Entscheidungsdatum
23.09.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W119 2266664-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. 12. 2022, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 1286799702/211507316, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. 12. 2022, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 1286799702/211507316, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 11. 10. 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen seiner am 12. 10. 2021 durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG gab der Beschwerdeführer zunächst an, in Raqqa geboren zu sein, der kurdischen Volksgruppe anzugehören und fünf Jahre die Grundschule besucht zu haben. Sein Vater sei bereits gestorben, seine Mutter und zwei Schwestern seien in Syrien wohnhaft, zwei Brüder in Qatar, ein Bruder in der Türkei und vier Brüder würden in der Bundesrepublik Deutschland leben. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Er könne nicht zurückkehren, weil er ansonsten den Militärdienst ableisten müsste. Im Fall seiner Rückkehr nach Syrien habe er Angst um sein Leben.
Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) Zweifel an dem vom Beschwerdeführer angegeben Alter hatte, ließ es eine „multifatorielle Altersdiagnostik“ zur Feststellung des absoluten Mindestalters durchführen. Demzufolge habe sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung jenseits des vollendeten XXXX Lebensjahres befunden, dh eine Minderjährigkeit könne für diesen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) Zweifel an dem vom Beschwerdeführer angegeben Alter hatte, ließ es eine „multifatorielle Altersdiagnostik“ zur Feststellung des absoluten Mindestalters durchführen. Demzufolge habe sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung jenseits des vollendeten römisch 40 Lebensjahres befunden, dh eine Minderjährigkeit könne für diesen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.
Am 8. 6. 2022 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) zu seinen Fluchtgründen befragt. Dazu erklärte er eingangs binnen 14 Tagen sein Familienbuch dem Bundesamt zu übergeben. Weiters gab er an, kein Kurdisch zu sprechen, obwohl er der kurdischen Volksgruppe angehöre. Darüber hinaus führte er aus, dass sein Nachname XXXX und sein Vorname XXXX laute, er sei am XXXX geboren. Er stamme aus XXXX in der Provinz Al Raqqa. Im Jahr 2012 habe er Syrien verlassen und habe danach acht Jahre in der Türkei gelebt. Dort habe er in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Jahr 2017 sei er wieder nach Syrien gereist. Dort habe er sich einen Monat aufgehalten, zu diesem Zeitpunkt sei der IS an der Macht gewesen. Dieser habe die Kurden vertrieben. In Syrien würden ein Bruder, seine Mutter und seine Schwestern leben. Er habe nur zu seiner Mutter über WhatsApp Kontakt. Am 8. 6. 2022 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) zu seinen Fluchtgründen befragt. Dazu erklärte er eingangs binnen 14 Tagen sein Familienbuch dem Bundesamt zu übergeben. Weiters gab er an, kein Kurdisch zu sprechen, obwohl er der kurdischen Volksgruppe angehöre. Darüber hinaus führte er aus, dass sein Nachname römisch 40 und sein Vorname römisch 40 laute, er sei am römisch 40 geboren. Er stamme aus römisch 40 in der Provinz Al Raqqa. Im Jahr 2012 habe er Syrien verlassen und habe danach acht Jahre in der Türkei gelebt. Dort habe er in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Jahr 2017 sei er wieder nach Syrien gereist. Dort habe er sich einen Monat aufgehalten, zu diesem Zeitpunkt sei der IS an der Macht gewesen. Dieser habe die Kurden vertrieben. In Syrien würden ein Bruder, seine Mutter und seine Schwestern leben. Er habe nur zu seiner Mutter über WhatsApp Kontakt.
Er habe vier oder fünf Jahre die Grundschule besucht. In Syrien habe sein Bruder, der Bäcker sei, die gesamte Familie versorgt. Befragt, ob staatliche Maßnahmen gegen ihn bestünden, gab er an, dass er wegen des nicht abgeleisteten Militärdienstes gesucht werde.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab er an, dass er wegen des Krieges Syrien verlassen habe. Das erste Mal sei er im Jahr 2012 ausgereist, alleine. Seine Familie sei damals bei Verwandten geblieben. 2017 sei er wieder nach Syrien zurückgekehrt, wo der IS die Kurden aus Raqqa vertrieben habe. Er habe den regulären Militärdienst nicht abgeleistet. Im Fall seiner Rückkehr befürchte er inhaftiert zu werden, sowohl vom Regime, den Kurden und der Freien Syrischen Armee. In Raqqa seien derzeit die Kurden an der Macht. Er habe mit diesen jedoch keine Probleme gehabt, auch niemand aus seiner Familie habe diesbezügliches erlebt.
Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit geboten, zu den Länderfeststellungen Stellung zu beziehen, was er jedoch ablehnte.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. 12. 2022, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 1286799702/211507316, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. 12. 2022, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 1286799702/211507316, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) abgewiesen. In Spruchpunkt römisch II. wurde ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Mit Informationsschreiben vom 30. 12. 2022 wurde dem Beschwerdeführer die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH-BBU, als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.
Mit Schriftsatz vom 18. 1. 2023 erhob der Rechtsberater des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zwar keinen Einberufungsbefehl erhalten habe, er aber dennoch befürchte, bei einer (erzwungenen) Rückkehr nach Syrien zu Recht, sofort zum allgemeinen syrischen Wehrdienst einberufen zu werden oder auch für die kurdischen Verbände oder die Freie Syrische Armee zwangsrekrutiert zu werden. Dass es für syrische Staatsangehörige, die über Jahre im Ausland aufhältig gewesen seien, die Möglichkeit gebe, sich vom staatlichen syrischen Wehrdienst freizukaufen, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen. Auch wenn er das dafür notwendige Geld auftreiben könne, würde er aus Gewissensgründen ablehnen, das Assad-Regime zu unterstützen.
Es wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Am 29. 7. 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, der kurdischen Volksgruppe anzugehören, aber geringe Kurdisch-Kenntnisse zu haben, sodass er eine Befragung in arabischer Sprache bevorzuge. Er sei in XXXX in Ar Raqqa geboren zu sein. Dieser Ort befinde sich in der Nähe von XXXX . Laut Einblick in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com, befindet sich das Heimatdorf des Beschwerdeführers als Teil der kurdischen Selbstverwaltungsregion unter weitgehender Kontrolle kurdischer Kräfte. Er habe in XXXX neun bis zehn Jahre gelebt und dort die Schule bis zur fünften oder sechsten Klasse besucht. Aufgrund der Kriegsereignisse sei er 2012 oder 2013 in die Türkei ausgereist. Eineinhalb- bis zwei Jahre später habe er sich zu Besuchszwecken in Syrien aufgehalten und sei danach wieder in die Türkei zurückgekehrt. Auf Vorhalt, dass er beim Bundesamt angegeben habe, 2012 in die Türkei gefahren und 2017 nach Syrien zurückgekehrt zu sein, gab er an, dass dies gut sein könne, es sei ihm nicht mehr erinnerlich. Er sei im Jahr 2017 nach einem einmonatigen Aufenthalt mit seiner Mutter in die Türkei gereist. Am 29. 7. 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, der kurdischen Volksgruppe anzugehören, aber geringe Kurdisch-Kenntnisse zu haben, sodass er eine Befragung in arabischer Sprache bevorzuge. Er sei in römisch 40 in Ar Raqqa geboren zu sein. Dieser Ort befinde sich in der Nähe von römisch 40 . Laut Einblick in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com, befindet sich das Heimatdorf des Beschwerdeführers als Teil der kurdischen Selbstverwaltungsregion unter weitgehender Kontrolle kurdischer Kräfte. Er habe in römisch 40 neun bis zehn Jahre gelebt und dort die Schule bis zur fünften oder sechsten Klasse besucht. Aufgrund der Kriegsereignisse sei er 2012 oder 2013 in die Türkei ausgereist. Eineinhalb- bis zwei Jahre später habe er sich zu Besuchszwecken in Syrien aufgehalten und sei danach wieder in die Türkei zurückgekehrt. Auf Vorhalt, dass er beim Bundesamt angegeben habe, 2012 in die Türkei gefahren und 2017 nach Syrien zurückgekehrt zu sein, gab er an, dass dies gut sein könne, es sei ihm nicht mehr erinnerlich. Er sei im Jahr 2017 nach einem einmonatigen Aufenthalt mit seiner Mutter in die Türkei gereist.
In Syrien würden seine beiden Schwestern und ein Onkel väterlicherseits leben. Er habe insgesamt sieben Brüder, zwei würden in Katar und fünf in Deutschland leben. Er sei der jüngste der Brüder. Seine Brüder hätten Syrien wegen des Krieges verlassen.
Befragt, warum er 2017 wieder nach Syrien gereist sei, gab er an, dass es zu einem Krieg zwischen den Kurden und dem IS gekommen sei. Die IS-Anhänger würden sich mit den Kurden nicht verstehen. Er sei nach Syrien zurückgekehrt, um seine Familie in die Türkei zu bringen.
Im Fall seiner Rückkehr nach Syrien befürchte er sowohl vom Regime als auch von den Kurden für den Militärdienst gesucht zu werden. Er habe niemals einen Einberufungsbefehl erhalten, würde aber aufgrund seines Alters eingezogen werden. Er habe auch kein Militärbuch erhalten. Befragt, wie er zu den kurdischen Kräften stehe, gab er an, dass seiner Meinung nach keiner Waffen einsetzen dürfe. Er sei auch niemals zwangsrekrutiert worden. Zum syrischen Regime sei zu sagen, dass es verbrecherisch sei. Die Kurden würden sich genauso verhalten wie das Regime. Befragt, wie er zur FSA stehe, gab er an, dass alle Gruppierungen schlecht seien. Befragt, warum er den Militärdienst nicht ableisten wolle, gab er an, dass er nicht wisse, wem er dienen solle.
Er könne sich auch ebenso wenig vorstellen, sich freizukaufen. Wie er erwähnt habe, sei das Regime verbrecherisch. Er frage sich auch, ob er ein solches unterstützen soll, das Menschen töten würde.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurden die Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur Situation in Syrien vom 27. 3. 2024, UNHCR: 1. Erwägungen zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (Aktualisierung V. und VI.), November 2017 und März 2021; InterimsIeitfaden zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Aufrechterhaltung der UNHCR-Position aus dem Jahr 2017, vom Februar 2020; Schreiben vom Februar 2020: Vorläufige UNHCR-Empfehlungen zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Fortgesetzte Anwendbarkeit der UNHCR-Position aus 2017, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 27. 1. 2022: Wehrdienst, ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 8. 9. 2022, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 14. 11. 2022: Rekrutierungspraxis der syrischen Regierungskräfte, EUAA Country Guidance: Syria vom April 2024, Asylländerbericht Syrien der ÖB Damaskus (Stand: Ende September 2021), Bericht DIS (Danish immigration Service), Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung Syrien – Wehrdienst, 27.01.2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068212/SYRI_SM_Wehrdienst_2022_01_27_KE.odt, Staatendokumentation des BFA zu Syrien: für Personenverkehr zur Einreise aktuell offener Grenzübergänge, 22.11.2022, ACCORD - Anfragebeantwortung zu Syrien: Sicherheitslage in Nordostsyrien, insbesondere in der Grenzregion um Semalka; Informationen zur Bewegungsfreiheit in den Gebieten unter kurdischer Selbstverwaltung [a-11859-2], 23.05.2022, Staatendokumentation des BFA - Anfragebeantwortung Syrien:, Fragen des BvwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion, 16.09.2022, 14.06.2023, ACCORD –Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikerinnen ermöglichen [a-12197], 24.08.2023, ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor): Anfragebeantwortung zu Syrien: Informationen über kurzen zeitlichen Aufschub zum Antritt des Wehrdiensts für Rückkehrer [a-12200], 5. September 2023, Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung Syrien – Wehrdienst, 27.01.2022, Staatendokumentation des BFA zu Syrien: für Personenverkehr zur Einreise aktuell offener Grenzübergänge, 22.11.2022, Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurden die Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur Situation in Syrien vom 27. 3. 2024, UNHCR: 1. Erwägungen zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (Aktualisierung römisch fünf. und römisch VI.), November 2017 und März 2021; InterimsIeitfaden zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Aufrechterhaltung der UNHCR-Position aus dem Jahr 2017, vom Februar 2020; Schreiben vom Februar 2020: Vorläufige UNHCR-Empfehlungen zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Fortgesetzte Anwendbarkeit der UNHCR-Position aus 2017, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 27. 1. 2022: Wehrdienst, ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 8. 9. 2022, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien vom 14. 11. 2022: Rekrutierungspraxis der syrischen Regierungskräfte, EUAA Country Guidance: Syria vom April 2024, Asylländerbericht Syrien der ÖB Damaskus (Stand: Ende September 2021), Bericht DIS (Danish immigration Service), Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung Syrien – Wehrdienst, 27.01.2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068212/SYRI_SM_Wehrdienst_2022_01_27_KE.odt, Staatendokumentation des BFA zu Syrien: für Personenverkehr zur Einreise aktuell offener Grenzübergänge, 22.11.2022, ACCORD - Anfragebeantwortung zu Syrien: Sicherheitslage in Nordostsyrien, insbesondere in der Grenzregion um Semalka; Informationen zur Bewegungsfreiheit in den Gebieten unter kurdischer Selbstverwaltung [a-11859-2], 23.05.2022, Staatendokumentation des BFA - Anfragebeantwortung Syrien:, Fragen des BvwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion, 16.09.2022, 14.06.2023, ACCORD –Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikerinnen ermöglichen [a-12197], 24.08.2023, ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor): Anfragebeantwortung zu Syrien: Informationen über kurzen zeitlichen Aufschub zum Antritt des Wehrdiensts für Rückkehrer [a-12200], 5. September 2023, Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung Syrien – Wehrdienst, 27.01.2022, Staatendokumentation des BFA zu Syrien: für Personenverkehr zur Einreise aktuell offener Grenzübergänge, 22.11.2022,
Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Einreise türkisch-syrische Grenze, Weiterreise in AANES-Gebiete, besonders Tal Rifaat, 29. März 2023, COUNTRY OF ORIGIN INFORMATION (COI) Report, Syria Military Service, Jänner 2024, Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] 6. September 2023, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: SYRIEN, Zugriff des syrischen Regimes auf Deserteure in der AANES, vom 17. 4. 2024,Syrien Grenzübergänge COI CMS Version 1, 25.10.2023, EUAA Syria, major human rights, security, socio-economic developments, Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Syrien: Rekrutierungspraxis YPG; Rekrutierung von Arabern, 2. März 2023, Staatendokumentation des BFA: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Provinz Aleppo 2012 bis 2017, Akteure in der Region zw. Manbidsch und Al Khafsah, 5. September 2019, Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo) vom 7. September 2023, EUAA Country of Origin Information – Syria-Security Information vom Oktober 2023 werden in das Verfahren eingeführt und dem Rechtsberater eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger. Er gehört der kurdischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Am 11. 10. 2021 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Stadtviertel XXXX in der Stadt Ar Raqqa im gleichnamigen Gouvernement, wo er geboren wurde und aufgewachsen ist, ehe er im Jahr 2012 in die Türkei reiste, wo er im Jahr 2017 wieder nach Syrien zurückkehrte, um sich gemeinsam mit seiner Mutter in die Türkei zu begeben. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Stadtviertel römisch 40 in der Stadt Ar Raqqa im gleichnamigen Gouvernement, wo er geboren wurde und aufgewachsen ist, ehe er im Jahr 2012 in die Türkei reiste, wo er im Jahr 2017 wieder nach Syrien zurückkehrte, um sich gemeinsam mit seiner Mutter in die Türkei zu begeben.
Die Stadt Ar-Raqqa steht als Teil der kurdischen Selbstverwaltungsregion unter weitgehender Kontrolle kurdischer Kräfte.
Der Beschwerdeführer besuchte in Syrien fünf bis sechs Jahre lang die Schule. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Mutter lebt in der Türkei, zwei Brüder leben in Katar und fünf Brüder in der Bundesrepublik Deutschland. Zwei Schwestern und ein Onkel väterlicherseits leben noch in Syrien. Er hat mit seiner Familie regelmäßigen Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.
Er verfügt in Österreich über den Status des subsidiär Schutzberechtigten.
Der Beschwerdeführer ist mit seinen aktuell XXXX Jahren im wehrpflichtigen Alter und hat seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee noch nicht abgeleistet. Es liegt keine Befreiung vor. Er hat keinen Einberufungsbefehl erhalten. Der Beschwerdeführer ist mit seinen aktuell römisch 40 Jahren im wehrpflichtigen Alter und hat seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee noch nicht abgeleistet. Es liegt keine Befreiung vor. Er hat keinen Einberufungsbefehl erhalten.
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes in der syrisch-arabischen Armee (SAA) des syrischen Regimes gesetzlich verpflichtend. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen.
Die Region, aus der der Beschwerdeführer stammt, liegt nicht im Einfluss- und Kontrollgebiet der syrischen Regierung, sondern, wie oben festgestellt, im von der SDF (Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES) besetzten Gebiet. Die syrischen Militärbehörden können dort im Allgemeinen keine Rekrutierungen durchführen und unterhalten in diesen Gebieten auch keine Präsenz.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr nach Syrien und konkret in die Region, aus der er stammt, und insbesondere in seinen Herkunftsort nicht die Gefahr, zum Wehrdienst bei der syrischen Armee einberufen zu werden. Der Beschwerdeführer läuft bei einer Rückkehr dorthin auch nicht Gefahr, aufgrund einer Verweigerung der Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee, relevanten Repressalien ausgesetzt zu sein.
Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich aufgrund seines Jahrgangs XXXX in seiner Herkunftsregion bei der kurdischen Selbstverwaltung „wehrpflichtig“. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich aufgrund seines Jahrgangs römisch 40 in seiner Herkunftsregion bei der kurdischen Selbstverwaltung „wehrpflichtig“.
Männer, geboren im Jahr 1998 oder später, welche das 18. Lebensjahr erreicht haben, sind zum „Wehrdienst“ („Selbstverteidigungspflicht“) in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ („AANES“) verpflichtet. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Das Alter ist nun in allen betreffenden Gebieten dasselbe. Zuvor variierte das Alter je nach Gebiet und war auch das Alterslimit bis 40 Jahre.
Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst bei der kurdischen Selbstverwaltung nicht abgeleistet. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der kurdischen Selbstverwaltung zum Militärdienst eingezogen würde, dauert der Wehrdienst aktuell ein Jahr. Der Einsatz der Rekruten erfolgt normalerweise im Bereich des Nachschubs und des Objektschutzes. Eine Verlegung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch bzw. im Konfliktfall.
Eine Verweigerung des Wehrdienstes in seiner Herkunftsregion wird durch die kurdische Selbstverwaltung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung gesehen.
Unter Umständen kann bei einem Entzug eine Verhaftung, berichtsweise von ein bis zwei Wochen, drohen, sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes um ein Monat – einigen Berichten zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft „für eine Zeitspanne“.
Bei einer Einziehung zum Wehrdienst der kurdischen Selbstverwaltung ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht von einer Beteiligung an Kampfhandlungen und/oder Menschenrechtsverletzungen auszugehen.
Die kurdischen Streitkräfte (SDF/AANES) versuchten überdies – trotz Erreichen des wehrpflichtigen Alters – den Beschwerdeführer, in seiner Heimat, vor seiner Ausreise, nicht unter Zwang zu rekrutieren. Hinsichtlich der Einberufungspflicht wurde der Beschwerdeführer auch nicht von den kurdischen Autonomiebehörden schriftlich informiert und nahmen diese nach der Ausreise des Beschwerdeführers wegen der Selbstverteidigungspflicht auch keinen Kontakt mit seiner Familie auf.
Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung oder Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch die kurdischen Kräfte aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber oder aus sonstigen Gründen.
Auch eine Verfolgung seitens des IS („Islamischer Staat“) oder anderer oppositioneller Gruppierungen ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer auf Grund seiner illegalen Ausreise aus Syrien, seinem Aufenthalt in Österreich sowie Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich, die Gefahr der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen durch das syrische Regime.
Nicht allen Rückkehrenden, die unrechtmäßig ausgereist sind und die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Dem Beschwerdeführer droht in Syrien aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.
Der Beschwerdeführer kann seinen Herkunftsort über den irakisch-syrischen Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur gefahrlos, insbesondere ohne Kontakt zum syrischen Regime, erreichen.
Zur Situation im Herkunftsstaat:
Politische Lage
[…]
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung: 08.03.2024
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba‘athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba‘ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba‘ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren ‚zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel‘. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba‘ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn „absolute Notwendigkeit“ dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba‘ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn „absolute Notwendigkeit“ dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein „ehrenrühriges“ Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als ‚weder frei noch fair‘ und als ‚betrügerisch‘, und die Opposition nannte sie eine ‚Farce‘ (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein „ehrenrühriges“ Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als ‚weder frei noch fair‘ und als ‚betrügerisch‘, und die Opposition nannte sie eine ‚Farce‘ (Standard 28.5.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das „Volksrat“ genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba‘ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 Prozent (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).
Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba‘ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.2.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.3.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022).
Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nodes/29884854, Zugriff 15.2.2024
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/document/2089904.html, Zugriff 23.6.2023
? BBC - BBC News (2.5.2023): Why is there a war in Syria?, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-35806229, Zugriff 23.6.2023
? BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Syria, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SYR.pdf Zugriff 23.6.2023
? Enab - Enab Baladi (23.1.2023): Following ‚Captagon Act‘, Will Washington put al-Assad on Noriega’s track, https://english.enabbaladi.net/archives/2023/01/following-captagon-act-will-washington-put-al-assad-on-noriegas-track/, Zugriff 23.6.2023
? FH - Freedom House (9.3.2023): Freedom in the World 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2088564.html, Zugriff 23.6.2023
? MEI - Middle East Institute (24.7.2020): Syria’s 2020 parliamentary elections: The worst joke yet, https://www.mei.edu/publications/syrias-2020-parliamentary-elections-worst-joke-yet, Zugriff 23.6.2023
? Reuters (28.5.2021): Syria’s Assad wins 4th term with 95% of vote, in election the West calls fraudulent, https://www.reuters.com/world/middle-east/syrias-president-bashar-al-assad-wins-fourth-term-office-with-951-votes-live-2021-05-27/, Zugriff 23.6.2023
? SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 23.6.2023
? Spiegel, Der (17.6.2022): „Sie selbst sind das Kartell“, https://www.spiegel.de/ausland/syrien-drogenhandel-des-regimes-von-baschar-al-assad-sie-selbst-sind-das-kartell-a-869b875b-5edd-46c5-b2c7-f3074ca91791, Zugriff 23.6.2023
? Standard - Standard, der (28.5.2021): Syriens Machthaber Assad erhält bei ‚Präsidentenwahl‘ 95 Prozent, https://www.derstandard.at/story/2000126983065/syriens-machthaber-assad-erhaelt-bei-praesidentenwahl-95-prozent, Zugriff 23.6.2023
? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF - Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052987/Syria+Chapter+AR2021.pdf, Zugriff 23.6.2023
? USDOS – United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2091896.html, Zugriff 23.6.2023
? USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): Country Report on Human Rights Practices 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089061.html, Zugriff 23.6.2023
? WP - Washington Post, The (22.7.2020): Syria’s elections have always been fixed. This time, even candidates are complaining., https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/syrias-elections-have-always-been-fixed-this-time-even-candidates-are-complaining/2020/07/22/76e0bb12-cb5f-11ea-99b0-8426e26d203b_story.html, Zugriff 23.6.2023
„Versöhnungsabkommen“ (auch „Beilegungsabkommen“)
Letzte Änderung 08.03.2024
Die syrischen Behörden nutzen sogenannte „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als „settlement agreements“ - Beilegungsabkommen - bezeichnet] seit Beginn des Konfliktes (NMFA 5.2022). Die Evakuierung der von Rebellen gehaltenen Gemeinde Daraya im August 2016 markierte dabei einen Wendepunkt in der Nutzung von Versöhnungsabkommen durch die syrische Regierung als Strategie zur Rückeroberung der von Rebellen gehaltenen Gebiete. Bis zur Vereinbarung in Daraya waren in verschiedenen Gemeinden in ganz Syrien örtlich begrenzte Waffenstillstände eingesetzt worden. Sowohl die lokalen Waffenstillstände als auch die Versöhnungsvereinbarungen sind eine militärische Strategie, mit der Rebellengebiete entweder sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Einlenken gezwungen werden sollen, um Menschen und Gebiete in den Staat wiedereinzugliedern (MEE 28.3.2018). Das Verfahren ist grundsätzlich für Personen gedacht, die im Sicherheitsapparat aktenkundig sind oder die von den Behörden im Zusammenhang mit einer offenen Angelegenheit gesucht werden. Sowohl Kombattanten als auch Zivilisten können Versöhnungsvereinbarungen unterzeichnen. Es gibt lokale und individuelle Versöhnungsabkommen (NMFA 5.2022).
Lokale Versöhnungsabkommen in ehemaligen Oppositionsgebieten
Die „Versöhnungsprozesse“ scheinen ad hoc durchgeführt zu werden, was bedeutet, dass sie variieren und keine eindeutige Beschreibung des Prozesses gegeben werden kann. Für die praktische Umsetzung der Vereinbarungen ist ein „Versöhnungsausschuss“ zuständig. Dieses Gremium ist kein Gericht. Es gibt kein materiell-rechtliches Verfahren und das Justizministerium ist nicht beteiligt. Das Ergebnis ist kein Urteil, sondern eine Sicherheitserklärung. Der Inhalt des Abkommens kann nicht angefochten werden. Die betreffende Person gibt ihre leichten Waffen ab und erklärt schriftlich, dass sie von Widerstandstätigkeiten absehen wird. Im Gegenzug verspricht die syrische Regierung, die Vorwürfe aus dem Strafregister zu streichen und den Namen der Person von den Fahndungslisten zu entfernen. Männer, die noch ihren Militärdienst ableisten müssen, haben sechs Monate Zeit, sich beim Rekrutierungsbüro zu melden. Es gibt Quellen, die berichten, dass diejenigen, die freigelassen werden, ein Dokument erhalten (NMFA 5.2022).
Der Abschluss der „Versöhnungsabkommen“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen (ÖB Damaskus 12.2022). Laut der Syrian Association for Citizen‘s Dignity (SACD), eine 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Basisbewegung aus Syrien, gehörten zu den Taktiken bisher auch Belagerungen, bei denen das Regime die Menschen in diesen Gebieten nicht nur der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten beraubte, sondern sie auch mit Luftangriffen und Granaten beschoss, die Infrastruktur zerstörte und Zivilisten tötete, um das Gebiet schließlich zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zu zwingen (SACD 8.11.2021). Im Allgemeinen bieten die Versöhnungsverfahren zwei Möglichkeiten: eine Versöhnungsvereinbarung zu unterzeichnen und weiterhin im Regierungsgebiet zu leben oder in das Oppositionsgebiet im Nordwesten Syriens zu ziehen (NMFA 5.2022). Die Vereinbarungen beinhalten oft die Evakuierung der Gebiete von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden (ÖB Damaskus 12.2022). Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. OFPRA 13.12.2022) und sind de facto Kapitulationsvereinbarungen (NMFA 5.2022; vgl. SACD 8.11.2021, TIMEP 15.10.2021). Weiters dienen die Versöhnungsabkommen der Syrischen Regierung zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die dann entweder in der regulären Armee oder regierungsnahen Milizen dienen müssen (EUAA 10.2023).