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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
Verordnung der BH Neunkirchen vom 05.07.85, Z10-D-833/16, betreffend die Gemeinde Semmering. Verkehrsmaßnahmen auf der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße)Leitsatz
Aufhebung eines einen Abschnitt einer Landesstraße zur Wohnstraße erklärenden Teils einer Verordnung mangels Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme im Sinne des §76b Abs1 StVO 1960Spruch
Die Wortfolge "Erklärung der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) im Bereich von km 16,920 bis km 18,220 (zwischen der südlichen Kirchenauffahrt und der Abzweigung der Landesstraße 4171) zur Wohnstraße" in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1993 in Kraft.
Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, betreffend Gemeinde Semmering, Verkehrsmaßnahmen auf der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße), wurde unter anderem die Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) im Bereich von km 16,920 bis km 18,220 (zwischen der südlichen Kirchenauffahrt und der Abzweigung der Landesstraße 4171) zur Wohnstraße erklärt.
Diese Erklärung zur Wohnstraße wurde mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 12. Juli 1988, Z 10-D-833/19, auf der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) "im Bereich von der südlichen Auffahrt zum Hotel Panhans (Hallenbad) bis km 16,920" erweitert.
2. Mit den beim Verfassungsgerichtshof zu B569/90 und B992/90 protokollierten Beschwerden werden zwei Berufungsbescheide der NÖ Landesregierung gemäß Art144 Abs1 B-VG angefochten, mit denen die Beschwerdeführer für schuldig erkannt wurden, entgegen der mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, verfügten Erklärung zur Wohnstraße im Ortsgebiet von Semmering auf der Landeshauptstraße 136 schneller als mit erlaubter Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein.
3. Aus Anlaß dieser Beschwerden beschloß der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 B-VG, das Verfahren zur Prüfung der Wortfolge "Erklärung der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) im Bereich von km 16,920 bis km 18,220 (zwischen der südlichen Kirchenauffahrt und der Abzweigung der Landesstraße 4171) zur Wohnstraße" der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, von Amts wegen einzuleiten. Er ging davon aus, daß die Berufungsbehörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die genannte Verordnung über die Wohnstraßenerklärung dadurch, daß sie deren Übertretung ahndete, angewendet hat und diese Verordnung daher auch bei der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die angeführten Beschwerden präjudiziell ist.
Der Verfassungsgerichtshof äußerte das Bedenken, daß
"die - nicht auf ein Fahrverbot, sondern lediglich auf Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit gerichtete - Intention des Verordnungsgebers schon insofern mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Verordnung einer Wohnstraße nicht im Einklang" stehe.
Die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs (unter Einbeziehung der Interessen der Kurgäste) könnten zwar eine weitreichende Geschwindigkeitsbeschränkung, nicht aber die Erklärung zur Wohnstraße rechtfertigen, auf der gemäß §76b Abs2 StVO 1960 "das Betreten der Fahrbahn und das Spielen gestattet", der Fahrzeugverkehr mit Ausnahme des Zu- und Abfahrens aber schlechthin verboten ist.
Auch aus der Beschilderung entnahm der Verfassungsgerichtshof, - weil den Verkehrsteilnehmern das auf der zur Wohnstraße erklärten Straßenstrecke gemäß §76b Abs1 StVO 1960 geltende Fahrverbot für den Durchzugsverkehr beim Beginn der Umfahrung nicht angezeigt und dieser daher faktisch nicht unterbunden wird -, daß "Ziel und Absicht des Verordnungsgebers bei seiner Festlegung der Wohnstraße eben von vornherein nicht das Fahrverbot, sondern lediglich ein sowohl nach Geschwindigkeit wie auch nach Quantität reduzierter Fahrzeugverkehr gewesen" seien. Der Verfassungsgerichtshof verwies ferner auf gutächtliche Feststellungen in Zusammenhang mit der Erweiterung der bestehenden Wohnstraße auf der Landeshauptstraße 136 (vom 22. Juni 1988), denen zufolge "die üblichen Kriterien für die Errichtung einer Wohnstraße teilweise in diesem speziellen Fall modifiziert anzuwenden" seien, sowie auf eine Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juni 1990, wonach "das Motiv zur Erlassung der Verordnung in Initiativen der Gemeinde (lag) ... , die eine Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit anstrebte".
Schließlich äußerte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß das Bedenken, daß "Landeshauptstraßen" im Sinne des §3 NÖ Landesstraßengesetz, LGBl. 8500-3, sohin auch die Landeshauptstraße 136, eine Verkehrsbedeutung besitzen, die mit einer derart intensiven Verkehrsbeschränkung, wie sie mit der Erklärung eines Straßenteiles zur Wohnstraße gemäß §76b StVO 1960 von Gesetzes wegen verbunden ist, nicht vereinbar ist.
4.a. Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen führt in ihrer Äußerung, in der sie sich gegen die Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig wendet, aus, daß die Intention des Verordnungsgebers keineswegs nur auf die Erlassung einer Geschwindigkeitsbeschränkung gerichtet war. Vielmehr hält sie es für "erforderlich, den Durchzugsverkehr im Beschränkungsbereich zu unterbinden, um den Charakter der Hochstraße als Kurpromenade mit starkem Fußgängeraufkommen und niedrigem Fahrzeugaufkommen zu unterstreichen. Zweck der Maßnahme war es, den überörtlichen Verkehr nach Breitenstein über die Landesstraße 4170 umzuleiten."
Aus einer fehlenden Vorankündigung sei eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht abzuleiten. "Bezüglich des NÖ Landesstraßengesetzes" verweist die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen "auf §5 Abs1 ... , wonach die Benützung öffentlicher Straßen nur unter Beachtung der straßenpolizeilichen Vorschriften gestattet ist" und darauf, daß §76b StVO 1960 nicht zwischen Straßenkategorien unterscheide und daher davon auszugehen sei, "daß die Verordnung einer Wohnstraße prinzipiell auf allen Arten von Straßen zulässig ist".
b. Die NÖ Landesregierung beantragt in ihrer Äußerung auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Verordnung nicht gesetzwidrig war. Ihrer Meinung nach hat die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 12. Juli 1988, Z 10-D-833/19, der geprüften Verordnung materiell derogiert.
Die NÖ Landesregierung vertritt ferner die Auffassung, daß es sich bei der Bestimmung des §76b Abs1 erster Satz StVO 1960 über die Erklärung zu Wohnstraßen "nur um eine - allerdings nicht vollständige - Wiederholung der Bestimmungen des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960" handelt. Daher werde "die Benützung einer Wohnstraße - wenn auch teilweise eingeschränkt - grundsätzlich allen Verkehrsteilnehmern offengehalten". Im übrigen kommt es nach Meinung der NÖ Landesregierung entgegen den vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken auf "Motiv, Intention, Ziel und Absicht des Verordnungsgebers" nicht an. Zu prüfen sei lediglich, "ob solche Tatsachen vorgelegen sind, die der Gesetzgeber als Voraussetzungen für die Anordnung einer Wohnstraße in der StVO 1960 normiert hat". Diese Voraussetzungen dürften - nach Auffassung der NÖ Landesregierung - "im Jahr 1988 aber vorgelegen sein". Die Landeshauptstraße 136 sei nämlich in dem in Rede stehenden Bereich "seit jeher von den Feriengästen als Promenade zu Erholungszwecken benützt" worden. "Nicht nur der Gehsteig, sondern auch die Fahrbahn (werde) von Fußgängern überdurchschnittlich frequentiert." Damit sind aber nach Meinung der NÖ Landesregierung "die in §76b Abs1 erster Satz StVO 1960 aufgestellten wesentlichen Merkmale für die Verordnung einer Wohnstraße erfüllt". Dies gelte auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen, weil die Verordnung einer Wohnstraße im Vergleich mit anderen Verkehrsbeschränkungen das "gelindeste Mittel" darstelle, um die Vorgaben des Gesetzgebers zu erfüllen. Die Lebenserfahrung zeige eben, "daß weitreichende Geschwindigkeitsbeschränkungen im Ortsgebiet (z.B. 30 km/h) trotz der in der StVO 1960 enthaltenen Strafdrohung in der Regel nicht geeignet sind, Fahrzeuglenker selbst bei intensiver Überwachung zur lückenlosen Einhaltung dieser Geschwindigkeit zu bewegen".
Das Verkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9 c StVO 1960 "Wohnstraße" sei gemäß §51 Abs1 StVO 1960 vor der Stelle anzubringen, für die es gilt, also "erst bei der Wohnstraße". Die vorhandenen Fernzielangaben haben sohin für die Frage der Rechtmäßigkeit der geprüften Verordnung keine Bedeutung.
Auch die Erklärung eines Teilstückes einer Landeshauptstraße zur Wohnstraße sei rechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen, weil die straßenverwaltungsrechtliche Kategorisierung als Landeshauptstraße für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der Erklärung der Wohnstraße nicht herangezogen werden könne.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die in Prüfung gezogene Wortfolge der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, über die Erklärung der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) im Bereich von km 16,920 bis km 18,220 (zwischen der südlichen Kirchenauffahrt und der Abzweigung der Landesstraße 4171) zur Wohnstraße wurde in den Anlaßfällen dadurch angewendet, daß die Beschwerdeführer wegen Übertretung der mit der Erklärung zur Wohnstraße verbundenen Geschwindigkeitsbeschränkung bestraft wurden. Die Verordnung ist daher präjudiziell im Sinne des Art139 Abs1 B-VG.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG zulässig.
2. Trotz der Berufung auf §43 Abs1 StVO 1960 im Einleitungssatz der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß sich die Verordnung, soweit sie einen Teil der Landeshauptstraße 136 zur Wohnstraße erklärt, nicht auf (die allgemeine Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen über Verkehrsbeschränkungen in) §43 Abs1 StVO 1960 zu stützen vermag; sie muß vielmehr der Vorschrift des §76b StVO 1960 idF der 10. StVO-Novelle, BGBl. 174/1983, über die Erklärung von Straßenstellen oder Gebieten zu Wohnstraßen genügen. Daß die Verordnung selbst eine falsche Rechtsgrundlage angibt, bewirkt nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 4052/1961, 4375/1963) noch nicht die Gesetzwidrigkeit der Verordnung. Anders als die NÖ Landesregierung meint, bildet die Ermächtigung zur Erklärung zur Wohnstraße nach §76b Abs1 erster Satz StVO 1960 auch keineswegs nur eine speziellere Wiederholung der Bestimmungen des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 über den Erlaß von Verkehrsbeschränkungen.
§76b StVO 1960 idF BGBl. 174/1983 lautet:
"(1) Die Behörde kann, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, die Entflechtung des Verkehrs oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes erfordert, durch Verordnung Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig zu Wohnstraßen erklären. In einer solchen Wohnstraße ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon sind der Fahrradverkehr, das Befahren mit Fahrzeugen des Straßendienstes und der Müllabfuhr sowie das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens.
(2) In Wohnstraßen ist das Betreten der Fahrbahn und das Spielen gestattet. Der erlaubte Fahrzeugverkehr darf aber nicht mutwillig behindert werden.
(3) Die Lenker von Fahrzeugen in Wohnstraßen dürfen Fußgänger und Radfahrer nicht behindern oder gefährden, haben von ortsgebundenen Gegenständen oder Einrichtungen einen der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand einzuhalten und dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Beim Ausfahren aus einer Wohnstraße ist dem außerhalb der Wohnstraße fließenden Verkehr Vorrang zu geben.
(4) Die Anbringung von Schwellen, Rillen, Bordsteinen u. dgl. sowie von horizontalen baulichen Einrichtungen ist in verkehrsgerechter Gestaltung zulässig, wenn dadurch die Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit nach Abs3 gewährleistet wird."
3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich in der Sache als berechtigt.
Ganz anders als bei Verkehrsbeschränkungen nach §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960, die "für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes" zu verordnen sind, wenn es die allgemeine Verkehrssicherheit erfordert, "kann" gemäß §76b Abs1 StVO 1960 - nur - eine bestimmte Straßenstelle oder ein Gebiet zur Wohnstraße erklärt werden, wenn neben anderen tatbestandlichen Voraussetzungen insbesondere die Sicherheit des Fußgängerverkehrs oder die Entflechtung des Verkehrs ein Verbot des Fahrzeugverkehrs (mit geringfügigen Ausnahmen, wie beispielsweise für das Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens) erfordern. Der zulässige Ziel- und Quellverkehr darf in der Wohnstraße nur mit Schrittgeschwindigkeit erfolgen. Um die Einhaltung dieser Schrittgeschwindigkeit zu gewährleisten, ist die Anbringung von horizontalen baulichen Einrichtungen, Schwellen, Rillen uä. vorgesehen.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Prüfungsbeschluß unter Hinweis auf den Verordnungsakt feststellte, wollte die Gemeinde Semmering, welche die Erklärung zur Wohnstraße durch die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen veranlaßte, "daß Kurgäste am Straßenrand der Landeshauptstraße 136 auf Grund des teilweise nur schmalen Gehsteiges auch die Fahrbahn benützen können, und die Straße als Kommunikationsraum benützt werden kann". (So das unter der Bezeichnung "Gutachten" wiedergegebene Ergebnis eines Lokalaugenscheins vom 22. Juni 1998, den die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen über Ansuchen der Gemeinde Semmering um Erweiterung der bestehenden Wohnstraße auf der Landeshauptstraße 136 abgehalten hat.) Ausdrücklich wurde in diesem Zusammenhang festgestellt: "Es sind daher die üblichen Kriterien für die Errichtung einer 'Wohnstraße' teilweise in diesem speziellen Fall modifiziert anzuwenden." Aktenkundig lag das Motiv der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen "zur Erlassung der Verordnung in Initiativen der Gemeinde ... , die eine Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit anstrebte".
Zwar gehen sowohl die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen als auch die NÖ Landesregierung in ihren Äußerungen nunmehr von der beabsichtigten Unterbindung des Durchzugsverkehrs im Interesse der Fußgänger aus. Die straßenrechtliche Qualifikation als Landeshauptstraße, die Lage der zur Wohnstraße erklärten Straßenstrecke, ihre Länge und die Notwendigkeit ihrer - wenn auch beschränkten - Befahrung lassen ihre Erklärung zur Wohnstraße nicht dem Gesetz entsprechend erscheinen, mag auch die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes für den Fußgängerverkehr angesichts der Kur- und Fremdenverkehrsinteressen der Gemeinde unbestritten sein.
Wie schon die gesetzliche Bezeichnung als "Wohnstraße" sowie die gesetzlich vorgesehene Hinweistafel (§53 Z9 c StVO 1960) zeigen, findet in Wohnstraßen die Beschränkung auf den zu- und abfahrenden Fahrzeugverkehr vor allem deshalb statt, um insbesondere der Wohnbevölkerung "das Betreten der Fahrbahn und das Spielen" (§76b Abs2 StVO 1960) zu ermöglichen. Davon kann bei dem fraglichen Straßenstück keine Rede sein, weil der Fußgängerverkehr, wie aus dem Verordnungsakt deutlich wird, angesichts der geringen Wohnbevölkerung entlang der Strecke vorwiegend von Gästen und Touristen gebildet wird, die im Rahmen des Fremdenverkehrs die Straße benutzen. Die Erklärung zur Wohnstraße ist aber auch wegen der Lage der Straße, ihrer Länge (seit Verlängerung der Wohnstraße durch die Verordnung vom 12. Juli 1988 rund 1,5 km) und vor allem auch zum Schutz des Fußgängerverkehrs nicht erforderlich im Sinne des §76b StVO 1960.
Daß schließlich auch die Verkehrsbedeutung der Landeshauptstraße 136 deren teilweise Erklärung zur "Wohnstraße" ausschließt, ergibt sich aus deren straßenverwaltungsrechtlicher Qualifikation. Zwar ist es richtig, daß die Benützung der öffentlichen Straßen im Rahmen ihrer widmungsgemäßen Bestimmung gemäß §5 NÖ Landesstraßengesetz nur "unter Beachtung der straßenpolizeilichen Vorschriften gestattet" ist. Gleichwohl läßt die Gliederung der öffentlichen Straßen nach §3
NÖ Landesstraßengesetz ebenso wie das zwingende Gebot einer zweispurigen Bauausführung gemäß §13 NÖ Landesstraßengesetz erkennen, daß bei Landeshauptstraßen regelmäßig die Erklärung eines Straßenteiles zur Wohnstraße schon wegen der damit verbundenen Anbringung von Verkehrshindernissen ausgeschlossen ist. Mit dieser straßenverwaltungsrechtlichen Bewertung der Landeshauptstraße 136 durchaus im Einklang steht die gutächtliche Feststellung in der Verhandlungsschrift der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen zur Begutachtung verschiedener Verkehrsmaßnahmen im Gemeindegebiet Semmering auf der Landeshauptstraße 136 im Bereich der Wohnstraße vom 6. September 1989 (Beilage zu 10-D-833/25), wonach "wesentliche gestalterische Elemente für eine Wohnstraße fehlen". Dort heißt es weiter: "Dies betrifft insbesondere die vorhandenen Gehsteige an den Straßenrändern. Beobachtet wird in diesem Zusammenhang, daß die Fußgänger diese Gehsteige benützen und daher das wesentliche Merkmal der gemischten Verkehrsfläche einer Wohnstraße für Fußgänger und Fahrzeugverkehr fehlt."
Die verordnete Wohnstraße erweist sich somit zusammenfassend nicht als "erforderlich" im Sinne des §76b Abs1 StVO 1960, weil damit nicht die Wohnbevölkerung beim Betreten der Fahrbahn (und beim Spielen) an einer konkreten Straßenstelle oder in einem bestimmten Gebiet zu Lasten des Fahrzeugverkehrs, dem das Durchfahren durch die Wohnstraße verboten und die Zu- und Abfahrt lediglich mit Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist, geschützt wird; sondern weil im ganz überwiegenden Interesse des Fremdenverkehrs auf einer relativ langen Straßenstrecke mit qualifizierter Verkehrsbedeutung diese Verkehrsbeschränkung verfügt wurde, ohne daß eine wirksame Durchsetzung sonstiger Schutzmaßnahmen, wie etwa einer Geschwindigkeitsbeschränkung oder nach Änderung der straßenrechtlichen Bewertung ein teilweises Fahrverbot, hinreichend erwogen wurde.
Die Erklärung der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) im Bereich von km 16,920 bis km 18,220 (zwischen der südlichen Kirchenauffahrt und der Abzweigung der Landesstraße 4171) zur Wohnstraße widerspricht sohin mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auch §76b Abs1 StVO 1960. Anders als die NÖ Landesregierung meint, hat die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 12. Juli 1988, Z 10-D-833/19, (in Kraft getreten am 11. August 1988 durch Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen) der in Prüfung gezogenen Verordnung auch nicht derogiert. Jene Verordnung hat diese vielmehr lediglich dadurch ergänzt, daß in Verlängerung der bisherigen Wohnstraße ein weiteres Stück der Landeshauptstraße 136 (Hochstraße) zur Wohnstraße erklärt wurde. Die die Erklärung zur Wohnstraße betreffende Wortfolge der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 5. Juli 1985, Z 10-D-833/16, ist daher gemäß Art139 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.
4. Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich ebenso wie die Fristsetzung für das Außerkrafttreten auf Art139 Abs5 B-VG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, WohnstraßeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:V16.1992Dokumentnummer
JFT_10078785_92V00016_00