Entscheidungsdatum
21.08.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W151 2289984-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 22.01.2024, Zl. XXXX wegen § 3 AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. am römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 22.01.2024, Zl. römisch 40 wegen Paragraph 3, AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. am XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 , geb. am römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. am XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , geb. am römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.09.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.01.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.01.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Eine asylrelevante Verfolgung bzw. Verfolgungsgefährdung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in Bezug auf den Ausreisegrund des Beschwerdeführers hätte vom BFA nicht festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe selbst zu Protokoll gegeben, dass es in Syrien zu keiner Zeit des Aufenthaltes Probleme jeglicher Art gegeben hätte und er lediglich die Befürchtung gehabt hätte, dass das Regime irgendwann sein Gebiet übernehmen könnte und er den Militärdienst ableisten müsste. Der Beschwerdeführer sei aufgrund des aktuellen Alters im wehrpflichtigen Alter für die syrischen Streitkräfte. Er habe seinen Militärdienst bislang noch nicht abgeleistet. Eine drohende Rekrutierung des Beschwerdeführers in der unter Kontrolle der Hayat Tahrir Al-Sham (HTS) stehenden Herkunftsregion durch die syrischen Streitkräfte, dem syrischen Regime, sei nicht als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer allein aufgrund der Herkunft oder der Ausreise Sanktionen wegen einer unterstellten, oppositionellen politischen Gesinnung droht.
3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Der Beschwerdeführer habe seinen Grundwehrdienst noch nicht geleistet und fürchte, in Syrien vom syrischen Regime zwangsrekrutiert zu werden. Zudem befürchtete er Repressalien von der HTS. Er sei in den Jahren 2016 und 2018 für jeweils einen Monat von der HTS festgenommen und inhaftiert wurde. Im Jahr 2016 sei er inhaftiert worden, weil er Kritik an der HTS geäußert hatte und 2018, weil er sich geweigert habe, „Schutzgeld“ an die HTS für das Kosmetikgeschäft, in welchem er arbeitete, zu zahlen. Der Beschwerdeführer fürchte bei einer Rückkehr nach Syrien wohlbegründet eine Verfolgung durch das syrische Regime und die islamistischen Extremisten der HTS aufgrund seiner (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer fürchte insbesondere auch im Falle einer Rückkehr im Rahmen seiner möglichen Einreise über Damaskus zum syrischen Militär eingezogen zu werden. Durch die Teilnahme am Krieg in Syrien wäre der Beschwerdeführer einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und es sei davon auszugehen, dass er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, gezwungen wäre, da bekannt sei, dass alle Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg derartige Handlungen bereits begangen haben. Der Beschwerdeführer lehne es ab, an solchen Handlungen teilzunehmen.3. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Der Beschwerdeführer habe seinen Grundwehrdienst noch nicht geleistet und fürchte, in Syrien vom syrischen Regime zwangsrekrutiert zu werden. Zudem befürchtete er Repressalien von der HTS. Er sei in den Jahren 2016 und 2018 für jeweils einen Monat von der HTS festgenommen und inhaftiert wurde. Im Jahr 2016 sei er inhaftiert worden, weil er Kritik an der HTS geäußert hatte und 2018, weil er sich geweigert habe, „Schutzgeld“ an die HTS für das Kosmetikgeschäft, in welchem er arbeitete, zu zahlen. Der Beschwerdeführer fürchte bei einer Rückkehr nach Syrien wohlbegründet eine Verfolgung durch das syrische Regime und die islamistischen Extremisten der HTS aufgrund seiner (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer fürchte insbesondere auch im Falle einer Rückkehr im Rahmen seiner möglichen Einreise über Damaskus zum syrischen Militär eingezogen zu werden. Durch die Teilnahme am Krieg in Syrien wäre der Beschwerdeführer einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und es sei davon auszugehen, dass er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, gezwungen wäre, da bekannt sei, dass alle Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg derartige Handlungen bereits begangen haben. Der Beschwerdeführer lehne es ab, an solchen Handlungen teilzunehmen.
4. Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Anschluss des Verwaltungsaktes am 10.04.2024 zur Entscheidung vorgelegt.
5. Das BVwG führte am 25.06.2024 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort XXXX im Gouvernement Idlib. Er besuchte 12 Jahre lang die Schule in Syrien und arbeitete nach der Matura in der Landwirtschaft und im Kosmetikgeschäft seiner Eltern. Er ist seit 2019 verheiratet und hat zwei minderjährige Töchter. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort römisch 40 im Gouvernement Idlib. Er besuchte 12 Jahre lang die Schule in Syrien und arbeitete nach der Matura in der Landwirtschaft und im Kosmetikgeschäft seiner Eltern. Er ist seit 2019 verheiratet und hat zwei minderjährige Töchter.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren.Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren.
Der Beschwerdeführer befindet sich im wehrpflichtigen Alter. Er hat seinen verpflichtenden Wehrdienst nicht abgeleistet. Er lehnt einen Wehrdienst bei der syrischen Armee ab und würde diesen bei einer Rückkehr verweigern. Der Beschwerdeführer vertritt eine politische Gesinnung, die in Opposition zum aktuellen syrischen Machthaber steht.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort XXXX im Gouvernement Idlib. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers steht derzeit unter Kontrolle der oppositionellen Hayat Tahrir Al-Sham (HTS), befindet sich jedoch in unmittelbarer Nähe (ca. acht Kilometer) zur umkämpften Frontlinie und der Einflusszone des syrischen Regimes. Bei einer Rückkehr und Einreise in die Herkunftsregion würde der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einem unter Kontrolle der Regierung stehenden Grenzübergang oder Flughafen bzw. einem Checkpoint des Regimes mit den Behörden des Regimes in Kontakt geraten und hätte daher bereits bei der Einreise damit zu rechnen, als Wehrdienstpflichtiger identifiziert und festgenommen bzw. eingezogen zu werden bzw. mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort römisch 40 im Gouvernement Idlib. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers steht derzeit unter Kontrolle der oppositionellen Hayat Tahrir Al-Sham (HTS), befindet sich jedoch in unmittelbarer Nähe (ca. acht Kilometer) zur umkämpften Frontlinie und der Einflusszone des syrischen Regimes. Bei einer Rückkehr und Einreise in die Herkunftsregion würde der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einem unter Kontrolle der Regierung stehenden Grenzübergang oder Flughafen bzw. einem Checkpoint des Regimes mit den Behörden des Regimes in Kontakt geraten und hätte daher bereits bei der Einreise damit zu rechnen, als Wehrdienstpflichtiger identifiziert und festgenommen bzw. eingezogen zu werden bzw. mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
Im Falle einer Einziehung zum Militärdienst wäre der Beschwerdeführer im Zuge dessen zur Beteiligung an Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gezwungen. Eine Einziehung zum Militärdienst ist angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden und des Bedarfs an kampfähigen Soldaten sehr wahrscheinlich. Bei einer Weigerung würde er zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit Folter und erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers verbunden wäre.
Die Möglichkeit eines Freikaufes besteht im Fall des Beschwerdeführers nicht bzw. ist diesem nicht zumutbar. Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine nennenswerten finanziellen Mittel um die Zahlung einer entsprechenden Gebühr zu bewerkstelligen. Es ist weder ein Verkauf der familiären Hauser und Grundstücke möglich, noch eine Leihe des Betrages von seinem vermögenden Onkel, der bereits die Ausreise des Beschwerdeführers finanzierte. Es ist dem Beschwerdeführer nicht möglich, die nötigen Geldmittel aufzubringen um eine Befreiungsgebühr zu leisten. Die Zahlung einer Befreiungsgebühr an das syrische Regime steht zudem mit der oppositionellen Gesinnung des Beschwerdeführers sowie seiner gesamten Familie in Konflikt.
Bei einer Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung. Die Bedrohung geht vom syrischen Regime, somit vom Staat selbst, aus. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:
a) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) (im Folgenden kurz: LIB):
b) UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021.
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS):
„3. Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023).
Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
[…]
4. Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse