TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/10 V297/91

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Veröffentlicht am 10.03.1993
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/04 Apotheken, Arzneimittel

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Apotheken-BetriebszeitenV des Magistrates der Stadt Wien über den Dienst in den öffentlichen Apotheken in Wien vom 25.12.69. ABl 50, idF ABl 52/1984 §1 Abs1
ApothekenG §8

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelungen über die als maximale Öffnungszeiten gedachten Betriebszeiten von Apotheken in Wien bzw nach dem ApothekenG gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit angesichts der Notwendigkeit zur Festlegung von Betriebs- und Bereitschaftszeiten im Interesse der Versorgung der nachfragenden Bevölkerung verbunden mit der Notwendigkeit zur Ordnung des Wettbewerbs

Spruch

Der Antrag auf Aufhebung des ersten Satzes in §1 Abs1 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien über den Dienst in den öffentlichen Apotheken in Wien vom 25. Dezember 1969, ABl. Nr. 50, in der Fassung ABl. Nr. 52/1984, wird abgewiesen.

Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach §8 Satz 1 Apothekengesetz, RGBl. 5/1907, in der Fassung BGBl. 502/1984 sind die Zeiten, während derer die öffentlichen Apotheken für den Kundenverkehr an Werktagen offenzuhalten sind (Betriebszeiten), von der Bezirksverwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf die örtlichen Verhältnisse so festzusetzen, daß die wöchentliche Betriebszeit 48 Stunden nicht überschreitet und eine tägliche Mittagspause von ungefähr zwei Stunden eingehalten wird. Demgemäß bestimmt die Verordnung des Magistrates Wien über den Dienst in den öffentlichen Apotheken in Wien vom 25. November 1969, ABl. 50, in der Fassung ABl. 52/1984 (kurz Apotheken-BetriebszeitenVO) in §1 Abs1:

"Die Wiener öffentlichen Apotheken haben an Werktagen, ausgenommen Samstag, von 8 Uhr bis 12 Uhr und von 14 Uhr bis 18 Uhr an Samstagen von 8 Uhr bis 12 Uhr für den Kundenverkehr offenzuhalten (Betriebszeiten). Die in der folgenden Nacht Nachtdienst haltenden Apotheken (§2 Abs1) haben auch während der Mittagssperre von 12 bis 14 Uhr und an Samstagen von 12 bis 18 Uhr (daher durchlaufend von 8 bis 18 Uhr) ständig dienstbereit zu sein."

1. Die antragstellende Gesellschaft betreibt eine Apotheke in Wien. Sie begehrt die Aufhebung des §1 Abs1 Apotheken-BetriebszeitenVO. Da sie bei sonstiger Strafe zur Einhaltung dieser Verordnung verpflichtet sei, greife diese unmittelbar in ihre Rechtssphäre ein. Sie beschränke die Freiheit der Erwerbsausübung in unzulässiger Weise. Die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes zum Ladenschlußgesetz müßten auf die Regelung der Öffnungszeiten von Apotheken übertragen werden. Die Besonderheiten der Apotheke rechtfertigten keinerlei Differenzierung gegenüber den Ladenschlußvorschriften:

"Gerade das öffentliche Interesse an einer ordnungsgemäßen und fachgerechten Arzneimittelversorgung, welches letztlich auch in der Betriebspflicht für Apotheken dokumentiert ist, legt wohl viel eher die Schlußfolgerung nahe, daß Apotheken mindestens ebenso frei ihre Offenhaltenszeiten bestimmen sollen wie sonstige Handelsunternehmen. Erfahrungsgemäß wird vor allem die Mittagspause in Büros und Geschäften aber auch die Zeit nach Büro- oder Geschäftsschluß in Ballungszentren von den dort Beschäftigten dazu benützt, Einkäufe zu erledigen. Gerade die - oft eminent wichtige - Besorgung von Arzneimitteln ist aber unselbständig Beschäftigten in der Mittagszeit und nach Büro- und Geschäftsschluß nur erschwert möglich, weil gerade in dieser Zeit Apotheken zum Schließen des Betriebes verpflichtet sind und nur diensthabende Apotheken Arzneimittel abgeben dürfen. Zusätzlich zu der Überlegung, daß die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zum Ladenschlußgesetz wohl auch für Apotheken Anwendung finden soll, spricht sohin die durch die Verfügung einer Mittagssperre bewirkte Erschwerung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung bei der gebotenen Abwägung der Interessen des Unternehmers gegen die vom Gesetzgeber zu bedenkenden öffentlichen Interessen eines Eingriffs in die Erwerbsausübungsfreiheit für die Unsachlichkeit dieser Regelung."

Die Regelung wäre nach Ansicht der antragstellenden Gesellschaft verfassungsmäßig, wenn sie nur Mindestzeiten für den Betrieb festlegen würde. Schon aus dem Wortlaut des §8 Apothekengesetz ergebe sich aber, daß sie die Öffnungszeiten auch nach oben hin begrenze. Daher werde die amtswegige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs1 Apothekengesetz angeregt.

2. Der Magistrat Wien geht von der Gesetzmäßigkeit seiner Verordnung aus und verteidigt die gesetzliche Regelung. Ein Vergleich der Apotheken-Betriebszeiten mit den Ladenöffnungszeiten sei schon deshalb verfehlt, weil den unter das Öffnungszeitengesetz fallenden Unternehmen keine Betriebspflicht auferlegt sei. Das öffentliche Interesse sei in bezug auf Apotheken ein ganz anderes. Eine individuelle Festlegung ihrer Öffnungszeiten (durch den Unternehmer) würde die Regelung des Bereitschaftsdienstes nahezu unmöglich machen. Die Verbraucher seien an jederzeit klaren Öffnungszeiten interessiert und die Möglichkeit des Erwerbes von Heilmitteln sei ein höherwertiges Ziel (als die Erwerbsfreiheit).

Auch der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz beantragt die Abweisung des Begehrens.

II. Der Antrag ist nur in bezug auf den ersten Satz des §1 Abs1 Apotheken-BetriebszeitenVO zulässig.

Es ist offenkundig, daß die antragstellende Gesellschaft von der angegriffenen Verordnungsbestimmung unmittelbar betroffen ist und ihr kein anderer zumutbarer Weg offensteht, ihre Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Daß sie Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung nur für den Fall vorträgt, daß das ihr zugrundeliegende Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben wird oder verfassungskonform anders ausgelegt werden muß, als sie selbst es auslegt, verschlägt nichts.

Der Antrag bringt aber nichts gegen den zweiten Satz der angegriffenen Verordnungsbestimmung vor, der nur ausspricht, daß bestimmte Apotheken auch während der Mittagssperre und an Samstagen dienstbereit zu sein haben, und wendet sich auch nicht gegen gesetzliche Vorschriften über die Dienstbereitschaft. Insofern ist er folglich unzulässig.

III. Die vorgetragenen Bedenken sind

indessen unbegründet.

1. Die Bedenken gehen davon aus, daß die angegriffene Verordnungsbestimmung gemäß dem gesetzlichen Auftrag mit den Betriebszeiten nicht nur eine Mindestöffnungszeit, sondern zugleich eine maximale Öffnungszeit für Apotheken festsetzt. Dem Wortlaut der angegriffenen Vorschrift ist das allerdings nicht zu entnehmen. Die Verordnung spricht in §1 Abs1 und auch sonst nur von Zeiten, in denen die Apotheken für den Kundenverkehr offenzuhalten, dienstbereit zu sein oder Bereitschaftsdienst zu versehen haben. Auch §8 Abs1 Apothekengesetz behandelt nur die Betriebspflicht und normiert die 48-Stunden-Grenze als Höchstgrenze dieser Betriebspflicht. Bezüglich der Mittagssperre ist freilich der Wortlaut bereits zweifelhaft (sie muß eingehalten werden, nicht etwa nur eingehalten werden können). Aus §8 Abs2 ergibt sich aber, daß die Betriebszeiten zugleich als maximale Öffnungszeiten gedacht sind: Nach dieser Bestimmung kann jenen Apotheken, die außerhalb der gemäß Abs1 festgesetzten Betriebszeiten ständig dienstbereit zu sein haben (Bereitschaftsapotheken), ein Offenhalten während dieser Zeiten bewilligt werden, wenn hiefür ein Bedarf ist. Ähnliches wird in Abs4 für Sonn- und Feiertage bestimmt. Das setzt voraus, daß sie ohne Bewilligung außerhalb der Betriebszeiten nicht offenhalten dürfen.

Die Prämisse des Antrages trifft also zu.

2. Die Bedenken wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbstätigkeit teilt der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht.

Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Ladenschluß seit VfSlg. 11558/1987 ständig festhält, ist die Beschränkung der Öffnungszeit von Handelsbetrieben an sich zulässig und der Gesetzgeber dabei berechtigt, die Interessen der Verbraucher, der Gewerbetreibenden und der Arbeitnehmer gegeneinander abzuwägen. Beim Betrieb von Apotheken steht vor allem das öffentliche Interesse an einer raschen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimittel im Vordergrund. Diesem Zweck dient die Betriebspflicht der Apotheken nicht nur während der eigentlichen Betriebszeiten sondern auch in dem damit verbundenen System einer auf mehrere in Betracht kommende Apotheken möglichst gleichmäßig aufgeteilten Dienstbereitschaft auch in Zeiten, in denen geschlossen gehalten wird. So ist in Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken von der Behörde eine Reihenfolge für den Bereitschaftsdienst festzusetzen (§8 Abs2) und sind Orte mit nur einer öffentlichen Apotheke untereinander oder mit Orten mit mehreren öffentlichen Apotheken zusammen für einen Dienstturnus zusammenzuschließen (§8 Abs5). In Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke muß der Apothekenleiter oder ein anderer vertretungsberechtigter Apotheker auch außerhalb der Betriebszeit zur Abgabe von Arzneimittel in dringenden Fällen rasch erreichbar sein oder dafür sorgen, daß den Ärzten des Standortes in solchen Fällen die erforderlichen gebrauchsfertigen Arzneimittel zugänglich sind (§8 Abs3). Während der Dauer eines gesteigerten Bedarfes an Arzneimittel hat die Behörde abweichende Regelungen über die Sperrzeit und den Bereitschaftsdienst zu treffen (§8 Abs6).

Die Zeiten erlaubten Offenhaltens dürfen mithin nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist eine gewisse Gesamtbetriebszeit von der Behörde derart zu verteilen, daß einerseits 48 Stunden entsprechend den Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung ("unter Bedachtnahme auf die örtlichen Verhältnisse") als Betriebszeit ("Öffnungszeit") auf die Werktage entfallen und für ein- und denselben Ort einheitlich (§8 Abs1 Satz 2) festgelegt werden, andererseits aber ein gerechter Ausgleich bei Leistung des am Bedarf der Bevölkerung orientierten Bereitschaftsdienstes stattfindet. Dem Zwang zur Öffnung während der Betriebszeiten und zu den festgelegten Zeiten des Bereitschaftsdienstes steht daher das Verbot gegenüber, die Bereitschaftsdienste anderer Apotheken durch ein freiwilliges Offenhalten zu konterkarieren (und sie die Last der Betriebspflicht ohne die damit verbundenen Einnahmen tragen zu lassen). Zur Notwendigkeit einer klaren und bleibenden Festlegung der Betriebs- und Bereitschaftszeiten im Interesse der Versorgung der nachfragenden Bevölkerung zu jeder Tages- und Nachtzeit tritt nämlich die Notwendigkeit, den durch diese Festlegung beeinflußten Wettbewerb so zu ordnen, daß sich diese Festlegung nicht wettbewerbsverzerrend auswirkt.

Bei dieser Sachlage kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, daß eine feste - für besondere Fälle auch veränderbare - Verteilung einer wegen der Bereitschaftsdienste gegenüber der allgemeinen Gesamtöffnungszeit in Handelsbetrieben herabgesetzten wöchentlichen "Betriebszeit" in Verbindung mit der Anordnung zusätzlicher Dienstbereitschaft durch ein Verwaltungsorgan das Recht auf freie Erwerbsbetätigung in unverhältnismäßiger Weise einschränkt.

Andere Bedenken gegen das der angefochtenen Verordnungsbestimmung zugrundeliegende Gesetz sind nicht vorgebracht und sind im Verfahren nicht entstanden.

Der Antrag ist daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken, Apotheken, Öffnungszeiten (Apotheken), Ladenschluß, Erwerbsausübungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:V297.1991

Dokumentnummer

JFT_10069690_91V00297_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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