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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im §131 Abs1 GSVG idFen BGBl. 560/1978 und BGBl. 157/1991. Es ist ausgeschlossen (denkunmöglich), daß das Oberlandesgericht Linz bei Erledigung der bei ihm anhängigen Berufung §131 Abs1 GSVG in der Stammfassung (BGBl. 560/1978) und idF des ArtII Z7 Sozialrechts-ÄnderungsG 1991 anzuwenden hat. Der maßgebliche Stichtag für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Leistung aus der Pensionsversicherung gewährt wird, ist gemäß §113 Abs2 GSVG der auf die Antragstellung folgende Monatserste, also der - wie das Oberlandesgericht richtig ausführt - 01.11.90. Es ist daher §131 Abs1 GSVG in der zu diesem Stichtag geltenden Fassung anzuwenden. Entgegen den Ausführungen des antragstellenden Gerichtes ist dies aber weder §131 Abs1 GSVG in der Stammfassung (mehrfache Novellierungen) noch §131 Abs1 GSVG idF des Sozialrechts-ÄnderungsG 1991 (vgl. ArtV Abs6 leg.cit.).Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1. Das Oberlandesgericht Linz stellte anläßlich einer bei ihm anhängigen Berufung mit Beschluß vom 8. Oktober 1992 beim Verfassungsgerichtshof den Antrag,
"1.) im §131 Abs1 GSVG in der zum Stichtag 1.11.1990 und in der Folge bis 30.11.1991 geltenden Fassung der BGBl. 1978/560 und BGBl. 1991/157 die Wortfolge 'nach Vollendung des 60.Lebensjahres, die Versicherte' als verfassungswidrig aufzuheben oder
2.) auszusprechen, daß in der angeführten Bestimmung diese Wortfolge in der Zeit vom 1.11.1990 bis 30.11.1991 verfassungswidrig war."
2.1. Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der am 23. Dezember 1931 geborene Kläger ist bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pensionsversichert. Er stellte am 23. Oktober 1990 den Antrag auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß §131 GSVG. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
In der Folge wies das Kreisgericht Wels das Begehren des Klägers, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer im gesetzlichen Ausmaß ab 1. November 1990 zu bezahlen, ab. Es ging dabei von dem außer Streit gestellten Sachverhalt aus, daß der Kläger die Wartezeit erfüllt und 420 Versicherungsmonate erworben habe sowie die erforderliche Deckung nach §131 Abs1 litc GSVG gegeben sei, der Kläger aber zum Stichtag 1. November 1990 das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung an das Oberlandesgericht Linz erhoben.
2.2. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen führt das antragstellende Gericht aus:
"... Da ein Anspruch davon abhängt, ob die im §131 GSVG festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, hat das Berufungsgericht diese Bestimmung anzuwenden.
Der gemäß §113 Abs2 GSVG für den Anspruch des Klägers maßgebende Stichtag ist der 1.11.1990. Es ist daher §131 GSVG in der zu diesem Stichtag und in der Folge geltenden Fassung der Bundesgesetze BGBl. 1978/560 und 1991/157 (Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991) anzuwenden. ..."
2.3. Das Oberlandesgericht Linz hegt gegen die im §131 GSVG vorgesehene unterschiedliche Altersregelung für männliche und weibliche Versicherte verfassungsrechtliche Bedenken wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot.
Hinsichtlich der Bedeutung des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, für die bei ihm anhängige Rechtssache führt das antragstellende Gericht aus, daß dieses Bundesgesetz "ohne Einfluß auf die Verfassungsmäßigkeit des §131 Abs1 GSVG für die Zeit des Stichtages 1.11.1990 bis 30.11.1991" ist.
3. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
4. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
4.1.1. Der unter der Überschrift "Vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer" stehende §131 Abs1 GSVG idF BGBl. Nr. 560/1978 (Stammfassung) - die vom Oberlandesgericht Linz angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:
"§131. (1) Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer hat der Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn
a) die Wartezeit (§120) erfüllt ist,
b) am Stichtag (§113 Abs2) 420 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben sind,
c) innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag (§113 Abs2) 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachgewiesen sind und
d) der (die) Versicherte am Stichtag (§113 Abs2) weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig ist und die weitere Voraussetzung des §130 Abs2 erfüllt ist.
Bei der Anwendung der litd bleiben eine die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz nicht begründende selbständige Erwerbstätigkeit sowie eine unselbständige Erwerbstätigkeit außer Betracht, wenn das aus diesen Tätigkeiten erzielte, auf den Monat entfallende Erwerbseinkommen den im §253 Abs1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes genannten jeweils geltenden Betrag nicht übersteigt. Hinsichtlich der Ermittlung des Erwerbseinkommens aus einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb ist §149 Abs5 und 6 entsprechend anzuwenden."
4.1.2. Durch die 8. Novelle zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 591/1983 wurden im ersten Satz des §131 Abs1 die litc und d geändert; der vorletzte und der letzte Satz des §131 Abs1 leg.cit. sind entfallen. Durch die 13. Novelle zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 610/1987, wurde abermals die litd im ersten Satz des §131 Abs1 GSVG geändert; durch die 15. Novelle zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 750/1988, erfolgte eine Änderung der litc. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991, BGBl. Nr. 157/1991, wurde §131 Abs1 GSVG abermals novelliert.
4.2.1. Der unter der Überschrift "Vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer" stehende §131 Abs1 GSVG idF des ArtII Z7 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 157/1991, - die vom Oberlandesgericht Linz angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:
"(1) Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer hat der Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres,
a) wenn die Wartezeit (§120) erfüllt ist,
b) wenn am Stichtag (§113 Abs2) 420 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben sind,
c) wenn innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag (§113 Abs2) 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachgewiesen sind oder die letzten zwölf Versicherungsmonate vor dem Stichtag Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder Ersatzmonate gemäß §227 Abs1 Z5 bzw. Z6 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes sind,
d) wenn der (die) Versicherte am Stichtag (§113 Abs2) weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig ist und die weitere Voraussetzung des §130 Abs2 erfüllt ist; eine Erwerbstätigkeit auf Grund derer ein Erwerbseinkommen bezogen wird, das das nach §5 Abs2 litc des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen nicht übersteigt, bleibt hiebei unberücksichtigt; als Erwerbseinkommen auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten auch die im §23 Abs2 des Bezügegesetzes bezeichneten Bezüge;
e) solange der (die) Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten ab dem Stichtag (§113 Abs2) weder eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem noch nach einem anderen Bundesgesetz begründende selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Außer Betracht bleibt jedoch eine solche Erwerbstätigkeit, die
aa) als betriebliche Tätigkeit bzw. selbständige Tätigkeit im Sinne der §§2 und 3 ausgeübt wird, sofern sie der (die) Versicherte nicht während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§113 Abs2) überwiegend ausgeübt hat,
bb) nicht bei dem Dienstgeber ausgeübt wird - oder bei einem anderen Unternehmen, das sich im wirtschaftlichen Entscheidungsbereich dieses Dienstgebers befindet oder mit diesem in einer konzernartigen Verbindung steht -, bei dem sie während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§113 Abs2) überwiegend ausgeübt worden ist,
cc) nicht auf der Fortführung des unmittelbar vor dem Stichtag (§113 Abs2) geführten land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (§2 Abs1 Z1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes) beruht bzw. die nicht auf einer Beschäftigung im Sinne des §2 Abs1 Z2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes beruht, die während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag (§113 Abs2) ausgeübt worden ist.
Fallen in den Zeitraum der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag gemäß litc Ersatzmonate gemäß §227 Abs1 Z5 bzw. Ersatzmonate gemäß §227 Abs1 Z6 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, so verlängert sich der Zeitraum um diese Zeiten bis zum Höchstausmaß von 42 Kalendermonaten."
4.2.2. ArtV Abs6 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 bestimmt:
"(6) Die §§130 Abs1, 131 Abs1 und 132 Abs1 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes in der Fassung des ArtII Z6 lita, 7 und 8 sind nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. März 1991 liegt."
Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991 ist (mit Ausnahme des ArtIX) mit 1. April 1991 in Kraft getreten (ArtXI Abs1 dieses Gesetzes).
4.3. ArtI und ArtIV des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991, lauten:
"Artikel I
(Verfassungsbestimmung)
Gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, sind zulässig."
"Artikel IV
(1) (Verfassungsbestimmung) ArtI tritt mit 1. Dezember 1991 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft.
(2) ArtII und III treten mit 1. Dezember 1991 in Kraft."
5. Der Antrag ist unzulässig:
5.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig ausgeschlossen (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).
5.2. Dies ist hier der Fall. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist es ausgeschlossen (denkunmöglich), daß das Oberlandesgericht Linz bei Erledigung der bei ihm anhängigen Berufung §131 Abs1 GSVG in der Stammfassung (BGBl. Nr. 560/1978) und idF des ArtII Z7 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 anzuwenden hat, und zwar aus folgenden Gründen:
Der maßgebliche Stichtag für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Leistung aus der Pensionsversicherung gewährt wird, ist gemäß §113 Abs2 GSVG der auf die Antragstellung folgende Monatserste, also der - wie das Oberlandesgericht richtig ausführt - 1. November 1990. Es ist daher §131 Abs1 GSVG in der zu diesem Stichtag geltenden Fassung anzuwenden.
Entgegen den Ausführungen des antragstellenden Gerichtes ist dies aber weder §131 Abs1 GSVG in der Stammfassung noch §131 Abs1 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991.
Wie bereits erwähnt (s. 4.1.2.) wurde diese Bestimmung (insbesondere auch deren - die angefochtene Wortfolge enthaltende - erster Satz) seit ihrem Inkrafttreten am 1. Jänner 1979 bis zu dem für die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz maßgebenden Zeitpunkt mehrfach novelliert und damit jeweils neu erlassen (vgl. VfSlg. 6281a/1970, 6282/1970, 10091/1984). Es ist daher ausgeschlossen, daß das Oberlandesgericht Linz §131 Abs1 GSVG idF BGBl. Nr. 560/1978 anzuwenden hat.
Der Annahme einer zumindest denkmöglichen Anwendung des §131 Abs1 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 steht entgegen, daß der hier maßgebliche Stichtag jedenfalls vor dem 31. März 1991 liegt und ArtV Abs6 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 u.a. bestimmt, daß §131 Abs1 GSVG idF des ArtII Z7 dieses Gesetzes nur auf Versicherungsfälle anzuwenden ist, in denen der Stichtag nach dem 31. März 1991 liegt.
Der Antrag war daher zur Gänze zurückzuweisen.
Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:G199.1992Dokumentnummer
JFT_10078784_92G00199_00