TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/25 94/20/0779

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Veröffentlicht am 25.04.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Köhler und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. September 1994, Zl. 4.223.461/11-III/13/94, betreffend Wiederaufnahme eines Asylverfahrens und Abweisung des Antrages auf Asyl, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige und reiste am 10. November 1986 in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 14. November 1986 stellte sie den Antrag, ihr Asyl zu gewähren. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Februar 1987 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. April 1990 wurde ihrer dagegen gerichteten Berufung (zunächst) keine Folge gegeben und der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Februar 1987 bestätigt. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1990, Zl. 90/01/0160-6, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete den angefochtenen Bescheid als mit wesentlichen Begründungsmängeln belastet, weil die belangte Behörde entgegen den von ihr übernommenen Angaben der Beschwerdeführerin vermeint hatte, diese habe konkrete Verfolgung gegen ihre Person auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe im gesamten Verwaltungsverfahren nicht darzutun vermocht; auch die weitere Begründung des damals angefochtenen Bescheides, die von der Beschwerdeführerin behaupteten Vergewaltigungen seien allenfalls nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und stellten keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar, sei unschlüssig, da erlittene Verfolgungshandlungen aus ethnischen Gründen durch staatliche Organe (Militär) auch dann zu wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Konvention führten, wenn sie strafrechtliche Tatbestände erfüllten.

Ohne ergänzendes Ermittlungsverfahren stellte daraufhin die belangte Behörde mit ihrem Bescheid vom 16. Dezember 1991 die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin fest und sprach aus, diese sei gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes (1968) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid verfügte die belangte Behörde die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 16. Dezember 1991 abgeschlossenen Asylverfahrens gemäß § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen (Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides), wies die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Februar 1987 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre der Beschwerdeführerin kein Asyl (Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides). Dabei ging die belangte Behörde davon aus, sie habe am 20. Juni 1994 davon Kenntnis erhalten, daß die Beschwerdeführerin im Besitze eines türkischen Reisepasses, ausgestellt von der Paßbehörde in Erzurum am 24. Dezember 1987 unter der Nr. TR-B 831278, gewesen sei und schloß aus dieser Tatsache rechtlich, dadurch stehe fest, daß sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Ausstellung des Reisepasses in der Türkei aufgehalten habe. Durch den Umstand, daß sie in ihre Heimat zurückgekehrt sei und ihr von der dortigen Paßbehörde ein Reisepaß ausgestellt worden sei, habe sie wesentliche Tatsachen im Asylverfahren verschwiegen und sei auf jeden Fall davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin im Asylverfahren unrichtige Angaben gemacht habe, da eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes "sicherlich" nicht bestanden habe, wenn sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehre, sich dort an die Behörden wende und so den Schutz des Heimatstaates in Anspruch nehme. "Kein Zweifel" könne auch daran bestehen, daß sie "diese objektiv unrichtigen Angaben" mit Irreführungsabsicht gemacht habe, nämlich um einen positiven Asylbescheid zu erlangen. Ihr "offenbar" unrichtiges Vorbringen im Asylverfahren bzw. das Verschweigen wesentlicher Tatsachen habe auch dazu geführt, daß sie mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Dezember 1991 als Flüchtling anerkannt worden sei. Der Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG sei verwirklicht.

Zum Asylverfahren selbst sei zu sagen, daß durch die freiwillige Rückkehr in den Heimatstaat und Kontaktaufnahme mit den türkischen Behörden "offenkundig" sei, daß "eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Gründe des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht bestanden" habe und auch nicht angenommen werden könne, daß in Ermangelung asylrechtlich relevanter Umstände, die sich nach dem 24. Dezember 1987 ereignet hätten, eine derartige Furcht bestehe. Im übrigen erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin während des Asylverfahrens "im Lichte der von Ihnen verschwiegenen Rückkehr in Ihren Heimatstaat insgesamt als nicht glaubwürdig".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG in der Fassung der Wiederverlautbarung, BGBl. Nr. 50/1991, ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides dann vor, wenn dieser in der Art zustandegekommen ist, daß bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrundegelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. hg. Erkenntnis vom 16. April 1985, Zl. 84/04/0050 u.v.a.). Dabei muß die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, daß ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. insbesondere auch hg. Erkenntnisse vom 9. März 1983, Zl. 83/01/0002 und vom 19. Februar 1986, Zl. 84/09/0216 u.a.). Zusammengefaßt müssen daher drei Voraussetzungen vorliegen:

1.

Objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung,

2.

ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und

              3.              Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 27. April 1978, Zl. 2624/76).

Selbst wenn man also der belangten Behörde darin folgte, daß die Beschwerdeführerin im Dezember 1987 in ihr Heimatland zurückgekehrt und ihr über ihr eigenes Ersuchen von den dortigen Behörden ein neuer Paß ausgestellt worden ist, kann allein auf Grund dieses Umstandes nicht darauf geschlossen werden, daß die anläßlich ihrer Erstbefragung am 15. Dezember 1986 () erfolgten Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Flüchtlingseigenschaft objektiv unrichtig gewesen seien. Auch die belangte Behörde bedient sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich Vermutungen ("sicherlich", "offenbar"). Es erscheint jedenfalls unzulässig, aus der bloßen Tatsache einer Rückkehr in das Heimatland - was im übrigen allenfalls einen Ausschließungsgrund nach § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 dargestellt hätte - darauf schließen zu wollen, daß die zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt dargelegten Fluchtgründe VON VORNHEREIN objektiv unrichtig gewesen seien.

Aber auch die zweite der oben genannten Voraussetzungen zur Verwirklichung des Tatbestandes der "Erschleichung" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG liegt nach der Aktenlage nicht vor. Die belangte Behörde geht davon aus, daß die Beschwerdeführerin sich im Dezember 1987 wieder in ihr Heimatland begeben hat. Zu diesem Zeitpunkt war im erstinstanzlichen Verfahren der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft bereits abgewiesen worden, das Berufungsverfahren war noch anhängig. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. April 1990 wurde jedoch auch dieses Berufungsverfahren negativ beendet. Dieser Bescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof lediglich wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe keine konkret gegen sie gerichteten asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlungen behauptet, aktenwidrig war. Keinesfalls sollte damit ausgedrückt werden, der Beschwerdeführerin sei auf jeden Fall die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen gewesen. Einziger Grund für dieses aufhebende Erkenntnis waren daher lediglich Begründungsmängel, bei deren Vermeidung die Behörde zu einer anderen Entscheidung hätte kommen KÖNNEN. Dennoch sah sich die belangte Behörde zu einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens nicht veranlaßt, sondern erließ den positiven Asylbescheid in nicht nachvollziehbarer Abkehr von der eigenen rechtlichen Argumentation. Daß dadurch jedoch der Kausalitätszusammenhang zwischen der positiven Erledigung der Berufungsbehörde im zweiten Rechtsgang und den Angaben der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Erstbefragung noch vorhanden gewesen wäre, kann nicht gesagt werden.

Aber auch die dritte Voraussetzung, nämlich die Irreführungsabsicht, ist nach der Aktenlage nicht erkennbar, jedenfalls fehlen dazu jegliche Anhaltspunkte. Die Beschwerdeführerin hat aus subjektiver Sicht ihre Fluchtgründe dargelegt, daß dies wider besseres Wissen geschehen sei, ergibt sich aus dem Akt nicht. Dabei müssen aber schon im wiederaufzunehmenden Verfahren (nicht also nur etwa im Wiederaufnahmeverfahren selbst) Handlungen und Unterlassungen feststellbar gewesen sein, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen (vgl. hg. Erkenntnis vom 17. September 1962, Zl. 492/60).

Bereits aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Aber auch in der Sache selbst (d.h. zu Spruchpunkt 2) erweist sich die Begründung des angefochtenen Bescheides als unzutreffend. Ausgangspunkt für die Überlegungen der belangten Behörde war die Vermutung, die Beschwerdeführerin habe sich nach Asylantragstellung wiederum in die Türkei begeben und habe sogar dort zu den Behörden Kontakt gehabt, um einen Paß für sich und ihre Kinder zu erlangen. Darin läge aber, ausgehend von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er unter Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention fällt. Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention nimmt Personen aus dem Anwendungsbereich der Konvention aus, wenn sie (Z. 1) sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung - zum Asylgesetz (1968), das u.a. den in Rede stehenden Ausschlußgrund umfaßte, als auch bereits zum AsylG 1991 - ausgesprochen, daß in der Antragstellung auf Ausstellung (respektive Verlängerung) eines Reisepasses eine Inanspruchnahme des Schutzes im Sinne der Genfer Konvention liegen kann und nicht im konkreten Einzelfall auf Grund begründeter Ausführungen des Beschwerdeführers ein dieser Annahme widersprechender Sachverhalt dem entgegensteht. Dazu wurde der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren jedoch keine Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen, insoweit daher ihr Recht auf Parteiengehör verletzt.

Da der belangten Behörde bereits bei Beurteilung der Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ein Rechtsirrtum unterlaufen ist, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf die Ausführungen in der Beschwerde zur Frage der "Unterschutzstellung" über das bereits Gesagte hinaus näher eingegangen werden muß.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des erhobenen Begehrens auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200779.X00

Im RIS seit

09.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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