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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §167 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat V) vom 17. Dezember 1991, Zl. 6/3-3056/90-07, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für 1985 bis 1987, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.190,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der seinen Beruf als "Schauspieler, Autor" bezeichnet, verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Schauspieler. In den Streitjahren war er unter anderem als Sprecher von Werbetexten im Rundfunk und Fernsehen tätig. Streit besteht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich darüber, ob diese Tätigkeit als künstlerische oder als gewerbliche Tätigkeit anzusehen ist.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit verneint, was zur Folge hatte, daß bei der Einkommensbesteuerung der Pauschbetrag gemäß § 4 Abs. 6 EStG 1972 für üblicherweise nicht belegbare Betriebsausgaben sowie bei der Umsatzbesteuerung der ermäßigte Steuersatz gemäß § 10 Abs. 2 Z. 8 UStG 1972 nicht zuerkannt und von den Einkünften Gewerbesteuer vorgeschrieben wurde.
In der Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Tätigkeit des Beschwerdeführers wurde vom Finanzamt zunächst als künstlerisch anerkannt. Erstmals im Zuge einer Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987 vertrat der Prüfer die Auffassung, daß im Sprechen von Werbetexten keine künstlerische Tätigkeit zu erblicken sei, und begründete dies im wesentlichen wie folgt:
Nach Lehre und Rechtsprechung müsse sich in einer künstlerischen Tätigkeit die individuelle Anschauung und Gestaltungskraft des Künstlers widerspiegeln. Es müsse sich um eine persönliche, eigenschöpferische Tätigkeit handeln, die in einem umfassenden Kunstfach erbracht werde und eine künstlerische Gestaltungshöhe erreiche. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers bestehe nach dessen eigenem Vorbringen darin, einen vorgegebenen Text innerhalb bestimmter Zeit zu artikulieren. Text, Gestaltungsform, Länge der Information und der zu vermittelnde Inhalt seien von der produzierenden Werbeagentur bzw. durch die Wünsche des Auftraggebers festgelegt. In einer Stellungnahme der Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe, Sektion Bühnenangehörige, werde zwar bestätigt, daß der Beschwerdeführer durch sein Vermögen als reproduzierender Künstler seine Persönlichkeit mitformend und gestaltend in das Werk einbringe, es werde aber übersehen, daß seine künstlerische Entfaltungsmöglichkeit, trotz möglicherweise geringfügiger Freiheiten bei der Vortragstechnik, einerseits durch genaue vorgegebene Zielvorstellungen des Auftraggebers über Gestaltung, Art und Wesen des Werbespots und andererseits durch den bei diesen Sendungen üblichen Zeitablauf und durch andere Faktoren wesentlichen Einschränkungen unterworfen sei. Es sei auch darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer eine Vielzahl verschiedener Aufträge (ca. 400 pro Jahr) für mehrere Firmen durchführe. Schließlich sei zu beachten, daß das Endprodukt selbst nicht um der Kunst willen geschaffen werde, sondern in seinem gesamten Umfang im kommerziellen Gebrauch eine zweckgebundene Anwendung finde.
Der Beschwerdeführer hat dem entgegengehalten, daß unter Schauspielkunst zwar die Darstellung von Szenen mittels der Sprache, der Mimik und der Gestik zu verstehen sei, daß aber einerseits die Sprache entbehrlich sei (Pantomime) und andererseits Kunst auch nur sprachlich dargestellt werden könne (Rezitation, Hörspiel). Die Werbespots hätten meist "szenischen Charakter (quasi als Minihörspiel)", gingen also über den Charakter einer reinen Information, wie sie ein Nachrichtensprecher vermittle, hinaus. Dem Argument, der Beschwerdeführer habe in Ausübung seiner Tätigkeit zuwenig künstlerische Freiheit, könne nicht beigepflichtet werden. Es liege im Wesen einer reproduzierenden künstlerischen Tätigkeit, daß der künstlerischen Freiheit durch die Werktreue relativ enge Grenzen gesetzt werden. So sei es denkunmöglich, daß ein Orchestermusiker seine individuelle Tempovorstellung ungehindert in die Praxis umsetzt. Auch bei Bühnenwerken werde der künstlerische Ablauf wesentlich vom Regisseur festgelegt. Der Zweck, dem eine künstlerische Tätigkeit diene, sei für ihre Eigenschaft als künstlerisch ohne Bedeutung.
In der Beschwerde wird schließlich gerügt, daß sich die belangte Behörde mit Inhalt und Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt und ihre Entscheidung nur damit begründet habe, daß Werbetexte keine Kunstwerke seien. Sie hätten den Zweck, ein Produkt in kurzer und prägnanter Weise vorzustellen, darauf aufmerksam zu machen, darüber zu informieren und zum Konsum anzuregen und aufzufordern. Sie würden nicht in der Absicht, einen Kunstgenuß zu vermitteln, verbreitet und auch nicht mit dieser Erwartung gehört.
Der Beschwerdeführer ist mit seiner Rüge im Recht. Ob eine Tätigkeit als künstlerisch anzusehen ist oder nicht, erfordert eine sorgfältige Ermittlung des Tätigkeitsbildes und dessen Beurteilung. Wie der Gerichtshof in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Mai 1990, 89/14/0022, ausgesprochen hat, kommt dem konkreten Zweck einer künstlerischen Tätigkeit (z.B. Musikdarbietung zum Zweck der Unterhaltung bei Weinmessen, Heurigen oder ähnlichen Veranstaltungen) keine entscheidende Bedeutung zu. Liegt eine künstlerische Tätigkeit vor, so behält sie diese Eigenschaft auch dann, wenn sie nicht des Kunstgenusses wegen ausgeübt wird. Der Gerichtshof hat in dem zitierten Erkenntnis auch auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Einkommensteuergesetzes 1972 (474 Blg.NR, XIII. GP) verwiesen. Dort wurde die frühere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach einer Tätigkeit die künstlerische Eigenschaft abzusprechen war, wenn sie im Rahmen nicht künstlerischer Veranstaltungen (z.B. Modeschauen, Werbeveranstaltungen) ausgeübt wurde, als "unbefriedigend" bezeichnet. Mit dieser Begründung wurde im § 22 Abs. 1 Z. 1 EStG 1972 ausdrücklich normiert, daß eine freiberufliche - und damit u.a. eine künstlerische - Tätigkeit auch dann vorliegt, wenn ein Angehöriger eines freien Berufes in seinem Beruf im Rahmen von Veranstaltungen tätig wird, denen die für das Vorliegen einer freiberuflichen Tätigkeit erforderlichen Eigenschaften fehlen.
Der Einsatz künstlerischen Tätigwerdens für Zwecke der Werbung bietet demnach keinen Grund, der Tätigkeit ihren künstlerischen Charakter abzusprechen. Genau dies hat aber die belangte Behörde getan, wenn sie den ZWECK von Werbetexten und wohl auch von Werbespots als Argument dafür heranzieht, um eine künstlerische Tätigkeit der daran mitwirkenden Personen von vornherein auszuschließen.
Der Gerichtshof vertritt die Auffassung, daß künstlerisches Schaffen in den vielfältigsten Bereichen menschlichen Tätigwerdens denkbar ist. Als Ausdrucksmittel kann Kunst nicht nur das Bedürfnis des Menschen nach Schönem, Sinnes- oder Stimmungserlebnissen befriedigen, sie kann auch belehrende, richtiges und falsches menschliches Verhalten aufzeigende und deutende oder drohende Fehlentwicklungen bewußtmachende Funktionen haben (z.B. Kabarett-Kunst). Sie kann als Mittel eingesetzt werden, um Menschen zu einem bestimmten Verhalten bzw. zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen. Gerade die Komponente des Eindrucksvollen, die ein Kunstwerk regelmäßig kennzeichnet, macht es auch geeignet, Informationen mit besonderer Wirkung an Informationsempfänger heranzutragen. Diesen Umstand macht sich mitunter auch die Werbewirtschaft zunutze. Es kann daher nicht von vornherein gesagt werden, kommerzielle Werbung könne nicht mit künstlerischen Mitteln und unter Einsatz künstlerischer Tätigkeit erfolgen. Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen Prüfung, ob die jeweilige Werbung künstlerische Aspekte aufweist, die ihrerseits wiederum auf eine künstlerische Tätigkeit der an der Werbung mitwirkenden Personen hinweist. Entscheidend für diese Prüfung wird - wie bei jedem künstlerischen Schaffen - das geschaffene Werk sein. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch im Bereich der sogenannten "reproduzierenden Kunst" das Ergebnis der künstlerischen Tätigkeit ein eigenständiges Kunstwerk ist, das vom "reproduzierten Kunstwerk" zu unterscheiden ist. Die Aufführung eines musikalischen Werkes ist als Kunstwerk getrennt vom Werk des Komponisten zu sehen und kann, verglichen mit anderen Aufführungen, unterschiedliche Werkhöhe erreichen. Gleiches gilt für die Aufführung eines Schauspiels. Auch hier führt die künstlerische Leistung der Schauspieler und des Regisseurs zu einem Kunstwerk, das von dem des Dichters zu unterscheiden ist. So gesehen ist der Ausdruck "reproduzierende Kunst" unglücklich und irreführend, weil er den Eindruck vermittelt, es werde dabei ein seinerzeit geschaffenes Kunstwerk nach Art einer wirtschaftlichen Produktion von Waren vervielfältigt. In Wahrheit besteht die künstlerische Leistung jener Personen, die ein Werk der Musik- oder Dichtkunst aufführen, darin, ein solches Werk mit adäquaten künstlerischen Ausdrucksmitteln darzustellen bzw. es mit jenen Sinnen erfahrbar zu machen, die das Erleben von Kunst ermöglichen. Das so geschaffene Werk ist hinsichtlich seines künstlerischen Gehaltes überprüfbar und gibt trotz zugegebener Schwierigkeit dieser Prüfung letztlich Aufschluß darüber, ob die Tätigkeit, mit der das Werk geschaffen wurde, als künstlerisch zu beurteilen ist oder nicht.
Fließen daher in einen Werbespot trotz seiner Kürze und seiner angestrebten Werbewirksamkeit maßgebende künstlerische Elemente ein und wird er von künstlerischer Tätigkeit so deutlich geprägt, daß ihm die Eigenschaft eines Kunstwerkes zukommt, etwa nach Art eines Sketches, so könnte das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit nicht verneint werden.
Da der angefochtene Bescheid eine derartige Prüfung durch die belangte Behörde nicht erkennen läßt, erweist er sich als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1992130082.X00Im RIS seit
11.07.2001