Entscheidungsdatum
10.10.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I403 2295826-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.10.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Türkei, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.10.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinem Cousin am 04.01.2024 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner am selben Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er vor, dass er – trotz seines Universitätsstudiums - aufgrund seiner kurdischen Wurzeln und der Tätigkeit seiner Verwandten in einer kurdischen Organisation keine entsprechende Anstellung gefunden habe und dass er in unerträglichem Ausmaß diskriminiert worden sei.
Am 29.05.2024 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass in der Türkei eine Diktatur herrsche und er keine Chance gehabt habe, eine Anstellung im öffentlichen Bereich zu bekommen. Er stamme aus einer Gegend der HDP (Halklar?n Demokratik Partisi; türkisch für Demokratische Partei der Völker) und sei ein Cousin 10 Jahre wegen seines „Kampfes in den Bergen“ inhaftiert gewesen. Der Beschwerdeführer sei immer nach diesem Cousin gefragt worden. Man sei auch zweimal bei ihm zu Hause gewesen. Er glaube auch, dass nach ihm gefahndet werde, er könne dies aber nicht belegen.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.06.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für eine freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht habe und er bei einer Rückkehr auch in keiner Form gefährdet sei. Eine Integrationsverfestigung habe nicht festgestellt werden können. Die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe reiche nicht aus, um eine Verfolgung darzulegen; das Vorbringen rund um eine Verfolgung wegen seines Cousins sei nicht plausibel. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.06.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde die Frist für eine freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht habe und er bei einer Rückkehr auch in keiner Form gefährdet sei. Eine Integrationsverfestigung habe nicht festgestellt werden können. Die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe reiche nicht aus, um eine Verfolgung darzulegen; das Vorbringen rund um eine Verfolgung wegen seines Cousins sei nicht plausibel.
Gegen den Bescheid vom 17.06.2024 wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 12.07.2024 vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert. Es wurde im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers verwiesen und vorgebracht, dass der Beschwerdeführer in der Türkei wegen seiner kurdischen Volksgruppe, wegen seiner Zugehörigkeit zu seiner Familie und auch wegen seiner politischen Einstellung verfolgt werde. Menschen, denen ein Naheverhältnis zur HDP nachgesagt werde, würden willkürlich verhaftet. Da der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Cousin nicht mit den Sicherheitsbehörden kooperiert habe, drohe ihm eine Verfolgung wegen des Vorwurfs des Terrorismus. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.07.2024 vorgelegt. Am 08.10.2024 langte eine schriftliche Stellungnahme der Rechtsvertretung ein, in welcher darauf verwiesen wurde, dass der Beschwerdeführer „aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden, seiner politischen Einstellung gegen die „Erdogan-Diktatur“ (…) sowie aufgrund des militärischen Engagements seines Cousins im bewaffneten Kampf der Kurden gegen die Türkei (…) nicht nur massiv diskriminiert, sondern auch wiederholt von türkischen Militärs bedroht“ worden sei. Bei seiner Rückkehr würde der Beschwerdeführer ohne faires Verfahren inhaftiert werden, weil man ihm unterstellen würde, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch Partiya Karkerên Kurdistanê; PKK; im Folgenden: PKK) zu sein.
Am 09.10.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung und unter Heranziehung einer Dolmetscherin für die türkische Sprache abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatangehöriger der Türkei und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten, zudem ist er gesund und erwerbsfähig. Seine Identität steht fest.
Der Vater des Beschwerdeführers gehört der türkischen Volksgruppe an, seine Mutter der kurdischen Volksgruppe. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Türkisch, er spricht nicht Kurdisch.
Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Nähe der Stadt XXXX in der Provinz Sanliurfa, wo er bis zu seiner Ausreise bei seiner Familie (seinen Eltern, zwei Schwestern und einem 25jährigen Bruder) gelebt hat. Ein älterer Bruder lebt ebenfalls im Dorf. Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Nähe der Stadt römisch 40 in der Provinz Sanliurfa, wo er bis zu seiner Ausreise bei seiner Familie (seinen Eltern, zwei Schwestern und einem 25jährigen Bruder) gelebt hat. Ein älterer Bruder lebt ebenfalls im Dorf.
Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat das Gymnasium mit der Reifeprüfung abgeschlossen und im Anschluss bis zum Jahr 2019 Lehramt für Geschichte studiert, allerdings danach keine seinem Studium entsprechende Anstellung beim türkischen Staat gefunden. Er trat dreimal bei einer Prüfung für den Polizeidienst an, bestand diese aber nicht. Er leistete von November 2022 bis Mai 2023 seinen Militärdienst als einfacher Soldat.
Der Vater des Beschwerdeführers besitzt eine Pistazienplantage, von welcher die Familie gut leben kann. Seine Brüder arbeiten in einer Textilfabrik. Der Beschwerdeführer selbst war vor seiner Ausreise im Dezember 2023 als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und im Tourismus tätig.
Im Dezember 2023 trat der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Cousin XXXX die schlepperunterstützte Ausreise nach Mitteleuropa an und reiste zunächst mit dem Flugzeug von Gaziantep nach Bosnien-Herzegowina, ehe er von dort auf dem Landweg nach Österreich gelangte, wo er am 04.01.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Kosten für seine schlepperunterstützte Ausreise beliefen sich auf etwa 6.000 Euro, die der Beschwerdeführer mit seinem Ersparten und finanzieller Unterstützung der Familie bezahlte. Im Dezember 2023 trat der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Cousin römisch 40 die schlepperunterstützte Ausreise nach Mitteleuropa an und reiste zunächst mit dem Flugzeug von Gaziantep nach Bosnien-Herzegowina, ehe er von dort auf dem Landweg nach Österreich gelangte, wo er am 04.01.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Kosten für seine schlepperunterstützte Ausreise beliefen sich auf etwa 6.000 Euro, die der Beschwerdeführer mit seinem Ersparten und finanzieller Unterstützung der Familie bezahlte.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über zwei Cousins, die ihn auch finanziell unterstützen. Der Antrag auf internationalen Schutz jenes (weiteren) Cousins, mit dem er gemeinsam nach Österreich eingereist war, war ebenfalls abgewiesen worden; die Beschwerde gegen die abweisende Entscheidung ist aktuell beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
Der unbescholtene Beschwerdeführer hält sich weniger als ein Jahr im Bundesgebiet auf; er besuchte noch keinen Deutschkurs und ging im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Er lebt in einem Zimmer in der Wohnung von Bekannten seiner Cousins. Er ist nicht nachhaltig im Bundesgebiet integriert.
1.2. Zum Fluchtvorbringen und zu einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist in der Türkei nicht der Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu seiner Familie oder seiner politischen Gesinnung ausgesetzt. Es ist nicht glaubhaft, dass die türkischen Behörden nach ihm fahnden und ihn in der Vergangenheit bedroht hatten, weil ein Verwandter bis 2017 aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer – aus Sicht des türkischen Staates – terroristischen Organisation in Haft war und danach verschwunden ist.
Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei aus dem COI-CMS (Version 8, 07.03.2024) auszugsweise soweit entscheidungsrelevant wiedergegeben:
Politische Lage
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 4f.).Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 4f.).
Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 5; vgl. EC 8.11.2023, S. 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, S. 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 5; vergleiche EC 8.11.2023, Sitzung 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, Sitzung 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).
Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 8.11.2023, S. 4, 12; vgl. EP 13.9.2023, Pt.9, WZ 7.5.2023).Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 8.11.2023, Sitzung 4, 12; vergleiche EP 13.9.2023, Pt.9, WZ 7.5.2023).
Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl. DE/Aydas 31.12.2022, Güney 1.10.2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl.Esen/Gumuscu 19.2.2016).Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 1.10.2022, Sitzung 6; vergleiche DE/Aydas 31.12.2022, Güney 1.10.2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 1.10.2022, Sitzung 6; vgl.Esen/Gumuscu 19.2.2016).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser implizit negativ auf Demokratie und Grundrechte aus, denn einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumten, und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert. Einige dieser Bestimmungen wurden um weitere zwei Jahre verlängert, aber die meisten jener sind im Juli 2022 ausgelaufen (EC 8.11.2023, S. 12). Das Parlament verlängerte im Juli 2021 die Gültigkeit dieser restriktiven Elemente des Notstandsrechtes um weitere drei Jahre (DW 18.7.2021). Das diesbezügliche Gesetz ermöglicht es u. a., Staatsbedienstete, einschließlich Richter und Staatsanwälte, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu "terroristischen" Organisationen ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung zu entlassen (AI 29.3.2022a). Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und gegen andere internationale Standards bzw. gegen die Rechtsprechung des EGMR. Der türkische Rechtsrahmen enthält beispielsweise allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, aber die Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung müssen laut Europäischer Kommission mit der EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Mensc