TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/24 94/19/1402

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Veröffentlicht am 24.04.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/19/1403

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden

1. des A S und 2. der I Z, beide in W und vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 3. November 1994, Zl. 4.297.311/5-III/13/91 (betreffend Erstbeschwerdeführer) und Zl. 4.297.311/4-III/13/91 (betreffend Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die miteinander verheirateten Beschwerdeführer, deren Staatsbürgerschaft nicht geklärt ist, sind am 1. Juni 1990 in das Bundesgebiet eingereist und haben am 5. Juni 1990 beantragt, ihnen Asyl zu gewähren.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland stellte mit Bescheid vom 24. Juni 1991 (betreffend Erstbeschwerdeführer) bzw. mit Bescheid vom 4. Juli 1991 (betreffend Zweitbeschwerdeführerin) fest, daß die Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht erfüllten.

Mit den Bescheiden jeweils vom 3. November 1994 wies die belangte Behörde die dagegen erhobenen Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden - nach deren Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen:

Der Erstbeschwerdeführer gab bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 11. Juni 1990 an, zuletzt in Leningrad gewohnt zu haben; er sei "Angehöriger der Minderheit Estland". Sein Vater sei in Estland Industrieminister gewesen, bis er im Jahre 1941 zurückgetreten sei. Danach sei er für 25 Jahre in den Arrest gebracht worden. Dem Beschwerdeführer sei immer wieder von der Bevölkerung von Estland vorgeworfen worden, daß sein Vater die Fabriken, "welche im Privatbesitz waren, den Besitzern weggenommen hat". Im Jahre 1954 sei der Beschwerdeführer dann von Estland nach Leningrad verzogen, wo ihm wieder von den Nachbarn und den Arbeitskollegen vorgeworfen worden sei, daß er selbst ein Faschist und sein Vater ein Verräter sei. Er sei auf seinen Arbeitsplätzen immer wieder beschimpft worden. Im Jahre 1976 sei er dann vom KGB zu Hause "besucht" worden, wobei eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden sei. Dem Beschwerdeführer sei vorgeworfen worden, daß er einen Revolver besitze, was aber nicht den Tatsachen entsprochen habe. Als die Beamten nichts gefunden hätten, sei er geschlagen und von den Beamten auf ihre Dienststelle in Leningrad gebracht worden; dort sei er derart geschlagen worden, daß er dabei vier Zähne verloren habe.

"Zum Schluß" habe er überhaupt keine Probleme mehr gehabt. Er habe sich deshalb entschlossen, in den Westen zu flüchten, damit er in Freiheit leben könne.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab anläßlich ihrer Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 11. Juni 1990 an, keine Probleme in der Sowjetunion gehabt zu haben; sie wolle mit ihrem Gatten in Freiheit zusammenleben.

Sie brachte weiters bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 22. Dezember 1990 im wesentlichen vor, daß der Vater ihres Gatten (des Erstbeschwerdeführers) in Leningrad die kommunistische Hochschule "KOMINTERN" beendet habe; ab 1940 sei er Mitglied der Regierung in Estland und während des zweiten Weltkrieges kommunistischer Agent gegen die Deutschen gewesen. Der Spionagering (dem der Vater des Erstbeschwerdeführers angehört habe) sei von den Deutschen ausgeforscht und verhaftet worden; der Vater des Erstbeschwerdeführers habe sich in deutscher Haft bis zum 25. Mai 1943 befunden und sei aus dieser nur deshalb entlassen worden, weil er sein Einverständnis gegeben habe, für die Deutschen "für das sogenannte Kommando "Z" zu arbeiten". Am 18. September 1944 habe er das Lager verlassen und sei zum baltischen Militärstab gegangen. Dort sei er sofort angezeigt und nach Moskau in die "kommunistische Zentrale" gebracht worden, wo er zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt worden sei. Schließlich sei er 1956 amnestiert worden.

Die Beschwerdeführer hätten als freiberufliche Kunstmaler gearbeitet, nachdem dem Erstbeschwerdeführer aufgrund der Vorfälle mit dessen Vater und seiner Herkunft aus Estland die Aufnahme an die Universität in Leningrad verweigert worden sei. Die Beschwerdeführer hätten in Leningrad gewohnt und in Estland ein kleines Häuschen gekauft und auch dort gearbeitet. Seit etwa fünf Jahren gebe es in Estland nationalistische und antikommunistische Unruhen. Im Jahre 1987 seien die Herkunft des Erstbeschwerdeführers und die Aktivitäten seines Vaters bekannt geworden, worauf das "Häuschen" der Beschwerdeführer in Brand gesteckt worden sei. Trotz einer Anzeige bei Miliz und Polizei und der Versicherung, daß den Beschwerdeführern geholfen werden würde, sei jedoch nichts geschehen.

Bereits 1976 habe der Erstbeschwerdeführer Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt; so sei im April 1976 die Miliz bei ihm in der Wohnung gewesen und habe nach Gewehren gesucht. Dabei hätten beide Beschwerdeführer angegeben, daß sie Mitglieder eines Jagdsportvereines seien und in ihrem Haus in Estland zwei Jagdgewehre hätten. In der Folge hätten sie wieder Vorladungen von der Miliz bekommen und wegen derselben Sache wieder eine Erklärung abgeben müssen. Gleichfalls im April 1976 hätten sie auch eine Vorladung zum KGB bekommen. Dort sei der Zweitbeschwerdeführerin vorgeworfen worden, daß sie "gegen die Russen kämpfen würde" und auch ihr Mann "antikommunistische Kampagnen betreiben würde". Der Erstbeschwerdeführer habe daraufhin eine Erklärung abgegeben, daß er "nicht mehr gegen die Kommunisten arbeiten" würde und nur an seiner Tätigkeit als freiberuflicher Maler interessiert sei. Im März 1976 seien die Beschwerdeführer verständigt worden, daß in ihr Haus in Estland eingebrochen worden sei; dies sei tatsächlich der Fall gewesen, die Jagdgewehre und Patronen sowie "sämtliche Jagdmesser" seien gestohlen worden. Die Beschwerdeführer hätten Anzeige sowohl bei der Polizei in Estland als auch in Leningrad erstattet, doch sei nichts unternommen worden.

Ab diesem Zeitpunkt hätten die Behörden immer wieder Hausdurchsuchungen sowohl in Estland als auch in Leningrad durchgeführt. Im Sommer 1977 sei der Erstbeschwerdeführer dann in seinem Atelier festgenommen, zum Polizeirevier gebracht und dort verhört worden. Dabei seien ihm sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen worden. Der Beschwerdeführer habe diesen Vorfall angezeigt, doch habe er dann einen Brief erhalten, wonach die Begebenheit nicht wahr sei. Mit Beginn der Perestrojka im Jahre 1985 in Rußland hätten die Balten die Russen und die Kommunisten die Balten gehaßt. Dies habe für den Erstbeschwerdeführer und sie bedeutet, daß sie in Estland wegen seines Vaters und in Leningrad wegen der Abstammung aus Estland gehaßt worden seien. Überdies sei der Erstbeschwerdeführer gehaßt worden, weil er mit einer Russin verheiratet sei. Als das Haus verbrannt worden sei, hätten "auch die Probleme" geendet. In der Folge hätten sich die Beschwerdeführer ein anderes Haus in Estland gekauft, wo auch "ständig Hausdurchsuchungen durchgeführt" worden seien. Im Sommer 1989 seien schließlich an einem Tag drei Hausdurchsuchungen in der Wohnung in Leningrad erfolgt, wobei die Polizei diese mit "angeblichen Alarmauslösungen" in der Wohnung gerechtfertigt hätten und die Beschwerdeführer "Bestätigungen" erhalten hätten. Sie könnten weder in Leningrad noch in Estland leben.

In seiner Berufung vom 29. Juli 1991 gegen den erstinstanzlichen Bescheid brachte der Erstbeschwerdeführer vor, daß die Erinnerung an seinen Vater bei den Menschen in Estland Zorn und Rachsucht wachrufe. Er sei andererseits aber auch in Leningrad wie in Moskau offiziell als Sohn eines "Volksfeindes" registriert; die Beschwerdeführer müßten befürchten, da sie ihre sowjetischen Reisepässe abgegeben hätten und der Erstbeschwerdeführer ohne Befugnis seiner Regierung Archivunterlagen aus der Sowjetunion ausgeführt und abgegeben sowie detaillierte Gründe für die Flucht geschildert habe, in der UdSSR unverzüglich verhaftet und verurteilt zu werden; er müsse mit sieben bis elf Jahren Gefängnishaft rechnen.

In ihrer Berufung brachte sie sinngemmäß das Gleiche vor wie der Erstbeschwerdeführer.

Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991, das die belangte Behörde gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. anzuwenden hatte, ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren. Begründete Furcht in diesem Sinne liegt bei Bestehen einer "Verfolgungsgefahr" vor, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, die geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorherigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muß - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - ihre Ursache in den im Gesetz genannten Gründen haben und ihrerseits Ursache dafür sein, daß sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorherigen Aufenthaltes befindet; die Verfolgungsgefahr muß weiters dem Heimatstaat bzw. dem Staat des vorherigen Aufenthaltes zurechenbar sein.

Da die Beschwerdeführer ihren Aufenthalt zuletzt in Leningrad (St. Petersburg) hatten, sind allfällige Verfolgungshandlungen der Behörden nur insoweit bedeutsam, als sie den Behörden des Staates des Aufenthaltes zugerechnet werden können. Weiters ist eine allfällige feindselige Einstellung der Bevölkerung in Estland gegen die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang asylrechtlich nicht bedeutsam. Auch haben die Beschwerdeführer nicht vorgebracht, daß sie in Leningrad durch Esten bedroht worden wären und die Behörden in Leningrad ihnen Schutz verweigert hätten.

Die Beschwerdeführer berufen sich auf Vorfälle im Jahre 1976, die als Verfolgungshandlungen zu qualifizieren seien. Dazu aber hat die belangte Behörde zutreffend ausgeführt, daß diese Ereignisse in keinem ausreichenden zeitlichen Konnex zur Flucht der Beschwerdeführer im Jahre 1990 mehr stehen, der zur Glaubhaftmachung des Vorliegens aktueller Verfolgungsgefahr geeignet wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 1994, Zl. 92/01/1104, und Zl. 92/01/1125 u.v.a.).

Des weiteren berufen sich die Beschwerdeführer auf Hausdurchsuchungen; zuletzt im Jahre 1989 seien solche durchgeführt worden, im Sommer an einem Tag sogar drei. Auch hier wiederum ist der belangten Behörde zumindest im Ergebnis zuzustimmen, wenn sie darin - im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0146, und vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0777) - für sich allein keine Verfolgungsmaßnahmen einer derartigen Intensität sieht, daß dadurch Verfolgungsgefahr begründet würde.

Auf das neue Sachverhaltsbehauptungen enthaltende (weitere) Berufungsvorbringen der Beschwerdeführer hätte die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht einzugehen gehabt, doch liegt darin im Beschwerdefall kein wesentlicher Verfahrensmangel.

Da somit die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführer zutreffend verneint wurde, braucht auf den Umstand, daß die Zweitbeschwerdeführerin diese Eigenschaft allein aus den mit der Person ihres Ehegatten, des Erstbeschwerdeführers; verbundenen Vorkommnissen ableitet, nicht näher eingegangen zu werden.

Die Beschwerden waren daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da der Vorlageaufwand infolge der gemeinsamen Vorlage der belangten Behörde nur einmal zusteht.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994191402.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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