Entscheidungsdatum
18.09.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W136 2289022-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.02.2024, Zl. 1353945407/231009698, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.02.2024, Zl. 1353945407/231009698, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.A) Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 24.05.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 30.05.2023 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.
Zu seinen Fluchtgründen gab er an, Syrien wegen des Islamischen Staates (IS) und wegen einer drohenden Einziehung zum Militärdienst verlassen zu haben. Weiters habe er Angst vor der kurdischen Miliz (Aktenseite, AS 15).
Die korrekte Rückübersetzung und die Verständlichkeit wurden bestätigt (AS 17).
2. Am 18.01.2024 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen.
Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass er Syrien verlassen habe, da er am Militärdienst teilnehmen müsse und nicht kämpfen wolle. Er sei Ende des Jahres 2015 ausgereist und in die Türkei gegangen nachdem Daesh (IS) die Kontrolle übernommen hätte und ihn rekrutieren habe wollen. Er sei im Jahr 2018 wieder zu Besuch nach XXXX zurückgekehrt und zum kurdischen und zum syrischen Militärdienst einberufen worden. Im Zuge dessen sei er nach Hama gereist, um einen syrischen Personalausweis zu beantragen. Auf der Rückreise nach XXXX sei er von der Regierung festgenommen und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er innerhalb von zwei Monaten zum Militär müsse. Dann sei er nach Hama zurückgekehrt und habe einen Schlepper organisiert, um Syrien zu verlassen. Überdies werde er wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime in der Türkei gesucht (AS 40-43). Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass er Syrien verlassen habe, da er am Militärdienst teilnehmen müsse und nicht kämpfen wolle. Er sei Ende des Jahres 2015 ausgereist und in die Türkei gegangen nachdem Daesh (IS) die Kontrolle übernommen hätte und ihn rekrutieren habe wollen. Er sei im Jahr 2018 wieder zu Besuch nach römisch 40 zurückgekehrt und zum kurdischen und zum syrischen Militärdienst einberufen worden. Im Zuge dessen sei er nach Hama gereist, um einen syrischen Personalausweis zu beantragen. Auf der Rückreise nach römisch 40 sei er von der Regierung festgenommen und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er innerhalb von zwei Monaten zum Militär müsse. Dann sei er nach Hama zurückgekehrt und habe einen Schlepper organisiert, um Syrien zu verlassen. Überdies werde er wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime in der Türkei gesucht (AS 40-43).
Den Dolmetscher habe er einwandfrei verstanden und habe keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung (AS 48).
Insgesamt waren ein syrischer Personalausweis (im Original), ein Auszug aus dem Personenstandsregister der Ehefrau des BF und ein Schreiben zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht des BF vorgelegt worden (Kopien AS 55 – 59, Übersetzungen AS 63-67).
3. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 22.02.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). 3. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 22.02.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und diesem gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Das BFA begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung in Spruchpunkt I. im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen hinsichtlich einer Einberufung zum syrischen bzw. kurdischen Militär bzw. zur politischen Verfolgung durch die syrische Regierung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen in der Türkei als nicht glaubhaft zu werten sei. Sein gesamtes Vorbringen bezüglich seiner Fluchtgründe sei vage und unsubstantiiert gewesen und es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF seitens des syrischen Regimes gesucht werde. Es sei ihm insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründen habe, glaubhaft zu machen. Es habe daher vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und dem Vorbringen des BF nicht festgestellt werden können, dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung drohe. Das BFA begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung in Spruchpunkt römisch eins. im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen hinsichtlich einer Einberufung zum syrischen bzw. kurdischen Militär bzw. zur politischen Verfolgung durch die syrische Regierung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen in der Türkei als nicht glaubhaft zu werten sei. Sein gesamtes Vorbringen bezüglich seiner Fluchtgründe sei vage und unsubstantiiert gewesen und es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF seitens des syrischen Regimes gesucht werde. Es sei ihm insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründen habe, glaubhaft zu machen. Es habe daher vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und dem Vorbringen des BF nicht festgestellt werden können, dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung drohe.
4. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde ein lediglich mangelhaftes Ermittlungsverfahren zum Fluchtgrund durchgeführt hätte. Der BF befürchte sowohl vom syrischen Regime als auch von den Kurden zum Militär eingezogen zu werden, dort werde er zu schwersten Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gezwungen. Sowohl seitens der Regierung als auch seitens der Kurden würde ihm eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt, welche sich gegenüber der Regierung auch durch die Asylantragstellung im Ausland manifestiere. Dem BF sei aus den genannten Gründen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. 4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde ein lediglich mangelhaftes Ermittlungsverfahren zum Fluchtgrund durchgeführt hätte. Der BF befürchte sowohl vom syrischen Regime als auch von den Kurden zum Militär eingezogen zu werden, dort werde er zu schwersten Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gezwungen. Sowohl seitens der Regierung als auch seitens der Kurden würde ihm eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt, welche sich gegenüber der Regierung auch durch die Asylantragstellung im Ausland manifestiere. Dem BF sei aus den genannten Gründen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
5. Die Beschwerde samt dem dazugehörigen Verwaltungsakt langte am 25.03.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
6. Am 01.07.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die arabische Sprache mit dem BF und dessen Rechtsvertreter eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, bei der der BF ausführlich zu seinen persönlichen und familiären Umständen und Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil, hatte aber bereits bei Vorlage des Aktes die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Der BF spricht Arabisch.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF stammt aus der Stadt XXXX , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens.Der BF stammt aus der Stadt römisch 40 , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens.
Dort hat er bis zur 8. Schulstufe die Schule besucht. Von 2015 bis 2018 war der BF in der Türkei aufhältig und hat dort als Schneider und Autospengler gearbeitet. Nach seinem ca. zweimonatigen Aufenthalt in Syrien im Jahr 2018 ging der BF wieder in die Türkei und war dort wiederum als Schneider und zuletzt als Betreiber eines Lebensmittelgeschäfts tätig. Im Jahr 2023 hat der BF die Türkei verlassen und ist Richtung Österreich ausgereist.
Der BF ist seit 2018 mit seiner Ehefrau XXXX , traditionell verheiratet und hat mit ihr zwei Söhne, nämlich XXXX und XXXX . Die Ehe wurde nicht registriert. Die Familie des BF lebt aktuell im Dorf XXXX , nördlich der Stadt XXXX . Der BF ist seit 2018 mit seiner Ehefrau römisch 40 , traditionell verheiratet und hat mit ihr zwei Söhne, nämlich römisch 40 und römisch 40 . Die Ehe wurde nicht registriert. Die Familie des BF lebt aktuell im Dorf römisch 40 , nördlich der Stadt römisch 40 .
Weiters leben der Vater ( XXXX ) und die Mutter ( XXXX ) des BF, beide geb. XXXX , sowie 5 Schwestern ( XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX ) und 4 Brüder ( XXXX ) des BF alle im Dorf XXXX nördlich der Stadt XXXX . Ein Bruder des BF lebt in der Türkei ( XXXX ). Weiters leben der Vater ( römisch 40 ) und die Mutter ( römisch 40 ) des BF, beide geb. römisch 40 , sowie 5 Schwestern ( römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 ) und 4 Brüder ( römisch 40 ) des BF alle im Dorf römisch 40 nördlich der Stadt römisch 40 . Ein Bruder des BF lebt in der Türkei ( römisch 40 ).
Der BF hat zu seiner ganzen Familie regelmäßigen Kontakt übers Internet.
Im Jahr 2023 reiste der BF schlepperunterstützt von der Türkei Richtung EU und stellte am 24.05.2023 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter und ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF verließ im Jahr 2015 sein Heimatland aufgrund der Bürgerkriegssituation in Syrien und ging in die Türkei. Im Juli 2018 kehrte der BF für ca. zwei Monate wieder nach Syrien zurück. In dieser Zeit reiste er nach Hama, um sich einen syrischen Personalausweis ausstellen zu lassen und heiratete seine Frau traditionell. Dann ging er wieder zurück in die Türkei, von wo er im Jahr 2023 schlepperunterstützt Richtung EU ausreiste.
Festgestellt wird, dass die Stadt XXXX , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens, derzeit unter der Kontrolle der kurdischen SDF steht. Vom Ausreisezeitpunkt des BF im Jahr 2015, bis zur Machtübernahme der Kurden im Oktober 2017 stand der Heimatort des BF unter Kontrolle des IS/Daesh.Festgestellt wird, dass die Stadt römisch 40 , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens, derzeit unter der Kontrolle der kurdischen SDF steht. Vom Ausreisezeitpunkt des BF im Jahr 2015, bis zur Machtübernahme der Kurden im Oktober 2017 stand der Heimatort des BF unter Kontrolle des IS/Daesh.
Bei der Erstbefragung am 30.05.2023 gab der BF als Fluchtgrund den zum Zeitpunkt seiner Ausreise in seiner Heimatstadt präsenten IS und die drohende Einziehung zum Militärdienst an. Weiters habe er Angst vor der kurdischen Miliz (AS 15).
In seiner Einvernahme vor dem BFA am 18.01.2024 gab er sodann an, dass er Syrien verlassen habe, da er am Militärdienst teilnehmen müsse und nicht kämpfen wolle. Er sei Ende des Jahres 2015 ausgereist und in die Türkei gegangen nachdem Daesh (IS) die Kontrolle übernommen hätte und ihn rekrutieren habe wollen. Er sei im Jahr 2018 wieder zu Besuch nach XXXX zurückgekehrt und zum kurdischen und syrischen Militärdienst einberufen worden. Im Zuge dessen sei er nach Hama gereist, um einen syrischen Personalausweis zu beantragen. Auf der Rückreise nach XXXX sei er von der Regierung festgenommen und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er innerhalb von zwei Monaten zum Militär müsse. Dann sei er nach Hama zurückgekehrt und habe einen Schlepper organisiert, um Syrien zu verlassen. Überdies werde er wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime in der Türkei gesucht (AS 40-43). In seiner Einvernahme vor dem BFA am 18.01.2024 gab er sodann an, dass er Syrien verlassen habe, da er am Militärdienst teilnehmen müsse und nicht kämpfen wolle. Er sei Ende des Jahres 2015 ausgereist und in die Türkei gegangen nachdem Daesh (IS) die Kontrolle übernommen hätte und ihn rekrutieren habe wollen. Er sei im Jahr 2018 wieder zu Besuch nach römisch 40 zurückgekehrt und zum kurdischen und syrischen Militärdienst einberufen worden. Im Zuge dessen sei er nach Hama gereist, um einen syrischen Personalausweis zu beantragen. Auf der Rückreise nach römisch 40 sei er von der Regierung festgenommen und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er innerhalb von zwei Monaten zum Militär müsse. Dann sei er nach Hama zurückgekehrt und habe einen Schlepper organisiert, um Syrien zu verlassen. Überdies werde er wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime in der Türkei gesucht (AS 40-43).
In der mündlichen Verhandlung gab er zudem an, dass er noch ergänzen wolle, dass seine erstmalige Flucht aus Syrien wegen den Daesh gewesen sei. Sie hätten ihn gefoltert, damit er sich ihnen anschließe. Aus diesem Grund habe sein Vater ihn und seinen Bruder ins Ausland geschickt (Verhandlungsschrift, VHS 8). Als er im Jahr 2018 zurückgekehrt sei, hätten ihn sowohl die Kurden als auch die syrische Armee rekrutieren wollen (VHS 10).
Dem BF droht in seiner Herkunftsregion XXXX , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens, keine asylrelevante Verfolgung seitens der syrischen Regierung oder anderen Gruppierungen.Dem BF droht in seiner Herkunftsregion römisch 40 , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens, keine asylrelevante Verfolgung seitens der syrischen Regierung oder anderen Gruppierungen.
Der BF hat den Wehrdienst bei der syrischen Armee nicht abgeleistet. Er wurde noch keiner medizinischen Untersuchung (Musterung) unterzogen und erhielt auch kein Militär- bzw. Wehrdienstbuch.
Der BF wurde nicht in den Wehrdienst der syrischen Armee einberufen, weder im Jahr 2018 noch zu einem anderen Zeitpunkt. Er war zu keinem Zeitpunkt in Syrien einem Rekrutierungsversuch oder einer Festnahme ausgesetzt und wird nicht von der syrischen Regierung gesucht. Die diesbezüglichen Ausführungen des BF, wonach er im Jahr 2018 im Zuge seiner Reise durch das Regierungsgebiet zurück nach XXXX bei einem Checkpoint von der Regierung festgenommen und ihm mitgeteilt worden sei, dass er das Regierungsgebiet nicht verlassen dürfe, weil er bald zum Militärdienst eingezogen werde (AS 40), sind nicht glaubhaft (vgl. 2.3.). Der BF wurde nicht in den Wehrdienst der syrischen Armee einberufen, weder im Jahr 2018 noch zu einem anderen Zeitpunkt. Er war zu keinem Zeitpunkt in Syrien einem Rekrutierungsversuch oder einer Festnahme ausgesetzt und wird nicht von der syrischen Regierung gesucht. Die diesbezüglichen Ausführungen des BF, wonach er im Jahr 2018 im Zuge seiner Reise durch das Regierungsgebiet zurück nach römisch 40 bei einem Checkpoint von der Regierung festgenommen und ihm mitgeteilt worden sei, dass er das Regierungsgebiet nicht verlassen dürfe, weil er bald zum Militärdienst eingezogen werde (AS 40), sind nicht glaubhaft vergleiche 2.3.).
Der BF war in Syrien nicht politisch aktiv und ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung. Der BF ist auch nicht als Regimekritiker bei den syrischen Behörden bekannt und wird auch deswegen nicht von ihnen gesucht. Er gab zudem bei seinen Einvernahmen bei der Polizei und dem BFA niemals an, dass er oder seine Familienmitglieder politisch tätig gewesen wären.
Die Angaben zur Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in der Türkei (AS 45 und VHS 12) sind ebensowenig geeignet, darzulegen, dass der BF dadurch derart oppositionell in Erscheinung getretenen ist, als dass er deshalb ins Visier des syrischen Regimes geraten war oder würde.
Überdies konnte nicht festgestellt werden, dass sein Name den syrischen Behörden auf andere Weise zugetragen wurde. Es gab in Syrien keinen konkreten Versuch oder Vorfall einer Festnahme oder einer Entführung des BF. Er selbst war nie Zielperson einer Festnahme bzw. wurde auch nicht Zeuge einer solchen.
Der BF war in Syrien zu keinem Zeitpunkt einem Rekrutierungsversuch – weder seitens der Regierung, noch seitens anderer Kriegsparteien, insbesondere des IS oder kurdischer Kräfte – ausgesetzt.
Der BF ist auch nicht als Kritiker der kurdischen Kräfte bei den Kurden bekannt und wird auch von diesen nicht gesucht. Das diesbezügliche Vorbringen, wonach er bei seiner Einreise von der Türkei über FSA-Gebiet bei dem ersten Checkpoint der Kurden aufgehalten worden sei und darauf hingewiesen worden sei, dass er sich wegen des Militärdienstes für die Kurden binnen eines Monats wieder melden müsse, vermag daran nichts zu ändern (VHS 10). Das vom BF vorgelegte Schreiben der kurdischen Selbstverteidigungskräfte wurde erst im Jänner 2024 auf Nachfrage des BF in Syrien angefertigt und reicht nicht aus, um nachzuweisen, dass der BF bei den Kurden offiziell als Kritiker bekannt ist (vgl. 2.3.). Der BF ist auch nicht als Kritiker der kurdischen Kräfte bei den Kurden bekannt und wird auch von diesen nicht gesucht. Das diesbezügliche Vorbringen, wonach er bei seiner Einreise von der Türkei über FSA-Gebiet bei dem ersten Checkpoint der Kurden aufgehalten worden sei und darauf hingewiesen worden sei, dass er sich wegen des Militärdienstes für die Kurden binnen eines Monats wieder melden müsse, vermag daran nichts zu ändern (VHS 10). Das vom BF vorgelegte Schreiben der kurdischen Selbstverteidigungskräfte wurde erst im Jänner 2024 auf Nachfrage des BF in Syrien angefertigt und reicht nicht aus, um nachzuweisen, dass der BF bei den Kurden offiziell als Kritiker bekannt ist vergleiche 2.3.).
Der BF wird bzw. wurde nicht durch den IS, die kurdischen Machthaber oder dem syrischen Regime konkret verfolgt oder bedroht. Das Vorbringen des BF, wonach er von den IS gefoltert worden sei, ist nicht glaubhaft (vgl. 2.2.4.) Dass er von anderen Konfliktparteien verfolgt oder bedroht werden würde, hat der BF zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht und war auch sonst nicht aus den Einvernahmen oder vor dem Hintergrund der Länderberichte ersichtlich.Der BF wird bzw. wurde nicht durch den IS, die kurdischen Machthaber oder dem syrischen Regime konkret verfolgt oder bedroht. Das Vorbringen des BF, wonach er von den IS gefoltert worden sei, ist nicht glaubhaft vergleiche 2.2.4.) Dass er von anderen Konfliktparteien verfolgt oder bedroht werden würde, hat der BF zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht und war auch sonst nicht aus den Einvernahmen oder vor dem Hintergrund der Länderberichte ersichtlich.
Er ist in seinem Herkunftsort, der Stadt XXXX , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens nicht der Gefahr ausgesetzt, zum Militärdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden. Das syrische Regime hat keinen Zugriff auf den von der kurdischen SDF kontrollierten Herkunftsort des BF.Er ist in seinem Herkunftsort, der Stadt römisch 40 , Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden Syriens nicht der Gefahr ausgesetzt, zum Militärdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden. Das syrische Regime hat keinen Zugriff auf den von der kurdischen SDF kontrollierten Herkunftsort des BF.
Der BF ist bislang auch nicht der in den Gebieten der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES, auch unter dem kurdischen Namen Rojava bekannt) bestehenden „Selbstverteidigungspflicht“ nachgekommen.
Dem BF droht in seiner Herkunftsregion keine asylrelevante Verfolgung seitens der syrischen Regierung oder der Kurden. Er befindet sich mit nunmehr 24 Jahren zwar noch im wehrdienstfähigen Alter für die Regierungsarmee (18-42), jedoch zieht die syrische Armee keine Personen aus den von den Kurden kontrollierten Gebieten (selbst in ihren dort kontrollierten wenigen Enklaven) ein, weil sie diese für illoyal hält und rekrutiert auch nicht in den von den kurdischen Behörden kontrollierten Autonomiegebieten (siehe in Folge die Länderfeststellungen unter 1.3.).
Dem BF ist es im Falle einer Einreise über den nicht vom syrischen Regime kontrollierten irakisch-syrischen Grenzübergang zwischen der Stadt Faysh Khabur im Irak und dem Ort Semalka im Distrikt Malikiya in Syrien (Grenzübergang Fishkhabour/Semalka), möglich, in seine Heimatregion bzw. Heimatort zurückzukehren, ohne mit dem syrischen Regime in Kontakt zu kommen. Dem BF drohen daher weder beim Grenzübertritt in seinen Herkunftsstaat, noch bei der Weiterreise in seine Heimatregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgungshandlungen seitens syrischer Behörden.
Der BF stammt aus einem Gebiet unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) und unterliegt somit der sogenannten „Selbstverteidigungspflicht“. Das „Wehrpflichtgesetz der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien‘“ sieht in der maßgeblichen Fassung (Dekret Nr. 3 vom 04.09.2021) vor, dass Männer, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben zum "Wehrdienst" in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" verpflichtet sind. Araber wurden ursprünglich nicht zur „Selbstverteidigungspflicht“ eingezogen, was sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert hat (LIB, S 142; ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front, 06.09.2023). Das Gesetz legt fest, dass die Geburtsjahrgänge der Selbstverteidigungspflichtigen durch ein Dekret des Verteidigungsamtes in den Selbstverwaltungen und Zivilverwaltungen festgelegt werden.
Laut Anfragebeantwortung von ACCORD vom 06.09.2023 vertrauen Kurden Arabern im Allgemeinen nicht und würden annehmen, dass sie gegen die AANES seien. Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, würden nicht als Terroristen wahrgenommen, sondern eher als Feiglinge und Gegner der AANES. Die Kurden seien jedoch pragmatisch und es sei ihnen lieber, Araber, die den Dienst verweigern, nicht in der Armee zu sehen, weil sie sich unter Umständen als Verräter entpuppen könnten (ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien, s.o. 06.09.2023).
Arabische Wehrdienstverweigerer werden auch nicht anders behandelt als kurdische Wehrdienstverweigerer. Die Konsequenzen des Fernbleibens sei für alle gleich, jedoch könnten arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein. Grundsätzlich droht einem Wehrdienstverweigerer eine Verlängerung der Wehrdienstzeit um einen Monat. Quellen berichten, dass Personen, die der „Selbstverteidigungspflicht“ nicht nachkommen, bei Aufgriff inhaftiert werden und anschließend zur Ableistung des Wehrdienstes in ein Trainingslager überstellt werden (ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: s.o., 06.09.2023).
Bei einer Gesamtschau der in der Anfragebeantwortung zitierten Quellen und des LIB (vgl. nachfolgend ab 1.3.) gibt es somit keine Anhaltspunkte dafür, dass eine allfällige Einberufung des BF zur „Selbstverteidigungspflicht“ sowie eine etwaige Bestrafung wegen einer allfälligen Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in einem inhaltlichen Konnex zu einem oder mehreren der Gründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention stehen könnte.Bei einer Gesamtschau der in der Anfragebeantwortung zitierten Quellen und des LIB vergleiche nachfolgend ab 1.3.) gibt es somit keine Anhaltspunkte dafür, dass eine allfällige Einberufung des BF zur „Selbstverteidigungspflicht“ sowie eine etwaige Bestrafung wegen einer allfälligen Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in einem inhaltlichen Konnex zu einem oder mehreren der Gründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention stehen könnte.
Der BF hat weder vor seiner Ausreise aus Syrien noch während seines Aufenthalts in Österreich eine oppositionelle Einstellung in einer Art und Weise zum Ausdruck gebracht, dass er dadurch derart in das Visier des syrischen Regimes geraten sein könnte, dass ihm eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Er hat in Syrien keine Straftaten begangen und wurde nie verhaftet.
Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Syrien alleine wegen seiner illegalen Ausreise oder dem Umstand, dass er in einem kurdisch kontrollierten Gebiet gelebt hat, einer Verfolgung unterworfen sein wird, weil ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde.
Ebensowenig konnten konkret auf seine Familienmitglieder abgezielte Verfolgungshandlungen bzw. Bekanntheitsgrad seiner Familie festgestellt werden, der ihn zum Ziel einer individuellen Verfolgung in Syrien machen würde.
Dem BF droht bei einer Rückkehr keine Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er in Österreich einen Asylantrag stellte und Rückkehrer ist.
Der BF wird weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung noch aus anderen Gründen in asylrelevanter Intensität verfolgt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in SYRIEN und der Heimatregion der bP
1.3.1. Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation SYRIEN, (COI-CMS) https://staatendokumentation.at bzw https://ecoi.net, ergibt sich wie folgt (Auszug Version 10, 27.03.2024 – abgefragt am 12.08.2024):
1. Sicherheitslage
Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)
Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).
Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021). [...]
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021). [...]
Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022).SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).
Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).
Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023).
Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vergleiche NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024). [...]
Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden (MSF 7.11.2022b). 65 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder, 52 Prozent davon im Alter von unter zwölf Jahren (MSF 19.2.2024), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vgl. MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu z