Entscheidungsdatum
18.09.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I412 2252991-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TUNESIEN, vertreten durch: Queer Base, Welcome and Support for LGBTIQ Refugees gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 09.08.2024, Zl. 1288596807-240440533, zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. TUNESIEN, vertreten durch: Queer Base, Welcome and Support for LGBTIQ Refugees gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 09.08.2024, Zl. 1288596807-240440533, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.Der Beschwerde wird gemäß Paragraph 21, Absatz 3, zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren beiden Söhnen unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte sowohl für sich als auch für ihre beiden Söhne am 05.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Rahmen ihrer am darauffolgenden Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie zweier niederschriftlicher Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) am 14.01.2022 sowie am 17.01.2022 im Wesentlichen mit Problemen mit ihrem gewalttätigen Ehemann begründete.
Mit Bescheiden jeweils vom 16.02.2022 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin und ihrer beiden Söhne auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, Tunesien sei als sicherer Herkunftsstaat im Hinblick auf die seitens der Erstbeschwerdeführerin geltend gemachten Übergriffe durch ihren Ehemann schutzfähig und -willig, überdies garantiere die Verfassung den Schutz von Frauenrechten und sei es Frauen im Falle von häuslicher Gewalt möglich, ein Frauenhaus aufzusuchen. Auch könne die Erstbeschwerdeführerin im Lichte der einschlägigen Länderberichte eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ehemann erwirken, die Scheidung einreichen oder gegebenenfalls auch neuerlich bei Angehörigen Unterkunft nehmen. Als unglaubhaft erachtete die belangte Behörde überdies das Vorbringen, die Beschwerdeführer seien ohne Wissen des Ehemannes und Kindesvaters legal in die Türkei ausgereist, da die Ausreise minderjähriger Kinder aus Tunesien der Zustimmung des Kindesvaters bedürfe.Mit Bescheiden jeweils vom 16.02.2022 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin und ihrer beiden Söhne auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch II.) ab. Zugleich wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, Tunesien sei als sicherer Herkunftsstaat im Hinblick auf die seitens der Erstbeschwerdeführerin geltend gemachten Übergriffe durch ihren Ehemann schutzfähig und -willig, überdies garantiere die Verfassung den Schutz von Frauenrechten und sei es Frauen im Falle von häuslicher Gewalt möglich, ein Frauenhaus aufzusuchen. Auch könne die Erstbeschwerdeführerin im Lichte der einschlägigen Länderberichte eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ehemann erwirken, die Scheidung einreichen oder gegebenenfalls auch neuerlich bei Angehörigen Unterkunft nehmen. Als unglaubhaft erachtete die belangte Behörde überdies das Vorbringen, die Beschwerdeführer seien ohne Wissen des Ehemannes und Kindesvaters legal in die Türkei ausgereist, da die Ausreise minderjähriger Kinder aus Tunesien der Zustimmung des Kindesvaters bedürfe.
Gegen die Bescheide wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 14.03.2022 vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei deren inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert.
Mit Schriftsatz ihrer Rechtsvertretung vom 28.04.2022 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht im Vorfeld zu der für den 02.05.2022 anberaumten Beschwerdeverhandlung eine schriftliche Stellungnahme, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die Erstbeschwerdeführerin homosexuell und aufgrund dessen in Tunesien der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, wobei sie erst jetzt – nach vielen Monaten klinisch- und gesundheitspsychologischer Beratungen – in der Lage sei, offen über ihre Homosexualität zu sprechen. Sie habe nie ein Interesse an Männern gehabt, sei jedoch bereits im Alter von 17 Jahren von ihrer Familie mit ihrem Mann zwangsverheiratet worden. Bei sexuellen Handlungen mit einer Frau, mit welcher die Erstbeschwerdeführerin eine Liebesbeziehung geführt habe, habe sie sich eine Art Narbe im Hals-/Schulterbereich zugezogen. Da ihr Mann nichts von ihrer sexuellen Orientierung gewusst habe, hätte er ihr unterstellt, ihn zu betrügen, sodass er am darauffolgenden Tag mit einem Kanister Benzin nach Hause gekommen sei und ihr gedroht habe, sie im Haus einzusperren und mit den gemeinsamen Kindern zu verbrennen. Aus Angst um ihr Leben und um das Leben ihrer Kinder habe die Erstbeschwerdeführerin beschlossen zu fliehen. Überdies sei der Ehemann auch den beiden Kindern gegenüber gewalttätig gewesen. Zudem wurde ausgeführt, dass dieses nunmehrige Vorbringen bezüglich der Homosexualität der Erstbeschwerdeführerin nicht dem Neuerungsverbot unterliege, und wurde aus allgemeinen Länderberichten bezüglich der Situation sexueller Minderheiten in Tunesien zitiert.