Entscheidungsdatum
05.02.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W294 2277524-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Konstantin Köck, LL.M, MBA, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX geboren am XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.7.2023, Zl.: 1328977300/223237100, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6.12.2023, wie folgt zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Konstantin Köck, LL.M, MBA, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 geboren am römisch 40 , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.7.2023, Zl.: 1328977300/223237100, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6.12.2023, wie folgt zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: „BF“), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 12.10.2022 im österreichischen Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 14.10.2022 erfolgte die Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass in Syrien Krieg herrsche und er von der Regierung als Reservist einberufen worden sei. Im Falle einer Rückkehr fürchte er sich vor der syrischen Regierung.
Zu seinen persönlichen Umständen führte der BF an, dass er aus XXXX , Damskus, stamme. Seine Mutter, seine zwei Brüder und seine drei Schwester würden nach wie vor in Syrien leben, sein Vater sei bereits verstorben. Seine Ehefrau und seine zwei Söhne sowie seine beiden Töchter seien in der Türkei aufhältig. In Österreich habe er keine Familienangehörigen und keine sonstigen Verwandte. Zu seinen persönlichen Umständen führte der BF an, dass er aus römisch 40 , Damskus, stamme. Seine Mutter, seine zwei Brüder und seine drei Schwester würden nach wie vor in Syrien leben, sein Vater sei bereits verstorben. Seine Ehefrau und seine zwei Söhne sowie seine beiden Töchter seien in der Türkei aufhältig. In Österreich habe er keine Familienangehörigen und keine sonstigen Verwandte.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 21.3.2023 brachte der BF vor, dass er in Syrien mit seiner Familie gelebt habe und als Ingenieur tätig gewesen sei. Im Jänner 2016 habe sie sich zuletzt in Syrien aufgehalten. Im Dezember 2015 habe er sich dazu entschlossen, seine Heimat zu verlassen und sei illegal aus Syrien ausgereist.
Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF an, dass er einen Einberufungsbefehl als Reservist erhalten habe, weshalb er aus Syrien geflohen sei. Befragt, ob es noch weitere Gründe gebe, aufgrund derer er Syrien verlassen habe, entgegnete der BF, dass er Angestellter beim Landwirtschaftsministerium in Syrien gewesen sei und aufgrund seiner Ausreise eine dreijährige Gefängnisstrafe bekommen würde. Zur Frage, ob er seinen Grundwehrdienst bereits abgeleistet habe, erklärte der BF, dass er Leutnant in Aleppo und Homs gewesen sei. Nachgefragt, wann er den Einberufungsbefehl für den Reservedienst erhalten habe, gab der BF an, dass es Ende 2015 gewesen sei und er diesen mündlich erhalten habe. Er habe das in der Arbeit erfahren, weil er ein staatlicher Angestellter gewesen sei. Zur Frage, wo sich dieser Einberufungsbefehl befinden würde, erklärte der BF, dass er diesen mündlich erhalten habe, da er ein staatlicher Angestellter gewesen sei. Auf Vorhalt, dass er den Militärdienst bereits von 2010 bis 1.1.2012 geleistet habe und zur Frage, ob er von staatlicher Seite in Syrien vor seiner Ausreise aufgefordert worden sei, als Reservist einzurücken, führte der BF an, dass er einen mündlichen Einberufungsbefehl erhalten habe. Die Frage, ob er zum Militär einrücken würde, wurde vom BF verneint. Auf Nachfrage, wieso er nicht als Reservist in die syrische Armee einrücken wolle, entgegnete der BF, dass er nicht in den Krieg ziehen und kämpfen wolle. Auf die Frage, ob nach seiner Ausreise jemand von der syrischen Regierung bei ihm zu Hause gewesen sei und nach ihm gefragt habe, erwiderte der BF, dass nach seiner Ausreise im Jahr 2015 oder Anfang 2016 nach ihm gefragt worden sei. Er wisse jedoch nicht mehr, wie oft nach ihm gefragt worden sei. Die weiteren Fragen, ob er an Kampfhandlungen im Krieg teilgenommen habe oder in Syrien Kontakt mit dem IS gehabt habe, wurden vom BF verneint. Er habe auch nie Kontakte zu extremistischen oder terroristischen Gruppierungen gehabt. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde er entweder ins Gefängnis kommen oder müsste zum Militärdienst einrücken. Die Frage, ob er im Herkunftsstaat irgendwelchen Bedrohungen oder Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei, wurde vom BF verneint. Zur Frage, mit wem er vor seiner Ausreise aus Syrien im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, replizierte der BF, dass er in Syrien gemeinsam mit seiner Ehefrau, seiner Mutter und einer seiner Schwestern zusammengewohnt habe. Zwei seiner Kinder hätten ebenfalls bei ihnen gelebt. Befragt, ob er in Syrien sonstige Angehörige habe und wo diese wohnen würden, erklärte der BF, dass seine Mutter, seine beiden Brüder und seine drei Schwestern in Syrien wohnhaft seien. Seine Ehefrau und seine Kinder würden in der Türkei wohnen. Ansonsten habe er noch Onkeln und Tanten, die in Syrien leben würden. Aktuell telefoniere er zwei oder drei Mal in der Woche mit seiner Mutter. Vor seiner Ausreise aus Syrien habe er als Ingenieur beim Landwirtschaftsministerium gearbeitet. Er habe im Herkunftsstaat 12 Jahre die Grundschule besucht und von 2003 bis 2008 in Damaskus studiert. Von Jänner 2016 bis September 2022 sei er in der Türkei wohnhaft gewesen. Auf Nachfrage, wie er seinen Lebensunterhalt verdient habe, erwiderte der BF, dass er von 2016 bis 2019 als Bauarbeiter und von 2019 bis 2022 als Ingenieur in einer Fabrik gearbeitet habe. Auf die Frage, wieso er die Türkei verlassen habe, replizierte der BF, dass es dort Rassismus gebe und seine Kinder in der Schule diskriminiert worden sei. Er wolle für seine Kinder eine bessere Zukunft.
Die Fragen, ob er in seiner Heimat oder einem anderen Land vorbestraft sei, in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht werde, wurden verneint. Der BF gab jedoch an, dass er eine Gefängnisstrafe bekommen würde, da er Syrien verlassen habe. Er sei in seiner Heimat niemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe in der Heimat auch keine Probleme mit den Behörden gehabt. Die weiteren Fragen, ob er in seiner Heimat Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen sei oder in seiner Heimat jemals wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion oder seiner Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden sei, wurden vom BF ebenfalls verneint. Im Falle einer Rückkehr hätte er wegen dem abzuleistenden Reservedienst und wegen einer ihm drohenden Gefängnisstrafe Probleme.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein abgelaufener syrischer Reisepass, gültig vom 3.9.2009 bis zum 2.9.2011, sowie ein Auszug aus dem Personenstandsregister in Vorlage gebracht.
Mit Bescheid des BFA vom 17.7.2023 wurde der Antrag des BF vom 12.10.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Mit Bescheid des BFA vom 17.7.2023 wurde der Antrag des BF vom 12.10.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und diesem gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der BF von 2010 bis 1.1.2012 seinen Grundwehrdienst als Leutnant in Aleppo und Homs abgeleistet. Es sei nicht glaubhaft, dass er nach zwei Jahren Grundwehrdienst und einer nur 45-tägigen militärischen Grundausbildung den Rang eines Leutnants erreicht habe. Für den Fall der Wahrheitsunterstellung sei nicht glaubwürdig, dass man den BF zu Kriegsbeginn abrüsten habe lassen, da gerade Anfang 2012 die Kämpfe in den Städten Homs und Aleppo zu eskalieren begonnen hätten. Wenn seine Position so wichtig gewesen wäre, hätte man ihn gerade in dieser Zeit nicht vom Militär abrücken lassen. Des Weiteren sei festzuhalten, dass er sich von September 2016 bis September legal und im Besitz einer türkischen Aufenthaltserlaubnis in der Türkei aufgehalten habe. Den aktuellen Länderinformationen sei zu entnehmen, dass sich syrische Staatsbürger, welche einen Wohnsitz außerhalb Syriens innehätten, sich vom Militärdienst bzw. Reservedienst freikaufen könnten. Der BF habe sich jedoch bewusst gegen einen Freikauf und dafür entschieden, das vorhandene Geld dafür zu nützen, die Türkei zu verlassen und nach Österreich zu kommen.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der BF fristgerecht Beschwerde und legte im Wesentlichen dar, dass die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen habe, dass sich der BF im wehrdienstfähigen Alter befinde, und er im Fall seiner Rückkehr nach Syrien zum Reservedienst einberufen würde, obwohl die belangte Behörde den BF in seiner Einvernahme dazu befragt habe. Die Behörde habe sich zudem nicht mit dem Umstand befasst, dass dem BF Verfolgung drohe, weil er illegal ausgereist sei, jahrelang im Ausland gelebt habe und im Ausland einen Asylantrag gestellt habe. Aus diesen Gründen habe das Bundesamt kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die Entscheidung mit Verfahrensfehlern belastet. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Sie würden zwar allgemeine Aussagen beinhalten, würden sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Es ergebe sich bereits eindeutig aus den Länderfeststellungen der Behörde, dass der BF als 40-jähriger Mann im Falle einer Rückkehr von einer zwangsweisen Einziehung als Reservist unmittelbar bedroht sei. Die Beweiswürdigung der Behörde entspreche nicht den Anforderungen des § 60 AVG, da sie sich zu weiten Teilen aus inhaltsleeren Textbausteinen auseinandersetze, die sich nur unzureichend mit dem individuellen Vorbringen des BF auseinandersetzen würden. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der BF fristgerecht Beschwerde und legte im Wesentlichen dar, dass die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen habe, dass sich der BF im wehrdienstfähigen Alter befinde, und er im Fall seiner Rückkehr nach Syrien zum Reservedienst einberufen würde, obwohl die belangte Behörde den BF in seiner Einvernahme dazu befragt habe. Die Behörde habe sich zudem nicht mit dem Umstand befasst, dass dem BF Verfolgung drohe, weil er illegal ausgereist sei, jahrelang im Ausland gelebt habe und im Ausland einen Asylantrag gestellt habe. Aus diesen Gründen habe das Bundesamt kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die Entscheidung mit Verfahrensfehlern belastet. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Sie würden zwar allgemeine Aussagen beinhalten, würden sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Es ergebe sich bereits eindeutig aus den Länderfeststellungen der Behörde, dass der BF als 40-jähriger Mann im Falle einer Rückkehr von einer zwangsweisen Einziehung als Reservist unmittelbar bedroht sei. Die Beweiswürdigung der Behörde entspreche nicht den Anforderungen des Paragraph 60, AVG, da sie sich zu weiten Teilen aus inhaltsleeren Textbausteinen auseinandersetze, die sich nur unzureichend mit dem individuellen Vorbringen des BF auseinandersetzen würden. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 6.12.2023 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch im Beisein der Rechtsberatung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen befragt und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe darzulegen.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom BF ein syrisches Militärbuch, ein syrischer Dienstausweis sowie die Kopie eines syrischen Reisepasses in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogenrömisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF
Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er wurde in XXXX , in Damaskus geboren und besuchte dort 12 Jahre die Grundschule sowie das Gymnasium. Er hat von 2003 bis 2008 an der Universität Damaskus studiert und schloss im Jahr 2008 ein Studium im Bereich Maschinenbau/Produktion ab. Der BF war vor seiner Ausreise aus Syrien als Ingenieur beim Landwirtschaftsministerium tätig. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er wurde in römisch 40 , in Damaskus geboren und besuchte dort 12 Jahre die Grundschule sowie das Gymnasium. Er hat von 2003 bis 2008 an der Universität Damaskus studiert und schloss im Jahr 2008 ein Studium im Bereich Maschinenbau/Produktion ab. Der BF war vor seiner Ausreise aus Syrien als Ingenieur beim Landwirtschaftsministerium tätig.
Der BF war von Jänner 2016 bis September 2022 mit einer Kimlik in der Türkei wohnhaft. Seine Ehefrau und seine zwei Söhne und seine zwei Töchter sind nach wie vor in der Türkei aufhältig. Die Mutter, ein Bruder und drei Schwestern des BF sind nach wie vor in Syrien wohnhaft und der BF steht mit diesen über WhatsApp in regelmäßigen Kontakt.
Der Herkunftsort - die Heimatregion- des BF, XXXX , in Damaskus, liegt im Regierungsgebiet und steht sohin gegenwärtig unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Der Herkunftsort - die Heimatregion- des BF, römisch 40 , in Damaskus, liegt im Regierungsgebiet und steht sohin gegenwärtig unter der Kontrolle des syrischen Regimes.
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen über verschiedene Länder nach Österreich, wo er am 12.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 17.7.2023 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Der BF ist gesund und in Österreich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Syrische männliche Staatsangehörige können bis zum Alter von 42 Jahren zum Wehrdienst eingezogen werden. Der BF befindet sich mit seinen 40 Jahren nach wie vor im wehrfähigen Alter, es ist jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer erneuten Einziehung zum Reservedienst auszugehen.
Der BF konnte sein syrisches Militärbuch vorlegen.
Der BF erhielt in seinem dritten Studienjahr 2005/2006 und in seinem vierten Studienjahr 2006/2007 Aufschübe vom Militärdienst. Der BF war von 5.6.2009 bis zum 1.8.2011 als Leutnant (Rekrut) in Aleppo und Homs im Fachgebiet Fahrzeuge tätig. Er wurde am 2.8.2011 zum Reservedienst vorgemerkt. Dem BF wurde vom 28.4.2009 bis zum 28.1.2010 für neun Monate eine Reisebewilligung erteilt.
Der BF erhielt keinen unmittelbar an ihn gerichteten Einberufungsbefehl zum Reservedienst.
Der BF ist im Falle einer hypothetischen Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Einberufung zum Reservedienst bei der syrischen Armee bedroht. Der BF hat keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen einen abzuleistenden Dienst mit einer Waffe. Der BF hat keine als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt, die ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft ins Blickfeld des syrischen Regimes gebracht haben.
Der BF war in Syrien keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt. Er war nicht politisch tätig, nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der örtlichen Kräfte oder der syrischen Regierung geraten. Er hat in Syrien keine Straftaten begangen und wurde nicht verhaftet. Ebenso wenig droht dem BF allein aufgrund seiner Ausreise oder der Asylantragstellung die Gefahr der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt.
Auch sonst ist der BF nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Politische Lage
Letzte Änderung 2023-07-10 12:22
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 % des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023).
Interne Akteure haben das Kernmerkmal eines Staates - sein Gewaltmonopol - infrage gestellt und ausgehöhlt. Externe Akteure, die Gebiete besetzen, wie die Türkei in den kurdischen Gebieten, oder sich in innere Angelegenheiten einmischen, wie Russland und Iran, sorgen für Unzufriedenheit bei den Bürgern vor Ort (BS 23.2.2022). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus.
In anderen Gebieten ist die zivile Politik im Allgemeinen den lokal dominierenden bewaffneten Gruppen untergeordnet, darunter die militante islamistische Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) und mit dem türkischen Militär verbündete Kräfte (FH 9.3.2023). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten).
Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg, der nun in sein zwölftes Jahr geht, hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.3.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.3.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.1.2023; vgl. AA 29.3.2023). Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.3.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.1.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.3.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.3.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.3.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.1.2023).
Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.3.2023).Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.3.2023).
SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK
Letzte Änderung 2023-07-10 12:56
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2023-07-11 09:42
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach eine politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 1.2023) [Anm.: die ausländischen Verbündeten des Regimes wie Iran, Russland und libanesische Hizbollah fehlen - siehe Karten weiter unten]:
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023).
Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018).
Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der 'wichtigsten' Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien].
Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen.
Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).
Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023).
Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022).Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vergleiche DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vergleiche CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde