Entscheidungsdatum
13.09.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W151 2289842-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 05.03.2024, Zl. XXXX wegen § 3 AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 alias römisch 40 , geb. am römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 05.03.2024, Zl. römisch 40 wegen Paragraph 3, AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 , geb. am römisch 40 , gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , geb. am römisch 40 , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am folgenden Tag fand eine Erstbefragung durch Organwalter der Polizeiinspektion Nickelsdorf statt.1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am römisch 40 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am folgenden Tag fand eine Erstbefragung durch Organwalter der Polizeiinspektion Nickelsdorf statt.
2. Am 28.09.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.03.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.03.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer keine ihn persönlich konkret und unmittelbar betreffende aktuelle Bedrohung oder Verfolgung in Syrien glaubhaft dargelegt habe. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar im wehrfähigen Alter und habe glaubhaft dargelegt, dass der den Wehrdienst für die syrische Armee bislang noch nicht abgeleistet habe, jedoch stehe sein letzter Wohnort XXXX , in der Nähe der Stadt Manbij, unter der Kontrolle der SDF. Da sich die Heimatregion des Beschwerdeführers außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes befinde, sei eine Einberufung bzw. Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch die syrische Regierung nicht maßgeblich wahrscheinlich. Der Beschwerdeführer habe Syrien bereits als Minderjähriger verlassen und werde daher im Falle seiner Rückkehr vom syrischen Regime auch nicht als Wehrdienstverweigerer angesehen. Zudem könne er sich aufgrund seines Aufenthalts im Ausland durch die Zahlung einer Gebühr vom Wehrdienst freikaufen. Die erstmals vor dem BFA vorgebrachte Zwangsrekrutierung durch die Kurden sei aufgrund der äußerst vagen und spekulativen Schilderung nicht glaubhaft. Begründend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer keine ihn persönlich konkret und unmittelbar betreffende aktuelle Bedrohung oder Verfolgung in Syrien glaubhaft dargelegt habe. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar im wehrfähigen Alter und habe glaubhaft dargelegt, dass der den Wehrdienst für die syrische Armee bislang noch nicht abgeleistet habe, jedoch stehe sein letzter Wohnort römisch 40 , in der Nähe der Stadt Manbij, unter der Kontrolle der SDF. Da sich die Heimatregion des Beschwerdeführers außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes befinde, sei eine Einberufung bzw. Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch die syrische Regierung nicht maßgeblich wahrscheinlich. Der Beschwerdeführer habe Syrien bereits als Minderjähriger verlassen und werde daher im Falle seiner Rückkehr vom syrischen Regime auch nicht als Wehrdienstverweigerer angesehen. Zudem könne er sich aufgrund seines Aufenthalts im Ausland durch die Zahlung einer Gebühr vom Wehrdienst freikaufen. Die erstmals vor dem BFA vorgebrachte Zwangsrekrutierung durch die Kurden sei aufgrund der äußerst vagen und spekulativen Schilderung nicht glaubhaft.
4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass dem XXXX -jährigen Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine (Zwangs-)Rekrutierung durch das syrische Regime drohe. Er stamme aus einem vom syrischen Regime rückeroberten Gebiet – XXXX im Umland der Stadt Aleppo – und sei daher unmittelbar von einer Einberufung in den Wehrdienst des syrischen Regimes betroffen. Der Beschwerdeführer lehne es aus Gewissensgründen ab, am Bürgerkrieg in Syrien teilzunehmen. Der Freikauf biete keinerlei Sicherheit vor einer Einberufung, da die Berichtslage, ob die Zahlung der Befreiungsgebühr in der Praxis tatsächlich anerkannt werde, uneinheitlich sei und in Syrien Willkür herrsche. Zur Wehrpflicht für die kurdischen Kräfte sei den Länderberichten zu entnehmen, dass die rechtlichen Sanktionen für Wehrdienstverweigerung, jenen der syrischen Regierung ähnlich seien. Weiters gelte das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, da es sich um ein rückerobertes Gebiet handle, als Rebellenhochburg, sodass er besonders gefährdet sei, als Gegner der syrischen Regierung angesehen zu werden. Zudem werde dem Beschwerdeführer aufgrund der Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass dem römisch 40 -jährigen Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine (Zwangs-)Rekrutierung durch das syrische Regime drohe. Er stamme aus einem vom syrischen Regime rückeroberten Gebiet – römisch 40 im Umland der Stadt Aleppo – und sei daher unmittelbar von einer Einberufung in den Wehrdienst des syrischen Regimes betroffen. Der Beschwerdeführer lehne es aus Gewissensgründen ab, am Bürgerkrieg in Syrien teilzunehmen. Der Freikauf biete keinerlei Sicherheit vor einer Einberufung, da die Berichtslage, ob die Zahlung der Befreiungsgebühr in der Praxis tatsächlich anerkannt werde, uneinheitlich sei und in Syrien Willkür herrsche. Zur Wehrpflicht für die kurdischen Kräfte sei den Länderberichten zu entnehmen, dass die rechtlichen Sanktionen für Wehrdienstverweigerung, jenen der syrischen Regierung ähnlich seien. Weiters gelte das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, da es sich um ein rückerobertes Gebiet handle, als Rebellenhochburg, sodass er besonders gefährdet sei, als Gegner der syrischen Regierung angesehen zu werden. Zudem werde dem Beschwerdeführer aufgrund der Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.
5. Die Beschwerde wurde unter Anschluss des Verwaltungsaktes am 08.04.2024 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vorgelegt.
6. Das BVwG führte am 18.06.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er ist ledig und hat keine Kinder.Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch 40 alias römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , östlich der Stadt Dair Hafer, im Gouvernement Aleppo geboren. Aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen verließ der der Beschwerdeführer im Jahr XXXX gemeinsam mit seiner Familie sein Heimatdorf und zog in das Dorf XXXX ebenfalls im Gouvernement Aleppo, dass sich im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung für Nord-und Ostsyrien befindet.Der Beschwerdeführer wurde in römisch 40 , östlich der Stadt Dair Hafer, im Gouvernement Aleppo geboren. Aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen verließ der der Beschwerdeführer im Jahr römisch 40 gemeinsam mit seiner Familie sein Heimatdorf und zog in das Dorf römisch 40 ebenfalls im Gouvernement Aleppo, dass sich im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung für Nord-und Ostsyrien befindet.
Der Vater des Beschwerdeführers ist am Weg nach XXXX bei der Überquerung eines Flusses ertrunken. Der Beschwerdeführer lebte in XXXX mit seiner Mutter sowie seinen zwei Brüder und vier Schwestern in einem Zelt, wo sie über kein gesichertes Einkommen verfügten. Mittlerweile ist die Mutter mit den Geschwistern nach XXXX zurückgekehrt. In Österreich leben ein Onkel sowie eine Tante des Beschwerdeführers samt ihren Familien.Der Vater des Beschwerdeführers ist am Weg nach römisch 40 bei der Überquerung eines Flusses ertrunken. Der Beschwerdeführer lebte in römisch 40 mit seiner Mutter sowie seinen zwei Brüder und vier Schwestern in einem Zelt, wo sie über kein gesichertes Einkommen verfügten. Mittlerweile ist die Mutter mit den Geschwistern nach römisch 40 zurückgekehrt. In Österreich leben ein Onkel sowie eine Tante des Beschwerdeführers samt ihren Familien.
Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers – XXXX im Gouvernement Aleppo – befindet sich aktuell unter der Kontrolle des syrischen Regimes.Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers – römisch 40 im Gouvernement Aleppo – befindet sich aktuell unter der Kontrolle des syrischen Regimes.
Der Beschwerdeführer reiste im XXXX von Syrien in die Türkei aus, wo er sich ungefähr einen Monat aufhielt, bevor er weiter nach Europa reiste.Der Beschwerdeführer reiste im römisch 40 von Syrien in die Türkei aus, wo er sich ungefähr einen Monat aufhielt, bevor er weiter nach Europa reiste.
Der Beschwerdeführer konnte kriegsbedingt lediglich ein Jahr die Schule besuchen und kann weder lesen noch schreiben. Er arbeitete als Automechaniker in Syrien.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 Monaten bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben, gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren.Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 Monaten bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben, gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren.
Der Beschwerdeführer befindet sich im wehrpflichtigen Alter und hat seinen verpflichtenden Wehrdienst nicht abgeleistet. Er lehnt den Wehrdienst bei der syrischen Armee ab und würde diesen bei einer Rückkehr verweigern. Der Beschwerdeführer vertritt eine politische Gesinnung, die in Opposition zum aktuellen syrischen Machthaber steht.
Bei einer Rückkehr wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum Militärdienst bei der syrischen Armee zwangsweise eingezogen werden, wo er zur Beteiligung an Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gezwungen ist. Bei einer Weigerung würde er zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit Folter und erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers verbunden wäre.
Die Möglichkeit eines Freikaufes besteht im Fall des Beschwerdeführers nicht bzw. ist diesem nicht zumutbar. Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit zu werden. Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Der Beschwerdeführer verfügt über keine nennenswerten finanziellen Mittel um die Zahlung einer Gebühr in Höhe von 10.000 USD zu bewerkstelligen. Zudem müsste er sich vor der Zahlung an die Botschaft wenden, wobei diese wiederum das syrische Verteidigungsministerium kontaktiert, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann. Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert es in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Es ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar, sich an den ihn verfolgenden Staat zu wenden, um sich von dieser Verfolgung freizukaufen und dabei seine Daten bekannt geben zu müssen.
Bei einer Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:
a) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) (im Folgenden kurz: LIB):
b) UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021.
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS):
„3. Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023).
Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes