Entscheidungsdatum
13.06.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W294 2280523-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Konstantin KÖCK, LL.M., MBA, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2023, Zl. 1355119304/231068745, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 26.03.2024 wie folgt zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Konstantin KÖCK, LL.M., MBA, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2023, Zl. 1355119304/231068745, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 26.03.2024 wie folgt zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine weibliche syrische Staatsangehöre, reiste spätestens am 02.06.2023 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.06.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Es erfolgte am selben Tag eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.
Zu ihren persönlichen Umständen befragt, führte die BF an, dass sie der Volksgruppe der Araber angehöre und sich zum muslimischen sunnitischen Glauben bekenne. Sie habe in Syrien zwölf Jahre die Schule besucht. Vor ihrer Ausreise habe sie zuletzt als Landwirtsgehilfin gearbeitet.
Zum Fluchtgrund befragt, brachte die BF vor, dass in Syrien Krieg und Chaos herrsche und sie sich um ihr Leben gefürchtet habe. Sie sei dann in die Türkei geflohen, da ihr Mann bereits auf sie gewartet habe. Dieser sei bereits im September 2021 nach Österreich geflüchtet und jetzt sei sie ihm gefolgt. Von Syrien in die Türkei sei sie im September 2020 geflüchtet. Ihre Flucht von der Türkei nach Österreich habe sie von Griechenland über Nord Mazedonien, Serbien, Ungarn und die Slowakei geführt, bevor sie dann in Österreich angekommen sei.
Am 21.08.2023 wurde die BF niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen und gab zu Protokoll, dass es ihr gesundheitlich gut gehe, sie jedoch etwas Bauchschmerzen habe aber keinen Arzt aufsuchen könne, da es ihr an einer Krankenversicherung fehlen würde. Sie sei syrische Staatsbürgerin, habe zwölf Jahre die Grundschule besucht und diese mit Matura abschlossen und bekenne sich zum muslimischen sunnitischen Glauben. Sie sei am XXXX in Deir Ezzor in Syrien geboren, habe im Dorf XXXX in Deir Ezzor gelebt und habe am 20.03.2020 traditionell und standesamtlich geheiratet. Die staatliche Eintragung sei dann am 22.03.2020 erfolgt. Sie sei dann ab September 2020 in der Türkei gewesen, wo am 04.10.2020 die Hochzeitsfeier stattgefunden habe. Dort habe sie mit ihrem Mann ein Jahr lang gemeinsam gelebt und sei während dieser Zeit schwanger geworden, habe das Kind aber im achten Monat verloren. Im Mai 2023 sei sie nach Österreich ausgereist, wo sie am 02.06.2023 angekommen sei. Dort habe sich schon ihr Ehemann befunden. Aus der Türkei sei sie ausgereist da sie dort niemanden habe und als Frau dort nicht bleiben könne. Ihre Eltern sowie fünf Brüder und eine Schwester seien immer noch im Herkunftsstaat Syrien aufhältig. Eine weitere Schwester und ein Bruder würden in Deutschland wohnen. In Wien würde ihr Bruder XXXX und ihr Ehemann ( XXXX , geboren am XXXX ) wohnen. In Syrien habe ihre Familie für sie gesorgt. Später habe ihr Ehemann für sie gesorgt. Am 21.08.2023 wurde die BF niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen und gab zu Protokoll, dass es ihr gesundheitlich gut gehe, sie jedoch etwas Bauchschmerzen habe aber keinen Arzt aufsuchen könne, da es ihr an einer Krankenversicherung fehlen würde. Sie sei syrische Staatsbürgerin, habe zwölf Jahre die Grundschule besucht und diese mit Matura abschlossen und bekenne sich zum muslimischen sunnitischen Glauben. Sie sei am römisch 40 in Deir Ezzor in Syrien geboren, habe im Dorf römisch 40 in Deir Ezzor gelebt und habe am 20.03.2020 traditionell und standesamtlich geheiratet. Die staatliche Eintragung sei dann am 22.03.2020 erfolgt. Sie sei dann ab September 2020 in der Türkei gewesen, wo am 04.10.2020 die Hochzeitsfeier stattgefunden habe. Dort habe sie mit ihrem Mann ein Jahr lang gemeinsam gelebt und sei während dieser Zeit schwanger geworden, habe das Kind aber im achten Monat verloren. Im Mai 2023 sei sie nach Österreich ausgereist, wo sie am 02.06.2023 angekommen sei. Dort habe sich schon ihr Ehemann befunden. Aus der Türkei sei sie ausgereist da sie dort niemanden habe und als Frau dort nicht bleiben könne. Ihre Eltern sowie fünf Brüder und eine Schwester seien immer noch im Herkunftsstaat Syrien aufhältig. Eine weitere Schwester und ein Bruder würden in Deutschland wohnen. In Wien würde ihr Bruder römisch 40 und ihr Ehemann ( römisch 40 , geboren am römisch 40 ) wohnen. In Syrien habe ihre Familie für sie gesorgt. Später habe ihr Ehemann für sie gesorgt.
Zum Fluchtgrund befragt, erklärte die BF, dass sie wegen dem Krieg und der Sicherheitslage aus Syrien geflohen sei. Die allgemeine Bürgerkriegssituation sei ihr Fluchtgrund und sie wolle bei ihrem Mann sein und sich in Österreich weiterbilden und arbeiten. Die Frage, ob sie in ihrem Herkunftsstaat persönlich verfolgt oder bedroht worden sei, wurde von der BF verneint. Weder sie noch ihre Familie haben sich in Syrien politisch oder religiös betätigt und sie sei auch nie in Syrien konkret verfolgt oder bedroht worden und habe auch keinen Kontakt mit Islamisten gehabt. Es gebe aber eine allgemeine Bedrohungslage in Syrien. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien habe sie Angst davor aufgrund des Krieges getötet zu werden.
Im Verfahren wurden von der BF eine Kopie der Eheurkunde und eine Kopie des Familienstandregisters vorgelegt. Der syrische Personalausweis wurde am 02.06.2023 von der LPD sichergestellt, befindet sich jedoch nicht im Akt.
Mit Bescheid des BFA vom 25.08.2023 wurde der Antrag der BF auf Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dagegen wurde ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Mit Bescheid des BFA vom 25.08.2023 wurde der Antrag der BF auf Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Dagegen wurde ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde im Bescheid ausgeführt, dass die BF in der niederschriftlichen Einvernahme angeführt habe, wegen dem Krieg, der Sicherheitslage, den Kämpfen der Milizen in Syrien sowie deshalb ausgereist zu sein, da sie bei ihrem Mann bleiben möchte und sich in Österreich fortbilden möchte. Eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung habe die BF ausdrücklich verneint. Daher musste insgesamt von keiner aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefährdung bzw. Verfolgung durch staatlichen Organe oder durch Dritte ausgegangen werden, der die BF im Fall ihrer Rückkehr ausgesetzt gewesen wäre. Die geäußerten Befürchtungen im Falle einer Rückkehr würden mit der Gewährung subsidiären Schutzes Rechnung getragen werden.
Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erhob die BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass das ebenfalls beim BVwG anhängige Verfahren Ihres Ehemannes XXXX , geb. XXXX , IFA 12906474407 gemeinsam mit ihrem Verfahren als Familienverfahren zu führen sei. Bei Aufrechterhaltung des bisherigen Vorbringens führte die BF ergänzend aus, dass sie sich insbesondere vor einer Zwangsrekrutierung durch die SDF fürchten würde, da im Juni 2020 Kämpfer*innen der SDF in ihr Dorf gekommen seien, um Männer und Frauen zu rekrutieren. Damals habe es viele Festnahmen von jungen Männern und Frauen gegeben und viele junge Menschen seien deshalb geflohen. Aufgrund der drohenden Zwangsrekrutierung bzw. aufgrund der Festnahmen von jungen Männern und Frauen sei sie damals noch in der Nacht geflohen. Darüber hinaus wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass die belangte Behörde sich nicht umfassend mit dem Vorbringen der BF bzw. deren individuellen Verfolgungssituation auseinandergesetzt habe bzw. diese auch nur unzureichend befragt hätte und es dadurch zu einem mangelhaften Ermittlungsverfahren gekommen sei. Es sei auch zu keinem Abgleich der Angaben der BF mit aktuellen entscheidungsrelevanten Länderberichten gekommen bzw. seien die im Bescheid angeführten Länderinformationen nicht vollständig genug um die vorliegenden Fluchtgründe der BF einer abschließenden Prüfung zu unterziehen. Dadurch habe es die Behörde unterlassen, sich mit der Lage von Frauen in Syrien bzw. mit der Situation von Frauen in Kurdisch kontrollierten Gebieten in Syrien sowie mit der Reflexverfolgung von Familienangehörigen von regierungskritisch wahrgenommenen Personen auseinanderzusetzen. Die falsche Feststellung, dass die BF im Falle einer Rückkehr keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, ergebe sich zum einem aus einem nur lückenhaft geführten Ermittlungsverfahren und aus einer nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung. Die Behörde werte die eigens herangezogenen Länderberichte nur unrichtig und unvollständig aus. Die Beweiswürdigung der Behörde entspreche nicht den Anforderungen des § 58 Abs. 2 und des § 60 AVG, da die Behörde bei einem lückenlos geführten Ermittlungsverfahren und einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung, erkennen hätte müssen, dass die BF aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau, der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die SDF, ihrer Abstammung aus einem regierungsfeindlichen Gebiet, ihrer illegalen Ausreise, ihrer Asylantragstellung im Bundesgebiet sowie ihrer Zugehörigkeit zu einer wehrdienstverweigernden Familie (Bruder und Ehemann) mit entsprechender Wahrscheinlichkeit von einer individuellen Verfolgung aus Gründen der GFK betroffen wäre. Der Bescheid sei auch inhaltlich rechtswidrig, da die Behörde nicht erkannt habe, dass bei der BF ein mehrfacher Konnex zu den in der GFK angeführten Gründen bestehe. Dieser Konnex bestehe, da sich aus den zitierten Länderberichten sowie aus den UNHCR-Richtlinien ergeben würde, dass die BF aus einer Kumulation von Gründen (insbesondere als Frau, aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung, ihrer illegalen Ausreise und aufgrund der Wehrdienstverweigerung von Familienangehörigen) bei einer Rückkehr nach Syrien eine objektiv nachvollziehbare und somit wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aufgrund der ihr unterstellten regimefeindlichen Gesinnung haben müsste. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides erhob die BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass das ebenfalls beim BVwG anhängige Verfahren Ihres Ehemannes römisch 40 , geb. römisch 40 , IFA 12906474407 gemeinsam mit ihrem Verfahren als Familienverfahren zu führen sei. Bei Aufrechterhaltung des bisherigen Vorbringens führte die BF ergänzend aus, dass sie sich insbesondere vor einer Zwangsrekrutierung durch die SDF fürchten würde, da im Juni 2020 Kämpfer*innen der SDF in ihr Dorf gekommen seien, um Männer und Frauen zu rekrutieren. Damals habe es viele Festnahmen von jungen Männern und Frauen gegeben und viele junge Menschen seien deshalb geflohen. Aufgrund der drohenden Zwangsrekrutierung bzw. aufgrund der Festnahmen von jungen Männern und Frauen sei sie damals noch in der Nacht geflohen. Darüber hinaus wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass die belangte Behörde sich nicht umfassend mit dem Vorbringen der BF bzw. deren individuellen Verfolgungssituation auseinandergesetzt habe bzw. diese auch nur unzureichend befragt hätte und es dadurch zu einem mangelhaften Ermittlungsverfahren gekommen sei. Es sei auch zu keinem Abgleich der Angaben der BF mit aktuellen entscheidungsrelevanten Länderberichten gekommen bzw. seien die im Bescheid angeführten Länderinformationen nicht vollständig genug um die vorliegenden Fluchtgründe der BF einer abschließenden Prüfung zu unterziehen. Dadurch habe es die Behörde unterlassen, sich mit der Lage von Frauen in Syrien bzw. mit der Situation von Frauen in Kurdisch kontrollierten Gebieten in Syrien sowie mit der Reflexverfolgung von Familienangehörigen von regierungskritisch wahrgenommenen Personen auseinanderzusetzen. Die falsche Feststellung, dass die BF im Falle einer Rückkehr keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, ergebe sich zum einem aus einem nur lückenhaft geführten Ermittlungsverfahren und aus einer nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung. Die Behörde werte die eigens herangezogenen Länderberichte nur unrichtig und unvollständig aus. Die Beweiswürdigung der Behörde entspreche nicht den Anforderungen des Paragraph 58, Absatz 2 und des Paragraph 60, AVG, da die Behörde bei einem lückenlos geführten Ermittlungsverfahren und einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung, erkennen hätte müssen, dass die BF aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau, der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die SDF, ihrer Abstammung aus einem regierungsfeindlichen Gebiet, ihrer illegalen Ausreise, ihrer Asylantragstellung im Bundesgebiet sowie ihrer Zugehörigkeit zu einer wehrdienstverweigernden Familie (Bruder und Ehemann) mit entsprechender Wahrscheinlichkeit von einer individuellen Verfolgung aus Gründen der GFK betroffen wäre. Der Bescheid sei auch inhaltlich rechtswidrig, da die Behörde nicht erkannt habe, dass bei der BF ein mehrfacher Konnex zu den in der GFK angeführten Gründen bestehe. Dieser Konnex bestehe, da sich aus den zitierten Länderberichten sowie aus den UNHCR-Richtlinien ergeben würde, dass die BF aus einer Kumulation von Gründen (insbesondere als Frau, aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung, ihrer illegalen Ausreise und aufgrund der Wehrdienstverweigerung von Familienangehörigen) bei einer Rückkehr nach Syrien eine objektiv nachvollziehbare und somit wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aufgrund der ihr unterstellten regimefeindlichen Gesinnung haben müsste. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Am 26.03.2024 erfolgte eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die BF wurde ausführlich zu ihren Fluchtgründen durch den erkennenden Richter befragt und es wurde ihr umfassend Gelegenheit eingeräumt, Befürchtungen im Falle einer hypothetischen Rückkehr ausführlich und ausreichend konkret darzulegen, bzw. diese glaubhaft zu machen. Die rechtsfreundliche Vertretung der BF verwies in der mündlichen Verhandlung darauf, dass es auf Seite einhundertachtzehn des LIB eine Aufzählung von Anfragebeantwortungen zum Thema Zwangsrekrutierung in Gebieten außerhalb des Regierungskontrolle gäbe auf die Rücksicht zu nehmen sei. Ergänzend wurde unter Bezugnahme auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 22.09.2022 vorgebracht, dass es mehrere Berichte über die Zwangsrekrutierung von Frauen durch die YPG in Gebieten der SDF in Deir Ez Zor zwischen den Jahren 2015 und 2021 gegeben habe. Abschließend brachte die rechtsfreundliche Vertretung der BF unter Bezugnahme auf die EuGH Entscheidung C-621/21 vom 16.01.2024 vor, dass die BF als Frau ein angeborenes Merkmal im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 erfülle und aufgrund der EuGH Entscheidung auch die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer „bestimmten sozialen Gruppe“ bei der BF gegeben sei. Dies sei deshalb der Fall, da Frauen in Syrien den Länderberichten zufolge einer Bandbreite von Misshandlungen ausgesetzt seien. Überdies würden die Verfolgungshandlungen gegen Frauen in Syrien in ihrer Gesamtheit die für die Asylzuerkennung der BF erforderliche Intensität aufweisen und würden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen.Am 26.03.2024 erfolgte eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die BF wurde ausführlich zu ihren Fluchtgründen durch den erkennenden Richter befragt und es wurde ihr umfassend Gelegenheit eingeräumt, Befürchtungen im Falle einer hypothetischen Rückkehr ausführlich und ausreichend konkret darzulegen, bzw. diese glaubhaft zu machen. Die rechtsfreundliche Vertretung der BF verwies in der mündlichen Verhandlung darauf, dass es auf Seite einhundertachtzehn des LIB eine Aufzählung von Anfragebeantwortungen zum Thema Zwangsrekrutierung in Gebieten außerhalb des Regierungskontrolle gäbe auf die Rücksicht zu nehmen sei. Ergänzend wurde unter Bezugnahme auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 22.09.2022 vorgebracht, dass es mehrere Berichte über die Zwangsrekrutierung von Frauen durch die YPG in Gebieten der SDF in Deir Ez Zor zwischen den Jahren 2015 und 2021 gegeben habe. Abschließend brachte die rechtsfreundliche Vertretung der BF unter Bezugnahme auf die EuGH Entscheidung C-621/21 vom 16.01.2024 vor, dass die BF als Frau ein angeborenes Merkmal im Sinne des Artikel 10, Absatz eins, Buchst. d der Richtlinie 2011/95 erfülle und aufgrund der EuGH Entscheidung auch die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer „bestimmten sozialen Gruppe“ bei der BF gegeben sei. Dies sei deshalb der Fall, da Frauen in Syrien den Länderberichten zufolge einer Bandbreite von Misshandlungen ausgesetzt seien. Überdies würden die Verfolgungshandlungen gegen Frauen in Syrien in ihrer Gesamtheit die für die Asylzuerkennung der BF erforderliche Intensität aufweisen und würden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogenrömisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
1.1. Zur Person der BF
Die BF ist Staatsangehörige von Syrien, sunnitische Muslimin und Zugehörige der Volksgruppe der Araber. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Die BF wurde am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Deir ez-Zor in Syrien geboren und lebte in ihrem Herkunftsdorf bevor sie Syrien verlassen hat. Die Identität der BF steht aufgrund mangelnder Vorlage eines identitätsbezeugenden Dokuments nicht fest. Es ist daher von Verfahrensidentität auszugehen. Sie ist mit XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, verheiratet und hat keine Kinder. Ihr Ehemann hat mit Bescheid vom 11.01.2023 subsidiären Schutz erhalten. Seine Bescheidbeschwerde auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 08.03.2024 zur Geschäftszahl W294 2267937-1/11E abgewiesen. Die BF ist Staatsangehörige von Syrien, sunnitische Muslimin und Zugehörige der Volksgruppe der Araber. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Die BF wurde am römisch 40 im Dorf römisch 40 , Distrikt römisch 40 , in der Provinz Deir ez-Zor in Syrien geboren und lebte in ihrem Herkunftsdorf bevor sie Syrien verlassen hat. Die Identität der BF steht aufgrund mangelnder Vorlage eines identitätsbezeugenden Dokuments nicht fest. Es ist daher von Verfahrensidentität auszugehen. Sie ist mit römisch 40 , geb. am römisch 40 , StA. Syrien, verheiratet und hat keine Kinder. Ihr Ehemann hat mit Bescheid vom 11.01.2023 subsidiären Schutz erhalten. Seine Bescheidbeschwerde auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 08.03.2024 zur Geschäftszahl W294 2267937-1/11E abgewiesen.
Die BF stellte am 02.06.2023 den Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund dieses Antrages wurde ihr mit Bescheid vom 25.08.2023 (IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 1355119304/231068745) der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Die Herkunftsregion der BF, XXXX und ihr Herkunftsort XXXX , stehen derzeit unter der Kontrolle der kurdischen Milizen der ANNES (der SDF, der YPG, der YPJ bzw. der PKK). Die Stadt Deir ez-Zor und der Großteil der Provinz Deir ez-Zor befinden sich jedoch unter Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Die Herkunftsregion der BF, römisch 40 und ihr Herkunftsort römisch 40 , stehen derzeit unter der Kontrolle der kurdischen Milizen der ANNES (der SDF, der YPG, der YPJ bzw. der PKK). Die Stadt Deir ez-Zor und der Großteil der Provinz Deir ez-Zor befinden sich jedoch unter Kontrolle der syrischen Streitkräfte.
Die BF hat zwölf Jahre die Grundschule besucht und mit Matura abgeschlossen. Anschließend ist sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Die BF leidet an keinen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen und nimmt keine Medikamente ein. Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Die Eltern der BF sowie fünf Brüder leben in der Herkunftsprovinz der BF, im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Region Deir ez-Zor in Syrien. Eine weitere Schwester lebt in Idlib in Syrien. Ein Bruder und eine Schwester leben in Deutschland. In Österreich lebt ihr Bruder XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, welcher mit Bescheid vom 17.08.2022 subsidiären Schutz erhalten hat. Seine Bescheidbeschwerde auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 28.02.2023 zur Geschäftszahl W229 2259991-1/11E abgewiesen. Die Eltern der BF sowie fünf Brüder leben in der Herkunftsprovinz der BF, im Dorf römisch 40 , im Distrikt römisch 40 , in der Region Deir ez-Zor in Syrien. Eine weitere Schwester lebt in Idlib in Syrien. Ein Bruder und eine Schwester leben in Deutschland. In Österreich lebt ihr Bruder römisch 40 alias römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA. Syrien, welcher mit Bescheid vom 17.08.2022 subsidiären Schutz erhalten hat. Seine Bescheidbeschwerde auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 28.02.2023 zur Geschäftszahl W229 2259991-1/11E abgewiesen.
Die BF hat mit ihrer Familie regelmäßigen Kontakt via WhatsApp.
1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen
Die BF hat ihr Heimatland Syrien aufgrund der dortigen Sicherheitslage bzw. des Krieges sowie deshalb verlassen, da sie bei ihrem Ehemann leben möchte und weil sie in Österreich arbeiten möchte.
Die BF wurde In Syrien nie festgenommen und hat sich auch nie in Haft befunden. In Syrien hatte sie keine Probleme mit staatlichen Stellen oder anderen Gruppen und es wurde auch nicht nach ihr gefahndet. Während ihrer Zeit in Syrien hat die BF an keinen Demonstrationen teilgenommen und war auch nicht politisch aktiv.
Die BF ist in Syrien nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen und hat keine Strafrechtsdelikte begangen. Die BF hat insgesamt nicht ausreichend konkret dargelegt, bzw. konnte nicht glaubhaft machen, dass sie vor dem Verlassen ihres Herkunftslandes einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung von maßgeblicher Intensität in Syrien ausgesetzt war. Ferner hat die BF nicht glaubhaft machen können, dass sie im Fall einer fiktiv zu prüfenden Rückkehr in ihre Herkunftsregion in Syrien persönlich aktuell oder zukünftig konkret mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Bedrohung bedroht ist.
Der BF droht im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion weder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber noch aufgrund ihres Geschlechts die Gefahr einer maßgeblichen Verfolgung. Die BF unterliegt keiner besonders sie unmittelbar konkret betreffenden Gefahr, Opfer einer Entführung zu werden oder von der YPG aufgrund der stattgefunden haben wollenden Zwangsrekrutierung von jungen Männern und Frauen im Juni 2020 in ihrem Herkunftsort XXXX zwangsrekrutiert zu werden. Der BF droht in ihrer Herkunftsregion keine Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau. Sie gilt nicht als alleinstehend und fällt daher nicht unter die Risikogruppe der alleinstehenden Frauen.Der BF droht im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion weder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber noch aufgrund ihres Geschlechts die Gefahr einer maßgeblichen Verfolgung. Die BF unterliegt keiner besonders sie unmittelbar konkret betreffenden Gefahr, Opfer einer Entführung zu werden oder von der YPG aufgrund der stattgefunden haben wollenden Zwangsrekrutierung von jungen Männern und Frauen im Juni 2020 in ihrem Herkunftsort römisch 40 zwangsrekrutiert zu werden. Der BF droht in ihrer Herkunftsregion keine Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau. Sie gilt nicht als alleinstehend und fällt daher nicht unter die Risikogruppe der alleinstehenden Frauen.
Die BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten oder wegen einer Teilnahme an Demonstrationen mit politischem Hintergrund von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht. Es würde ihr auch keine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Es droht ihr daher auch keine wohlbegründete Verfolgung aus dem Grund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass der BF deshalb eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde, weil einer ihrer Brüder desertiert wäre.
Das Vorliegen einer unmittelbar konkret persönlich die BF drohenden asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung isd §3AsylG konnte weder durch das Vorbringen der BF ausreichend glaubhaft aufgezeigt werden, noch ergibt sich das Vorliegen einer solchen aus der amtswegigen Wahrnehmung.
Der BF wurde mit dem Bescheid des BFA vom 25.08.2023, aufgrund des Vorliegens einer allgemeinen gegenwärtigen Gefährdung und Sicherheitslage in Syrien, der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Der BF wurde mit dem Bescheid des BFA vom 25.08.2023, aufgrund des Vorliegens einer allgemeinen gegenwärtigen Gefährdung und Sicherheitslage in Syrien, der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
1.3. Zur Lage in Syrien
Zur aktuellen Situation in Syrien
? Länderspezifische Anmerkungen (Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation Syrien, Version 10 vom 14.03.2024)
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024). Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
Letzte Änderung 2024-03-08 11:12
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu in