TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/25 94/20/0784

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Veröffentlicht am 25.04.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §18 Abs1;
AVG §13a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Köhler und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in D, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1994, Zl. 4.342.268/4-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Juli 1993, mit dem der am 9. April 1993 schriftlich gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen worden war, erhobene Berufung ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 15. März 1993 in das Bundesgebiet ein. Am 9. April 1993 beantragte er durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter die Gewährung von Asyl und brachte dabei im wesentlichen vor, sich bereits als Schüler für die politischen Anliegen der Kurden eingesetzt gehabt zu haben, was dazu geführt habe, daß er der Schule verwiesen worden sei. Die Kurden würden planmäßig diskriminiert und verfolgt. Wenn es einen terroristischen Überfall gegeben habe, sei er verdächtigt, verhört und mißhandelt worden. Er habe sich schließlich der türkisch-kommunistischen Partei angeschlossen, die sich für Menschenrechte einsetze. Dies habe zur Folge gehabt, daß er wiederholt verhaftet, eingesperrt und gefoltert worden sei. Dies sei zuletzt im März 1990 anläßlich des alljährlichen kurdischen Festes der Fall gewesen, man habe ihn verhaftet und während der Anhaltung durch Schläge und Nahrungsentzug gefoltert. Diese Anhaltung habe rund sechs Monate angedauert. Schließlich sei es Freunden gelungen, Wächter zu bestechen, sodaß er aus dem Gefängnis habe fliehen können. Er sei in die Berge geflohen; er sei neuerlich zur Verhaftung ausgeschrieben worden. Aus Angst vor weiteren Verhaftungen und Folterungen habe er seine Heimat verlassen.

Anläßlich seiner am 21. Juli 1993 erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt, im wesentlichen an, er werde in der Türkei von den staatlichen Behörden gesucht. Er sei etwa fünfeinhalb Monate im Gefängnis Sagmalcilar in Istanbul in Haft gewesen, man habe ihn im März 1990 anläßlich der Teilnahme am Nevrozfest festgenommen. Dieses Fest sei vom Staat verboten. Dies sei auch der Grund für die lange Haft gewesen. Man habe damals etwa 100 Leute verhaftet. Er wisse aber nicht, wie lange diese Personen in Haft geblieben seien. Er sei bloßer Teilnehmer dieser Veranstaltung gewesen, hätte mitfeiern wollen und auch prokurdische Parolen geäußert. Er sei von der Polizei fünfeinhalb Monate in Haft genommen worden, es habe kein gerichtliches Urteil gegeben. Er habe auch keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, es sei verboten gewesen, auch zu ihm Kontakt aufzunehmen, seine Ehegattin habe zweimal versucht, ihn zu besuchen. Im September 1990 sei er aus der Haft entlassen worden. Auf den Vorhalt, daß im schriftlichen Asylantrag von seinem Rechtsvertreter geschrieben worden sei, er habe durch Bestechung aus der Haft entfliehen können, antwortete der Beschwerdeführer, er sei nicht geflüchtet. Nach seiner Entlassung habe er sich nicht mehr in Istanbul aufgehalten, sondern sei mit einem gefälschten Ausweis in die Provinz Tunceli gefahren und habe sich dort der politischen Organisation der TKP-ML angeschlossen, die in der Türkei offiziell verboten sei. Er habe für diese marxistisch-leninistisch ausgerichtete Partei Flugzettel verteilt und Kurierdienste geleistet. Die kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament seien keine richtigen Kurdenvertreter, die Türkei kein demokratisches Land. Während seines Aufenthaltes in Tunceli sei er von der Polizei mehrfach gesucht worden. Er vermute deshalb, die Polizei würde ihn noch einmal in Haft nehmen, verhören und auch foltern. Er nehme an, daß die Polizei erfahren habe, daß er sich politisch betätige. Während seiner Inhaftierung sei er zweimal, einmal am Anfang, das zweite Mal während eines Verhörs, brutal geschlagen worden. Im übrigen sei er nicht nur Kurde, sondern auch Alevite, welche Glaubensgemeinschaft in der Türkei unterdrückt würde.

Wenn die belangte Behörde in Gegenüberstellung des Vorbringens im schriftlichen Asylantrag einerseits und dem Ergebnis der - eingehenden - Befragung des Beschwerdeführers andererseits auf Grund einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung davon ausging, der Beschwerdeführer habe lediglich im März 1990 eine Verhaftung anläßlich der Teilnahme an dem - offizell verbotenen - Nevrozfest erlitten, er sei ohne Gerichtsurteil über einen längeren Zeitraum inhaftiert gewesen und dort auch zumindest zweimal brutal geschlagen worden, kann ihr im Hinblick auf die eingeschränkte Kognition des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. (vgl. hg. Erkenntnisse vom 23. Dezember 1983, Zl. 82/02/0066, vom 30. Mai 1984, Zl. 83/02/0509 u.a. sowie das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Insofern sich der Beschwerdeführer wiederum auf die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens beruft, in welchem ein gerichtlich beeideter Dolmetsch SEINER WAHL der Verhandlung nicht beigezogen worden sei, ist ihm zu entgegnen, daß § 18 Abs. 1 lediglich bestimmt, daß der mündlichen Verhandlung EIN GEEIGNETER DOLMETSCHER beizuziehen ist, der den gesamten Verlauf der Vernehmung oder Verhandlung in die Muttersprache des Asylwerbers ODER EINE ANDERE IHM AUSREICHEND VERSTÄNDLICHE SPRACHE ZU ÜBERSETZEN HAT. Daß dies geschehen sei, bestreitet der Beschwerdeführer nicht. Er verweist lediglich auf Abs. 2 leg. cit., gibt jedoch selbst an, daß der Dolmetscher seiner Wahl zum genannten Vernehmungstermin nicht hätte erscheinen können, sodaß der Behörde erster Instanz eine Fehlbeurteilung in bezug auf eine dadurch zu befürchtende Verfahrensverzögerung nicht vorgeworfen werden kann, die von der belangten Behörde hätte beachtet werden müssen. Im übrigen ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, daß es ihm freigestanden wäre, eine entsprechende Ergänzung, Richtigstellung oder Klarstellung - sofern er dies nicht ohnedies getan hat - im Berufungsverfahren vorzutragen. Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0146). Die Asylbehörden sind nicht verhalten, den Asylwerbern Unterweisungen darüber zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen auszuführen und welche Fluchtgründe sie anzugeben haben, damit ihrem Verlangen auf Anerkennung als Konventionsflüchtling entsprochen werden kann (vgl. hg. Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0038).

Wenn allerdings die belangte Behörde es als "unglaubwürdig" erachtet, daß der Beschwerdeführer fünfeinhalb Monate ausschließlich infolge der Teilnahme an einer verbotenen Versammlung ohne entsprechendes Gerichtsverfahren inhaftiert gewesen sei, so ist ihr nicht zu folgen, da ihre Begründung, daraus müsse man FOLGERN, "daß die türkische Polizei erst NACH dieser Anhaltung die Vermutung gehegt habe", daß der Beschwerdeführer sich politisch betätigt habe, mit den Regeln der Logik nicht in Einklang steht, gab doch der Beschwerdeführer anläßlich seiner Vernehmung auch an, daß anläßlich des von ihm besuchten Nevroz-Festes sehr wohl auch prokurdische Parolen geschrieen worden seien, der Versammlung daher ein durchaus politischer Aspekt einzuräumen ist. Daran anknüpfend widerspricht es auch keineswegs den Denkgesetzen, daß Teilnehmer an einer derartigen Versammlung als politische Agitatoren in polizeilichen Gewahrsam genommen werden. Wenn sich aber - im vorliegenden Fall von der belangten Behörde festgestellt - die Haftzeit über ein nach rechtsstaatlichen Prinzipien vertretbares Maß ausdehnte und Mißhandlungen und Folter angewendet wurden, kann eine sich aus der Intensität dieser Maßnahmen ergebende Asylrelevanz nicht mehr ohne weiteres in Abrede gestellt werden.

Der von der Behörde verneinte zeitliche Konnex ist entgegen ihrer Auffassung dann zu bejahen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der letzten gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlung und seiner Flucht die Möglichkeit zur Setzung solcher Handlungen de facto ausgeschlossen wurde, weil sich der Beschwerdeführer versteckt hielt und den Behörden seines Heimatlandes ein Aufenthaltsort nicht bekannt war. Damit hat er aber Umstände geltend gemacht, die den Schluß zuließen, es habe eine damals bestehende wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bis zu seiner Ausreise angedauert (vgl. hg. Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0211, und vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0216).

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung bzw. die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor einer solchen verneint hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200784.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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