Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde der Dr. U in W, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, vertretenen) Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 8. November 1994, Zl. B 34/94, betreffend Invaliditätsversorgung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Ärztekammer für Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin - einer Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten - vom 10. Februar 1994 auf Gewährung der Invaliditätsversorgung durch den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 1. März 1994 an abgewiesen.
In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, mitgeteilt, daß von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen wird, und den Zuspruch von Aufwandersatz beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 des Ärztegesetzes und § 18 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ist die Invaliditätsversorgung bei Eintritt des "Ereignungsfalles" der dauernden oder vorübergehenden Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Erstbehörde - der Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien - hat zur Frage der Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie eingeholt. Dieser Sachverständige hat dabei von der Beschwerdeführerin beigebrachte orthopädische Befunde sowie die Ergebnisse eigener Untersuchungen verwertet. In dem mit 29. April 1994 datierten Gutachten wird einleitend ausgesagt, daß es sich "auf das vom Gutachter vertretene Fachgebiet der Neurologie" erstrecke; abschließend kommt der Gutachter zum Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin "aus neurologischer Sicht" in der Lage sei, "alle im Rahmen ihres Berufes als HNO-Fachärztin erforderlichen Arbeiten, unter Einhaltung der üblichen Arbeitspausen mit Ausnahme operativer Eingriffe auszuüben. Eine operative Tätigkeit ist auf Grund der
vertebragenen Schmerzen ... nicht zumutbar".
In ihrer Berufung (Beschwerde) gegen den Erstbescheid vom 3. Juni 1994, der sich ausschließlich auf die zitierte Schlußwendung des Gutachtens vom 29. April 1994 stützte, machte die Beschwerdeführerin geltend, daß es zur Beurteilung des Ausmaßes ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung vor allem einer orthopädischen Begutachtung bedurft hätte und daß ihr auch das Gutachten des neurologischen Sachverständigen nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.
Die belangte Behörde erließ den angefochtenen Bescheid der Aktenlage nach, ohne weitere Verfahrensschritte gesetzt zu haben. Sie ging in der Begründung dieses Bescheides insofern auf das Berufungsvorbringen ein, als "die orthopädische Situation" durch die dem Sachverständigen vorliegenden Befunde als "ausreichend geklärt" anzusehen sei. Die Beschwerdeführerin habe im übrigen - "trotz wiederholter Kontakte mit dem Büro des Wohlfahrtsfonds" - niemals Akteneinsicht verlangt.
Die Beschwerdeführerin ist mit ihrer Behauptung, das Verwaltungsverfahren sei mangelhaft, im Recht. Spätestens auf Grund des Berufungsvorbringens wäre es der belangten Behörde oblegen, eine ergänzende Begutachtung aus orthopädischer Sicht zu veranlassen. Das Gutachten vom 29. April 1994 beschränkt seine Aussage ausdrücklich auf den neurologischen Aspekt. Die Beschwerdeführerin hat aber geltend gemacht, daß ihr essentielle Verrichtungen ihres Berufes (auch) außer der operativen Tätigkeit aus orthopädischen Gründen unmöglich seien. Ihr ist beizustimmen, daß die Verwertung orthopädischer Befunde in einem neurologischen Gutachten die orthopädische Begutachtung des Ausmaßes ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit durch einen entsprechenden Facharzt nicht zu ersetzen vermag.
Dazu kommt, daß es an den Behörden des Verwaltungsverfahrens gelegen wäre, der Beschwerdeführerin die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - in concreto das Gutachten vom 29. April 1994 - zur Kenntnis zu bringen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es ist ein Recht der Partei des Verwaltungsverfahrens, in den Verwaltungsakt Einsicht zu nehmen. Die Nichtgebrauchnahme von diesem Recht kann aber die Verletzung des Parteiengehörs, welches von Amts wegen zu gewähren ist, nicht heilen. Nur die ausdrückliche Aufforderung zur Akteneinsicht zum Zwecke der Kenntnisnahme von Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens hätte die Mitteilung dieser Ergebnisse ersetzen können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Februar 1986, Zl. 84/11/0234, S. 9).
Der angefochtene Bescheid leidet in mehrfacher Weise an wesentlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften. Er war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebührenersatz nur für die eine vorzulegende Ausfertigung des angefochtenen Bescheides (§ 28 Abs. 5 VwGG) zuzusprechen war.
Schlagworte
AkteneinsichtParteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an BeweisaufnahmenParteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995110041.X00Im RIS seit
15.05.2001Zuletzt aktualisiert am
30.05.2011