Entscheidungsdatum
25.10.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L504 2294945-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX StA. Türkei alias Syrien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2024, Zl. XXXX zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 StA. Türkei alias Syrien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2024, Zl. römisch 40 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei [kurz: bP] stellte am 12.07.2023 nach nicht rechtmäßiger Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Es handelt sich dabei um einen Mann, der seinen Angaben nach türkischer Staatsangehöriger ist.
In der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte die bP an, dass sie Kurde sei und in der Türkei keine Rechte habe und diskriminiert werde. Sie habe Angst vor der Regierung.
Sie habe sich in der Türkei der Ausreisekontrolle gestellt und sei legal per Flugzeug von dort nach Serbien geflogen und dann schlepperunterstützt weiter nach Österreich.
Die bP entzog sich anschließend dem Asylverfahren durch unbekannten Aufenthaltes und wurde dieses am 15.09.2023 eingestellt. Sie reiste nach Deutschland zu ihrem Bruder und wurde am 07.02.2024 nach Österreich rücküberstellt.
Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [kurz: BFA] brachte die bP zu ihrer persönlichen Problemlage im Herkunftsstaat vor, dass sie an Versammlungen der HDP teilgenommen habe. Sie habe nur geholfen und sei nicht für diese tätig bzw. Mitglied gewesen.
Bei einer Versammlung seien sie von MHP Mitgliedern angegriffen, geschlagen und als Terroristen bezeichnet worden. Die bP sei dann geflohen und habe sich versteckt. Ihr Vater habe versucht, Reisedokumente für die bP zu beschaffen. Ein Freund der bP habe angeblich ihren Namen an die Polizei weitergegeben und gegen sie ausgesagt. Ihr Anwalt habe dann gemeint, die bP solle das Land verlassen. Dieser Vorfall habe sich im Februar 2023 ereignet.
Wenn die bP in die Türkei zurückkomme, werde sie getötet oder von der Polizei verhaftet.
Die letzten 2,5 Jahre vor der Ausreise habe die bP in Gaziantep gelebt und habe ein Grundstück, ein Auto und Arbeit (nicht bis zum Schluss) gehabt. Gelebt habe die bP in einer Eigentumswohnung.
Die bP habe in Österreich kein Asyl gewollt und habe das mit der HDP deshalb auch nicht in der Erstbefragung erwähnt.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.). Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (römisch eins.).
Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (II.). Gem. Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (römisch II.).
Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG wurde der bP nicht erteilt (III.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. Paragraph 57, AsylG wurde der bP nicht erteilt (römisch III.).
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (V.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die bP gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (römisch fünf.).
Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (VI.).Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (römisch VI.).
Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass es sich bei dem von der bP vorgebrachten Sachverhalt um ein Konstrukt handle. Die bP habe den Vorfall vom Februar 2023 zudem nicht bei ihrer Erstbefragung erwähnt, sondern dort einen gänzlich anderen Ausreisegrund geschildert, was die mangelnde Glaubwürdigkeit verstärke.
Auch sei mangels Exponiertheit der bP auch nicht von einer Gefährdung ihrer Person aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit auszugehen.
Dagegen wurde von der bP fristgerecht Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Identität und Herkunftsstaat:
Name und Geburtsdatum der bP stehen nicht fest.
Die bP ist der Volksgruppe der Kurden und dem islamischen Glauben zugehörig.
Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist Türkei.
1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:
Die bP ist im Dorf XXXX , Provinz Adiyaman, geboren und aufgewachsen. Die letzten 2,5 Jahre vor der Ausreise lebte die bP in Gaziantep. Die bP ist im Dorf römisch 40 , Provinz Adiyaman, geboren und aufgewachsen. Die letzten 2,5 Jahre vor der Ausreise lebte die bP in Gaziantep.
In der Türkei hat die bP 12 Jahre lang die Schule und 2 Jahre lang die Universität besucht. Nach dem Studium bestritt die bP bis ihren Lebensunterhalt mit der Qualitätskontrolle von Teppichen.
Die bP ist ledig und hat keine Sorgepflichten.
1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:
In der Türkei leben nach wie vor die Eltern und sechs Geschwister der bP, sowie zahlreiche weitere Verwandte.
1.4. Ausreisemodalitäten:
Sie reiste Anfang Mitte Juni 2023 mit ihrem Reisepass via Flugzeug aus der Türkei nach Serbien aus, wo sie sich etwa 8 Tage lang aufhielt. Anschließend begab sie sich über Ungarn nach Österreich. Nach der Asylantragstellung am 12.07.2023 zeigte die bP kein Interesse mehr an der Fortführung des Verfahrens und war unbekannten Aufenthaltes. Ihr Asylverfahren wurde daher am 15.09.2023 eingestellt. Sie reiste nach Deutschland zu ihrem Bruder und wurde am 07.02.2024 nach Österreich rücküberstellt.
Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.
1.5. Aktueller Gesundheitszustand:
Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt.
1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich:
Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes
Die bP begab sich ohne Vorhandensein eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am 12.07.2023 in das Bundesgebiet.
Mit der am selben Tag erfolgten Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.
Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise gem. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG als rechtswidrig. Wer als Fremder nicht rechtmäßig einreist begeht eine Verwaltungsübertretung die als Offizialdelikt von der Verwaltungsstrafbehörde mit einer Geldstrafe von 100 bis 1000 Euro, im Wiederholungsfall mit 1000 bis 5000 Euro zu ahnden ist. Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise gem. Paragraph 120, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 7, FPG als rechtswidrig. Wer als Fremder nicht rechtmäßig einreist begeht eine Verwaltungsübertretung die als Offizialdelikt von der Verwaltungsstrafbehörde mit einer Geldstrafe von 100 bis 1000 Euro, im Wiederholungsfall mit 1000 bis 5000 Euro zu ahnden ist.
Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich
Die bP hat in Österreich keine als Familienleben zu wertenden Umstände dargelegt.
Grad der Integration
Die bP kann keine relevanten Sprachkenntnisse in Deutsch vorweisen und hat in Österreich keine integrationsrelevanten Kurse besucht. Auch sonst konnte die bP keine Umstände darlegen, die auf eine außergewöhnliche Integration hindeuten würden.
Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an auch für Asylwerber real möglicher und gesetzlich erlaubter Erwerbstätigkeit oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen
Die bP ist seit ihrer Einreise wirtschaftlich von staatlichen Zuwendungen im Rahmen der Grundversorgung abhängig.
Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienlebens; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Die bP hat diese Anknüpfungspunkte während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.
Bindungen zum Herkunftsstaat
Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie wurde somit im Herkunftsstaat sozialisiert und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens einschließlich der gegebenen sozialen Unterstützungsnetzwerke. Es leben dort auch noch insbesondere die Eltern und Geschwister, sowie zahlreiche andere Verwandte der bP.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die bP als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.
Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen
In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf
Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG von der Polizei bzw. den Verwaltungsstrafbehörden einschließlich dem Bundesamt nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt der belangten Behörde.
Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG). Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar vergleiche Paragraph 120, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 7, FPG).
Die beschwerdeführende Partei verletzte – trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre gesetzlich auferlegte Mitwirkungs- und Verfahrensförderungsverpflichtung im Asylverfahren (vgl. §15 Abs 1 Z1 AsylG; § 39 Abs 2a).Die beschwerdeführende Partei verletzte – trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre gesetzlich auferlegte Mitwirkungs- und Verfahrensförderungsverpflichtung im Asylverfahren vergleiche §15 Absatz eins, Z1 AsylG; Paragraph 39, Absatz 2 a,).
Sie hat ihre Mitwirkungsverpflichtung im Hinblick auf die Verpflichtung nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen in zentralen Punkten verletzt und versuchte dadurch die entscheidenden staatlichen Instanzen zur Erlangung von internationalen Schutz zu täuschen.
Gegen die bP besteht aktuell ein von der Bundesrepublik Deutschland verhängtes Einreise- und Aufenthaltsverbot für das gesamte Schengener Gebiet.
Verfahrensdauer
Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 12.07.2023 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 24.04.2024. Nach eingebrachter Beschwerde erging mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.
1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:
a) Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:
Die bP unterlag zum Zeitpunkt der Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat keiner Verfolgung bzw. keinen entscheidungsrelevanten Repressalien durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure die einen Verbleib unzumutbar gemacht hätten. Eine solche Gefährdung ist auch im Falle der Rückkehr nicht real bzw. nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der bP als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.
b) Betreffend der Sicherung ihrer existentiellen Grundbedürfnisse im Herkunftsstaat:
Die bP war im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln auch vor der Ausreise schon in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern und kam nicht hervor, dass dies bei einer Rückkehr nicht gegeben wäre. Sie ist erwerbsfähig, verfügt über Berufserfahrung und hat im Herkunftsstaat Familienangehörige samt Unterkunft.
c) Betreffend ihrer aktuellen Versorgungssituation im Hinblick der notwendigen Erlangung medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat:
Die bP ist gesund und gehört keiner Risikogruppe in Bezug auf COVID-19 an. Die medizinische Versorgung ist in der Türkei ausreichend gesichert.
1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat
Aus nachfolgend genannten Quellen (einschließlich darin zitierter Berichte) ergeben sich nachfolgende Feststellungen über die relevante Lage:
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-07 13:54
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 4f.).Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 4f.).
Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 5; vgl. EC 8.11.2023, S. 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, S. 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 5; vergleiche EC 8.11.2023, Sitzung 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, Sitzung 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).
Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderun