Entscheidungsdatum
30.09.2024Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W189 2006006-2/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2022, Zl. 830665806-223227104, nach Durchführung einer Verhandlung am 04.05.2023, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2022, Zl. 830665806-223227104, nach Durchführung einer Verhandlung am 04.05.2023, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.römisch eins. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Die übrigen Spruchpunkte III. – VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.römisch II. Die übrigen Spruchpunkte römisch III. – römisch VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte nach Einreise zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern am 22.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2015 stattgegeben wurde. Der BF wurde gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte nach Einreise zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern am 22.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2015 stattgegeben wurde. Der BF wurde gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
2. Im Oktober 2022 wurde die BF mit einem abgelaufenen österreichischen Konventionsreisepass und dem Ersuchen um Ermöglichung der Einreise nach Österreich beim Österreichischen Generalkonsulat in Istanbul vorstellig, nachdem sie aus der Russischen Föderation kommend in die Türkei eingereist war.
3. Mit Aktenvermerk vom 12.10.2022 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Generalkonsulates ein Aberkennungsverfahren gegen die BF ein und führte in weiterer Folge ein Ermittlungsverfahren, in welchem der BF schriftlich Parteiengehör erteilt wurde.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA wurde der der BF mit Erkenntnis vom 19.01.2015 zuerkannt Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihr ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt V.) und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA wurde der der BF mit Erkenntnis vom 19.01.2015 zuerkannt Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt römisch eins.). Der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.), ihr ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen (Spruchpunkt römisch IV.), die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt römisch fünf.) und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt römisch VI.).
5. Hiergegen brachte die BF fristgerecht Beschwerde ein.
6. Nach Wiedereinreise der BF führte das Bundesverwaltungsgericht am 04.05.2023 eine öffentliche, mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die BF teilnahm. Die BF legte im Rahmen der Verhandlung Integrationsunterlagen vor.
7. Am 08.05.2023 legte die BF weitere Integrationsunterlagen vor.
8. Nach einer Verständigung der zuständigen Aufenthaltsbehörde gemäß § 7 Abs.3 AsylG 2005 durch das Bundesverwaltungsgericht am 06.06.2023 und vielfachen Urgenzen an die Magistratsabteilung 35, erteilte diese schließlich am 25.09.2024 der BF den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“.8. Nach einer Verständigung der zuständigen Aufenthaltsbehörde gemäß Paragraph 7, Absatz , AsylG 2005 durch das Bundesverwaltungsgericht am 06.06.2023 und vielfachen Urgenzen an die Magistratsabteilung 35, erteilte diese schließlich am 25.09.2024 der BF den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Zur Person der BF
Die Identität der BF steht fest. Sie ist eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen sowie der Religionsgemeinschaft der Muslime an. Die BF wurde in der russischen Teilrepublik Tschetschenien geboren und wuchs dort zunächst auf. Die Muttersprache der BF ist Tschetschenisch, zudem spricht sie Deutsch und Russisch. Sie ist gesund.
Sie reiste gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Mai 2013 im Alter von neun Jahren in Österreich ein. Ihrem Antrag auf internationalen Schutz vom 22.05.2013 wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2015 stattgegeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Sie reiste gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Mai 2013 im Alter von neun Jahren in Österreich ein. Ihrem Antrag auf internationalen Schutz vom 22.05.2013 wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2015 stattgegeben und ihr gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Die BF lebte hier in weiterer Folge im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und später auch ihrem Stiefvater. Sie besuchte die Volksschule und die Mittelschule sowie von 2020 bis Februar 2022 eine HAK Abendschule.
Die BF verließ am 08.07.2019 das Gebiet der Schengener Vertragsstaaten (in der Folge: der Schengenraum) von Polen in Richtung Belarus und reiste in weiterer Folge in die Russische Föderation ein, wo sie sich am 29.07.2019 selbst einen russischen Auslandsreisepass ausstellen ließ. Am 18.08.2019 kehrte sie über die ukrainische-ungarische Grenze in den Schengenraum zurück. Am 04.07.2021 verließ sie über die slowakisch-ukrainische Grenze neuerlich den Schengenraum, reiste in die Russische Föderation ein und kehrte am 24.08.2021 über die belarussisch-polnische Grenze zurück. Schließlich reiste sie am 02.02.2022 aufgrund persönlicher Schwierigkeiten in der Beziehung zu ihrer Mutter über die polnisch-belarussische Grenze wieder aus dem Schengenraum aus, um unter Verwendung ihres russischen Auslandsreisepasses in die Russische Föderation einzureisen. Dort blieb sie bei Angehörigen, Verwandten und Bekannten in Tschetschenien, wobei sie auch durch eigene Erwerbstätigkeit Geld verdiente, bis sie am 20.09.2022 aus der tschetschenischen Hauptstadt Grozny nach Istanbul flog. Da ihr österreichischer Konventionsreisepass am 30.03.2022 abgelaufen war, wandte sie sich hier an das Österreichische Generalkonsulat, um die Ausstellung eines Dokumentes für die Einreise nach Österreich zu ersuchen. Nachdem sie den hier angefochtenen Aberkennungsbescheid des BFA vom 18.10.2022 am 08.11.2022 im Österreichischen Generalkonsulat in Istanbul übernommen hatte, reiste sie am 08.12.2022 wieder in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie seither wieder lebt.
Die BF wohnt nun in einer betreuten Einrichtung, übernachtet aber auch immer wieder in der Wohnung ihrer (Stief-)Eltern und Geschwister, mit denen sie ein gutes Verhältnis pflegt. Seit April 2023 arbeitet sie in der Systemgastronomie zu einem Nettomonatslohn von 1.500,- Euro. Mit September 2023 wird sie die HAK für Berufstätige ab dem zweiten Semester besuchen.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF wurde am 25.09.2024 mit Bescheid der Aufenthaltsbehörde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ gewährt.
Der wiederverheiratete leibliche Vater, Tanten und Onkel väterlicherseits, die Großeltern mütterlicherseits sowie Cousins und Cousinen der BF leben in Tschetschenien. Die BF hat zumindest zu ihrem leiblichen Vater Kontakt.
Die BF unterliegt keiner individuellen Bedrohung in der Russischen Föderation. Sie kann in ihrer Herkunftsregion Tschetschenien aus eigener Erwerbstätigkeit ihren Unterhalt sichern. Sie kann darüber hinaus Unterstützung ihrer Angehörigen und Verwandten sowie russische sozialstaatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Sie würde dadurch in Tschetschenien in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. würde ihr nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation
1.2.1. Sicherheitslage im Nordkaukasus
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich dies nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB 30.6.2021; vgl. Gov.uk 25.8.2022, RUSI 30.7.2021). Im Allgemeinen ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus schwer einzuschätzen (ER 3.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 insgesamt 12 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Vier dieser Personen wurden in Dagestan getötet, zwei in Karatschai-Tscherkessien, fünf in Kabardino-Balkarien und eine Person in Tschetschenien (KK 4.8.2022; vgl. KK 6.7.2022, KK 5.4.2022, KK 4.1.2022, KK 11.10.2021). Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich dies nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB 30.6.2021; vergleiche Gov.uk 25.8.2022, RUSI 30.7.2021). Im Allgemeinen ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus schwer einzuschätzen (ER 3.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 insgesamt 12 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Vier dieser Personen wurden in Dagestan getötet, zwei in Karatschai-Tscherkessien, fünf in Kabardino-Balkarien und eine Person in Tschetschenien (KK 4.8.2022; vergleiche KK 6.7.2022, KK 5.4.2022, KK 4.1.2022, KK 11.10.2021).
1.2.2. Allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien
NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten (AA 2.2.2021).
Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BAMF 11.2019).Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche BAMF 11.2019).
Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).
1.2.3. Frauen im Nordkaukasus
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021), aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu liegen nicht vor. Erschwert wird die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – dem russischen Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer 'Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit' (ÖB Moskau 6.2021). Die Heirat einer 17-jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 13.2.2019).Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021), aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu liegen nicht vor. Erschwert wird die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – dem russischen Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer 'Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit' (ÖB Moskau 6.2021). Die Heirat einer 17-jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 13.2.2019).
Die Wirklichkeit im Tschetschenien von heute sieht so aus, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und sich die Lage für Frauen äußerst schwierig gestaltet (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017, openDemocracy 7.8.2020). Gewalttätige Ehemänner werden selten bestraft, die Schuld wird üblicherweise der Frau zugeschoben (openDemocracy 7.8.2020). Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017). Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch kann nur das russische Recht Frauen effektiv schützen (EASO 9.2014).Die Wirklichkeit im Tschetschenien von heute sieht so aus, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und sich die Lage für Frauen äußerst schwierig gestaltet (EASO 9.2014; vergleiche Welt.de 14.2.2017, openDemocracy 7.8.2020). Gewalttätige Ehemänner werden selten bestraft, die Schuld wird üblicherweise der Frau zugeschoben (openDemocracy 7.8.2020). Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014; vergleiche Welt.de 14.2.2017). Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch kann nur das russische Recht Frauen effektiv schützen (EASO 9.2014).
Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017; vgl. openDemocracy 7.8.2020). Sie ist weit verbreitet, gesellschaftlich toleriert und oft äußerst brutal. Zivilgesellschaftliche Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen 'Women for Development' und 'SINTEM' in Tschetschenien und 'Mat‘ i Ditja' (Mutter und Kind) in Dagestan (ÖB Moskau 6.2021). Es gibt Berichte, dass Frauen, die sich in anderen Republiken in Frauenhäusern aufhalten, teils gewaltsam von der Polizei zu ihren Familien zurückgebracht werden (HRW 13.1.2022).Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017; vergleiche openDemocracy 7.8.2020). Sie ist weit verbreitet, gesellschaftlich toleriert und oft äußerst brutal. Zivilgesellschaftliche Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen 'Women for Development' und 'SINTEM' in Tschetschenien und 'Mat‘ i Ditja' (Mutter und Kind) in Dagestan (ÖB Moskau 6.2021). Es gibt Berichte, dass Frauen, die sich in anderen Republiken in Frauenhäusern aufhalten, teils gewaltsam von der Polizei zu ihren Familien zurückgebracht werden (HRW 13.1.2022).
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt, trotzdem ist davon auszugehen, dass Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet ist. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigungen passieren auch in Polizeistationen. Es handelt sich um ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an. Sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie wird isoliert und stigmatisiert, und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei (EASO 9.2014). Die Täter werden oft nicht bestraft (openDemocracy 7.8.2020).
1.2.4. Grundversorgung und Wirtschaft im Nordkaukasus
Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Im Vergleich zu den meisten anderen Regionen Russlands weist der Nordkaukasus eine hohe Armutsrate (BP 3.9.2021) und eine sehr hohe Arbeitslosigkeit auf (ÖB 30.6.2021). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). Bei einer Sitzung der Regierungskommission zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 wurde ausgeführt, dass in etwa die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung der Region im informellen Sektor beschäftigt ist (Government.ru 15.6.2021). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022).
Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021). Dennoch ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 21.5.2021). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 14.565 [ca. EUR 241] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022).
1.2.5. Sozialbeihilfen
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine fr