TE Bvwg Erkenntnis 2024/8/28 W213 2264710-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2024
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Entscheidungsdatum

28.08.2024

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
  1. BFA-VG § 21 heute
  2. BFA-VG § 21 gültig von 01.06.2018 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  3. BFA-VG § 21 gültig ab 01.06.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  4. BFA-VG § 21 gültig von 01.11.2017 bis 31.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  5. BFA-VG § 21 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  6. BFA-VG § 21 gültig von 20.07.2015 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  7. BFA-VG § 21 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  8. BFA-VG § 21 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W213 2264710-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Slamanig als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2024, Zl. 1290729208/231637583, zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Slamanig als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2024, Zl. 1290729208/231637583, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:

Erstes Asylverfahren:

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend auch BF) ist ein am XXXX geborener syrischer Staatsangehöriger. Er reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein und stellte am 04.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend auch BF) ist ein am römisch 40 geborener syrischer Staatsangehöriger. Er reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein und stellte am 04.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am darauffolgenden Tag fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zum Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er aus Angst vor dem Krieg in Syrien geflüchtet sei. Im Jahr 2012 sei er desertiert, da er an diesem Krieg nicht teilnehmen habe wollen.

3. Am 31.10.2022 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA oder belangte Behörde) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch einvernommen. Hierbei gab der BF hinsichtlich seiner Fluchtgründe zusammengefasst an, dass er von der Regierung gesucht werde und eine sichere Zukunft für seine Kinder wolle.

4. Mit Bescheid vom 02.11.2022, Zl. 1290729208-211876451, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte das BFA zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, dass der BF nicht glaubhaft machen habe können, dass er vom Wehrdienst desertiert sei. Er sei außerdem bereits 42 Jahre alt, sodass es generell nicht plausibel sei, von einer wie immer gearteten Rekrutierung durch die syrische Regierungsarmee als Reservist betroffen sein zu können.4. Mit Bescheid vom 02.11.2022, Zl. 1290729208-211876451, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.). Begründend führte das BFA zu Spruchpunkt römisch eins. im Wesentlichen aus, dass der BF nicht glaubhaft machen habe können, dass er vom Wehrdienst desertiert sei. Er sei außerdem bereits 42 Jahre alt, sodass es generell nicht plausibel sei, von einer wie immer gearteten Rekrutierung durch die syrische Regierungsarmee als Reservist betroffen sein zu können.

5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH fristgerecht Beschwerde wegen fehlerhafter Beweiswürdigung, groben Verfahrensmängeln, insbesondere im Bereich der Sachverhaltsermittlung, und insgesamt gehäufter Verkennung der Sach- und Rechtlage resultierende Willkür der Entscheidung. Begründend wurde zusammengefasst darauf verwiesen, dass dem LIB zu entnehmen sei, dass die Wehrpflicht in Syrien derzeit bis zum 42. Lebensjahr bestehe, weswegen der zum Entscheidungszeitpunkt 42-jährige BF absolut mit seiner Einberufung für den Fall einer Rückkehr nach Syrien rechnen müsste. Der BF habe sich jahrelang dem Wehrdienst entzogen, indem er sein Dorf kaum verlassen und Hauptverkehrsstrecken, wo sich bekanntlich Checkpoints befänden, gemieden habe, wobei ihm zu Gute gekommen sei, dass seine engere Heimat seit Kriegsbeginn nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes gestanden sei, weswegen er dort von der syrischen Armee nicht erreicht und zwangsweise rekrutiert werden könnte. Spätestens mit seiner Flucht ins Ausland habe er sich endgültig und augenscheinlich dem Wehrdienst entzogen. Hätte die belangte Behörde das Vorbringen des BF entsprechend gewürdigt und hätte sie insbesondere einen Abgleich mit aktuellen, relevanten Länderberichten vorgenommen, hätte sie zwingend zu dem Schluss kommen müssen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar und GFK-relevant sei. Der BF habe sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei in sich unschlüssig bzw. beruhe auf Unterstellungen bzw. sei mit den Erkenntnissen aus dem LIB und anderen Informationsquellen nicht in Einklang zu bringen, was auf ein willkürliches Vorgehen der Behörde hinweise. Die belangte Behörde hätte bei gehöriger Ermittlung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung einschlägiger Berichte auch zu bedenken gehabt, dass dem BF auch von Seiten anderer Bürgerkriegsparteien dieselbe Gefahr von Zwangsrekrutierung gedroht hätte und auch von dieser Seite das Risiko nicht auszuschließen sei, dass der BF wegen seiner Weigerung, für irgendeine Kriegspartei zu kämpfen, als politisch verdächtig verfolgt zu werden drohe. Abschließend beantragte der BF, das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, der Beschwerde stattgeben und dem BF den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der BF, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH fristgerecht Beschwerde wegen fehlerhafter Beweiswürdigung, groben Verfahrensmängeln, insbesondere im Bereich der Sachverhaltsermittlung, und insgesamt gehäufter Verkennung der Sach- und Rechtlage resultierende Willkür der Entscheidung. Begründend wurde zusammengefasst darauf verwiesen, dass dem LIB zu entnehmen sei, dass die Wehrpflicht in Syrien derzeit bis zum 42. Lebensjahr bestehe, weswegen der zum Entscheidungszeitpunkt 42-jährige BF absolut mit seiner Einberufung für den Fall einer Rückkehr nach Syrien rechnen müsste. Der BF habe sich jahrelang dem Wehrdienst entzogen, indem er sein Dorf kaum verlassen und Hauptverkehrsstrecken, wo sich bekanntlich Checkpoints befänden, gemieden habe, wobei ihm zu Gute gekommen sei, dass seine engere Heimat seit Kriegsbeginn nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes gestanden sei, weswegen er dort von der syrischen Armee nicht erreicht und zwangsweise rekrutiert werden könnte. Spätestens mit seiner Flucht ins Ausland habe er sich endgültig und augenscheinlich dem Wehrdienst entzogen. Hätte die belangte Behörde das Vorbringen des BF entsprechend gewürdigt und hätte sie insbesondere einen Abgleich mit aktuellen, relevanten Länderberichten vorgenommen, hätte sie zwingend zu dem Schluss kommen müssen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar und GFK-relevant sei. Der BF habe sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei in sich unschlüssig bzw. beruhe auf Unterstellungen bzw. sei mit den Erkenntnissen aus dem LIB und anderen Informationsquellen nicht in Einklang zu bringen, was auf ein willkürliches Vorgehen der Behörde hinweise. Die belangte Behörde hätte bei gehöriger Ermittlung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung einschlägiger Berichte auch zu bedenken gehabt, dass dem BF auch von Seiten anderer Bürgerkriegsparteien dieselbe Gefahr von Zwangsrekrutierung gedroht hätte und auch von dieser Seite das Risiko nicht auszuschließen sei, dass der BF wegen seiner Weigerung, für irgendeine Kriegspartei zu kämpfen, als politisch verdächtig verfolgt zu werden drohe. Abschließend beantragte der BF, das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, der Beschwerde stattgeben und dem BF den Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, AsylG zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

Mit E-Mail vom 13.12.2022 wurde weiters ein Dokument und dessen Übersetzung als Scan vorgelegt, bei welchem es sich um einen syrischen Strafregisterauszug handeln soll.

6. Am 23.05.2023 führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache durch, an welcher der BF und sein rechtsfreundlicher Vertreter teilnahmen; die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seiner Identität, seiner Herkunft und den persönlichen Lebensumständen befragt.

Dabei erklärte der BF im Wesentlichen und zusammengefasst, dass er vom syrischen Wehrdienst desertiert sei nachdem er Urlaub bekommen habe, um seine Familie in XXXX zu besuchen. Er hätte einen Urlaubschein ausgestellt bekommen, der ihn berechtigt habe, nach Damaskus zu fahren, stattdessen sei er aber – von Daraa, wo er stationiert gewesen sei – ins von Damaskus etwa 460 km entfernte XXXX gereist. Dabei habe er auch die vielen Checkpoints ohne Problem passieren können.Dabei erklärte der BF im Wesentlichen und zusammengefasst, dass er vom syrischen Wehrdienst desertiert sei nachdem er Urlaub bekommen habe, um seine Familie in römisch 40 zu besuchen. Er hätte einen Urlaubschein ausgestellt bekommen, der ihn berechtigt habe, nach Damaskus zu fahren, stattdessen sei er aber – von Daraa, wo er stationiert gewesen sei – ins von Damaskus etwa 460 km entfernte römisch 40 gereist. Dabei habe er auch die vielen Checkpoints ohne Problem passieren können.

In der mündlichen Verhandlung legte der BF weiters das Original des von ihm zuvor mit Schriftsatz vom 13.12.2022 als Scan vorgelegten Dokuments vor. Der Rechtsvertretung des BF wurde im Zuge dessen eine zweiwöchige Frist für eine allfällige Stellungnahme eingeräumt.

Mit Schreiben vom 23.05.2023 wurde das vom BF vorgelegte Dokument seitens des BVwG an das Innenministerium - Bundeskriminalamt Abteilung 6 - Kriminaltechnik übermittelt.

7. Mit Stellungnahme vom 26.05.2023 wurde zusammengefasst ausgeführt, dass unabhängig von den einzig legalen Einreisemöglichkeiten über internationale Flughäfen in Damaskus, Aleppo oder Qamishli, die unter Kontrolle des syrischen Regimes stehen, und der durch die Grenzkontrolle resultierenden Gefahr in das Blickfeld des Regimes zu geraten und einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein, bestünde im vorliegenden Fall für den BF auch eine allfällige Verfolgungsgefahr durch das syrische Regime in seiner Herkunftsregion. Denn aus den Länderberichten ergebe sich, dass die syrische Regierung in einigen von der AANES kontrollierten Gebieten, so auch in der Heimatregion des BF, präsent sei.

8. Am 20.06.2023 langte der kriminaltechnische Untersuchungsbericht beim BVwG ein. Aus dem Untersuchungsbericht des BK geht hervor, dass es sich bei diesem Dokument um eine Totalfälschung handle. Das gesamte Dokument (Schmutzmusterdruck, Formularvordruck, Ausfüllschriften sowie Seriennummer) sei abweichend zu authentischen Dokumenten im Inkjet-Verfahren hergestellt worden. Eine derartige Vorgehensweise könne bei der autorisierten Ausstellung syrischer Dokumente zweifelsfrei ausgeschlossen werden.

9. Mit Parteiengehör vom 04.07.2023 wurde dem BF der Untersuchungsbericht des BK zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Erhalt übermittelt.

Eine diesbezügliche Stellungnahme langte am 18.07.2023 beim BVwG ein, in welcher BF angab, dass er nicht gewusst habe, eine Fälschung erhalten zu haben. Er sei von der Echtheit des Dokuments ausgegangen. Der BF habe über in Syrien verbliebene Familienangehörige einen Anwalt beauftragt ein echtes offizielles syrisches Dokument zu beschaffen, um zu beweisen, dass ihm durch das syrische Regime asylrelevante Verfolgung drohe. Er hätte eine Fälschung keinesfalls vorgelegt.

10. Mit Parteiengehör vom 19.07.2023 wurde dem BF das zwischenzeitlich aktualisierte Länderinformationsblatt zu Syrien zur allfälligen Stellungnahme binnen einer Frist von sieben Tagen übermittelt. Eine solche erfolgte nicht.

11. Mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2023, Zl. W280 2264710-1/15E, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 02.11.2022 als unbegründet abgewiesen und dies zusammengefasst damit begründet, dass die Desertion des BF vom Militär nicht glaubhaft sei und ihm wegen seines zu hohen Alters auch keine Einberufung zum Reservedienst durch die syrische Regierung drohe. 11. Mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2023, Zl. W280 2264710-1/15E, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides vom 02.11.2022 als unbegründet abgewiesen und dies zusammengefasst damit begründet, dass die Desertion des BF vom Militär nicht glaubhaft sei und ihm wegen seines zu hohen Alters auch keine Einberufung zum Reservedienst durch die syrische Regierung drohe.

12. Mit Schreiben vom 23.01.2024, Zl. XXXX , teilte die Staatsanwaltschaft Wien mit, das Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen § 223 Abs. 2 StGB (Urkundenfälschung) gemäß § 190 Z 2 StPO mangels nachweisbarem Vorsatz eingestellt zu haben.12. Mit Schreiben vom 23.01.2024, Zl. römisch 40 , teilte die Staatsanwaltschaft Wien mit, das Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen Paragraph 223, Absatz 2, StGB (Urkundenfälschung) gemäß Paragraph 190, Ziffer 2, StPO mangels nachweisbarem Vorsatz eingestellt zu haben.

Gegenständliches (Folgeantrags)Verfahren:

13. Am 23.08.2023 stellte der BF den gegenständlichen Folgeantrag, den er in der Erstbefragung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch damit begründete, dass er von der kurdischen Armee in Syrien gesucht werde, da er gegen die Rekrutierung gewesen sei. Er habe dies schon bei seiner Ausreise gewusst, jedoch habe er es bei seiner ersten Asylantragsstellung nicht erwähnt gehabt. Hier in Österreich habe der BF an mehreren Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen und habe er auch Fotos die dies beweisen, welche er der belangten Behörde übergebe. Diese wurden zum Akt genommen (AS 9, 11). Er könne aufgrund dessen nach Syrien nicht mehr zurückkehren, da er sonst inhaftiert werde. Befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab er an, Angst vor der Todesstrafe zu haben, welche ihm drohen würde. Überdies gab der BF an, er halte seine alten Fluchtgründe aufrecht.

14. Am 15.07.2024 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt. Der BF gab zu seinem Fluchtgrund an, dass er in Wien an Demonstrationen teilgenommen habe und er von den Kurden gesucht werde. Diese hätten seine Familie unter Druck gesetzt und habe der BF diese in die Türkei schicken müssen, damit sie in Sicherheit leben. Überdies brachte der BF vor, auch staatlich bedienstet gewesen zu sein und seine Arbeit ohne Kündigung verlassen zu haben. Er habe erzählt, dass er Lehrer gewesen sei. Die Kurden hätten ihn unter Druck gesetzt und gewollt, dass der BF als Lehrer für sie arbeite. Das habe er aber abgelehnt. Überdies legte der BF weitere Fotos seiner Demonstrationsteilnahme(n) sowie – jeweils in Kopie – weitere Dokumente vor, die seinen Lehrerausweis, eine Urlaubsbestätigung des syrischen Militärs vom 12.09.2012 – 19.09.2012, und Bestätigung der kurdischen Miliz (Mitteilung hinsichtlich einer Vorladung 13.08.2023) zeigen sollen.

15. Mit Schreiben vom 12.07.2024 nahm der BF durch seine (damalige) Rechtsvertretung Stellung zu den Länderinformationen und brachte darin im Wesentlichen vor, dass sein Herkunftsort unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehe und ihm als Deserteur, wie für regimekritische Personen generell, asylrelevante Verfolgung drohe.

16. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 18.07.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 23.08.2023 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das Bundesamt ging davon aus, dass die im Rahmen des gegenständlichen Antrags vorgebrachten Fluchtgründe keine neue Sachlage darstellen würden. 16. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 18.07.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 23.08.2023 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das Bundesamt ging davon aus, dass die im Rahmen des gegenständlichen Antrags vorgebrachten Fluchtgründe keine neue Sachlage darstellen würden.

17. Am 20.08.2024 wurde fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid erhoben und darin zusammengefasst und soweit wesentlich vorgebracht, darin, dass der BF von den kurdischen Kräften nachweislich geladen worden sei und in seiner Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Österreich lägen entscheidungswesentliche neue Sachverhaltselemente mit glaubhaftem Kern bzw. neue Beweismittel vor und seien diese durch das Bundesamt nicht ausreichend gewürdigt worden.

Es werde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt, die amtswegige Aufgreifung aller zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheids, die Behebung des angefochtenen Bescheids und die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF, die Behebung des angefochtene Bescheids und die Zurückverweisung der Sache an das Bundesamt, sowie in eventu die Zulassung der ordentlichen Revision.

18. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 21.08.2024 vorgelegt und sind am 23.08.2024 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

1.1.1. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist verheiratet und hat sechs Kinder (vier Töchter und zwei Söhne).

1.1.2. Der BF, der im Ort XXXX im Distrikt XXXX (auch: XXXX ) im Gouvernement Aleppo geboren wurde, lebte bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Oktober 2021 im nahegelegenen Dorf XXXX im Distrikt XXXX (auch: XXXX ) im Gouvernement Aleppo.1.1.2. Der BF, der im Ort römisch 40 im Distrikt römisch 40 (auch: römisch 40 ) im Gouvernement Aleppo geboren wurde, lebte bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Oktober 2021 im nahegelegenen Dorf römisch 40 im Distrikt römisch 40 (auch: römisch 40 ) im Gouvernement Aleppo.

1.1.3. Der BF hat in Syrien 12 Jahre die Schule besucht, die Lehramtsausbildung absolviert und von 2004 bis 2010 als Lehrer gearbeitet.

1.1.4. Ab 01.05.2010 absolvierte der BF seinen Wehrdienst in Syrien, in dessen Rahmen er in der Waffengattung Infanterie am Grenzposten Nasib an der Grenze zu Jordanien stationiert war. Während des Wehrdienstes bekam der BF eine militärische Ausbildung am Sturmgewehr „Kalaschnikow“. Er war nicht an Kriegshandlungen beteiligt und erhielt keine spezielle militärische Ausbildung im Rahmen derer dem BF besondere militärische Qualifikationen vermittelt wurden. Er beendete den Wehrdienst als einfacher Feldwebel. Eine Einberufung zum Reservedienst erfolgte nicht.

1.1.5. Nach Beendigung seines Wehrdienstes kehrte er in sein Heimatdorf zurück, arbeitete als Hilfsarbeiter in der Bau- und Landwirtschaft und erwirtschaftete so den Lebensunterhalt seiner Familie.

1.1.6. Die Ehefrau, die Kinder und die Eltern des BF leben nach wie vor im Heimatdorf des BF. Der BF hat sieben Brüder und zwei Schwestern. Die drei ältesten Brüder leben im Heimatdorf des BF, zwei pendeln zwischen der Türkei und Syrien und zwei weitere Brüder leben in Deutschland. Der BF pflegt regelmäßigen Kontakt zu seiner Ehefrau und seinen Kindern, zu seinen Eltern und Geschwistern hat der BF wenig Kontakt.

1.1.7. Der BF ist gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.1.8. Das Heimatdorf des BF XXXX liegt im Norden des Gouvernements Aleppo. Das Gebiet, in welchem das Heimatdorf liegt, steht unter der Kontrolle der kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces).1.1.8. Das Heimatdorf des BF römisch 40 liegt im Norden des Gouvernements Aleppo. Das Gebiet, in welchem das Heimatdorf liegt, steht unter der Kontrolle der kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces).

1.2. Zum bisherigen Verfahren und den Fluchtgründen des BF

Dem BF wurde mit Bescheid des BFA vom 02.11.2022 in Österreich aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat subsidiärer Schutz zuerkannt.

Gegen die Nichtzuerkennung von Asyl gem. §3 AsylG erhob der BF fristgerecht Beschwerde an das BVwG.

Der erste Asylantrag und die Beschwerde des BFs wurde betreffend §3 AsylG mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2023, Zl. W280 2264710-1/15E, als unbegründet abgewiesen und erwuchs in Folge in Rechtskraft.

Der BF stellte am 23.08.2023 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Die allgemeine Situation in Syrien oder die Rechtslage hat sich im Vergleich zum das Vorverfahren abschließenden Erkenntnis des BVwGs vom 27.07.2023 nicht verfahrenswesentlich geändert.

Insbesondere wird in diesem Zusammenhang festgestellt wie folgt:

1.2.1. Zu einer Gefährdung durch die syrische Regierung/Armee

Bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren hat das BVwG im Erkenntnis vom 27.07.2023, Zl. W280 2264710-1/15E, festgestellt, dass der BF ist in Syrien nicht vom Wehrdienst desertiert ist und hat seinen Wehrdienst in Syrien regulär abgeleistet hat. Der damals 42-jährige und mittlerweile 44-jährige BF läuft demnach bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, als Reservist zum Militärdienst einberufen zu werden.

Die syrische Regierung und Armee sind in den kurdisch kontrollierten Gebieten nicht in der Lage, zu rekrutieren oder Wehrdienstverweigerer zu verhaften und zu bestrafen, auch nicht wegen illegaler Ausreise oder unterstellter oppositionellen Gesinnung.

Die Einreise ins Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers ist über einen nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang auf dem Landweg möglich, da der Herkunftsort des Beschwerdeführers im kurdisch kontrollierten Gebiet (AANES) liegt und bspw. über den Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur erreichbar ist.

Der Beschwerdeführer hätte bei einer Rückkehr in seine Heimatregion folglich keine Gebiete zu durchqueren, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Dem Beschwerdeführer ist es somit möglich, in das kurdische Gebiet und seinen Heimatort zu reisen, ohne in den Einflussbereich der syrischen Regierung zu gelangen.

1.2.2. Zu einer Gefährdung durch die kurdischen Einheiten

In Syrien besteht in Gebieten unter der Kontrolle der kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) ein verpflichtender Militärdienst (Selbstverteidigungspflicht) für alle männlichen Einwohner, einschließlich syrischer Staatsangehöriger, die in den Gebieten der Autonomieverwaltung leben und die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch Araber sind daher von dieser Selbstverteidigungspflicht betroffen. Dieser „Wehrdienst“ dauert aktuell ein Jahr. Der Einsatz der Rekruten erfolgt normalerweise im Bereich des Nachschubs und des Objektschutzes. Eine Verlegung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch bzw. im Konfliktfall.

Eine Verweigerung des „Wehrdienstes“ wird von den kurdischen Autonomiebehörden nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung gesehen und es droht keine unverhältnismäßige Strafe. Unter Umständen kann bei einem Entzug eine Verhaftung, berichtsweise von ein bis zwei Tagen bis zu ein bis zwei Wochen, drohen, sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes um ein Monat. Es gibt keine Berichte über Misshandlungen während dieser Haftzeit. Gegenüber Arabern zeigt man in der AANES im Falle einer Entziehung mehr Flexibilität, um einen Aufstand zu vermeiden.

Der Beschwerdeführer war in Syrien nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer politischen Gruppierung und ist auch nicht ins Blickfeld der kurdischen Machthaber im Gebiet der AANES geraten.

Dem BF droht auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt durch die kurdischen Milizen da er sich als Lehrer geweigert hat, die neu implementierten Lehrpläne der Kurden einzuhalten.

Er hat den kurdischen Machthabern im Gebiet der AANES gegenüber keine verfestigte oppositionelle Einstellung.

1.2.3. Zu Demonstrationsteilnahmen in Wien

Der BF nahm in Wien an Demonstrationen teil, die sich gegen das syrische Regime richteten. Dem BF droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt durch das syrische Regime wegen seiner Demonstrationsteilnahmen in Wien.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Politische Lage

Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).

Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).

Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).

Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).

Sicherheitslage

Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent.

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurd

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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