TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/25 94/20/0258

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Veröffentlicht am 25.04.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z2;
AsylG 1991 §2 Abs3;
AsylG 1991 §2 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Köhler und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 1993, Zl. 4.215.968/8-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität und bereits im Jahre 1985 in das Bundesgebiet eingereist. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl wurde rechtskräftig abgewiesen.

Mit Antrag vom 18. Dezember 1992 beantragte der Beschwerdeführer schriftlich durch seine Rechtsvertreterin die Gewährung von Asyl. Begründet wurde der neuerliche Antrag mit der geänderten Situation im Heimatdorf des Beschwerdeführers und der Mitteilung durch seine Familie, daß auch er zur Verhaftung ausgeschrieben sei. Der Beschwerdeführer führte aus, er müsse im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat mit Verfolgung rechnen, und zwar mit einer Verhaftung und Verhängung einer zumindest mehrjährigen Freiheitsstrafe, wenn nicht sogar mit der Todesstrafe.

Das Bundesaslyamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. Jänner 1993 ab, der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid nicht statt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages nicht in sein Heimatland zurückgekehrt sei. Gemäß § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 werde Fremden kein Asyl gewährt, die bereits einen Asylantrag in Österreich oder in einem anderen Staat, der die Bestimmungen der Genfer Konvention beachtet, gestellt hatte und deren Antrag abgewiesen wurde. Die Ausnahmeregel des § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991, wonach Abs. 3 Asylgesetz 1991 auf Fremde keine Anwendung finde, die nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages in ihren Heimatstaat zurückgekehrt seien und einen Asylantrag auf Umstände stützten, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten seien, komme im Fall des Beschwerdeführers nicht zur Anwendung, da er nicht in sein Heimatland zurückgekehrt sei. Der materiellen Prüfung seines Asylantrages stünde daher res iudicata entgegen, da der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine Gründe vorgebracht habe, die die Annahme rechtfertigten, daß ein anderer Sachverhalt vorliege, der vom bereits erledigten Prozeßgegenstand in wesentlichen Punkten abweiche.

Soweit der Beschwerdeführer Verfolgungshandlungen gegen seine in der Türkei befindliche Familie geltend mache, rechtfertigten diese Probleme nicht die Gewährung von Asyl für den Beschwerdeführer, da diese nicht individuell und konkret seine Person beträfen. Seine angebliche Tätigkeit für das kurdische Informationsbüro in Wien sei nirgends dokumentiert. Die Angaben des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Wahl zum nationalen Befreiungsrat Kurdistan seien in sich widersprüchlich. Wenn der Beschwerdeführer angegeben habe, auf seine Kandidatur deshalb verzichtet zu haben, weil er keine Reisedokumente besessen hätte, um nach Deutschland zu reisen, da die Wahlen für Österreich dort durchgeführt worden seien, sei dies unglaubhaft und in sich wiedersprüchlich, da die Wahlen auch in Österreich in der Zeit vom 20. November bis zum 22. November 1992 durchgeführt worden seien.

Die vom Beschwerdeführer geäußerte Vermutung, den türkischen Behörden seien seine politischen Aktivitäten in Österreich bekannt, könne ebenfalls nicht zur Gewährung von Asyl führen, da er diese Vermutung durch keinen konkreten Hinweis untermauern habe können und der Beschwerdeführer diese Aktivitäten nicht konkret - sondern nur allgemein - geschildert habe. Damit seien auch seine Angaben, daß er in seiner Heimat zur Verhaftung ausgeschrieben sei, unglaubwürdig. Es liege vielmehr die Vermutung nahe, daß die Probleme seiner Familie auf der Unterstützung der PKK, einer gewaltbejahenden und -ausübenden Organisation, die wegen ihrer Angriffe auf die innere Sicherheit und die Einrichtungen des Staates von den türkischen Behörden legitim bekämpft würde, beruhten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens bzw. Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, die belangte Behörde übersehe in ihrer Argumentation im Zusammenhang mit § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991, daß er sowohl einen neuen Sachverhalt behauptet habe, nämlich die Ermordung seines Onkels und Verhaftung seiner Schwester, und daß er darüber sogar Urkunden vorgelegt habe, und führt näher aus, in welchem politischen Zusammenhang die Ermordung seines Onkels (Konnex zu seiner Nominierung für die Wahlen zum nationalen Befreiungsrat Kurdistans) stünde.

Im Hinblick darauf, daß es die belangte Behörde unterlassen habe, sich mit seinem neuen Vorbringen und dem von ihm vorgelegten Urkunden auseinanderzusetzen, liege Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor.

Selbst unter Zugrundelegung des § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 sei res iudicata dann nicht gegeben, wenn eine nachträgliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes gegeben sei, sodaß "zumindest auf der Grundlage des § 68 AVG zu entscheiden gewesen wäre". Die Beschwerde setzt sich sodann des näheren mit der Würdigung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe für seine Furcht vor Verfolgung im angefochtenen Bescheid auseinander.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 Abs. 3 und 4 Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992, lauten:

"(3) Kein Asyl wird weiters Fremden gewährt, die bereits einen Asylantrag in Österreich oder einem anderen Staat, der die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention beachtet, gestellt hatten und deren Antrag abgewiesen wurde.

(4) Abs. 3 findet auf Fremde keine Anwendung, die nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages in ihrem Heimatstaat oder, soweit sie staatenlos sind, in dem Staat, in dem sie ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zurückgekehrt sind und einen Asylantrag auf Umstände stützen, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind."

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Asylgesetz, 270 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVIII. GP, normiert Abs. 3 "einen weiteren Asylausschließungsgrund, der auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Asylverfahren, sei es in Österreich oder in einem anderen Staat, der die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskovention beachtet, abstellt. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die Internationalisierung der res judicata, da der Zweitantrag bei Vorliegen dieses Ausschließungsgrundes unabhängig davon zurückzuweisen ist, ob der Erstantrag in Österreich oder in einem anderen Staat gestellt wurde; es muß allerdings sichergestellt sein, daß es sich tatsächlich um einen unveränderten Sachverhalt handelt".

Nach den Erläuterungen bringt Abs. 4 "zum Ausdruck, daß der Asylausschließungsgrund des Abs. 3 dann nicht anzuwenden ist, wenn ein Zweitasylantrag aufgrund eines geänderten Sachverhaltes gestellt wird". Diese Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage lassen nicht erkennen, daß der Gesetzgeber von den ansonst im Verwaltungsverfahren geltenden Grundsätzen betreffend die Rechtskraft behördlicher Erledigungen und deren allfällige Durchbrechung bzw. ihre Grenzen abweichen wollte. Auch die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid (wenngleich die Begründung des Bescheides insofern etwas unklar ist) offensichtlich davon aus, daß eine neue Entscheidung bei Vorliegen eines in wesentlichen Punkten anderen Sachverhaltes zulässig wäre.

Zur Frage, ob aus § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991 etwa zu schließen sei, daß eine neuerliche Entscheidung nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrages NUR nach einer Rückkehr des Asylwerbers in sein Heimatland zulässig wäre, ist folgendes auszuführen:

Von entscheidender Bedeutung ist der aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage hervorgehende GESETZGEBERISCHE WILLE, BEI ÄNDERUNGEN DES SACHVERHALTS eine NEUERLICHE ENTSCHEIDUNG zuzulassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu schon im Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0052, ausgesprochen, daß Umstände, die während des Aufenthaltes des Asylwerbers in Österreich eingetreten sind, von ihm aber nicht in der in § 2 Abs. 2 Z 2 Asylgesetz 1991 genannten Absicht herbeigeführt wurden, ... zur Asylgewährung führen (können), auch wenn sie - ohne daß ein Wiederaufnahmsgrund vorläge - nach rechtskräftigem Abschluß eines Verfahrens über einen (vorangegangenen) Asylantrag eintreten. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis festgestellt hat, kann auf diesen Fall auch § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991 nicht bezogen werden, weil diese Regelung offenbar den "Normalfall" asylrechtlich relevanter geänderter Umstände betreffe. Für den Fall des Eintrittes eines asylrechtlich bedeutsamen Nachfluchtgrundes sei § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991 teleologisch dahin zu reduzieren, daß das Tatbestandsmerkmal der Rückkehr in den Heimatstaat entfallen könne und dennoch eine Ausnahme von § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 eintrete. Es besteht kein Grund, von der im oben genannten Erkenntnis geäußerten Auffassung abzugehen.

Der Verwaltungsgerichtshof geht somit davon aus, daß auch § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Asylgesetz 1991 nicht ausschließen, daß durch den Eintritt von Tatsachen, die sich nach der rechtskräftigen Abweisung eines Asylantrages ergeben, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Asylgesetzes 1991 entstehen kann und das Asylgesetz der Gewährung von Asyl insoweit nicht entgegensteht.

Auf der Basis dieser Auffassung war die belangte Behörde daher gehalten, sich inhaltlich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Dies hat die belangte Behörde - ungeachtet ihrer Feststellung, daß im Hinblick auf § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991 auf das Vorbringen zu den Fluchtgründen nicht näher einzugehen sei - im angefochtenen Bescheid - wenn auch knapp - getan.

In diesem Zusammenhang ist aber auf folgendes zu verweisen:

Da § 20 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1991 - lege non distinguente - auf jeden Fall einer Berufung gegen einen erstinstanzlichen Bescheid aufgrund eines Asylantrags anzuwenden sind, hatte die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung auch § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 anzuwenden. Der vorliegende Beschwerdefall gleicht daher insofern jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, zugrunde lag. Ohne daß auf die Begründung der belangten Behörde im vorliegenden Falle im einzelnen einzugehen wäre, ist der Bescheid daher schon aus den in dem genannten Erkenntnis angeführten Gründen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200258.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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