TE Vwgh Erkenntnis 1995/4/26 93/03/0121

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Veröffentlicht am 26.04.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär MMag. Dr. Balthasar, über die Beschwerde des J in M, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 11. März 1993, Zl. 15/169-4/1992, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 4. September 1992 wurde der Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

    "Der Beschuldigte, J, ... lenkte am 5.5.1991, um 17.45 Uhr,

den Kombi Kz. ... in St. Johann i.T., auf der B 312,

Innsbruckerstraße beim Haus Nr. 42, in Fahrtrichtung Kufstein zu 1) und um 18.00 Uhr, in St. Johann i.T., bei der Weitau zu

2)

gelenkt und dabei

1)

die gemäß § 20 (2) StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h laut Radarmessung um 17 km/h überschritten,

              2)              die gemäß § 20 (2) StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h lt. Schätzung um ca. 40 - 50 km/h überschritten,

              3)              entgegen den Bestimmungen des § 22 (2) StVO das akustische Warnsignal durchgehend verwendet, obwohl es die Sicherheit des Verkehrs nicht erforderte.

Der Beschuldigte hat dadurch eine Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 begangen.

Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 wird gegen Sie eine Geldstrafe von S 300,-- zu 1), S 3.000,-- zu 2), S 1.000,-- zu 3) verhängt."

Ferner wurden Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 1993 bestätigte die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis und modifizierte dessen Spruch wie folgt:

"Die Berufung wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, daß der Spruch dahingehend geändert wird, daß zu Punkt 1) der Ausdruck: "ca." vor 18.00 Uhr eingefügt wird und hinsichtlich des Punktes 2) am Beginn das Wort: "anschließend" eingefügt wird und die Bezeichnung: "um 17 km/h" im Spruch zu entfallen hat."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Insoweit der Beschwerdeführer die Auffassung vertritt, die Behörde habe erst mit dem Bescheid vom 25. November 1991 (Auftrag zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten) die erste Verfolgungshandlung gesetzt, somit im Hinblick auf den Tatzeitpunkt 5. Mai 1991 verspätet, sodaß Verjährung eingetreten sei, ist ihm zu entgegnen, daß die Erstbehörde mit ihrer Strafverfügung vom 4. November 1991, wie sich aus dem Akteninhalt ergibt abgefertigt und zur Post gegeben (Postamt 6370 Kitzbühel) am 5. November 1991, rechtzeitig im Sinne des § 31 Abs. 2 VStG eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG gesetzt hat, sodaß Verfolgungsverjährung im Sinne des § 31 Abs. 1 leg. cit. nicht eingetreten ist. Dies gilt jedoch nur hinsichtlich der zu Punkt 1) und Punkt 2) der Strafverfügung angelasteten Verwaltungsübertretungen gemäß § 20 Abs. 2 StVO 1960. In Ansehung der Verwaltungsübertretung nach § 22 Abs. 2 StVO 1960 fehlt - worauf der Beschwerdeführer zutreffend hinweist - schon bei dieser ersten Verfolgungshandlung das wesentliche Tatbestandselement der Tatzeit, sodaß bezüglich dieses Deliktes Verfolgungsverjährung eingetreten ist und in diesem Umfang das Strafverfahren hätte eingestellt werden müssen.

Der Beschwerdeführer bekämpft ferner, daß der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses der belangten Behörde nicht hinreichend bestimmt und insbesondere in Ansehung der Tatzeiten mangelhaft sei. Damit ist er im Recht:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1993, Zl. 93/03/0037, u.v.a.), ist der Vorschrift des § 44a Z. 1 VStG dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit der genannten Bestimmung genügt oder nicht genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen läßt. Ferner hat der Spruch des Straferkenntnisses gemäß § 44a Z. 2 VStG die Verwaltungsvorschrift zu enthalten, die durch die Tat verletzt worden ist.

Der Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde wird der erstgenannten Anforderung nicht gerecht:

Mit der eingangs zitierten Modifizierung des Spruchs durch die belangte Behörde beließ diese einerseits die sich auf die erste Übertretung (gemäß § 20 Abs. 2 StVO 1960) beziehende Tatzeitangabe "17.45 Uhr" bestehen, andererseits wurde die - sich auf die zweite Übertretung (gemäß § 20 Abs. 2 leg. cit.) beziehende - Tatzeitangabe "18.00 Uhr" als "ca. 18.00 Uhr" durch die Worte "zu Punkt 1)" abermals der ersten Übertretung zugeschrieben. Wo das Wort "anschließend" einzufügen wäre, ist unklar.

Zwar ist die durch den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde im erstinstanzlichen Spruch aufrechterhaltene Aussage, es sei "dadurch eine Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960" begangen worden, unzutreffend, weil es sich um drei Übertretungen, nämlich zwei nach § 20 Abs. 2 leg. cit. und eine nach § 22 Abs. 2 leg. cit., handelte; hiebei liegt jedoch ein offensichtliches Versehen vor, das keinen Verstoß gegen § 44a Z. 2 VStG zu bewirken vermag, weil die jeweils verletzten Verwaltungsvorschriften in der Tatumschreibung zum Ausdruck gebracht wurden und insbesondere auch aus dem die Strafverhängung betreffenden Spruchteil eindeutig erkennbar ist, daß drei gesonderte Übertretungen angenommen wurden.

Wegen der hinsichtlich der Übertretung nach § 22 Abs. 2 StVO 1960 eingetretenen Verfolgungsverjährung und

wegen des hinsichtlich der Übertretungen nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 vorliegenden Verstoßes gegen

§ 44a Z. 1 VStG war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit

aufzuheben.

Im übrigen ist folgendes zu bemerken:

Dem Beschwerdeführer ist zwar zu entgegnen, daß das Tatbild einer unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bei jeder noch so geringfügigen Überschreitung erfüllt ist, weshalb der Angabe des Ausmaßes einer Überschreitung im Spruch eines wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 gefällten Straferkenntnisses keine rechtserhebliche Bedeutung zukommt. Verkehrstechnisch geschulten Organen der Straßenaufsicht ist - wie schon die belangte Behörde zutreffend hervorgehoben hat - ein wenn auch nur im Schätzungsweg gewonnenes Urteil darüber zuzubilligen, ob ein vorbeifahrendes Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß überschritten hat oder nicht (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 91/03/0059). Damit solche Geschwindigkeitsschätzungen auch im Verwaltungsstrafverfahren verwertet werden dürfen, müssen sie aber ausreichend verläßlich sein, wofür bestimmte äußere Bedingungen erforderlich sind, zu denen die Behörde konkrete Feststellungen zu treffen hat. Neben einwandfreien Sichtbedingungen steht dabei im Vordergrund, daß das Fahrzeug, dessen Geschwindigkeit geschätzt wird, am schätzenden Straßenaufsichtsorgan vorbeifährt, sodaß das Fahrzeug sowohl beim Herannahen als auch beim Sichentfernen beobachtet werden kann, wobei es auf die näheren Umstände des Einzelfalles ankommt. Zur "zweiten" Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdeführers, der eine Geschwindigkeitsschätzung durch den Sicherheitswachebeamten H zugrundeliegt, ist zu berücksichtigen, daß dieser bereits mit einer weiteren Amtshandlung befaßt war, als der Beschwerdeführer "wieder" an ihm vorbeifuhr. Die näheren Umstände dieser Geschwindigkeitsschätzung, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Beschwerdeführer auf der Beobachtungsstrecke nicht gleichmäßig mit der geschätzten Geschwindigkeit fuhr, sondern beschleunigte, und welchen Einfluß die Beschäftigung des Meldungslegers mit der inzwischen vorgenommenen weiteren Amtshandlung auf die Beobachtungsmöglichkeiten des Meldungslegers hatte, wurden von der belangten Behörde nicht nachvollziehbar dargestellt.

Der Beschwerdeführer hatte darüberhinaus im Verwaltungsstrafverfahren die Einvernahme der Zeugen A, S, X, B, P und Sch beantragt. Die Zeugen A, X, P und Sch wurden vernommen. Warum die Einvernahme der Zeugen S und B, die vom Beschwerdeführer zum selben Beweisthema wie auch die übrigen Zeugen geführt waren, unterblieb, hat die belangte Behörde nicht begründet und es ergibt sich auch kein sachlicher Anhaltspunkt für die Unterlassung der Einvernahme dieser Zeugen. Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren auch diese Verfahrensmängel zu beseitigen und die fehlenden Feststellungen nachzutragen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte Zeugenaussagen Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel Feststellen der Geschwindigkeit Grundsatz der Gleichwertigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993030121.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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