu hoher zeitlicher Inanspruchnahme ihrer Arbeitskraft zu genießen brauchen, weil es die Arbeitnehmer sind, die ein potentielles Schutzbedürfnis gegenüber ihren Anordnungen und Dispositionen haben, und sie selbst in der Disposition über ihre eigene Arbeitskraft in zeitlicher Hinsicht weitgehend autonom sind. Im ArbIG geht es hingegen offenbar darum, daß Arbeitnehmer, die zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden und damit dem Arbeitgeber die diesbezügliche Verantwortlichkeit abnehmen, im Sinne der grundsätzlichen Regelung des § 9 Abs. 4 VStG auch eine entsprechende Anordnungsbefugnis haben sollen, die es ihnen ermöglicht, Verstöße zu verhindern, für die sie verantwortlich gemacht werden können. Dies wird im Hinblick auf die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für einen bestimmten räumlich oder sachlich abgegrenzten Bereich des Unternehmens ein Arbeitnehmer sein, der für diesen Bereich eine spezifische Leitungsfunktion ausübt. Dazu ist es aber nicht erforderlich, daß ihm ein Einfluß auf die Unternehmensführung zukommt. Den Gesetzesmaterialien (EB zur RV 813 BlgNR 18. GP) ist bei aller aufgezeigten Unklarheit doch zu entnehmen, daß es dem Gesetzgeber im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie auf den Umfang der innerbetrieblichen Befugnisse ankommt (a.a.O. S. 33). Keinesfalls kann dem § 23 Abs. 2 ArbIG ein Inhalt unterstellt werden, der im Ergebnis dazu führt, daß Arbeitnehmer praktisch niemals zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden können, weil unter den Begriff des leitenden Angestellten nur das Management des Unternehmens (wenn auch nur dessen "zweiter Ebene") zu verstehen ist - was in anderen normativen Zusammenhängen (wie dem AKG und dem ArbVG) durchaus sinnvoll sein mag.
Ein solches Verständnis würde auch Art. 11 Abs. 2 B-VG verbieten: Der Umstand, daß Arbeitnehmer unter dem Schutz von Arbeitnehmerschutzbestimmungen stehen, macht es im Sinne dieser Verfassungsbestimmung nicht erforderlich, sie von der Bestellbarkeit zu verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen auszunehmen, solange sie eine entsprechende Anordnungsbefugnis besitzen. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß sich die Subsidiaritätsklausel ("sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen") im § 9 Abs. 1 VStG nur auf die grundsätzlich gegebene Verantwortlichkeit der zur Vertretung einer juristischen Person oder Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit nach außen berufenen Organe, nicht aber auf die Eigenschaften bezieht, die eine zum verantwortlichen Beauftragten bestellte Person nach § 9 Abs. 4 VStG aufzuweisen hat.
Bezogen auf den vorliegenden Fall liegt es im Wesen der Funktion eines Filialleiters, am Ort des Geschehens für die Einhaltung bestimmter rechtlicher Gebote und Verbote durch entsprechende Anweisungen zu sorgen; das Freihalten von Notausgängen, um das es hier geht, ist eine geradezu typische Angelegenheit, die sinnvollerweise in den Verantwortungsbereich eines Filialleiters übertragen werden kann. Die grundsätzlich gegebene Anwesenheit in den Räumlichkeiten der Filiale ermöglicht ihm die Wahrnehmung von Verstößen dieser Art, seine Eigenschaft als Vorgesetzter der übrigen Arbeitnehmer in der Filiale wird ihm regelmäßig auch die Befugnisse zur Verhinderung bzw. Abstellung dieser Verstöße vermitteln. Das bedeutet freilich nicht, daß der Filialleiter für alle Verstöße im Zusammenhang mit der betreffenden Filiale verantwortlich gemacht werden kann; darauf braucht aber im vorliegenden Fall wegen der Art des festgestellten Verstoßes nicht eingangen zu werden.
Vergleichbares gilt auch für einen Arbeitnehmer mit der Funktion eines "Bezirksleiters", zu dessen Befugnissen nach den Feststellungen der belangten Behörde u.a. die wöchentliche Kontrolle von Filialen und das Treffen von Anordnungen gegenüber den Filialleitern zählt.
Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten für die gegenständliche Filiale ist daher nicht aus dem Grunde rechtsunwirksam, weil es sich bei den Bestellten nicht um leitende Angestellte im Sinne des ArbIG handelt.
3) Der angefochtene Bescheid ist dessenungeachtet nicht aufzuheben, weil er im Ergebnis dem Gesetz entspricht:
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 9 Abs. 4 VStG in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgesprochen, daß die Bestellung und Namhaftmachung von verantwortlichen Beauftragten für räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche eines Unternehmens dann nicht rechtswirksam sind, wenn dieser Bereich nicht klar abgegrenzt ist, sodaß die Verwaltungsstrafbehörde die Bestellung auf Grund der Ergebnisse von hiezu erforderlichen Ermittlungen einer Interpretation zu unterziehen hat. Die Bestellungen (Namhaftmachungen) dürfen keine Zweifel über den Umfang der Übertragung der Verantwortlichkeit offen lassen (vgl. die Erkenntnisse vom 21. Februar 1993, Zl. 92/11/0258, vom 9. August 1994, Zl. 94/11/0207, 0208; vgl. auch das Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 94/11/0051).
Eine solche eindeutige und zu keinen Zweifeln Anlaß gebende Umschreibung des Verantwortungsbereiches liegt darüber hinaus nur dann vor, wenn für die, in räumlicher, sachlicher und allenfalls auch zeitlicher Hinsicht abgegrenzte, verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit immer nur eine von vornherein feststehende Person in Betracht kommt. Wird im Bereich der Tätigkeit einer juristischen Person oder Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit von der gesetzlichen Grundregel der Strafbarkeit (aller) ihrer zur Vertretung nach außen befugten Organe abgegangen und von der Möglichkeit der Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit auf andere Personen mit entsprechender Anordnungsbefugnis Gebrauch gemacht, dann kann für ein- und denselben Verantwortungsbereich nur ein verantwortlicher Beauftragter bestellt werden. Die rechtspolitisch fragwürdige Situation, daß ungeachtet ihrer tatsächlichen internen Aufgabenverteilung alle eine bestimmte Organstellung bekleidenden Personen - auch kumulativ - für Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften zur Verantwortung gezogen werden dürfen, soll im Falle gewillkürten Abgehens zu der Lösung führen, daß die Verantwortlichkeit möglichst klar definiert ist. Dies ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn auf Grund überlappender Verantwortungsbereiche wiederum mehrere Personen nebeneinander und wiederum auch kumulativ für einen bestimmten Verstoß gegen eine Verwaltungsvorschrift bestraft werden können.
Besonders plastisch wird es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem verschiedene Arbeitnehmer für denselben Verantwortungsbereich (hier: Einhaltung der "Dienstnehmerschutzbestimmungen" in der in Rede stehenden Filiale), die noch dazu zueinander im Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen, von denen also der eine gegenüber dem anderen die Funktion eines Vorgesetzten mit Anordnungsbefugnissen ausübt, zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden sollten. Die unterscheidungslose Übertragung der Verantwortlichkeit für die Einhaltung sämtlicher Dienstnehmerschutzbestimmungen auf verschiedene Arbeitnehmer für denselben Verantwortungsbereich ist daher nicht rechtswirksam.
Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994020470.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
01.10.2013