Entscheidungsdatum
30.09.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W265 2290099-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck, vom 29.02.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck, vom 29.02.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, der der arabischen Volksgruppe angehört und sunnitischer Muslim ist, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er in XXXX geboren sei, die Grundschule besucht und im Bezirk XXXX gelebt habe. Er sei verheiratet und habe eine Tochter. Seine Ehefrau, die gemeinsame Tochter, seine Eltern, acht Brüder und fünf Schwestern würden nach wie vor in Syrien leben. Ein Bruder lebe in Saudi-Arabien. Er habe Syrien am Juli 2022 illegal in Richtung Türkei verlassen, weil er nicht zum Militär wolle.2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er in römisch 40 geboren sei, die Grundschule besucht und im Bezirk römisch 40 gelebt habe. Er sei verheiratet und habe eine Tochter. Seine Ehefrau, die gemeinsame Tochter, seine Eltern, acht Brüder und fünf Schwestern würden nach wie vor in Syrien leben. Ein Bruder lebe in Saudi-Arabien. Er habe Syrien am Juli 2022 illegal in Richtung Türkei verlassen, weil er nicht zum Militär wolle.
3. Am 16.02.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, immer in XXXX , im Dorf XXXX gelebt zu haben. Er habe in Syrien fünf Jahre lang die Schule besucht und in weiterer Folge als Schmied sowie in einer Fabrik gearbeitet. Von 2016 bis September 2018 habe er im Libanon gelebt und als Betontischler gearbeitet. Seine Eltern, seine Ehefrau, zwei gemeinsame Töchter und ein Bruder würden nach wie vor in XXXX leben, fünf Schwestern in XXXX bzw. in umliegenden Dörfern. Vier Brüder des Beschwerdeführers würden in Saudi-Arabien leben, einer in den Arabischen Emiraten und ein weiterer Bruder habe in Österreich ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er sowohl vom syrischen Regime als auch von den Kurden gesucht werde, weil er seinen Militärdienst nicht geleistet habe. Beide Gruppierungen würden ihn als Soldat einziehen wollen. Sein Vater habe einen Einberufungsbefehl der YPG erhalten und der Beschwerdeführer befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Syrien festgenommen oder umgebracht zu werden.3. Am 16.02.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, immer in römisch 40 , im Dorf römisch 40 gelebt zu haben. Er habe in Syrien fünf Jahre lang die Schule besucht und in weiterer Folge als Schmied sowie in einer Fabrik gearbeitet. Von 2016 bis September 2018 habe er im Libanon gelebt und als Betontischler gearbeitet. Seine Eltern, seine Ehefrau, zwei gemeinsame Töchter und ein Bruder würden nach wie vor in römisch 40 leben, fünf Schwestern in römisch 40 bzw. in umliegenden Dörfern. Vier Brüder des Beschwerdeführers würden in Saudi-Arabien leben, einer in den Arabischen Emiraten und ein weiterer Bruder habe in Österreich ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er sowohl vom syrischen Regime als auch von den Kurden gesucht werde, weil er seinen Militärdienst nicht geleistet habe. Beide Gruppierungen würden ihn als Soldat einziehen wollen. Sein Vater habe einen Einberufungsbefehl der YPG erhalten und der Beschwerdeführer befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Syrien festgenommen oder umgebracht zu werden.
Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer u.a. einen Einberufungsbefehl von der YPG, einen syrischen Familienregisterauszug, Auszüge aus dem Melderegister und einen Ehevertrag jeweils in Kopie sowie einen syrischen Personalausweis und eine Mitteilung der Militärbehörde im Original vor.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 29.02.2024 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 29.02.2024 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) ab. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nie aus den in der GFK aufgezählten Gründen verfolgt worden sei. Obwohl er bei seiner Wiedereinreise nach Syrien im Jahr 2018 eine schriftliche Aufforderung erhalten habe, wonach er sich innerhalb von 15 Tagen bei der Militärbehörde melden müsse, habe er dies unterlassen und habe sich bis 2022 unbehelligt von den syrischen Behörden in seinem Heimatdorf aufhalten können. Es habe nicht festgestellt werden können, ob dieses Schriftstück eine Originalausfertigung sei und ebenso wenig sei eine Überprüfung der Echtheit des vorgelegten Einberufungsbefehls der AANES möglich gewesen. Es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten mit asylrelevanter Außenwirkung gesetzt habe und würde ihm nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt werden. Seine Heimatregion stehe aktuell unter kurdischer Kontrolle und bestehe für ihn dort keine maßgebliche Gefahr, durch die syrische Regierung zwangsrekrutiert oder aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung relevanter Repressalien ausgesetzt zu werden. Dem Beschwerdeführer stehe darüber hinaus auch die legale Möglichkeit offen, sich durch eine Befreiungsgebühr vom Wehrdienst in der syrischen Armee zu befreien. Aufgrund der Kontrolllage bestehe auch keine maßgebliche Verfolgungsgefahr durch das Regime wegen einer (unterstellten) politischen Gesinnung, der illegalen Ausreise aus Syrien oder der Asylantragstellung in Österreich. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers sei über einen der nicht vom Regime kontrollierten Grenzübergänge grundsätzlich ohne direkten Kontakt mit dem syrischen Regime erreichbar. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer von der AANES zum bewaffneten Dienst aufgefordert oder gezwungen würde. Die Rekrutierung erfolge jedenfalls auf freiwilliger Basis und sei der Beschwerdeführer mit einem Alter von 25 Jahren nicht mehr wehrpflichtig. Eine Verweigerung des Dienstes bei den kurdischen Selbstverteidigungskräften führe in seinem Fall nicht zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung.
5. Der Beschwerdeführer erhob durch seine bevollmächtigte Vertretung gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, die am 29.03.2024 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.5. Der Beschwerdeführer erhob durch seine bevollmächtigte Vertretung gegen Spruchpunkt römisch eins. des oben genannten Bescheides fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, die am 29.03.2024 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.
Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 15.06.2022 einen Einberufungsbefehl der kurdischen Einheiten erhalten habe und in der Folge Syrien verlassen habe. Ebenso habe er der belangten Behörde eine Mitteilung des Verteidigungsministeriums an die Wehrdienststelle XXXX über einen ferngebliebenen Wehrpflichtigen vom 09.09.2018 vorgelegt. Er habe sich somit der Rekrutierung durch die kurdischen Einheiten sowie durch das syrische Regime widersetzt. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers werde zwar von den kurdischen Kräften kontrolliert, jedoch seien dort auch Streitkräfte der syrischen Regierung präsent und würden Checkpoints unterhalten. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er eine Zwangsrekrutierung bzw. asylrelevante Verfolgung sowohl durch das Regime als auch die Kurden. Er befinde sich im wehrpflichtigen Alter und lehne es aus politischen Gründen ab, für jegliche Streitkräfte in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Durch die Teilnahme am Krieg wäre er einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und sei davon auszugehen, dass er sich an Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen beteiligen müsse. Bei einer Weigerung den Wehrdienst zu leisten müsse der Beschwerdeführer, insbesondere aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit, mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe jener Männer, die von der Wehrpflicht im AANES Gebiet betroffen seien. Zudem befürchte der Beschwerdeführer eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung in Österreich. Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 15.06.2022 einen Einberufungsbefehl der kurdischen Einheiten erhalten habe und in der Folge Syrien verlassen habe. Ebenso habe er der belangten Behörde eine Mitteilung des Verteidigungsministeriums an die Wehrdienststelle römisch 40 über einen ferngebliebenen Wehrpflichtigen vom 09.09.2018 vorgelegt. Er habe sich somit der Rekrutierung durch die kurdischen Einheiten sowie durch das syrische Regime widersetzt. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers werde zwar von den kurdischen Kräften kontrolliert, jedoch seien dort auch Streitkräfte der syrischen Regierung präsent und würden Checkpoints unterhalten. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er eine Zwangsrekrutierung bzw. asylrelevante Verfolgung sowohl durch das Regime als auch die Kurden. Er befinde sich im wehrpflichtigen Alter und lehne es aus politischen Gründen ab, für jegliche Streitkräfte in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Durch die Teilnahme am Krieg wäre er einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und sei davon auszugehen, dass er sich an Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen beteiligen müsse. Bei einer Weigerung den Wehrdienst zu leisten müsse der Beschwerdeführer, insbesondere aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit, mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe jener Männer, die von der Wehrpflicht im AANES Gebiet betroffen seien. Zudem befürchte der Beschwerdeführer eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung in Österreich.
6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und langten am 11.04.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Am 03.07.2024 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der er im Wesentlichen ergänzend vorbrachte, dass ihm ein Freikauf vom Wehrdienst nicht möglich sei und auch bei der Zahlung der Befreiungsgebühr nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese tatsächlich zu einer Befreiung führen würde. Bei einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer jedenfalls in Kontakt mit dem syrischen Regime geraten, da eine legale und sichere Einreise generell nur über Grenzübergänge, die sich in der Hand des Regimes befinden, möglich sei. Zudem hätten auch die Brüder des Beschwerdeführers ihren Wehr- bzw. Reservedienst bei der syrischen Armee nicht abgeleistet und bestehe für ihn somit auch die Gefahr einer Reflexverfolgung als Familienangehöriger von Wehrdienstverweigerern.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.07.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch insbesondere zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien, seinen Fluchtgründen und der Situation im Fall einer Rückkehr befragt wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil, die Verhandlungsniederschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 27.03.2024, Version 11, die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021, die EUAA Country Guidance Syria vom Februar und Oktober 2023 sowie April 2024, das Syrien, Arabische Republik – Themendosier: Wehrdienst vom 16.01.2024, update vom 20.03.2024, das Danish Immigration Service (DIS), Syrien, Militärdienst vom Jänner 2024, der Themenbericht der Staatendokumentation zu den Grenzübergängen in Syrien vom 25.10.2023, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien, Fragen des BVwG zu syrischen Wehrdienstgesetzen, vom 16.09.2022, die Anfragebeantwortung zu Syrien vom 24.08.2023: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker:innen ermöglichen [a-12197], die ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 06.09.2023 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.10.2023: Türkei, Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien, wurden in das gegenständliche Verfahren eingebracht. Dem Beschwerdeführer wurden das Zustandekommen und die Bedeutung dieser Berichte erklärt sowie die Möglichkeit eingeräumt, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Die Rechtsvertretung verwies in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahme vom 03.07.2024.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und das im Spruch genannte Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer ist in dem Dorf XXXX , unweit der Stadt XXXX im Gouvernement Aleppo geboren und ist dort aufgewachsen. Abgesehen von einem Aufenthalt im Libanon von 15.10.2016 bis 09.09.2018 lebte er bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien stets in XXXX . Er besuchte dort fünf Jahre lang die Schule und arbeitete in weiterer Folge als Schmied sowie in einer Metallfabrik. Am 24.07.2022 reiste er aus Syrien über die Türkei nach Österreich, wo er am 10.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.Der Beschwerdeführer ist in dem Dorf römisch 40 , unweit der Stadt römisch 40 im Gouvernement Aleppo geboren und ist dort aufgewachsen. Abgesehen von einem Aufenthalt im Libanon von 15.10.2016 bis 09.09.2018 lebte er bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien stets in römisch 40 . Er besuchte dort fünf Jahre lang die Schule und arbeitete in weiterer Folge als Schmied sowie in einer Metallfabrik. Am 24.07.2022 reiste er aus Syrien über die Türkei nach Österreich, wo er am 10.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Stadt XXXX sowie die Umgebungsregion einschließlich des Herkunftsortes des Beschwerdeführers befindet sich im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (AANES) unter Kontrolle der kurdisch dominierten Partei der Demokratischen Union (PYD) und den Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).Die Stadt römisch 40 sowie die Umgebungsregion einschließlich des Herkunftsortes des Beschwerdeführers befindet sich im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (AANES) unter Kontrolle der kurdisch dominierten Partei der Demokratischen Union (PYD) und den Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Töchter. Seine Ehefrau, die gemeinsamen Kinder, seine Eltern und ein Anfang 30-jähriger Bruder leben nach wie vor in XXXX . Fünf Schwestern des Beschwerdeführers leben in XXXX bzw. in umliegenden Dörfern, vier Brüder leben in Saudi-Arabien und ein Bruder in den Arabischen Emiraten. Ein weiterer Bruder reiste im September 2022 nach Österreich ein und stellte hier ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie.Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Töchter. Seine Ehefrau, die gemeinsamen Kinder, seine Eltern und ein Anfang 30-jähriger Bruder leben nach wie vor in römisch 40 . Fünf Schwestern des Beschwerdeführers leben in römisch 40 bzw. in umliegenden Dörfern, vier Brüder leben in Saudi-Arabien und ein Bruder in den Arabischen Emiraten. Ein weiterer Bruder reiste im September 2022 nach Österreich ein und stellte hier ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie.
Er ist gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer verließ Syrien wegen der allgemein schlechten Situation und des Bürgerkrieges. Der Beschwerdeführer war in Syrien in der Vergangenheit keiner individuellen Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt.
1.2.1. Im AANES Gebiet (Autonomous Administration of North and East Syria) besteht ein verpflichtender Militärdienst („Selbstverteidigungspflicht“) für alle im Jahr 1998 oder später geboren Männer, die ihr 18. Lebensjahr erreicht haben und gehört der zum Entscheidungszeitpunkt 25-jährige Beschwerdeführer der Gruppe der Wehrpflichtigen an. Der Beschwerdeführer hatte mit den kurdischen Einheiten keinen persönlichen Kontakt bezüglich einer Rekrutierung und wurden auch keine konkreten Rekrutierungshandlungen von den kurdischen Einheiten gegen ihn gesetzt.
Der Beschwerdeführer müsste den Militärdienst für ein Jahr erfüllen und würde dabei, nach einer Ausbildung in einem Trainingslager, vermutlich im Bereich der Versorgung, des Nachschubs oder der Objektbewachung eingesetzt werden. Er wäre im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Beteiligung an Kampfhandlungen verpflichtet und müsste sich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen.
Im Falle einer Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“, droht ihm keine unverhältnismäßige Strafe und es wird ihm seitens der kurdischen Autonomiebehörden keine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Bei Nichtbefolgung der Einberufung kann – zum Zweck der zwangsweisen Durchsetzung der Wehrpflicht – eine Verhaftung und Anhaltung von allenfalls ein bis zwei Wochen sowie eine Verlängerung des Militärdienstes um ein Monat drohen.
Der Beschwerdeführer hat sich in Syrien nie politisch betätigt und er konnte nicht glaubhaft machen, dass er eine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die kurdischen Kräfte oder Gewissensgründe gegen den Dienst an der Waffe an sich aufweist.
1.2.2. Der Beschwerdeführer wäre auch zum Wehrdienst in der syrischen Armee verpflichtet. Jedoch hat das syrische Regime in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, welche sich unter kurdischer Kontrolle befindet, de facto keinen Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung. In den Gebieten in und um XXXX sind zwar Regierungstruppen stationiert, diese dienen jedoch zur Abschreckung der Türkei und sind nicht in der Lage, Personenkontrollen oder Rekrutierungen durchzuführen.1.2.2. Der Beschwerdeführer wäre auch zum Wehrdienst in der syrischen Armee verpflichtet. Jedoch hat das syrische Regime in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, welche sich unter kurdischer Kontrolle befindet, de facto keinen Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung. In den Gebieten in und um römisch 40 sind zwar Regierungstruppen stationiert, diese dienen jedoch zur Abschreckung der Türkei und sind nicht in der Lage, Personenkontrollen oder Rekrutierungen durchzuführen.
Der Beschwerdeführer kann zudem über den nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang Semalka - Faysh Khabour vom Irak aus in das Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien gelangen und hätte somit auch bei seiner (hypothetischen) Rückkehr in seine Heimatregion keine Gebiete zu durchqueren, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt droht dem Beschwerdeführer daher keine Verfolgung durch das syrische Regime.
1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht konkret und individuell die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt im Rahmen einer „Reflexverfolgung“ aufgrund der Wehr- oder Reservedienstverweigerung seiner Brüder.
1.2.4. Ebenso droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien weder aufgrund seiner illegalen Ausreise noch wegen der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024
? UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von syrischen Staatsangehörigen vom März 2021
? EUAA Country Guidance Syria vom Februar 2023, Oktober 2023 und April 2024
? Syrien, Arabische Republik – Themendossier: Wehrdienst vom 16.01.2024, update vom 20.03.2024
? Danish Immigration Service (DIS), Syrien, Militärdienst vom Jänner 2024
? BFA Staatendokumentation Themenbericht Syrien – Grenzübergänge, vom 25.10.2023
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien, Fragen des BVwG zu syrischen Wehrdienstgesetzen, vom 16.09.2022
? Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker:innen ermöglichen [a-12197] vom 24.08.2023
? ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 06.09.2023
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Türkei, Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien vom 24.10.2023
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11, vom 27.03.2024:
„Politische Lage
Letzte Änderung: 08.03.2024
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
Letzte Änderung: 08.03.2024
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine ’zweite Front’ in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba’ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, ’Ain al-’Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für „Westen“ (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des „Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien“ (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet ’belohnt’ zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die „autonome Verwaltung“ basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die „autonome Verwaltung“ basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF