Entscheidungsdatum
24.06.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W256 2273993-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Mai 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) im österreichischen Bundesgebiet.
Am 21. Mai 2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Darin führte er zunächst aus, am XXXX geboren worden zu sein und gelebt zu haben sowie die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er bekenne sich zum islamischen Glauben und gehöre der Volksgruppe der Araber an. Er habe zwölf Jahre lang die Grundschule besucht, keine Berufsausbildung absolviert und sei zuletzt als Landwirt berufstätig gewesen. Er sei ledig, sein Vater sei verstorben und seine Mutter sowie zwei seiner Brüder und zwei seiner Schwestern würden in Syrien leben. Ein weiterer Bruder und zwei seiner Schwestern würden in der Türkei leben. Nach seiner illegalen Ausreise aus Syrien etwa zwei Jahre zuvor habe er zwei Jahre lang in der Türkei gelebt, ehe er nach Österreich eingereist sei. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer Folgendes an: „Wegen dem Krieg habe ich Syrien verlassen. Ich wurde vom Militär einberufen und ich möchte nicht kämpfen. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Zu seinen Befürchtungen im Fall seiner Rückkehr nach Syrien befragt, gab er Folgendes an: „Ich fürchte um mein Leben.“Am 21. Mai 2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Darin führte er zunächst aus, am römisch 40 geboren worden zu sein und gelebt zu haben sowie die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er bekenne sich zum islamischen Glauben und gehöre der Volksgruppe der Araber an. Er habe zwölf Jahre lang die Grundschule besucht, keine Berufsausbildung absolviert und sei zuletzt als Landwirt berufstätig gewesen. Er sei ledig, sein Vater sei verstorben und seine Mutter sowie zwei seiner Brüder und zwei seiner Schwestern würden in Syrien leben. Ein weiterer Bruder und zwei seiner Schwestern würden in der Türkei leben. Nach seiner illegalen Ausreise aus Syrien etwa zwei Jahre zuvor habe er zwei Jahre lang in der Türkei gelebt, ehe er nach Österreich eingereist sei. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer Folgendes an: „Wegen dem Krieg habe ich Syrien verlassen. Ich wurde vom Militär einberufen und ich möchte nicht kämpfen. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Zu seinen Befürchtungen im Fall seiner Rückkehr nach Syrien befragt, gab er Folgendes an: „Ich fürchte um mein Leben.“
Am 31. August 2022 wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er habe bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht, die rückübersetzt und korrekt protokolliert worden seien. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Araber an, bekenne sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und sei gesund, ledig und kinderlos. Sein Vater sei verstorben und seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers würden in XXXX leben. Ein weiterer Bruder und eine Schwester seien in einem Flüchtlingslager in Syrien. Drei seiner Brüder würden in der Türkei leben. Er selbst habe zuletzt in XXXX gelebt. In Österreich habe er keine Angehörigen. Der Beschwerdeführer habe sechs Jahre lang die Grundschule, drei Jahre lang die Hauptschule und drei Jahre lang das Gymnasium besucht, aber nicht maturiert und danach gearbeitet. Im März 2020 habe er Syrien verlassen und etwa zwei Jahre lang in der Türkei gelebt. Am 31. August 2022 wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er habe bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht, die rückübersetzt und korrekt protokolliert worden seien. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Araber an, bekenne sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und sei gesund, ledig und kinderlos. Sein Vater sei verstorben und seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers würden in römisch 40 leben. Ein weiterer Bruder und eine Schwester seien in einem Flüchtlingslager in Syrien. Drei seiner Brüder würden in der Türkei leben. Er selbst habe zuletzt in römisch 40 gelebt. In Österreich habe er keine Angehörigen. Der Beschwerdeführer habe sechs Jahre lang die Grundschule, drei Jahre lang die Hauptschule und drei Jahre lang das Gymnasium besucht, aber nicht maturiert und danach gearbeitet. Im März 2020 habe er Syrien verlassen und etwa zwei Jahre lang in der Türkei gelebt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, in Syrien herrsche Krieg und er hätte wegen seines Alters einrücken müssen. Er habe Syrien verlassen, nachdem er Angst bekommen habe, als einer seiner Brüder im Sommer 2019 von Unbekannten getötet worden sei. Er habe jedoch sechs Monate auf die Ausreise warten müssen, da er erst dann Geld von einem seiner Brüder bekommen habe. Bis dahin habe er in einem Flüchtlingslager gelebt. Mit der syrischen Armee habe der Beschwerdeführer nie Kontakt gehabt und er sei auch sonst von niemandem rekrutiert worden. Im Fall seiner Rückkehr befürchte er jedoch, in die Armee eingezogen oder wie sein Bruder von Unbekannten getötet zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Identität des Beschwerdeführers stehe mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes nicht fest. Er sei in seinem Herkunftsland keiner individuellen und / oder aktuellen Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen. Er sei dort auch keiner Bedrohung oder Verfolgung aus sonstigen Gründen ausgesetzt gewesen. Der Beschwerdeführer sei in Syrien weder einberufen noch rekrutiert worden und er könne sich vom Wehrdienst freikaufen. Momentan liege in seinem Herkunftsgebiet jedoch eine Gefahrenlage vor, durch die praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund würde er im Fall einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten.Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Identität des Beschwerdeführers stehe mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes nicht fest. Er sei in seinem Herkunftsland keiner individuellen und / oder aktuellen Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen. Er sei dort auch keiner Bedrohung oder Verfolgung aus sonstigen Gründen ausgesetzt gewesen. Der Beschwerdeführer sei in Syrien weder einberufen noch rekrutiert worden und er könne sich vom Wehrdienst freikaufen. Momentan liege in seinem Herkunftsgebiet jedoch eine Gefahrenlage vor, durch die praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund würde er im Fall einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten.
Gegen Spruchpunkt I. richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe vor Kriegsausbruch in XXXX und danach in XXXX gelebt. Sein Herkunftsort grenze an das von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiet an. Er sei im wehrpflichtigen Alter und habe den Wehrdienst bislang nicht abgeleistet. Er befürchte, von der syrischen Armee einberufen oder von der FSA, die an seinem Herkunftsort zur Rekrutierung Druck ausgeübt habe, bedroht zu werden. Eine Wiedereinreise nach Syrien sei nur über die Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes seien, sicher und legal möglich. Im Fall seiner Rückkehr nach Syrien würden ihm Einberufung zum Wehrdienst und im Fall seiner Weigerung Verfolgung und unverhältnismäßige Strafen drohen. Aufgrund seiner Weigerung, sich auf Seiten des syrischen Regimes am Bürgerkrieg zu beteiligen sowie aufgrund seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung im Ausland und seiner Herkunft aus XXXX werde ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung vonseiten des syrischen Regimes unterstellt.Gegen Spruchpunkt römisch eins. richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe vor Kriegsausbruch in römisch 40 und danach in römisch 40 gelebt. Sein Herkunftsort grenze an das von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiet an. Er sei im wehrpflichtigen Alter und habe den Wehrdienst bislang nicht abgeleistet. Er befürchte, von der syrischen Armee einberufen oder von der FSA, die an seinem Herkunftsort zur Rekrutierung Druck ausgeübt habe, bedroht zu werden. Eine Wiedereinreise nach Syrien sei nur über die Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes seien, sicher und legal möglich. Im Fall seiner Rückkehr nach Syrien würden ihm Einberufung zum Wehrdienst und im Fall seiner Weigerung Verfolgung und unverhältnismäßige Strafen drohen. Aufgrund seiner Weigerung, sich auf Seiten des syrischen Regimes am Bürgerkrieg zu beteiligen sowie aufgrund seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung im Ausland und seiner Herkunft aus römisch 40 werde ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung vonseiten des syrischen Regimes unterstellt.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Mit der Ladung vom 13. Mai 2024 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12. Juni 2024 wurden dem Beschwerdeführer folgende Länderinformationen zum Parteiengehör übermittelt:
„1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, Version 11 vom 27. März 2024 (im Folgenden: LIB)
2. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertation, 8. September 2022
3. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für die Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka – Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1] 6. Mai 2022
4. UNHCR Richtlinien
5. UNHCR – Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021
6. EUAA (EASO) Leitlinien
7. EUAA – Country Guidance: Syria 2023 – Februar 2023
8. Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front a-12188] 18. August 2023“
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache durch die erkennende Richterin am 12. Juni 2024 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Darin führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, dass er gesund sei und die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen in Bezug auf seinen Namen, sein Geburtsdatum, seine Staatsangehörigkeit sowie seine Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit korrekt seien. Er habe bis zum Jahr 2011 in einem Stadtteil von XXXX gelebt. Nachdem die syrische Regierung dort einmarschiert sei, sei er aus Angst um sein Leben mit seiner Familie nach XXXX , in der Nähe von XXXX , gezogen. In den sechs Monaten vor seiner Ausreise habe er sich noch in einem Flüchtlingslager in XXXX im ländlichen Bereich von XXXX aufgehalten. Seine Mutter und sein Bruder seien nach XXXX zurückgekehrt und die Stadt sei sein eigentlicher Herkunftsort. Er habe in XXXX die neunte Schulstufe absolviert und in einem Unternehmen, das Medikamente an Apotheken geliefert habe, sowie in einem Supermarkt gearbeitet. Sein Vater sei im Jahr 2018 verstorben. Zwei Schwestern und ein Bruder des Beschwerdeführers würden in der Türkei leben. Eine Schwester, welche zuvor in der Türkei gelebt habe, lebe nun in den Niederlanden. Seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester würden in der Stadt XXXX leben. Ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers seien im Flüchtlingslager XXXX aufhältig. Im Jahr 2010 oder 2011 habe er in XXXX Stadt gegen die syrische Regierung demonstriert, dabei seien viele Demonstrierende von der syrischen Regierung getötet worden. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, er sei aus Angst um sein Leben aus dem Land geflüchtet. Er habe nicht nach XXXX zurückziehen können, da dort die syrische Regierung gewesen sei. Zudem herrsche in Syrien Krieg und er habe in keinem Gebiet sicher leben können. Er sei ein friedlicher Mensch und gegen das Töten von Menschen. Er habe Syrien bereits vor dem Jahr 2020 verlassen wollen, sich jedoch um seine Mutter gekümmert. XXXX habe er im Jahr 2020 verlassen. Den Militärdienst bei der syrischen Armee habe er nicht abgeleistet und keinen Einberufungsbefehl erhalten, da er nicht im vom Regime kontrollierten Gebiet gelebt habe. Er könne sich vom Militärdienst nicht freikaufen, da er keine Mörder finanzieren wolle, zumal viele Verwandte und Unschuldige getötet worden seien, er der Regierung nicht vertrauen könne und finanziell nicht dazu in der Lage sei. Darüber hinaus gebe es Gruppen, die zur FSA gehören und Personen zwangsweise rekrutieren wollen hätten. Es seien auch zwei- bis dreimal Unbekannte bei ihm zuhause gewesen, die etwa zehn Monate vor seiner Ausreise von Dorf zu Dorf gegangen seien, gepredigt hätten und Jugendliche rekrutieren wollen hätten. Die Tötung seines Bruders durch Unbekannte habe er bei der Erstbefragung nicht erwähnt, da er erschöpft und die Befragung kurz gewesen sei. Zu XXXX habe der Beschwerdeführer keine Verbindungen mehr und er würde er auch ohne den Krieg den Wehrdienst verweigern, da er gegen das Tragen von Waffen sei.Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache durch die erkennende Richterin am 12. Juni 2024 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Darin führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, dass er gesund sei und die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen in Bezug auf seinen Namen, sein Geburtsdatum, seine Staatsangehörigkeit sowie seine Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit korrekt seien. Er habe bis zum Jahr 2011 in einem Stadtteil von römisch 40 gelebt. Nachdem die syrische Regierung dort einmarschiert sei, sei er aus Angst um sein Leben mit seiner Familie nach römisch 40 , in der Nähe von römisch 40 , gezogen. In den sechs Monaten vor seiner Ausreise habe er sich noch in einem Flüchtlingslager in römisch 40 im ländlichen Bereich von römisch 40 aufgehalten. Seine Mutter und sein Bruder seien nach römisch 40 zurückgekehrt und die Stadt sei sein eigentlicher Herkunftsort. Er habe in römisch 40 die neunte Schulstufe absolviert und in einem Unternehmen, das Medikamente an Apotheken geliefert habe, sowie in einem Supermarkt gearbeitet. Sein Vater sei im Jahr 2018 verstorben. Zwei Schwestern und ein Bruder des Beschwerdeführers würden in der Türkei leben. Eine Schwester, welche zuvor in der Türkei gelebt habe, lebe nun in den Niederlanden. Seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester würden in der Stadt römisch 40 leben. Ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers seien im Flüchtlingslager römisch 40 aufhältig. Im Jahr 2010 oder 2011 habe er in römisch 40 Stadt gegen die syrische Regierung demonstriert, dabei seien viele Demonstrierende von der syrischen Regierung getötet worden. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, er sei aus Angst um sein Leben aus dem Land geflüchtet. Er habe nicht nach römisch 40 zurückziehen können, da dort die syrische Regierung gewesen sei. Zudem herrsche in Syrien Krieg und er habe in keinem Gebiet sicher leben können. Er sei ein friedlicher Mensch und gegen das Töten von Menschen. Er habe Syrien bereits vor dem Jahr 2020 verlassen wollen, sich jedoch um seine Mutter gekümmert. römisch 40 habe er im Jahr 2020 verlassen. Den Militärdienst bei der syrischen Armee habe er nicht abgeleistet und keinen Einberufungsbefehl erhalten, da er nicht im vom Regime kontrollierten Gebiet gelebt habe. Er könne sich vom Militärdienst nicht freikaufen, da er keine Mörder finanzieren wolle, zumal viele Verwandte und Unschuldige getötet worden seien, er der Regierung nicht vertrauen könne und finanziell nicht dazu in der Lage sei. Darüber hinaus gebe es Gruppen, die zur FSA gehören und Personen zwangsweise rekrutieren wollen hätten. Es seien auch zwei- bis dreimal Unbekannte bei ihm zuhause gewesen, die etwa zehn Monate vor seiner Ausreise von Dorf zu Dorf gegangen seien, gepredigt hätten und Jugendliche rekrutieren wollen hätten. Die Tötung seines Bruders durch Unbekannte habe er bei der Erstbefragung nicht erwähnt, da er erschöpft und die Befragung kurz gewesen sei. Zu römisch 40 habe der Beschwerdeführer keine Verbindungen mehr und er würde er auch ohne den Krieg den Wehrdienst verweigern, da er gegen das Tragen von Waffen sei.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2024 wurde dem Beschwerdeführer die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation „TÜRKEI, Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien“ vom 24. Oktober 2023 übermittelt und ihm eine Frist von drei Tagen zur Äußerung eingeräumt.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2024 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Stadt XXXX sei als Herkunftsort des Beschwerdeführers anzusehen und er habe wie in der mündlichen Verhandlung angegeben keine Verbindungen nach XXXX mehr. Die vorübergehende Umsiedlung sei kriegsbedingt und unfreiwillig erfolgt. Es werde auf das bisherige Vorbringen verwiesen.Mit Schreiben vom 19. Juni 2024 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Stadt römisch 40 sei als Herkunftsort des Beschwerdeführers anzusehen und er habe wie in der mündlichen Verhandlung angegeben keine Verbindungen nach römisch 40 mehr. Die vorübergehende Umsiedlung sei kriegsbedingt und unfreiwillig erfolgt. Es werde auf das bisherige Vorbringen verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
zur Person des Beschwerdeführers
Der volljährige Beschwerdeführer besitzt die syrische Staatsangehörigkeit, ist Angehöriger der arabischen Volksgruppe und sunnitischer Moslem (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1 f; Niederschrift des BFA, Seite 3; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 4).
Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX geboren und hat dort bis 2011 gelebt und dort die Schule bis zur 8 Schulstufe besucht (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5 ff).Er wurde am römisch 40 in der Stadt römisch 40 geboren und hat dort bis 2011 gelebt und dort die Schule bis zur 8 Schulstufe besucht (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5 ff).
2011 ist der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in den Herkunftsort der Familie des Vaters des Beschwerdeführers nach XXXX nahe XXXX im Gouvernement XXXX gezogen. Dort hat die Familie im (im Eigentum des Vaters stehenden) Familienhaus des Vaters des Beschwerdeführers bis Ende 2019 gelebt (Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5).2011 ist der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in den Herkunftsort der Familie des Vaters des Beschwerdeführers nach römisch 40 nahe römisch 40 im Gouvernement römisch 40 gezogen. Dort hat die Familie im (im Eigentum des Vaters stehenden) Familienhaus des Vaters des Beschwerdeführers bis Ende 2019 gelebt (Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5).
Der Beschwerdeführer hat in XXXX die 9. Schulstufe absolviert. Anschließend hat er sich in XXXX für die Maturaschule angemeldet, diese aber nicht abgeschlossen, sondern ab seinem 17. Lebensjahr für seinen eigenen Lebensunterhalt gesorgt, indem er in einem Unternehmen, das Medikamente an Apotheken geliefert hat, sowie in einem Supermarkt gearbeitet hat (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 2; Niederschrift des BFA, Seite 3; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 6 f).Der Beschwerdeführer hat in römisch 40 die 9. Schulstufe absolviert. Anschließend hat er sich in römisch 40 für die Maturaschule angemeldet, diese aber nicht abgeschlossen, sondern ab seinem 17. Lebensjahr für seinen eigenen Lebensunterhalt gesorgt, indem er in einem Unternehmen, das Medikamente an Apotheken geliefert hat, sowie in einem Supermarkt gearbeitet hat (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 2; Niederschrift des BFA, Seite 3; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 6 f).
Ungefähr im Oktober 2019 hat der Beschwerdeführer XXXX verlassen und in weiterer Folge 6 Monate vor seiner Ausreise aus Syrien im März 2020 im Flüchtlingslager in XXXX gelebt. (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5). Ungefähr im Oktober 2019 hat der Beschwerdeführer römisch 40 verlassen und in weiterer Folge 6 Monate vor seiner Ausreise aus Syrien im März 2020 im Flüchtlingslager in römisch 40 gelebt. (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5).
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 1 und 3; Niederschrift des BFA, Seite 3; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 9).
Der Vater des Beschwerdeführers ist im Jahr 2018 verstorben und zwei Schwestern sowie ein Bruder des Beschwerdeführers leben in der Türkei. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in den Niederlanden. Seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester leben in der Stadt XXXX . Ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers sind im Flüchtlingslager in XXXX aufhältig (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 3; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5 ff). Der Vater des Beschwerdeführers ist im Jahr 2018 verstorben und zwei Schwestern sowie ein Bruder des Beschwerdeführers leben in der Türkei. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in den Niederlanden. Seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester leben in der Stadt römisch 40 . Ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers sind im Flüchtlingslager in römisch 40 aufhältig (Niederschrift der Erstbefragung, Seite 3; Niederschrift des BFA, Seite 4; Verhandlungsschrift vom 12. Juni 2024, Seite 5 ff).
XXXX nahe XXXX , befindet sich im Einfluss- bzw. Kontrollgebiet der Hayat Tahrir Al-Sham bzw. HTS (https://syria.liveuamap.com/). römisch 40 nahe römisch 40 , befindet sich im Einfluss- bzw. Kontrollgebiet der Hayat Tahrir Al-Sham bzw. HTS (https://syria.liveuamap.com/).
XXXX Stadt befindet sich aktuell unter der Kontrolle des syrischen Regimes (https://syria.liveuamap.com/). römisch 40 Stadt befindet sich aktuell unter der Kontrolle des syrischen Regimes (https://syria.liveuamap.com/).
Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst bei der syrischen Armee bislang nicht abgeleistet. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer zum Wehrdienst bei der syrischen Armee einberufen wurde oder dass ihm im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Einberufung, Einziehung oder – im Fall seiner Weigerung – eine unverhältnismäßige Strafe drohen würde. Eine dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat aus anderen Gründen – etwa aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration – oder seitens anderer Kriegsparteien konkret und individuell drohende Verfolgung kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Es wäre ihm auch möglich, ohne eine solche Verfolgungsgefahr in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Der Beschwerdeführer weist keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf. Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung des Wehrdienstes ab, weil Krieg herrscht und er gegen das Töten von Menschen und gegen diesen Krieg in Syrien ist (Verhandlungsschrift vom 12. Juni 20204, Seite 9). Das syrische Regime unterstellt dem Beschwerdeführer wegen der mit seiner Flucht verbundenen Entziehung vom Wehrdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung des Wehrdienstes keine politische oder oppositionelle Gesinnung. Der Beschwerdeführer hat keine als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt, die ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft ins Blickfeld des syrischen Regimes gebracht haben.
zur Lage in Syrien
Politische Lage
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (LIB, Seite 3).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen. Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (LIB, Seite 3 f).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen. In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (LIB, Seite 4).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert. Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen. Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (LIB, Seite 4 f).
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt. Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt. Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (LIB, Seite 10).
Sicherheitslage
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt. Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (LIB, Seite 15).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen. Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand. Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (LIB, Seite 15 f).
Nordwest-Syrien
Während das Assad-Regime etwa 60 Prozent des Landes kontrolliert, was einer Bevölkerung von rund neun Millionen Menschen entspricht, gibt es derzeit [im Nordwesten Syriens] zwei Gebiete, die sich noch außerhalb der Kontrolle des Regimes befinden: Nord-Aleppo und andere Gebiete an der Grenze zur Türkei, die von der von Ankara unterstützten Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army, SNA) kontrolliert werden, und das Gebiet von Idlib, das von der militanten islamistischen Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird. Zusammen kontrollieren sie 10 Prozent des Landes mit einer Bevölkerung von etwa 4,4 Millionen Menschen, wobei die Daten zur Bevölkerungsanzahl je nach zitierter Institution etwas variieren (LIB, Seite 33).
Das Gebiet unter Kontrolle von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS)
In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien. Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen. Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden. HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Sham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (LIB, Seite 34 f).
Folter und unmenschliche Behandlung
Im März 2022 wurde ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet. Das Gesetz Nr. 16 von 2022 sieht Strafen von drei Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe vor. Die Todesstrafe gilt für Folter mit Todesfolge oder in Verbindung mit einer Vergewaltigung. Eine lebenslange Strafe ist für Fälle vorgesehen, in welchen Kinder oder Menschen mit Beeinträchtigungen gefoltert wurden oder das Opfer einen permanenten Schaden davonträgt. Das Gesetz verbietet auch das Anordnen von Folter durch Behörden. Es weist jedoch wichtige Lücken auf, und die Anwendung bleibt unklar. So werden keine Organisationen genannt, auf welche das Gesetz angewendet werden soll. Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats einschließlich der Zollbehörden sowie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen, was durch Dekrete gedeckt ist - ebenso wie Gefängnisse. Dort wurden und werden Zehntausende gefoltert, und zahlreiche Menschen starben in der Haft oder man ließ sie "verschwinden". SNHR kritisiert unter anderem, dass das Gesetz keine Folterstraftaten, die vor seinem Erlass begangen wurden, umfasst, keinen Bezug auf grausame Haftbedingungen nimmt und andere Gesetze, welche Angehörigen der vier Geheimdienste Straffreiheit gewähren, weiterhin in Kraft bleiben. Weitere NGOs kritisieren außerdem, dass das Gesetz keine konkreten Schutzmaßnahmen für Zeugen oder Überlebende von Folter sowie keine Wiedergutmachungen vorsieht, und zwar weder für frühere Folteropfer noch für die Angehörigen im Falle des Todes. Auch beinhaltet das Gesetz keine Präventionsmaßnahmen, die ergriffen werden könnten, um Folter in Haftanstalten und Gefängnissen zukünftig zu verhindern (LIB, Seite 111 f).
Der Einsatz von Folter, des Verschwindenlassens und schlechter Bedingungen in den Gefängnissen ist keine Neuheit seit Ausbruch des Konflikts, sondern war bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien. Folter bleibt eine der meisten schweren Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung und ist breit dokumentiert. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung u. a., sodass die Zustände insgesamt lebensbedrohlich sind. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (LIB, Seite 112).
Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden: Zehn nahe Damaskus, jeweils vier nahe Homs, Latakia und Idlib, drei nahe Dara‘a und zwei nahe Aleppo. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird. In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht, wo sie verschiedenen Formen von Folter unterworfen werden. Auch in den Krankenhäusern Harasta Military Hospital, Mezzeh Military Hospital 601 und Tishreen Military Hospital werden Gefangene gefoltert. Laut Berichten von NGOs gibt es zudem zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (LIB, Seite 112).
Laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes unterliegen Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, einem besonders hohen Folterrisiko. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichten von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung wahrgenommener Oppositioneller einsetzen, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und bereits vor 2011 dokumentiert wurde. Die willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch syrische Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche Milizen betreffen auch Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen, RückkehrerInnen und Personen aus wiedereroberten Gebieten, die "Versöhnungsabkommen" unterzeichnet haben. Auch sexueller Missbrauch einschließlich Vergewaltigungen von Frauen, Männern und Kindern wird verübt. Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (LIB, Seite 112 f).
Nach glaubhaften Berichten Entlassener verschwinden immer wieder Häftlinge, die zur medizinischen Versorgung in die Krankenhaus-Abteilungen der Vollzugsanstalten überstellt werden. Immer wieder kommt es zu Todesfällen bei Inhaftierten. Untersuchungen zu Todesursachen sind angesichts des beschränkten Zugangs kaum möglich, da das Regime selbst in der Regel keine Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung macht, sondern zumeist unspezifische Todesursachen wie Herzversagen, Schlaganfall und Ähnliches anführt. Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beträgt die Gesamtzahl der durch Folter seitens der syrischen Regierung seit März 2011 verstorbenen Personen mit Stand Juni 2022 14.464 Menschen, darunter 174 Kinder und 75 Frauen. Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle nach Berichten der CoI auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen (LIB, Seite 113).
Die meisten der im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekanntmacht. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um vom Verbleib ihrer Angehörigen zu erfahren. In diesen Fällen wurden die sterblichen Überreste auch nicht den Angehörigen übergeben (LIB, Seite 113).
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Da