Entscheidungsdatum
02.10.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L525 2296121-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA: Türkei, vertreten durch Mag. Alexander FUCHS, Rechtsanwalt in 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2024, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA: Türkei, vertreten durch Mag. Alexander FUCHS, Rechtsanwalt in 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2024, Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 12.08.2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am darauffolgenden Tag einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er hätte nach dem militärischen Putsch im Jahr 2016 Probleme mit der Regierung bekommen und könne deshalb nicht mehr in der Türkei leben. Später sei auch noch das Erdbeben hinzugekommen und er hätte alles verloren. Er würde in Österreich arbeiten wollen, um seine Familie zu unterstützen. Weitere Fluchtgründe hätte er keine. Befragt nach seinen Befürchtungen bei einer etwaigen Rückkehr in die Türkei gab er an, er habe Angst vor Armut und davor keine Zukunft zu haben.
2. Am 22.04.2024 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein seines gesetzlichen Vertreters, seiner Vertrauensperson und eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er im Wesentlichen an, er würde die Türkei seit dem Militäraufstand am 15.07.2016 nicht mehr mögen. Auch Zivilisten seien vom Militär angeschossen worden. Er habe seine Schulausbildung aufgrund der schlechten finanziellen Lage und der schwierigen Lebensumstände nicht mehr fortsetzen können, worüber er sehr traurig gewesen wäre. Seit seiner Kindheit habe er von der EU geträumt. Er habe geglaubt, er könne hier seine Freiheit genießen und hier würden Menschenrechte respektiert werden. Bei den Erdbeben seien viele seiner Freunde und Verwandten ums Leben gekommen. Weil er keine andere Möglichkeit gehabt habe, sei er dazu gezwungen gewesen, das Land zu verlassen. Dazu befragt, ob es noch weitere Gründe für seine Flucht gebe, gab der Beschwerdeführer an, er würde in seinem Heimatland nicht als Mensch behandelt werden. Die Menschen in der Türkei seien sehr unhöflich und er habe keine Rechte. Er habe geglaubt, ein Kind könne frei leben, deshalb sei es jetzt passiert. Auf die Nachfrage des BFA, welche Rechte er in der Türkei nicht habe, gab der Beschwerdeführer an, die Personen zu denen er Kontakt habe, seien unhöflich zu ihm und würden ihn diskriminieren. Er besitze nichts, weil es ihnen finanziell schlecht ginge und seine Rechte auf Schulausbildung bestünden auch nicht. Kurz gesagt würden in der Türkei keine Menschenrechte existieren. Bezüglich des Militärputsches im Jahr 2016 schilderte der Beschwerdeführer einen konkreten Vorfall, bei dem Polizisten seinen Vater und ihn angehalten hätten, als sie unterwegs waren, um Brot zu kaufen. Die Polizisten wären auf seinen Vater losgegangen und hätten Druck ausgeübt. Sein Vater habe sogar geweint. Weitere konkrete Vorfälle hätte es keine gegeben.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 17.05.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 17.05.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß Paragraph 55, Absatz 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, es hätten sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Auch bei einer Rückkehr in die Türkei wäre keine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung maßgeblich wahrscheinlich. Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien keine hervorgekommen, ebenso kein iSv Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben oder berücksichtigungswürdige Integration, das bzw. die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde. Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, es hätten sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Auch bei einer Rückkehr in die Türkei wäre keine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung maßgeblich wahrscheinlich. Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien keine hervorgekommen, ebenso kein iSv Artikel 8, EMRK schützenswertes Familienleben oder berücksichtigungswürdige Integration, das bzw. die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
4. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters, der am 26.06.2024 eingebracht wurde, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 17.05.2024. Darin brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, im Falle seiner Rückkehr oder Abschiebung in die Türkei würde die reale Gefahr bestehen, dass er nicht in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Es bestehe somit die begründete Gefahr, dass er notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und eine Krankenversorgung nicht befriedigen könne und somit in eine ausweglose Situation geraten würde, was eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeute. Weiters verletze der angefochtene Bescheid sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK, weil sein obsorgeberechtigter Bruder in Österreich lebe und ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Außerdem sei er gerichtlich unbescholten, habe Deutschkurse absolviert und verfüge über eine Arbeitsplatzzusage.4. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters, der am 26.06.2024 eingebracht wurde, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 17.05.2024. Darin brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, im Falle seiner Rückkehr oder Abschiebung in die Türkei würde die reale Gefahr bestehen, dass er nicht in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Es bestehe somit die begründete Gefahr, dass er notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und eine Krankenversorgung nicht befriedigen könne und somit in eine ausweglose Situation geraten würde, was eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeute. Weiters verletze der angefochtene Bescheid sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK, weil sein obsorgeberechtigter Bruder in Österreich lebe und ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Außerdem sei er gerichtlich unbescholten, habe Deutschkurse absolviert und verfüge über eine Arbeitsplatzzusage.
Am 09.07.2024 legte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter ergänzende Unterlagen vor, nämlich eine Beschäftigungsbewilligung des AMS und eine Deutschkurs-Teilnahmebestätigung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei und spricht Türkisch als Muttersprache. Er gehört der Volksgruppe der Türken an und ist Sunnit/Hanefi.
Der Beschwerdeführer wurde in Gaziantep/Sahinbey geboren und lebte ab seinem 12. Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus der Türkei mit seiner Familie in Sehitkamil. Er besuchte die Schule bis zur 11. Schulstufe und hat Arbeitserfahrung im Schuhhandel und in der Gastronomie als Kellner.
Seine Eltern, zu denen er ein gutes Verhältnis pflegt, leben in Sehitkamil in einem Haus, welches nach dem Erdbeben wiederhergestellt wurde und es besteht Kontakt. Auch weitere Verwandte leben in der Türkei. Der Vater des Beschwerdeführers geht in der Türkei einer Beschäftigung nach.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Etwaige Verwaltungsübertretungen oder strafrechtliche Verurteilungen in Österreich bestehen keine.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. Es steht auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer um sein Leben zu fürchten hat.
Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde.Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2,, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde.
1.3. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 12.08.2023 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist er durchgehend im Bundesgebiet als Asylwerber aufhältig.
Der Bruder des Beschwerdeführers lebt mit seiner Familie in Österreich und verfügt über einen Aufenthaltstitel. Der Beschwerdeführer lebt bei seinem Bruder, welcher ab dem 12.03.2024 bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit am 03.09.2024 auch mit der Obsorge betraut war. Er wird von seinem Bruder finanziell unterstützt. Eine besonders innige Beziehung zu seinem Bruder konnte nicht festgestellt werden. Soziale Kontakte in Österreich bestehen nur zu seinem Bruder und dessen Familie, und im Rahmen des Deutschkurses.
Der Beschwerdeführer hat gering ausgeprägte Deutschkenntnisse und verfügt über eine Beschäftigungsbewilligung des AMS, ausgestellt für die XXXX. Er ist in keinem Verein Mitglied oder ehrenamtlich tätig.Der Beschwerdeführer hat gering ausgeprägte Deutschkenntnisse und verfügt über eine Beschäftigungsbewilligung des AMS, ausgestellt für die römisch 40 . Er ist in keinem Verein Mitglied oder ehrenamtlich tätig.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
1.4. Länderfeststellungen:
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-07 13:54
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 4f.).Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert. Ursache sind v. a. der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, welcher durch Lohnzuwächse und von der Regierung im Vorfeld der Wahlen 2023 beschlossene Wahlgeschenke nicht nachhaltig kompensiert werden konnte, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Laut einer aktuellen Studie möchten fast 82 % das Land verlassen und im Ausland leben. Während die vorhergehende Regierung keinerlei Schritte unternahm, die Unabhängigkeit der Justizbehörden und eine objektive Ausgabenkontrolle wiederherzustellen, versucht die neue Regierung zumindest im wirtschaftlichen Bereich Reformen durchzuführen, um den Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gesellschaft ist – maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdo?an verfolgten spaltenden Identitätspolitik – stark polarisiert. Insbesondere die Endphase des Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 war von gegenseitigen Anschuldigungen und Verbalangriffen und nicht von der Diskussion drängender Probleme geprägt. Selbst die wichtigste gegenwärtige Herausforderung der Türkei, die Bewältigung der Folgen der Erdbebenkatastrophe, trat in den Hintergrund (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 4f.).
Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 5; vgl. EC 8.11.2023, S. 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, S. 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).Die Opposition versucht, die Regierung durch Kritik am teilweise verspäteten Erdbeben-Krisenmanagement und in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen und förderte die in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend migrantenfeindliche Stimmung. Die Gesellschaft bleibt auch, was die irreguläre Migration betrifft, stark polarisiert (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 5; vergleiche EC 8.11.2023, Sitzung 12, 54, WZ 7.5.2023), zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022a, Sitzung 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor und die Künstler in der Türkei, der sich in letzter Zeit darin zeigt, dass immer mehr Konzerte, Festivals und andere kulturelle Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie als kritisch oder "unmoralisch" eingestuft wurden, um eine ultrakonservative Agenda durchzusetzen, die mit den Werten der EU unvereinbar ist" (EP 13.9.2023, Pt. 17).
Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 8.11.2023, S. 4, 12; vgl. EP 13.9.2023, Pt.9, WZ 7.5.2023).Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 8.11.2023, Sitzung 4, 12; vergleiche EP 13.9.2023, Pt.9, WZ 7.5.2023).
Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl. DE/Aydas 31.12.2022, Güney 1.10.2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl.Esen/Gumuscu 19.2.2016).Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 1.10.2022, Sitzung 6; vergleiche DE/Aydas 31.12.2022, Güney 1.10.2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 1.10.2022, Sitzung 6; vgl.Esen/Gumuscu 19.2.2016).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser implizit negativ auf Demokratie und Grundrechte aus, denn einige gesetzliche Bestimmungen, di