Entscheidungsdatum
26.08.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W170 2288505-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde des (unmündigen) XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch das Land Kärnten, dieses vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt, Bereich Jugend und Familie, Außenstelle Ferlach, diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2024, Zl. 1324110005/222860003, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde des (unmündigen) römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch das Land Kärnten, dieses vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt, Bereich Jugend und Familie, Außenstelle Ferlach, diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2024, Zl. 1324110005/222860003, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 28 Abs. 2 VwGVG, 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraphen 28, Absatz 2, VwGVG, 3 Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) ist ein am XXXX geborener, unmündiger syrischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten zugehörig, in Österreich auf Grund seiner Strafunmündigkeit unbescholten und steht dessen Identität nicht fest.1.1. römisch 40 (in Folge: Beschwerdeführer) ist ein am römisch 40 geborener, unmündiger syrischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten zugehörig, in Österreich auf Grund seiner Strafunmündigkeit unbescholten und steht dessen Identität nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist unbegleitet, mit Beschluss des Bezirksgerichts Ferlach vom 02.02.2023, 1 Ps 14/23z, wurde dem Land Kärnten, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt-Land, Bereich Jugend und Familie, Außenstelle Ferlach, die Obsorge über den Beschwerdeführer übertragen.
1.2. Der Beschwerdeführer hat am 13.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, dem jedoch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben wurde. Dem Beschwerdeführer wurde der diesbezügliche Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Behörde) am 17.01.2024 zugestellt.
Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 08.02.2024, am selben Tag bei der Behörde eingebracht, Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten blieb unbekämpft.
Die Beschwerde wurden am 18.03.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
1.3. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er sich von seiner Geburt bis zu seiner Ausreise im Ort XXXX , Distrikt Manbij, Governement Aleppo, etwa 12 km südlich der Stadt Manbij aufgehalten hat, seine Mutter und seine Geschwister halten sich immer noch an diesem Ort auf.1.3. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er sich von seiner Geburt bis zu seiner Ausreise im Ort römisch 40 , Distrikt Manbij, Governement Aleppo, etwa 12 km südlich der Stadt Manbij aufgehalten hat, seine Mutter und seine Geschwister halten sich immer noch an diesem Ort auf.
Der Ort XXXX ist der Hand der Kurden, andere Machtgruppen, insbesondere das Regime (das in der Stadt Manbij anwesend ist), haben dort keinen Zugriff auf den Beschwerdeführer.Der Ort römisch 40 ist der Hand der Kurden, andere Machtgruppen, insbesondere das Regime (das in der Stadt Manbij anwesend ist), haben dort keinen Zugriff auf den Beschwerdeführer.
Der Ort XXXX ist über den Grenzübergang Semalka/Fishkhabour erreichbar, der in der Hand der Kurden ist, ohne durch Gebiete reisen zu müssen, die in der Hand anderer Machthaber sind.Der Ort römisch 40 ist über den Grenzübergang Semalka/Fishkhabour erreichbar, der in der Hand der Kurden ist, ohne durch Gebiete reisen zu müssen, die in der Hand anderer Machthaber sind.
1.4. Der Beschwerdeführer hat in der Erstbefragung und der behördlichen Einvernahme lediglich ausgeführt, dass sein Vater sowohl von der syrischen Armee als Reservist sowie auch von den Kurden für den Selbstverteidigungsdienst gesucht werde, andere ihn als Person betreffende Probleme hat er bei diesen Gelegenheiten nicht angegeben, er habe Syrien wegen des Krieges und der anhaltenden Kampfhandlungen verlassen.
Erst in der Beschwerde wurde die Befürchtung, der Beschwerdeführer könnte zum syrischen oder kurdischen Militär eingezogen werden, formuliert. Auch befürchte er, auf Grund der illegalen Ausreise und Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, dass ihm das syrische Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellen werde sowie er in Bezug auf seinen Vater als Angehöriger eines Wehrdienstverweigerers verfolgt werde.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer an, bisher weder festgenommen noch in Haft angehalten worden zu sein. Auch seien weder die kurdischen Streitkräfte noch Angehörige der syrischen Armee in der Schule oder beim Beschwerdeführer zu Hause erschienen, auch wenn letztere eine Festnahmeanordnung für den Vater des Beschwerdeführers geschickt hätten. Der Beschwerdeführer glaube auch nicht, dass die Kurden ihn zum nunmehrigen Zeitpunkt rekrutieren würden, da diese die „Größeren“ nehmen würden.
Der Beschwerdeführer hat weder in Syrien noch in Österreich an Demonstrationen teilgenommen oder sich politisch exponiert, er hat Syrien wegen des Krieges und der von diesem ausgehenden Gefahren verlassen. Der Beschwerdeführer hat eine ihn betreffende Verfolgung in Syrien weder behauptet noch glaubhaft gemacht.
Es besteht kein reales Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Ort XXXX oder in den nächsten zwei Jahren gegen seinen Willen von den kurdischen Kräften rekrutiert werden würde. Es besteht kein reales Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Ort römisch 40 oder in den nächsten zwei Jahren gegen seinen Willen von den kurdischen Kräften rekrutiert werden würde.
Es besteht kein reales Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Ort XXXX vom Regime zwangsrekrutiert oder wegen der Wehrdienstverweigerung seines Vaters oder aus anderen Gründen zur Verantwortung gezogen wird.Es besteht kein reales Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Ort römisch 40 vom Regime zwangsrekrutiert oder wegen der Wehrdienstverweigerung seines Vaters oder aus anderen Gründen zur Verantwortung gezogen wird.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.5.1. Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) – (Letzte Änderung 2023-10-25)
Stabilität der Lage
Der Grenzübergang von Semalka/Fishkhabur [Anm.: auch Faysh Khabour, Peshkhabour] ist politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES]. Er stellt die einzige Einreisemöglichkeit für die zahlreichen NGOs dar, welche unverzichtbare Hilfe für die Bevölkerung dieser Region leisten. Da die syrische Regierung für die Einreise über Semalka weiterhin eine Strafe von fünf Jahren Haft vorsieht, müssen die Organisationen darauf achten, keine Aktivitäten in von der Regierung kontrollierten Gebieten durchzuführen. Jeder Akkreditierungsantrag beim Syrischen Roten Halbmond für die Arbeit im Regimegebiet setzt die Zusage der NGO voraus, jegliche Aktivitäten einzustellen, welche die Einreise aus Nachbarländern in das Selbstverwaltungsgebiet bedingen. Während Assad so zumindest einen Aspekt seiner Grenzsouveränität wieder zu erlangen versucht, bemühen sich russische Patrouillen, trotz Widerstands der SDF (Syrian Democratic Forces) bis nach Semalka vorzudringen, und irakische Milizen drohen mit der Besetzung des Grenzübergangs auf irakischer Seite (TWI/Balanche 10.2.2021).
Vor den Wahlen am 14.5.2023 drohte auch die Türkei mit einer Invasion in Nordsyrien. Der Widerstand Russlands, Irans und der USA gebot dem jedoch Einhalt. Manche kurdische Aktivist:innen fürchten allerdings, dass die Türkei eine Militäroperation starten könnte, während die Welt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt abgelenkt ist. Gemäß dem Journalisten Wladimir van Wilgenburg, dessen Schwerpunkt auf den Kurdengebieten in Syrien und im Irak liegt, sieht es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht danach aus (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Türkei übt allerdings durch die Lahmlegung von Infrastruktur Druck aus. Laut Thomas Schmidinger, einem Experten für die Lage in den kurdischen Gebieten Syriens, geht die Türkei ‚systematisch‘ gegen die zivile Infrastruktur vor und bombardierte Elektrizitätswerke, Getreidesilos sowie die Öl-, Gas- und Wasserversorgung. Mittlerweile sind gemäß Schmidinger alle Städte in der Selbstverwaltungsregion ohne Wasser- und Stromversorgung. Benzin, Öl und Gas sind kaum noch erhältlich, und wenn, dann zu extrem hohen Preisen. Der Großteil der heurigen Getreideernte ist vernichtet und Schmidinger warnt vor einer Hungersnot im Winter (Der Standard 13.10.2023).
Der Journalist Hisham Arafat beschrieb die Lage gegenüber van Wilgenburg als ‚fließend‘, in der ‚Allianzen und Rivalitäten weiterhin wechseln‘, wobei aktuell keine größere Machtverschiebung im Nordosten in Sicht scheint. Die SDF haben die Lage großteils unter Kontrolle, vorausgesetzt die USA halten ihre Militärpräsenz im Nordosten aufrecht. Die US-Wahlen im November 2024 könnten diesbezüglich die Lage ändern, falls die Republikanische Partei gewinnt, und den Abzug aus Syrien (und sogar dem Irak) beschließen sollte (van Wilgenburg 9.10.2023).
Die Präsenz von Regierungskräften im Selbstverwaltungsgebiet ‚Rojava‘ (AANES) erhält nach dem Wissensstand von Hisham Arafat vom September 2021 eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 9.10.2023).
[…]
Überdies gibt es syrische Armee-Positionen in den Gebieten, die an Regionen unter Kontrolle pro-türkischer Gruppen grenzen - nahe Ain Issa/Tal Tamr - sowie an der Grenze zur Türkei. Dort werden jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu gibt es ein Abkommen zwischen den SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime vom Oktober 2019, das Russland vermittelt hat. Es sind auch Regierungstruppen an der Grenze der Provinz Manbij stationiert. Die Armee-Checkpoints sind nicht in der Lage, Personenkontrollen in den Städten durchzuführen, sie dienen vielmehr zur Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023). In Tal Rifaat ist die Situation laut van Wilgenburg eine andere als in den übrigen Gebieten. Er kann aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden gestatten es allgemein nicht, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einzieht (ACCORD 24.3.2023). Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte bestätigte auf Nachfrage im September 2023, dass die syrische Regierung seines Wissens nach keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne, was auch van Wilgenburg bekräftigte.
Die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) gab in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD im August 2023 dagegen an, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei, was bedeute, dass junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (ACCORD 7.9.2023).
Die russischen Einheiten führen von Zeit zu Zeit Patrouillen zusammen mit der türkischen Armee oder den SDF durch. Sie überprüfen auch manchmal Orte, die von der Türkei bombardiert wurden. Sie unterhalten aber keine Checkpoints ebenso wenig wie die US-Armee. Diese betreibt Positionen in den Provinzen Deir ez-Zor und al-Hassakah, deren Perimeter von den SDF geschützt werden (van Wilgenburg 9.10.2023).
In den anderen Gebieten ist es laut Auskunft von Bassam al-Ahmad, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) viele Jahre her, dass die syrische Regierung jemanden festgenommen hat (van Wilgenburg 9.10.2023).
Im nördlichen Aleppo, wo kurdische Kräfte aktiv sind, und vertriebene Flüchtlinge aus Afrin in Lagern leben, ist auch das Regime präsent. Dort ist die Lage anders. Mit der Partei der Demokratischen Union (PYD) alliierte Kräfte kontrollieren die Checkpoints von Sheikh Maqsoud und Ashrafiya [Anm.: zwei kurdische Stadtviertel in Aleppo Stadt], welche zuweilen von Regimekräften abgeriegelt werden, um Druck auf die AANES und die SDF auszuüben (van Wilgenburg 9.10.2023).
Zu den Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung (Letzte Änderung 2023-10-25):
Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka [Anm.: verschiedene Umschriften möglich, z. B. auch Faysh Khabour, Peshkhabour]. Es gibt zwei Flussübergänge - einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der [Anm.: selbst ernannten] Selbstverwaltungsregion AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent (van Wilgenburg 9.10.2023).
Auf der irakischen Seite betreibt das Kurdistan Regional Government (KRG) der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter der Leitung von Direktor Shawkat Barbuhari (Berbihary) den Grenzübergang Fishkhabour. Sein Stellvertreter ist Nazim Hamid Abdullah. Hamid Darbandi ist nicht nur Leiter der Abteilung für Public Relations der Präsidentschaft der KRG, sondern auch für die Beziehungen zu Syrien, bzw. den syrischen Kurd:innen. Er spielt eine Rolle bei Genehmigungen, besonders für Ausländer:innen, welche die Grenze überqueren wollen. Einer zweiten syrisch-kurdischen Quelle zufolge werden beide Seiten des Grenzübergangs von den jeweiligen Innenministerien der kurdischen Regionalverwaltungen KRG und AANES betrieben. So sind es auch auf der irakischen Seite Asayish der KRI (Kurdistan Region Irak) bzw. der KDP, welche in manchen Fällen Personen bei der Einreise aus Syrien oder ihrer Rückkehr befragen, insbesondere, wenn es sich um Ausländer:innen handelt, die nach Syrien reisen (van Wilgenburg 9.10.2023).
Der Grenzübergang Semalka gilt politisch, humanitär und wirtschaftlich als Lebensader der AANES. Nur hier können laut Thomas Schmidinger auch politische Delegationen, NGOs und andere humanitäre Organisationen den Norden und Osten Syriens erreichen (Al-Monitor 21.5.2023).
Behandlung bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour
Es gibt laut Wladimir van Wilgenburg nur wenige Rückweisungen am Grenzübergang (van Wilgenburg 9.10.2023). Dabei handelt es sich auf irakischer Seite um Fälle mit politischem Hintergrund, etwa Personen, gegen die in der KRI Dossiers vorliegen. So wurde Syrer:innen das Betreten der KRI wegen des Verdachts einer Verbindung zur PKK, YPG oder PYD (Kurdische Arbeiterpartei, Volksverteidigungseinheiten, Partei der Demokratischen Union), syrischen Nachrichtendiensten oder pro-türkischen Milizen wie der SNA (Syrian National Army) und FSA (Freie Syrische Armee) verwehrt. Personen mit wahrgenommenen Verbindungen zur Selbstverwaltung (AANES), YPG oder SDF (Syrian Democratic Forces) erlangen laut Einschätzung eines von van Wilgenburg befragten Aktivisten nicht so leicht Zutritt (van Wilgenburg 9.10.2023).
Auf der syrischen Seite wurde auch syrischen Bewohner:innen der KRI die Rückkehr nach Syrien von AANES-Kräften verweigert - und zwar wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur PDK-S (dem syrischen Zweig der irakischen KDP der Barzani-Familie), zum Kurdish National Council (KNC) [Kurdischer Nationalrat, von Barzani unterstützter Zusammenschluss kurdischer Parteien] oder zu türkischen Nachrichtendiensten, syrischen Oppositionsmilizen (SNA, FSA) oder dem Islamischen Staat etc. (van Wilgenburg 9.10.2023).
Laut van Wilgenburg war es früher für Mitarbeiter:innen der AANES bzw. des Syrian Democratic Council (SDC) [Anm.: Syrischer Demokratischer Rat, politisches Gremium der AANES] leichter, in die KRI einzureisen, während in den letzten Jahren die Einreise durch die KRI verweigert wurde. Gleichzeitig hat die AANES ihrerseits Vertreter:innen des KNC die Einreise verweigert.
Hintergrund sind die verstärkten Spannungen zwischen der PKK und der KDP im irakischen Kurdistan. Die syrische PYD ist mit der PKK verbunden, bzw. steht ihr nahe, während der KNC und PDK-S der KDP bzw. KRG nahestehen. Nach früheren, nie umgesetzten Vermittlungsabkommen gab es auch einen Versuch der USA im Jahr 2020, einen Dialog zwischen den beiden Seiten zu vermitteln, der scheiterte. Oft kam es nach dem Bruch der Abkommen zu Spannungen, und die Grenzübergänge wurden geschlossen, und die beiden Seiten verweigerten jeweils den KNC-Funktionären oder den PYD-Vertreter:innen die Einreise (van Wilgenburg 9.10.2023).
Es kommt auch zu Fällen, wo die Grenzen ganz für Grenzübertritte geschlossen sind, und von beiden Seiten kein Passieren möglich ist (van Wilgenburg 9.10.2023).
Es gibt nicht viele Verhaftungen direkt an der Grenze, auch wenn Leuten die Einreise verweigert wird. Einige Fälle von Verhaftungen und Misshandlungen ereigneten sich laut Hisham Arafat in den letzten Jahren aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer (bewaffneten) Gruppe (van Wilgenburg 9.10.2023) oder weil die Betreffenden den Wehrdienst in der HXP (Selbstverteidigungseinheiten der AANES) vermieden hatten (van Wilgenburg 9.10.2023, van Wilgenburg 17.10.2023). Direkt am Grenzübergang kommt es nicht zu Misshandlungen (van Wilgenburg 9.10.2023).
So erwähnte Arafat das Beispiel von Regin Sherro, einer Korrespondentin des Medienunternehmens Rudaw, die von Asayish der AANES wegen ihrer Arbeit für Rudaw misshandelt wurde. Rudaw ist eine der führenden Fernsehstationen in der KRI. Sie hatte vor sechs Jahren politische Differenzen mit der „von der PKK kontrollierten“ AANES. Dies ereignete sich jedoch nicht an der Grenze, ebenso wie andere Vorwürfe von Folter und Tod in Haft (van Wilgenburg 9.10.2023).
Aufseiten der KRI wurden einige syrische kurdische Aktivist:innen durch KRI-Sicherheitskräfte misshandelt, weil sie verdächtigt wurden, mit der PKK oder anderen kurdischen Parteien in Verbindung zu stehen - so z. B. in einigen Fällen im Jahr 2015. Aber dies geschah auch nicht direkt an der Grenze (van Wilgenburg 9.10.2023).
Bassam al-Ahmad, der geschäftsführende Direktor von Syrians for Truth and Justice, gibt an noch nie von Verhaftungen oder Misshandlungen auf einer der beiden Seiten [direkt] an der Grenze gehört zu haben. Auch andere syrisch-kurdische Quellen bestätigten, dass es keine Verhaftungen an der Grenze gab (van Wilgenburg 9.10.2023).
1.5.2. Zum Rechtsschutz in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung wird festgestellt:
Nordost-Syrien (Letzte Änderung 2024-03-08)
In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ übernimmt diese quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen (AA 2.2.2024). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 20.3.2023). Juristen, welche unter diesem Justizsystem agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).
In den Gebieten unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (engl. Abk.: AANES) - auch kurd. „Rojava“ genannt, setzten die Behörden einen Rechtskodex basierend auf einem „Gesellschaftsvertrag“ („social contract“) durch. Dieser besteht aus einer Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht und Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an EU-Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 20.3.2023).
Zudem mangelt es an der Durchsetzung der Rechte für einen fairen Prozess (NMFA 6.2021). Leute, die im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren gesucht werden, erhalten keine Vorladung, sondern werden einfach verhaftet. In Pressekonferenzen der Asayish werden nur Verhaftungen von Verdächtigen in Strafverfahren vermeldet - nicht die Verhaftungen von Personen, welche wegen ihrer Meinungsäußerungen festgenommen oder die entführt wurden (NMFA 6.2021). Die SDF (Syrian Democratic Forces) führen willkürliche Verhaftungen von ZivilistInnen, einschließlich JournalistInnen durch (HRW 11.1.2024).
Verfahren gegen politische Gefangene werden in der Regel vor Strafgerichten oder vor einem Gericht für Terrorismusbekämpfung verhandelt. In Strafgerichten können Inhaftierte einen Anwalt beauftragen, in Gerichten für Terrorismusbekämpfung geht dies laut International Center for Transitional Justice (ICTJ) nicht und auch eine Berufung ist nicht möglich. Die meisten Inhaftierten werden nicht vor Gericht gestellt, sondern entweder freigelassen - oft unter Bedingungen, die mit Stammesführern ausgehandelt wurden - oder die Betroffenen verschwinden unter Gewaltanwendung (NMFA 6.2021).
Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jesidischen, arabischen und assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines Stammesgerichtssystems, bekannt als „Madbata“, für die Klärung von intertribalen Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira-Region in der Provinz Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung dienen, welche die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. Aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen Justiz wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen (AM 4.4.2021).
1.5.3. Zur Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen wird festgestellt (Letzte Änderung 2024-03-13):
Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen unter anderem auch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ). Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten (UNSC 27.10.2023).Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen unter anderem auch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ). Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten (UNSC 27.10.2023).
[…]
In einem Bericht gibt das Syrian Network for Human Rights (SNHR) an, dass das syrische Regime für fast 65% der Fälle von rekrutierten Minderjährigen verantwortlich ist und führt weiter aus, dass das Regime auf verschiedene Arten der Rekrutierung zurückgreift, weil Kinder weniger kostspielig sind als Erwachsene.
[…]
Zur Praxis in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“: Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert (AA 29.3.2023). Im Juni 2019 wurde von den Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: YPG und YPJ sind Kernbestandteile der SDF] und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen (UNHRC 7.2.2023; vgl. SNHR 20.11.2023; vgl. AA 2.2.2024). Allerdings schreibt das Auswärtige Amt, dass die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein scheint (AA 2.2.2024). Seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen den SDF und den Vereinten Nationen im Jahr 2019 wurden rund 700 bis 750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen (DIS 6.2022). Einem Bericht der UN zufolge waren es im Zeitraum von 1.7.2020 bis 30.9.2022 278 Kinder, die aus dem Dienste der SDF entlassen wurden und in weiteren 1.025 Fällen wurde die Rekrutierung durch die SDF verhindert, zumindest eigenen Angaben der SDF gemäß. Besonders im Jahr 2021 verzeichnet die UN in ihrem Bericht eine positive Entwicklung. Die SDF nahmen eine Resolution an, wonach ihre Trainings internationalem Recht entsprechen müssen sowie zur Errichtung eines Komitees zur Einhaltung internationaler Regulierungen zum Schutz von Minderjährigen. Des Weiteren eröffneten die SDF neun Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten (UNSC 27.10.2023). Dennoch wurde im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von der Rekrutierung von Kindern in die SDF berichtet (UNHRC 7.2.2023). Die UN spricht ebenfalls von Rückschlägen in der Einhaltung dieses Plans im Jahr 2022. So wurden beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet (UNSC 27.10.2023). SNHR verzeichnete einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehören und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt sind und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steigt laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten (SNHR 20.11.2023). Bezüglich der Frage, wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen, darunter die schlechte Wirtschaftslage, welche das Gehalt der SDF attraktiv macht (DIS 6.2022). SNHR berichtet dazu von einigen Fällen, die zwangsrekrutiert wurden durch Entführungen aus Schulen oder direkt von der Straße (SNHR 20.11.2023). Einige Familien wandten sich an die Kinderschutzbüros, um Fälle zu melden, in denen Kinder im Alter von 14 Jahren rekrutiert wurden, aber ihnen wurde gesagt, dass keine Maßnahmen ergriffen werden könnten, da die Kinder von der Bewegung der kurdischen Revolutionären Jugend entführt worden seien. Trotz Anfragen von Familien blieb der Verbleib einiger rekrutierter Kinder unbekannt (UNHRC 7.2.2023).Zur Praxis in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“: Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert (AA 29.3.2023). Im Juni 2019 wurde von den Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: YPG und YPJ sind Kernbestandteile der SDF] und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen (UNHRC 7.2.2023; vergleiche SNHR 20.11.2023; vergleiche AA 2.2.2024). Allerdings schreibt das Auswärtige Amt, dass die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein scheint (AA 2.2.2024). Seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen den SDF und den Vereinten Nationen im Jahr 2019 wurden rund 700 bis 750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen (DIS 6.2022). Einem Bericht der UN zufolge waren es im Zeitraum von 1.7.2020 bis 30.9.2022 278 Kinder, die aus dem Dienste der SDF entlassen wurden und in weiteren 1.025 Fällen wurde die Rekrutierung durch die SDF verhindert, zumindest eigenen Angaben der SDF gemäß. Besonders im Jahr 2021 verzeichnet die UN in ihrem Bericht eine positive Entwicklung. Die SDF nahmen eine Resolution an, wonach ihre Trainings internationalem Recht entsprechen müssen sowie zur Errichtung eines Komitees zur Einhaltung internationaler Regulierungen zum Schutz von Minderjährigen. Des Weiteren eröffneten die SDF neun Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten (UNSC 27.10.2023). Dennoch wurde im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von der Rekrutierung von Kindern in die SDF berichtet (UNHRC 7.2.2023). Die UN spricht ebenfalls von Rückschlägen in der Einhaltung dieses Plans im Jahr 2022. So wurden beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet (UNSC 27.10.2023). SNHR verzeichnete einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehören und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt sind und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steigt laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten (SNHR 20.11.2023). Bezüglich der Frage, wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen, darunter die schlechte Wirtschaftslage, welche das Gehalt der SDF attraktiv macht (DIS 6.2022). SNHR berichtet dazu von einigen Fällen, die zwangsrekrutiert wurden durch Entführungen aus Schulen oder direkt von der Straße (SNHR 20.11.2023). Einige Familien wandten sich an die Kinderschutzbüros, um Fälle zu melden, in denen Kinder im Alter von 14 Jahren rekrutiert wurden, aber ihnen wurde gesagt, dass keine Maßnahmen ergriffen werden könnten, da die Kinder von der Bewegung der kurdischen Revolutionären Jugend entführt worden seien. Trotz Anfragen von Familien blieb der Verbleib einiger rekrutierter Kinder unbekannt (UNHRC 7.2.2023).
Menschenrechtsorganisationen, darunter das Syria Justice and Accountability Center (SJAC), dokumentierten die Rekrutierung von Kindern durch die Revolutionäre Jugend, eine mit den SDF verbundene Organisation, die Jugendliche auf den Dienst bei der YPG und den Asayish, dem internen Sicherheits- und Geheimdienst der AANES, vorbereitet. Einige Minderjährige, die für Kampfeinsätze rekrutiert wurden, waren unter fünfzehn Jahre alt, eine Praxis, die nach Angaben von SJAC ein Kriegsverbrechen darstellt. Medienberichten zufolge erfolgt die Rekrutierung häufig über den Unterricht in Fächern wie Musik oder Sport, der von der Revolutionären Jugend durchgeführt wird. In diesen Klassen werden die Kinder schrittweise in der Ideologie der Organisation geschult, und in vielen Fällen werden sie dann in militärischen Ausbildungslagern untergebracht, ohne dass die Eltern über den Verbleib ihrer Kinder informiert werden. Andere werden unter dem Vorwand einer Anstellung angelockt (SJAC 3.2023). Die SDF und Asayish scheinen Rekrutierungen von Minderjährigen durch die Revolutionäre Jugend nicht zu verhindern.
Ein Mitarbeiter des Kinderschutzbüros erklärte, dass das Büro nicht auf die Beschwerden über die Revolutionäre Jugend eingehen kann, da es nur für die SDF zuständig sei (DIS 6.2022). SJAC dokumentierte auch mehrere Fälle, in denen die Revolutionäre Jugend und andere SDFMitglieder die Familien von rekrutierten und vermissten Kindern einschüchterten und belästigten, wenn sie versuchten, Informationen über ihre Kinder zu erhalten (SJAC 3.2023).
In der Anfragebeantwortung zu Syrien: „Manbidsch: Zwangsrekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch SDF, YPG, YPJ oder die Revolutionäre Jugend; Anzahl solcher Zwangsrekrutierungen im Jahr 2023; Vorgehen der kurdischen Verwaltung gegen solche Rekrutierungen; zwangsweise Rekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch das syrische Militär [a-12357]“ vom 25.04.2024 berichtet Accord, in Bezug auf die Zwangsrekrutierung von Kindern in Manbidsch, dass in einem Bericht von Jänner 2024 Syrians for Truth and Justice (STJ) anführt, dass Recherchen STJs bestätigen würden, dass bewaffnete Gruppen in der AANES, insbesondere die Revolutionäre Jugend, im Jahr 2023 weiterhin Kinder rekrutiert hätten. STJ führt in dem Bericht an, im Jahr 2023 52 Fälle von Zwangsrekrutierungen von Kindern in AANES-Regionen dokumentiert zu haben, darunter 29 Fälle von minderjährigen Buben und 23 Fälle von minderjährigen Mädchen. Sieben der Fälle hätten sich dem Bericht zufolge in Manbidsch zugetragen. STJ zufolge sei die Revolutionäre Jugend für 43 der 52 Fälle verantwortlich, während die YPJ und andere bewaffnete Gruppen der SDF für die restlichen Fälle verantwortlich seien (STJ, Jänner 2024, S. 3). Etana Syria zufolge hätten die SDF und die der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehende Revolutionäre Jugend in den Wochen vor der Berichterstattung etwa ein Dutzend Kinder rekrutiert, darunter Mädchen und Buben im Alter von 13 Jahren. In Manbidsch hätten laut dem Bericht von Etana Syria 2023 öffentliche Proteste wegen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen stattgefunden (Etana Syria, Juli 2023). Basnews, eine in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) ansässige Nachrichtenagentur, berichtet im Juli 2023 von einem Generalstreik in der Stadt Manbisch, unter anderem aus Protest gegen die von der SDF verhängte Zwangsrekrutierung von jungen Männern und die Entführung minderjähriger Kinder durch die Jugendorganisation der PKK (Basnews, 19. Juli 2023).In der Anfragebeantwortung zu Syrien: „Manbidsch: Zwangsrekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch SDF, YPG, YPJ oder die Revolutionäre Jugend; Anzahl solcher Zwangsrekrutierungen im Jahr 2023; Vorgehen der kurdischen Verwaltung gegen solche Rekrutierungen; zwangsweise Rekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch das syrische Militär [a-12357]“ vom 25.04.2024 berichtet Accord, in Bezug auf die Zwangsrekrutierung von Kindern in Manbidsch, dass in einem Bericht von Jänner 2024 Syrians for Truth and Justice (STJ) anführt, dass Recherchen STJs bestätigen würden, dass bewaffnete Gruppen in der AANES, insbesondere die Revolutionäre Jugend, im Jahr 2023 weiterhin Kinder rekrutiert hätten. STJ führt in dem Bericht an, im Jahr 2023 52 Fälle von Zwangsrekrutierungen von Kindern in AANES-Regionen dokumentiert zu haben, darunter 29 Fälle von minderjährigen Buben und 23 Fälle von minderjährigen Mädchen. Sieben der Fälle hätten sich dem Bericht zufolge in Manbidsch zugetragen. STJ zufolge sei die Revolutionäre Jugend für 43 der 52 Fälle verantwortlich, während die YPJ und andere bewaffnete Gruppen der SDF für die restlichen Fälle verantwortlich seien (STJ, Jänner 2024, Sitzung 3). Etana Syria zufolge hätten die SDF und die der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehende Revolutionäre Jugend in den Wochen vor der Berichterstattung etwa ein Dutzend Kinder rekrutiert, darunter Mädchen und Buben im Alter von 13 Jahren. In Manbidsch hätten laut dem Bericht von Etana Syria 2023 öffentliche Proteste wegen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen stattgefunden (Etana Syria, Juli 2023). Basnews, eine in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) ansässige Nachrichtenagentur, berichtet im Juli 2023 von einem Generalstreik in der Stadt Manbisch, unter anderem aus Protest gegen die von der SDF verhängte Zwangsrekrutierung von jungen Männern und die Entführung minderjähriger Kinder durch die Jugendorganisation der PKK (Basnews, 19. Juli 2023).
In einem arabischen Artikel vom Jänner 2024 berichtet Shaam Network, ein Medienunternehmen der syrischen Opposition, dass die SDF die Altersgrenzen für die Wehrpflicht in den von ihr kontrollierten Gebieten per Rundschreiben verkündet habe. Die Wehrpflicht gelte demnach für alle zwischen 1. Jänner 1998 und 31. Dezember 2005 Geborenen. Dem Artikel zufolge hätte die SDF wiederholt Männer und auch Kinder zum Zweck der Rekrutierung verhaftet. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels hätten Aktivist:innen von einer neuerlichen Verhaftungskampagne in einem Dorf in der Nähe der Stadt Manbidsch berichtet. Unter Bezugnahme auf lokale Nachrichtenseiten wird beschrieben, dass festgenommene junge Männer in Zwangsrekrutierungslager der SDF in Manbidsch, Hasaka und Raqqa gebracht würden. In dem Artikel heißt es weiters, die SDF konzentriere ihre Verhaftungskampagnen auf den ländlichen Raum, wo die Medienberichterstattung schwächer ausgeprägt sei und es schwierig sei, die Identität und die Anzahl der Festgenommenen zu dokumentieren (Shaam Network, 10. Jänner 2024).
In einem Artikel von August 2023 berichtet Al-Araby Al-Jadeed, dass Menschenrechtsorganisationen, die Beteiligung der Revolutionären Jugend an der Entführung und Rekrutierung von Kindern unter anderem in der Region Manbidsch aufgezeigt hätten. Dem Artikel zufolge würde dies durch die Aussagen von Familien gestützt, die der Revolutionären Jugend vorwerfen würden, ihre Kinder versteckt und die Forderungen der Familien nach deren Rückgabe ignoriert zu haben (Al-Araby Al-Jadeed, 2. August 2023).
SNHR und das Rasd Syria Network for Human Rights berichten von mehreren Fällen im Jahr 2023 in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung entführter 14-jähriger Buben durch die SDF oder die Revolutionäre Jugend (SNHR, 12. August 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 6. November 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 1. November 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 19. Juli 2023).
Shaam Network und das Rasd Syria Network for Human Rights berichten von mehreren Fällen im Jahr 2023 in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung entführter 13-jähriger Buben durch die SDF oder die Revolutionäre Jugend (Rasd Syria Network for Human Rights, 27. Jänner 2023; Shaam Network; 25. April 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 18. November 2023; Rasd Syria Network for Human Rights; 27. April 2023).
Das Rasd Syria Network for Human Rights und SNHR berichten auch von im Jahr 2023 in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die SDF oder die Revolutionäre Jugend entführten 16-jährigen (Rasd Syria Network for Human Rights, 21. November 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 15. Juli 2023; SNHR, 20. November 2023, S. 51-52) und 17-jährigen Buben (Rasd Syria Network for Human Rights, 2. November 2023). Das Rasd Syria Network for Human Rights dokumentiert auch den Fall eines durch die Revolutionäre Jugend in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung entführten 13-jährigen Mädchens (Rasd Syria Network for Human Rights, 27. März 2023) sowie eines durch die SDF entführten 16-jährigen Mädchens (Rasd Syria Network for Human Rights, 8. April 2023).Das Rasd Syria Network for Human Rights und SNHR berichten auch von im Jahr 2023 in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die SDF oder die Revolutionäre Jugend entführten 16-jährigen (Rasd Syria Network for Human Rights, 21. November 2023; Rasd Syria Network for Human Rights, 15. Juli 2023; SNHR, 20. November 2023, Sitzung 51-52) und 17-jährigen Buben (Rasd Syria Network for Human Rights, 2. November 2023). Das Rasd Syria Network for Human Rights dokumentiert auch den Fall eines durch die Revolutionäre Jugend in Manbidsch zum Zweck der Zwangsrekrutierung entführten 13-jährigen Mädchens (Rasd Syria Network for Human Rights, 27. März 2023) sowie eines durch die SDF entführten 16-jährigen Mädchens (Rasd Syria Network for Human Rights, 8. April 2023).
Zum Umgang der AANES-Behörden mit Zwangsrekrutierungen von Kindern führt der Bericht aus, dass STJ im Jänner 2024 berichtet, dass das Kinderschutzbüro, das der AANES-Frauenbehörde angegliedert gewesen sei, vor mehr als einem Jahr aufgelöst und ersetzt worden sei. Das neue Büro bewache und dokumentiere die Rekrutierung von Kindern laut STJ nicht mehr und weigere sich, Beschwerden von Familien rekrutierter Kinder aufzunehmen (STJ, Jänner 2024, S. 3).Zum Umgang der AANES-Behörden mit Zwangsrekrutierungen von Kindern führt der Bericht aus, dass STJ im Jänner 2024 berichtet, dass das Kinderschutzbüro, das der AANES-Frauenbehörde angegliedert gewesen sei, vor mehr als einem Jahr aufgelöst und ersetzt worden sei. Das neue Büro bewache und dokumentiere die Rekrutierung von Kindern laut STJ nicht mehr und weigere sich, Beschwerden von Familien rekrutierter Kinder aufzunehmen (STJ, Jänner 2024, Sitzung 3).
In Zusammenhang mit dem Fall eines zum Zweck der Zwangsrekrutierung in Manbidsch entführten 16-jährigen Buben durch die Revolutionäre Jugend berichtet SNHR, dass dessen Vater Aussagen eines Aktivisten zufolge nach dem Verschwinden seines Sohnes das Büro der Revolutionären Jugend in der Stadt Manbidsch aufgesucht hätte, wo sein Sohn zuletzt gesehen worden sei. Dort habe man dementiert, dass sein Sohn sich dort aufhalte (SNHR, 20. November 2023, S. 51-52).In Zusammenhang mit dem Fall eines zum Zweck der Zwangsrekrutierung in Manbidsch entführten 16-jährigen Buben durch die Revolutionäre Jugend berichtet SNHR, dass dessen Vater Aussagen eines Aktivisten zufolge nach dem Verschwinden seines Sohnes das Büro der Revolutionären Jugend in der Stadt Manbidsch aufgesucht hätte, wo sein Sohn zuletzt gesehen worden sei. Dort habe man dementiert, dass sein Sohn sich dort aufhalte (SNHR, 20. November 2023, Sitzung 51-52).
In dem oben erwähnten Artikel von The National von Juni 2023 wird die Vertreterin eines Kinderschutzbüros der AANES angeführt. Diese habe ausgesagt, dass der Beschwerdemechanismus für Beschwerden zu Kinderrekrutierungen funktioniere und in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 20 Beschwerden eingelangt sowie vier Kinder zu ihren Familien zurückgekehrt seien. Der Vertreterin zufolge würden sich die anderen 16 Kinder nicht bei der SDF befinden (The National, 28. Juni 2023).
1.5.4. Zur Situation von Kindern in Syrien wird festgestellt (Letzte Änderung 2024-03-13):
Das Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021, wurde im August 2022 veröffentlicht und ist das erste seiner Art in Syrien. Es soll die Kinder schützen, versorgen und die wissenschaftliche, kulturelle, psychologische und soziale Rehabilitation aller Kinder sicherstellen. Demnach hat der syrische Staat die Pflicht, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Kindern zu gewährleisten (OSS 18.1.2023).
Unverändert kommt es in Syrien regelmäßig zu schwersten Verletzungen der Rechte von Kindern (AA 2.2.2024). Trotz Bemühungen der Vereinten Nationen (VN) werden noch immer Kinder für den Dienst an der Waffe rekrutiert. Für das Jahr 2022 wu