Entscheidungsdatum
03.09.2024Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W240 2293819-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Tanja FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2024, Zl. 1394158202/240717645, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Tanja FEICHTER über die Beschwerde von römisch 40 , StA. staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2024, Zl. 1394158202/240717645, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.A) Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 21 Abs 5 Satz 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.Gemäß Paragraph 21, Absatz 5, Satz 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger staatenloser Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 04.05.2024 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF hat am 24.04.2024 in Deutschland einen Asylantrag gestellt (Eurodactreffer der Kategorie 1 vom 24.04.2024 zu Deutschland).
Anlässlich seiner Erstbefragung am 04.05.2024 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, ein volljähriger Bruder sei seit rund 15 Jahren in Österreich. Er sei rund 15 Tage in der Türkei gewesen und über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Er habe in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt. Er wolle in Österreich bleiben, weil der Bruder des BF in Österreich lebe.
Am 10.05.2024 langte die Vollmachtbekanntgabe und „Mitteilung“ der Rechtsvertretung des BF ein. In dieser Mitteilung wird angeführt, dass der BF bis zum Jahr 2011 mit seinem Bruder zusammengelebt hätte, bevor dieser nach Österreich geflüchtet wäre. Dieser hätte dann im Jahr 2014 in Österreich zu arbeiten begonnen und die Familie im Libanon finanziell unterstützen können. Der BF sei von den finanziellen Zuwendungen des Bruders abhängig gewesen. Der BF und sein Bruder seien seit dem Jahre 2011 täglich in telefonischem Kontakt gestanden. Der Bruder sei auch vier Mal im Libanon auf Besuch gewesen und habe dabei im Haushalt zusammen mit dem BF gewohnt. Es bestehe daher ein enger Kontakt zwischen dem BF und seinem Bruder. Der BF wolle bei seinem Bruder wohnen und würde der Bruder für den BF eine Beschäftigungsbewilligung beim AMS beantragen, damit der BF bei seinem Bruder in dessen Autowerkstätte arbeiten dürfe. Es wurde beantragt den Antrag des BF vor dem Hintergrund der humanitären Gründe gemäß Art. 17 Dublin III-VO zu prüfen.Am 10.05.2024 langte die Vollmachtbekanntgabe und „Mitteilung“ der Rechtsvertretung des BF ein. In dieser Mitteilung wird angeführt, dass der BF bis zum Jahr 2011 mit seinem Bruder zusammengelebt hätte, bevor dieser nach Österreich geflüchtet wäre. Dieser hätte dann im Jahr 2014 in Österreich zu arbeiten begonnen und die Familie im Libanon finanziell unterstützen können. Der BF sei von den finanziellen Zuwendungen des Bruders abhängig gewesen. Der BF und sein Bruder seien seit dem Jahre 2011 täglich in telefonischem Kontakt gestanden. Der Bruder sei auch vier Mal im Libanon auf Besuch gewesen und habe dabei im Haushalt zusammen mit dem BF gewohnt. Es bestehe daher ein enger Kontakt zwischen dem BF und seinem Bruder. Der BF wolle bei seinem Bruder wohnen und würde der Bruder für den BF eine Beschäftigungsbewilligung beim AMS beantragen, damit der BF bei seinem Bruder in dessen Autowerkstätte arbeiten dürfe. Es wurde beantragt den Antrag des BF vor dem Hintergrund der humanitären Gründe gemäß Artikel 17, Dublin III-VO zu prüfen.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 12.05.2024 ein auf
Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Deutschland. Mit Schreiben vom 14.05.2024 erklärte sich Deutschland zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ausdrücklich bereit. Aus dem Schreiben ergeben sich Aliasidentitäten des BF.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 12.05.2024 ein auf
Art. 18 Absatz eins, Litera b, der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Deutschland. Mit Schreiben vom 14.05.2024 erklärte sich Deutschland zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO ausdrücklich bereit. Aus dem Schreiben ergeben sich Aliasidentitäten des BF.
3. Am 23.05.2024 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen des Zulassungsverfahrens niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Er tätigte insbesondere folgende Angaben:
„(…)
LA: Befinden Sie sich derzeit in ärztlicher Behandlung, leiden Sie an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten?
VP: Ich bin etwas schwerhörig, ich höre am rechten Ohr nichts. Ansonsten bin ich gesund.
Befragt gebe ich an, dass ich seit meiner Kindheit dieses Problem habe.
LA: Sie wurden bereits am 04.05.2024 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Entsprechen Ihre dabei getätigten Angaben den Tatsachen oder haben Sie etwas zu berichtigen?
VP: Ich habe die Wahrheit gesagt, ich habe damals auch den Dolmetscher verstanden.
LA: Deutschland hat dem Wiederaufnahmeersuchen der Republik Österreich entsprochen. Daher wird beabsichtigt, Ihren in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen und die Außerlandesbringung nach Deutschland zu veranlassen.
Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?
VP: Ich wurde in Deutschland zum Asylantrag gezwungen. Außerdem habe ich niemanden in Deutschland. Mein Bruder XXXX lebt in Österreich, ich will bei ihm in Österreich bleiben. Er wird sich um mich kümmern.VP: Ich wurde in Deutschland zum Asylantrag gezwungen. Außerdem habe ich niemanden in Deutschland. Mein Bruder römisch 40 lebt in Österreich, ich will bei ihm in Österreich bleiben. Er wird sich um mich kümmern.
Ich möchte noch einen Ausweis für palästinensische Flüchtlingen im Libanon und eine UNRWA-Karte vorlegen (werden dem Akt in Kopie beigelegt).
LA: Gibt es weitere Gründe, die einer Rückkehr nach Deutschland entgegenstehen würden?
VP: Ich bin schwerhörig und würde deswegen Probleme in Deutschland bekommen, hier in Österreich würde mich deswegen mein Bruder unterstützen.
LA: Wie lange lebt Ihr Bruder schon in Österreich?
VP: Er lebt seit 14 bis 15 Jahren in Österreich.
LA: Hatten Sie in den letzten 14 bis 15 Jahren Kontakt zu Ihrem Bruder?
VP: Er hat sich um mich gekümmert, als ich bei meiner Familie gelebt habe.
LA: Wie hat er sich um Sie gekümmert?
VP: Er hat Geld geschickt. Mit diesem Geld konnte ich im Libanon leben. Wir haben auch regelmäßig telefoniert und er hat uns in diesen 14 Jahren auch drei Mal besucht im Libanon. Zuletzt war er letztes Jahr bei uns.
LA: Möchten Sie zu den Ihnen am 15.05.2024 ausgefolgten aktuellen Feststellungen zum Asylverfahren in Deutschland eine Stellungnahme abgeben?
VP: Das interessiert mich nicht. Ich will bei meinem Bruder in Österreich bleiben. Ich will nicht nach Deutschland zurück.
LA: Haben Sie abgesehen von Ihrem Bruder weitere Verwandte oder sonstige Angehörige in Österreich oder Europa, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
VP: Nein.
…
LA: Wollen Sie noch etwas vorbringen, was nicht zur Sprache gekommen ist und Ihnen wichtig erscheint?
VP: Ich verstehe nicht ganz, warum ich nicht in Österreich bleiben darf.
Anmerkung: Die Dublin-III-VO wird dem Antragsteller nochmals zur Kenntnis gebracht.
LA: Haben Sie das verstanden?
VP: Mein Ziel war Österreich, ich wurde in Deutschland gezwungen, einen Asylantrag zu stellen.
(…)“
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.05.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist (Spruchpunkt I.), sowie die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II.).4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.05.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist (Spruchpunkt römisch eins.), sowie die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gemäß Paragraph 61, Absatz eins, FPG angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Deutschland gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch II.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft vorgebracht habe, dass ihm in Deutschland Misshandlung, Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohe. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter, außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei vom Beschwerdeführer nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 treffe daher zu. Der Beschwerdeführer habe auch keine schützenswerten familiären Bindungen in Österreich und habe hier keine Integrationsschritte gesetzt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führen würde und die Zurückweisungsentscheidung daher auch unter diesen Aspekten zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft vorgebracht habe, dass ihm in Deutschland Misshandlung, Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohe. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter, außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Artikel 4, GRC bzw. Artikel 3, EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei vom Beschwerdeführer nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des Paragraph 5, Absatz 3, AsylG 2005 treffe daher zu. Der Beschwerdeführer habe auch keine schützenswerten familiären Bindungen in Österreich und habe hier keine Integrationsschritte gesetzt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin III-VO sowie von Artikel 7, GRC bzw. Artikel 8, EMRK führen würde und die Zurückweisungsentscheidung daher auch unter diesen Aspekten zulässig sei.
5. Gegen diesen Bescheid wurde durch die Rechtsvertretung Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wurde insbesondere ausgeführt, der BF sei ernsthaft behindert, hilfsbedürftig und auf die Unterstützung durch Familienangehörige in Österreich iSd. Art. 16 Dublin-lll-Verordnung angewiesen. Die praktische und insbesondere die emotionale Unterstützung durch Angehörige sei gerade für geflüchtete Menschen mit Behinderung besonders wichtig. Der Bruder des BF sei in der Lage, die Unterstützung zu leisten, und beide Betroffene hätten ihren Willen dazu kundgetan. Die familiäre Bindung habe schon im Herkunftsland bestanden. Art. 16 diene, so Erwägungsgrund 16 der Verordnung, der »uneingeschränkte[n] Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie «. Selbst wenn man der Ansicht sei, die Behinderung des Beschwerdeführers ermögliche keine Anwendung von Art 16, käme man dennoch bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu einer inländischen Zuständigkeit nach
Art. 17 Abs. 1: Selbsteintrittsrecht. Der Selbsteintritt könne ausgeübt werden, um humanitäre Härten zu vermeiden. Erwägungsgrund 17 der Dublin III-VO siehe vor, dass die Mitgliedstaaten »insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um Familienangehörige, Verwandte oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen«. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der Antrag nicht zurückgewiesen werden dürfen. Der Bruder des BF habe ihn auch in der Vergangenheit finanzielle Zuwendungen zukommen lassen, von diesen Zuwendungen sei der BF abhängig gewesen. Der BF und sein Bruder seien seit dem Jahre 201 1 praktisch täglich in telefonischem Kontakt gestanden. Der Bruder des BF sei in den letzten Jahren auch viermal im Libanon auf Besuch gewesen. Auch habe der BF im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinem Bruder gelebt. Es bestehe daher ein sehr enger Kontakt zwischen dem BF und seinem großen Bruder, der in Österreich lebe, zu welchem der BF gelangen hätte wollen und bei dem er auch wohne sowie in dessen Autowerkstätte der BF arbeiten könne. Weiters hätte berücksichtigt werden müssen, dass der BF am rechten Ohr an Schwerhörigkeit leide und nur mehr zehn Prozent Hörvermögen besitze sowie sprachlich und generell im Alltag sehr eingeschränkt sei. Der BF werde sich wegen seiner Schwerhörigkeit beim Erlernen der deutschen Sprache deutlich schwerer tun. Er sei auch auf fremde Hilfe angewiesen, diese würde der Bruder und dessen Frau dem BF zuteil kommen lassen. Eine Ausweisung während des Beschwerdeverfahrens aus dem österreichischen Bundesgebiet stelle einen unverhältnismäßig schweren Nachteil für den BF dar und sei es dem österreichischen Staat bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens die Anwesenheit des BF in Österreich zu dulden eher zumutbar. 5. Gegen diesen Bescheid wurde durch die Rechtsvertretung Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wurde insbesondere ausgeführt, der BF sei ernsthaft behindert, hilfsbedürftig und auf die Unterstützung durch Familienangehörige in Österreich iSd. Artikel 16, Dublin-lll-Verordnung angewiesen. Die praktische und insbesondere die emotionale Unterstützung durch Angehörige sei gerade für geflüchtete Menschen mit Behinderung besonders wichtig. Der Bruder des BF sei in der Lage, die Unterstützung zu leisten, und beide Betroffene hätten ihren Willen dazu kundgetan. Die familiäre Bindung habe schon im Herkunftsland bestanden. Artikel 16, diene, so Erwägungsgrund 16 der Verordnung, der »uneingeschränkte[n] Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie «. Selbst wenn man der Ansicht sei, die Behinderung des Beschwerdeführers ermögliche keine Anwendung von Artikel 16,, käme man dennoch bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu einer inländischen Zuständigkeit nach
Art. 17 Absatz eins :, Selbsteintrittsrecht. Der Selbsteintritt könne ausgeübt werden, um humanitäre Härten zu vermeiden. Erwägungsgrund 17 der Dublin III-VO siehe vor, dass die Mitgliedstaaten »insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um Familienangehörige, Verwandte oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen«. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der Antrag nicht zurückgewiesen werden dürfen. Der Bruder des BF habe ihn auch in der Vergangenheit finanzielle Zuwendungen zukommen lassen, von diesen Zuwendungen sei der BF abhängig gewesen. Der BF und sein Bruder seien seit dem Jahre 201 1 praktisch täglich in telefonischem Kontakt gestanden. Der Bruder des BF sei in den letzten Jahren auch viermal im Libanon auf Besuch gewesen. Auch habe der BF im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinem Bruder gelebt. Es bestehe daher ein sehr enger Kontakt zwischen dem BF und seinem großen Bruder, der in Österreich lebe, zu welchem der BF gelangen hätte wollen und bei dem er auch wohne sowie in dessen Autowerkstätte der BF arbeiten könne. Weiters hätte berücksichtigt werden müssen, dass der BF am rechten Ohr an Schwerhörigkeit leide und nur mehr zehn Prozent Hörvermögen besitze sowie sprachlich und generell im Alltag sehr eingeschränkt sei. Der BF werde sich wegen seiner Schwerhörigkeit beim Erlernen der deutschen Sprache deutlich schwerer tun. Er sei auch auf fremde Hilfe angewiesen, diese würde der Bruder und dessen Frau dem BF zuteil kommen lassen. Eine Ausweisung während des Beschwerdeverfahrens aus dem österreichischen Bundesgebiet stelle einen unverhältnismäßig schweren Nachteil für den BF dar und sei es dem österreichischen Staat bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens die Anwesenheit des BF in Österreich zu dulden eher zumutbar.
6. Laut Bericht der zuständigen Landespolizeidirektion vom 11.07.2024 wurde der BF am 11.07.2024 nach Deutschland überstellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger staatenloser Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 04.05.2024 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF hat am 24.04.2024 in Deutschland einen Asylantrag gestellt (Eurodactreffer der Kategorie 1 vom 24.04.2024 zu Deutschland).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 12.05.2024 ein auf
Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Deutschland. Mit Schreiben vom 14.05.2024 erklärte sich Deutschland zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ausdrücklich bereit. Aus dem Schreiben ergeben sich Aliasidentitäten des BF. Für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Deutschland finden sich keine Anhaltspunkte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 12.05.2024 ein auf
Art. 18 Absatz eins, Litera b, der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Deutschland. Mit Schreiben vom 14.05.2024 erklärte sich Deutschland zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO ausdrücklich bereit. Aus dem Schreiben ergeben sich Aliasidentitäten des BF. Für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Deutschland finden sich keine Anhaltspunkte.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Deutschland an.
1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Deutschland Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe beziehungsweise einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
1.3. Der Beschwerdeführer; der schwerhörig ist, leidet an keinen derart schwerwiegenden physischen oder psychischen Erkrankungen, welche einer Überstellung nach Deutschland entgegenstehen.
1.4. Es bestehen keine entscheidungsrelevanten privaten, familiären oder beruflichen Bindungen der BF im österreichischen Bundesgebiet. Der volljährige Bruder des BF lebt seit 2011 in Österreich und verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Karte Plus. Es bestand in der Vergangenheit vor der Ausreise des Bruders ein gemeinsamer Haushalt des BF mit seinem Bruder, in Österreich bestand ab Ende Mai 2024 bis Mitte Juli 2024 ein gemeinsamer Haushalt mit seinem Bruder und erhielt der BF – auch bereits vor der Einreise nach Österreich – finanzielle Unterstützung von seinem Bruder, auch stand der BF mit seinem Bruder vor seiner Ausreise im regelmäßigen telefonischen Kontakt.
Der BF verfügte nur über eine aufrechte Meldung laut ZMR in Österreich bis zu seiner Überstellung am 11.07.2024.
Folgende aktuelle Länderberichte wurden in gegenständliches Verfahren im Rahmen des Parteiengehörs durch das BVwG eingebracht, es lange keine Stellungnahme dazu ein:
3. Allgemeines zum Asylverfahren
In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Für das erstinstanzliche Asylverfahren zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Beschwerden können an die zuständigen Verwaltungsgerichte oder weiter an übergeordnete Gerichte (Gerichtshöfe) gerichtet werden (AIDA 4.2023; vgl. BAMF 10.2023, für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Für das erstinstanzliche Asylverfahren zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Beschwerden können an die zuständigen Verwaltungsgerichte oder weiter an übergeordnete Gerichte (Gerichtshöfe) gerichtet werden (AIDA 4.2023; vergleiche BAMF 10.2023, für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).
Überblick über das deutsche Asylverfahren:
(Quelle: AIDA 4.2023)
Nach Angaben der Bundesregierung haben in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 188.967 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt, was einem Anstieg von 78,1% gegenüber 2022 entspricht. Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran und Irak (HRW 11.1.2024).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2023): Ablauf des deutschen Asylverfahrens, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=31, Zugriff 27.2.2024
- HRW – Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Germany, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103213.html, Zugriff 1.3.2024
4. Dublin-Rückkehrer
Im Jahr 2022 wurden 3.700 Überstellungen nach Deutschland durchgeführt, verglichen mit 4.274 im Jahr 2021, 4.369 im Jahr 2020 und 6.087 im Jahr 2019. Im Jahr 2022 kamen die meisten Überstellungsersuchen an Deutschland aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Es gibt keine Berichte darüber, dass Dublin-Überstellte nach der Überstellung nach Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren oder andere Probleme hatten. Es gibt kein einheitliches Verfahren für die Aufnahme und Weiterbehandlung von Dublin-Überstellten. Wenn sie bereits in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, sind sie in der Regel verpflichtet, in die Region zurückzukehren, der sie während ihres früheren Asylverfahrens in Deutschland zugewiesen wurden. Wurde ihr Antrag bereits rechtskräftig abgelehnt, ist es möglich, dass sie bei der Rückkehr nach Deutschland in Schubhaft genommen werden (AIDA 4.2023).
Dublin-Überstellungen nach Deutschland müssen in einem kontrollierten Umfeld durchgeführt werden. Das heißt, die deutschen Behörden sind im Voraus über die Ankunft des Antragstellers informiert. Nach Ankunft muss sich der Rückkehrer bei einer staatlichen Behörde (in der Regel der Bundespolizei) melden, welche die Ankunft dokumentiert. Im Falle der Ersteinreise nach Deutschland registriert die Bundespolizei den Betreffenden und verweist ihn an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung. Bei einer Wiedereinreise nach Deutschland (Wiederaufnahme, Folgeantrag) wird der Antragsteller an die zuständige Aufnahmeeinrichtung verwiesen. In beiden Fällen wird dem Antragsteller ein Zugticket und ein Dokument zur Ermittlung der zuständigen Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt. Der Antragsteller reist selbständig zur angegebenen Aufnahmeeinrichtung. Der Zugang zu Unterkünften und anderen materiellen Aufnahmebedingungen erfordert keinen gesonderten Antrag, sondern wird automatisch gewährt, wenn der Behörde die Existenz des Leistungsempfängers und dessen Anspruch auf die Leistungen bekannt ist. Daher empfiehlt es sich, nach Überstellung nach Deutschland, die Leistungsstelle persönlich zu kontaktieren. Wenn der Rückkehrer nicht bereits als Asylwerber in Deutschland registriert ist, ist ein Asylantrag und die entsprechende Registrierung gemäß Asylgesetz erforderlich. Die nötigen Schritte werden so schnell als unternommen, um grundlegende Bedürfnisse wird sich innerhalb von Stunden oder Tagen gekümmert (BAMF/EUAA 5.3.2024).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF/EUAA – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) [Deutschland] (Autor) / European Union Agency for Asylum (EUAA) (Veröffentlicher) (2.5.2023): Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Germany, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-05/factsheet_dublin_transfers_de.pdf, Zugriff 5.3.2024
5. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA)/ Vulnerable
Vulnerable:
Es gibt keine gesetzliche Vorschrift bzw. Mechanismus zur systematischen Identifizierung vulnerabler Personen im Asylverfahren, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Dies ist Gegenstand von Kritik. Nach Ansicht des BAMF ist die Identifizierung vulnerabler Antragsteller Aufgabe der Bundesländer, die auch für Aufnahme und Unterbringung zuständig sind. Die Praxis der Identifizierung in den Aufnahmezentren der Bundesländer ist unterschiedlich. Kurz nach der Registrierung des Asylantrags im Ankunftszentrum sollte bei allen Asylwerbern eine medizinischen Untersuchung durchgeführt werden, die sich jedoch auf die Identifizierung übertragbarer Krankheiten konzentriert. Es gibt keinen gemeinsamen Ansatz für den Zugang zu sozialen Diensten oder anderen Beratungseinrichtungen. Dies hängt davon ab, wie die Bundesländer und das BAMF das Verfahren in den jeweiligen Zentren organisieren. Rund zwei Drittel aller Bundesländer haben auch Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt in Gewalt in den Unterbringungseinrichtungen erlassen (AIDA 4.2023).
Das BAMF verfügt nicht über spezialisierte Einheiten, die sich mit vulnerablen Gruppen befassen. Alle Entscheider absolvieren das EUAA-Schulungsmodul zum Thema "Befragung von vulnerablen Personen". Wenn Informationen vorgelegt werden, die auf eine Vulnerabilität hindeuten, werden diese an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet, der Maßnahmen ergreifen kann. Für bestimmte Gruppen von Vulnerablen setzt das BAMF sogenannte Sonderbeauftragte ein, die für deren Verfahren zuständig sind und ihre Kollegen im Umgang mit vulnerablen Antragstellern beraten. Die Richtlinien des BAMF sehen vor, dass die folgenden Fälle besonders sensibel und gegebenenfalls von speziell geschulten Entscheidern behandelt werden: unbegleitete Minderjährige; Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung; Opfer von Menschenhandel; und Opfer von Folter und Traumatisierung. Stellt sich während der Anhörung heraus, dass ein Asylwerber zu einer dieser Gruppen gehört, ist der Beamte, der die Anhörung durchführt, verpflichtet, zusätzlich zur Benachrichtigung der Aufnahmeeinrichtung einen Sonderbeauftragten hinzuzuziehen. Anwälte haben berichtet, dass die Einführung von Sonderbeauftragten zu einer gewissen Verbesserung bei der Bearbeitung von sensiblen Fällen geführt hat, aber es gab auch Beispiele von Fällen, in denen Hinweise auf Traumata und sogar ausdrückliche Hinweise auf Folter nicht dazu führten, dass Sonderbeauftragte hinzugezogen wurden (AIDA 4.2023).
In Deutschland liegt die Unterbringung von Asylwerbern in der Zuständigkeit der Bundesländer. Nach ihrer Ankunft und Registrierung sind Asylwerber gesetzlich verpflichtet, während der Prüfung des Asylantrags in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu bleiben. Für Familien mit minderjährigen Kindern gilt diese Verpflichtung allerdings nur für bis zu sechs Monate und für Vulnerable kann diese generell beendet werden, wenn z.B. eine besondere Unterbringung notwendig ist. Die Bundesländer prüfen, ob die Antragsteller besondere Unterbringungsbedürfnisse haben und berücksichtigen diese durch besondere Maßnahmen. So werden beispielsweise Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, und ihre minderjährigen Kinder in der Regel gemeinsam in besonders geschützten Bereichen der Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. Einige Bundesländer bieten spezielle Aufnahmeeinrichtungen, z.B. für allein reisende Frauen und Familien, Personen mit körperlichen Behinderungen, LGBTIQ-Personen oder Opfer von Menschenhandel (BAMF/EUAA 5.3.2023).
2019 wurden die Bundesländer verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz von Frauen und vulnerablen Personen bei der Unterbringung von Asylwerbern in Erstaufnahmeeinrichtungen zu gewährleisten (AIDA 4.2023). In einigen Bundesländern gibt es spezielle Programme zur Identifizierung vulnerabler Personen und spezielle Programme zu deren Schutz vor Gewalt (BAMF/EUAA 5.3.2023). Besondere Bedürfnisse sollen im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen berücksichtigt werden, und Sozialarbeiter oder medizinisches Personal in den Aufnahmeeinrichtungen können bei der spezifischen medizinischen Behandlung helfen. Die Praktiken unterscheiden sich jedoch von Bundesland zu Bundesland und auch von Kommune zu Kommune. Die AnkER-Zentren und die funktional gleichwertigen Aufnahmezentren sehen in der Regel eine getrennte Unterbringung von allein reisenden Frauen und teilweise auch von anderen vulnerablen Gruppen vor (AIDA 4.2023). NGOs bieten Beratung oder Hilfe durch niedrigschwellige psychosoziale Beratung vor Ort; sie können die Betroffenen an externe professionelle Dienste verweisen (BAMF/EUAA 5.3.2023).
Unbegleitete Minderjährige:
Unbegleitete Minderjährige, die nicht aufgrund irregulärer Einreise sofort zurückgeführt werden, werden in der Gemeinde, in der sie den ersten Behördenkontakt hatten oder aufgegriffen wurden, in die vorläufige Obhut des Jugendamtes genommen. In dieser Phase der vorläufigen Inobhutnahme prüft das örtliche Jugendamt, welches Jugendamt letztlich zuständig ist und ob der Minderjährige dem bundesweiten Verteilungsverfahren unterzogen werden kann. Nachdem das zuständige Jugendamt ermittelt wurde, wird das reguläre Inobhutnahmeverfahren eingeleitet. Es umfasst die Bestellung eines Vormunds durch das zuständige Familiengericht und das so genannte Clearingverfahren, bei dem geprüft wird, ob es Alternativen zum Asylantrag gibt, wie z.B. die Familienzusammenführung in einem Drittstaat oder die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Der Vormund muss den Asylantrag für den unbegleiteten Minderjährigen schriftlich bei der zuständigen Außenstelle des BAMF stellen. Der Vormund fungiert als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen in allen rechtlichen Angelegenheiten, einschließlich des Asylverfahrens, aber auch als persönlicher Ansprechpartner für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven und für die vom Jugendamt durchgeführte Unterstützung. In den meisten Fällen fungiert das Jugendamt als Vormund für den Minderjährigen, aber es gibt auch ehrenamtliche Vormunde mit spezieller Ausbildung. Oft sind die von den Jugendämtern bestellten Vormunde nicht in der Lage, die Minderjährigen im Asylverfahren ausreichend zu betreuen, da sie überlastet sind. Manche Vormunde in den Jugendämtern sind für bis zu 50 Minderjährige gleichzeitig zuständig. Eine weitere Herausforderung ist das fehlende spezifische Wissen über das Asylrecht, vor allem bei ehrenamtlichen Vormunden (AIDA 4.2023).
Das BAMF ist nicht für die Altersfeststellung zuständig, sondern verweist alle vorgeblich unbegleitet minderjährigen Asylwerber an das örtliche Jugendamt. Während der vorläufigen Inobhutnahme muss das Jugendamt das Alter des unbegleiteten Minderjährigen feststellen. Dies geschieht entweder durch Dokumente oder auf Basis einer „qualifizierten Überprüfung“ (Gespräch, visueller Eindruck) durch zwei erfahrene Mitarbeiter des Amtes. Im Rahmen dieser qualifizierten Überprüfung kann das Amt Sachverständige und Zeugen anhören oder schriftliche Beweise sammeln. Nur in Fällen, in denen Zweifel am Alter auf diese Weise nicht ausgeräumt werden können, kann das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung mit den "sorgfältigsten Methoden" veranlassen. In der Praxis werden unterschiedliche Methoden angewandt, darunter Röntgenaufnahmen des Gebisses, des Schlüsselbeins oder des Handgelenks. Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel möglich, dieses hat aber keine aufschiebende Wirkung. In der Praxis werden die Ergebnisse der Altersfeststellung jedoch nur selten angefochten. Da für die Altersfeststellung verschiedene Jugendämter und Familiengerichte zuständig sind, liegen keine Statistiken über die Anzahl und den Ausgang von Altersfeststellungen vor (AIDA 4. 2023).
Für unbegleitete Minderjährige muss sich das Jugendamt um eine angemessene Unterbringung bemühen. Das kann in einer privaten Unterbringung bei Verwandten, bei Pflegefamilien, in allgemeinen Kinderheimen oder in speziellen, auf die Bedürfnisse ausländischer unbegleiteter Minderjähriger zugeschnittenen Kinderheimen (Clearinghäusern) der Fall sein. Die Art der Unterbringung variiert je nach Bundesland und den verfügbaren Kapazitäten. Unbegleitete Minderjährige bleiben in der Regel nicht an dem Ort, an dem sie angekommen sind, sondern können im Rahmen eines Verteilungssystems auf andere Orte in Deutschland verteilt werden (AIDA 4.2023). Allein reisende unbegleitete Minderjährige werden gemäß den gesetzlichen Bestimmungen außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen in Wohngruppen oder Jugendzentren untergebracht, die von den mit der Inobhutnahme betrauten örtlichen Jugendämtern betrieben werden (BAMF/EUAA 5.3.2023). Im Jahr 2021 wurden 11.278 neu ankommende unbegleitete Minderjährige in die Obhut eines Jugendamtes gegeben (im Vergleich zu 7.563 im Jahr 2020) (AIDA 4.2023).
Grundsätzlich gilt das Recht und die Pflicht zum Schulbesuch für alle Kinder in Deutschland, unabhängig von ihrem Status. Da das Bildungssystem jedoch in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, gibt es einige wichtige Unterschiede in Gesetzgebung und Praxis (AIDA 4.2023).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF/EUAA – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) [Deutschland] (Autor) / European Union Agency for Asylum (EUAA) (Veröffentlicher) (2.5.2023): Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Germany, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-05/factsheet_dublin_transfers_de.pdf, Zugriff 5.3.2024
6. Non-Refoulement
Deutschland führt eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Zusätzlich führt Deutschland eine Liste sicherer Drittstaaten, von denen angenommen werden kann, dass sie die Flüchtlingskonvention von 1951 und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) anwenden. Letztere Liste umfasst derzeit Norwegen und die Schweiz (AIDA 4.2023).
Wenn Asylsuchende bereits in einem "sonstigen Drittstaat" vor Verfolgung sicher waren, ist dies ein Grund für Unzulässigkeit. Eine solche Sicherheit wird vermutet, wenn der Antragsteller im Besitz eines Reisedokuments aus diesem Land ist oder sich dort mehr als drei Monaten aufhielt, ohne von Verfolgung bedroht zu sein. Der Antragsteller kann diese Vermutung widerlegen, indem er eine Verfolgungsbedrohung glaubhaft macht. Die Bestimmung wird selten angewendet (24-mal im Jahr 2020, 4-mal im Jahr 2021 und 6-mal im Jahr 2022) (AIDA 4.2023).
Die Einreise in das Hoheitsgebiet muss verweigert werden, wenn ein Migrant an der Grenze ohne die erforderlichen Dokumente für eine legale Einreise erscheint und wenn eine sofortige Abschiebung in das Nachbarland (als sicherer Drittstaat) möglich ist. Seit 2013 dürfen Asylwerber nicht mehr in Nachbarländer zurückgeschickt werden, ohne dass ihr Antrag auf internationalen Schutz registriert wurde. Doch selbst wenn Migranten die Grenze überschritten haben - die aufgrund einer im Bundespolizeigesetz (in Anlehnung an den Schengener Grenzkodex) als 30 km langer Streifen definiert ist - haben sie nicht unbedingt das Hoheitsgebiet betreten, und es ist möglich, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Zurückweisung in den Nachbarstaat erfolgt, ohne zu prüfen, welches Land für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist. Im Jahr 2022 stellten die Grenzkontrollbehörden insgesamt 34.731 Personen fest, die irregulär nach Deutschland einreisten und Asyl beantragten. Von diesen wurden 34.061 an das BAMF verwiesen. Seit 2015 führt Deutschland an den Grenzen zu Österreich regelmäßig wieder Grenzkontrollen ein (AIDA 4.2023).
Im Jahr 2018 wurde ein umstrittenes Verfahren eingeführt, das es der Bundespolizei ermöglicht, die Einreise an der Grenze zu verweigern und Personen innerhalb von 48 Stunden nach Griechenland und Spanien zurückzuschicken, wenn sie dort zuvor einen Asylantrag gestellt haben. Dieses Verfahren stützt sich auf Verwaltungsvorschriften und spezielle administrative Rückübernahmeabkommen mit den beiden Ländern. Diese Rückführungen beruhen also nicht auf der Dublin-Verordnung, sondern auf einer Einreiseverweigerung nach dem (nationalen) Begriff des sicheren Drittstaates in Kombination mit Verwaltungsvereinbarungen mit anderen EU-Mitgliedstaaten. Seit 2019 wurde sie nur noch auf Personen angewandt, die an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen wurden, da dies die einzige Grenze war, an der weiterhin Kontrollen stattfanden. Die Maßnahme wurde in der Praxis kaum angewandt und stark kritisiert (AIDA 4.2023).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
7. Versorgung
In den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts erhalten Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Grundleistungen (BAMF/EUAA 5.3.2023). Sie erhalten die Leistungen jedoch erst dann in vollem Umfang, wenn sie durch die Ausstellung eines Ankunftsnachweises in der Aufnahmeeinrichtung, der sie zugewiesen wurden, formell den Status eines Asylwerbers erhalten. In der Praxis geschieht dies innerhalb weniger Tage nach ihrer Meldung bei den Behörden. Sie haben mindestens so lange Anspruch auf diese Aufnahmebedingungen, wie sie den Status eines Asylwerbers haben, also in der Regel auch für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens. Asylwerber erhalten sowohl Sach- als auch Geldleistungen nur in der Stadt oder dem Landkreis, dem sie zugewiesen wurden und haben keinen Anspruch auf Leistungen in anderen Teilen Deutschlands, es sei denn, sie erhalten eine behördliche Erlaubnis, sich dorthin zu begeben. Wenn Asylwerber über Einkommen oder Vermögen verfügen, sind sie gesetzlich verpflichtet, diese Mittel einzusetzen, bevor sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten können (AIDA 4.2023).
Voraussetzung für den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ist Bedürftigkeit (kein verfügbares Einkommen oder Vermögen). Der Zugang zu Unterkünften und anderen materiellen Aufnahmebedingungen erfordert keinen einen gesonderten Antrag, sondern wird automatisch gewährt, wenn der Behörde die Existenz des Leistungsempfängers und dessen Anspruch auf diese Leistungen bekannt ist (BAMF/EUAA 2.5.2023).
Das Asylbewerberleistungsgesetz sichert den Grundbedarf und regelt die Versorgung. Es gilt für Anspruchsberechtigte, u.a. für Asylwerber sowie Ausreisepflichtige (z.B. abgelehnte Asylwerber oder Inhaber von Duldungen). Folgende Leistungen sind gemäß Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen:
- Grundleistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter im Haushalt;
- Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse im Alltag (sogenanntes Taschengeld);
- Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt;
- bei besonderen Umständen auch weitere Leistungen, die vom Einzelfall abhängen (BAMF o.D.a).
Nach dem Gesetz erhalten Asylwerber, die in Aufnahmezentren untergebracht sind, nur Sachleistungen, in der Praxis erhalten sie das Taschengeld jedoch häufig in bar. Für Asylwerber in dezentralen Sammelunterkünften können Sachleistungen erbracht werden. Allein lebende Asylwerber müssen das Taschengeld in bar erhalten. Für diejenigen, die außerhalb von Aufnahmezentren leben, müssen die Kosten für Unterkunft (Miete), Heizung und Hausrat zusätzlich zu den oben genannten Leistungen erbracht werden, soweit dies notwendig und angemessen ist. Einzelheiten regeln die Bundesländer (BAMF o.D.a).
Nach 18 Monaten überwiegend ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet werden Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz deutschen Staatsangehörigen bei den Leistungen für alte, behinderte und erwerbsgeminderte Personen gleichgestellt (BAMF/EUAA 5.3.2023). Das bedeutet Zugang zu regulären Sozialleistungen (AIDA 4.2023).
Monatliche Leistungen für Asylwerber im Überblick, inkl. Gegenüberstellung regulärer Sozialleistungen (Stand 01.2023):
(Quelle: AIDA 4.2023)
Es gibt Kritik, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht ausreichen würden, um einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten (CERD 21.12.2023).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (ohne Datum a): Zuständige Aufnahmeeinrichtung, https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Aufnahmeeinrichtung/aufnahmeeinrichtung-node.html, Zugriff 5.3.2024
- BAMF/EUAA – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) [Deutschland] (Autor) / European Union Agency for Asylum (EUAA) (Veröffentlicher) (2.5.2023): Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Germany, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-05/factsheet_dublin_transfers_de.pdf, Zugriff 5.3.2024
- CERD – UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination (21.12.2023): Concluding observations on the combined 23rd to 26th reports of Germany [CERD/C/DEU/CO/23-26], https://www.ecoi.net/en/file/local/2102670/CERD_C_DEU_CO_23-26_56798_E.pdf, Zugriff 1.3.2024
7.1. Unterbringung
Im Allgemeinen können 4 Arten von Unterkünften für Asylwerber unterschieden werden:
• Erstaufnahmezentren (einschließlich Ankunftszentren, spezielle Aufnahmezentren und AnkER-Zentren)
• Gemeinschaftsunterkünfte
• Dezentrale Unterbringung
• Notunterkünfte für den Fall außergewöhnlich hoher Ankunftszahlen
(AIDA 4.2023)
Die Bundesländer sind für die Aufnahme zuständig, das Bundesrecht gibt einen allgemeinen Rechtsrahmen vor. Generell sieht das Asylgesetz ein zweistufiges Aufnahmeverfahren vor. Zunächst werden die Asylwerber für maximal 18 Monate in Erstaufnahmezentren untergebracht. Viele Asylwerber bleiben nicht während der gesamten 18 Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen, da sie nach der Entscheidung über ihren Asylantrag an andere Orte weitergeschickt werden. Nur Asylwerber aus sicheren Herkunftsstaaten sind generell verpflichtet, während der gesamten Dauer ihres Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Darüber hinaus können die Bundesländer die Höchstdauer für bestimmte Gruppen von Asylwerbern auf 24 Monate verlängern. Für Minderjährige, ihre Eltern und ihre unverheirateten erwachsenen Geschwister beträgt die maximale Aufenthaltsdauer sechs Monate (AIDA 4.2023; vgl. BAMF/EUAA 5.3.2023).Die Bundesländer sind für die Aufnahme zuständig, das Bundesrecht gibt einen allgemeinen Rechtsrahmen vor. Generell sieht das Asylgesetz ein zweistufiges Aufnahmeverfahren vor. Zunächst werden die Asylwerber für maximal 18 Monate in Erstaufnahmezentren untergebracht. Viele Asylwerber bleiben nicht während der gesamten 18 Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen, da sie nach der Entscheidung über ihren Asylantrag an andere Orte weitergeschickt werden. Nur Asylwerber aus sicheren Herkunftsstaaten sind generell verpflichtet, während der gesamten Dauer ihres Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Darüber hinaus können die Bundesländer die Höchstdauer für bestimmte Gruppen von Asylwerbern auf 24 Monate verlängern. Für Minderjährige, ihre Eltern und ihre unverheirateten erwachsenen Geschwister beträgt die maximale Aufenthaltsdauer sechs Monate (AIDA 4.2023; vergleiche BAMF/EUAA 5.3.2023).
In einem zweiten Schritt werden die Asylwerber deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, den Gemeinden weiter Unterbringung zugewiesen. Diese geschieht entweder in Gemeinschaftsunterkünften oder in dezentraler Unterbringung (Wohnungen). Die Verpflichtung, in der Unterbringung der Gemeinde zu bleiben, gilt auch für die gesamte Dauer möglicher Rechtsbehelfsverfahren, aber es gibt regionale Unterschiede und einige Kommunen gewähren auch Zugang zum regulären Wohnungsmarkt (