TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/25 94/20/0079

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Veröffentlicht am 25.04.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnB;
MRK;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des S in I, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1994, Zl. 4.340.486/3-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 1992, mit welchem der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, der am 11. August 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 18. August 1992 den Asylantrag gestellt hat, abgewiesen worden war, abgewiesen und damit die Gewährung von Asyl versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer, ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging dabei von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 17. September 1992 vor dem Bundesasylamt aus, wonach er sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn aufgehalten habe, und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen die Rechtslage richtig erkannt hat.

Dies ist dem Beschwerdeführer auch entgegenzuhalten, wenn er sich gegen diese Auslegung mit Argumenten wendet, denen der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, nicht gefolgt ist (vgl. u.a. die grundlegenden Erkenntnisse vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, sowie das Erkenntnis vom 22. Juni 1994, Zl. 94/01/0402).

Der Beschwerdeführer tritt der Annahme seiner Verfolgungssicherheit in Ungarn jedoch auch mit der Behauptung entgegen, die Feststellung der belangten Behörde, er sei in Ungarn bereits vor Verfolgung sicher gewesen, "entspreche nicht den Tatsachen". Insbesondere sei dem Beschwerdeführer, der sich auf seinem Fluchtwege einer Schlepperorganisation anvertraut gehabt habe, niemals zu Bewußtsein gekommen, daß er sich in einem Land befunden habe, welches der Genfer Flüchtlingskonvention angehört. Die belangte Behörde begründete ihre Annahme, der Beschwerdeführer sei in Ungarn bereits vor Verfolgung sicher gewesen, im angefochtenen Bescheid lediglich mit einem Verweis auf die Mitgliedschaft Ungarns bei der Genfer Flüchtlingskonvention und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen, von denen nicht angenommen werden könne, sie würden vernachlässigt.

Dem Beschwerdeführer wurde zur Frage seiner "Verfolgungssicherheit" in Ungarn, die durch die belangte Behörde erstmals herangezogen worden war, entgegen der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG Parteiengehör nicht gewährt, sodaß ein insoweit von ihm erstmals in seiner Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof erstattetes neues Sachverhaltsvorbringen auch nicht gegen das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot verstößt. Auch wenn der Beschwerdeführer ein konkretes Sachverhaltsvorbringen dazu nicht erstattet hat, sondern sich lediglich mit der Bestreitung der von der belangten Behörde angenommenen Feststellung seiner Verfolgungssicherheit begnügt, muß aber bei verständiger Würdigung seiner Beschwerde diese letztlich dahin verstanden werden, daß er den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 insgesamt als nicht gegeben ansieht. Ungeachtet dessen hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch insoweit von Amts wegen in eine Prüfung einzutreten, ob ihm auf der Grundlage des von der belangten Behörde ermittelten und im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhaltes die nachprüfende Kontrolle der rechtlich entscheidungswesentlichen Fragen überhaupt möglich ist (vgl. hg. Erkenntnisse vom 20. September 1990, Zl. 89/06/0165 und vom 19. März 1991, Zlen. 89/08/0321 und 0322). Da zufolge des nicht gewährten Parteiengehörs dem Beschwerdeführer auch Untätigkeit bzw. Verletzung seiner Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren nicht vorgeworfen werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob der angenommene Sachverhalt ausreichend ist und in einem einwandfreien Verfahren ermittelt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 1995, Zl. 94/19/0010). Im Sinne dieser Prüfung läßt jedoch der angefochtene Bescheid eine Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Ungarn Schutz auch vor Rückschiebung in sein Heimatland bzw. einen Verfolgerstaat genossen hat, nicht zu. Ungarn ist der Genfer Flüchtlingskonvention nur unter dem Vorbehalt der Alternative a des Art. 1 Abschnitt B beigetreten, was bedeutet, daß in diesem Land die Flüchtlingskonvention auf Asylwerber, die ihr Ansuchen um Asyl mit Ereignissen außerhalb Europas begründen, keine Anwendung findet. Angesichts der Herkunft des Asylwerbers aus dem außereuropäischen Teil der Türkei und der von ihm ins Treffen geführten Gegebenheiten in diesem Land konnte die belangte Behörde unter Berücksichtigung der zugrundezulegenden Rechtslage in Ungarn, ohne weitere Ermittlungen anzustellen, nicht davon ausgehen, daß der Asylwerber bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1993, Zl. 93/01/0130).

Die hinsichtlich der Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn unterlaufenen Verletzungen von Verfahrensvorschriften sind jedoch auch wesentlich, weil - zufolge des nach der Aktenlage insoweit mangelhaften Ermittlungsverfahrens - nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Beweisaufnahme durch den VwGH Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung Besondere Rechtsgebiete Diverses Parteiengehör Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Sachverhalt Mitwirkungspflicht Verschweigung Sachverhalt Neuerungsverbot Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Verfahrensmängel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200079.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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