Entscheidungsdatum
30.08.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W294 2268083-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Konstantin Köck, LL.M, MBA, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX geboren am XXXX StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.1.2023, Zl.: 1293468203/220131395, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.6.2024, wie folgt zu Recht erkannt: Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Konstantin Köck, LL.M, MBA, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 alias römisch 40 alias römisch 40 geboren am römisch 40 StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.1.2023, Zl.: 1293468203/220131395, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.6.2024, wie folgt zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: „BF“), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 20.1.2022 im österreichischen Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er zur syrischen Armee einrücken müsse und die Sicherheitslage in Aleppo schlecht sei. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, zur syrischen Armee einrücken zu müssen.
Zu seinen persönlichen Umständen führte der BF an, dass er aus Rif Aleppo stamme. Er habe in Syrien 12 Jahre die Grundschule besucht und sei vor seiner Ausreise als Arbeiter tätig gewesen. Er gehöre der Volksgruppe der Araber und der Religionszugehörigkeit des Islam an. Seine Eltern, drei Brüder und sieben Schwestern würden nach wie vor in Syrien leben, ein Bruder sowie seine Ehefrau und sein Sohn würden in der Türkei wohnhaft sein.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.6.2022 brachte der BF vor, dass er gesund sei. Er stamme aus XXXX , Manbidsch, Aleppo. Seine Eltern sowie drei Brüder seien nach wie vor in XXXX wohnhaft, seine Ehefrau sowie sein Sohn und ein weiterer Bruder würden in der Türkei leben. Auf Aufforderung, chronologisch seinen Lebenslauf anzugeben, führte der BF an, dass er 28 Jahre alt sei und 12 Jahre die Schule besucht habe. Er sei dort in der Landwirtschaft tätig gewesen und sei im Jahr 2017 von Syrien in die Türkei gereist und dort in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Im Jahr 2021 habe er sich nach Europa begeben. Die Frage, ob er nach 2017 nochmal in Syrien gewesen sei, wurde vom BF verneint. Bis 2017 habe er immer in XXXX gelebt. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.6.2022 brachte der BF vor, dass er gesund sei. Er stamme aus römisch 40 , Manbidsch, Aleppo. Seine Eltern sowie drei Brüder seien nach wie vor in römisch 40 wohnhaft, seine Ehefrau sowie sein Sohn und ein weiterer Bruder würden in der Türkei leben. Auf Aufforderung, chronologisch seinen Lebenslauf anzugeben, führte der BF an, dass er 28 Jahre alt sei und 12 Jahre die Schule besucht habe. Er sei dort in der Landwirtschaft tätig gewesen und sei im Jahr 2017 von Syrien in die Türkei gereist und dort in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Im Jahr 2021 habe er sich nach Europa begeben. Die Frage, ob er nach 2017 nochmal in Syrien gewesen sei, wurde vom BF verneint. Bis 2017 habe er immer in römisch 40 gelebt.
Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er der Volksgruppe der Araber und der Religion der sunnitischen Moslems angehöre. Die Fragen, ob er vorbestraft oder in seinem Heimatland inhaftiert gewesen sei bzw. Probleme mit den Behörden im Heimatland gehabt habe, wurden vom BF verneint. Aufgrund des Militärdienstes würden gegen ihn aktuell staatliche Fahndungsmaßnahmen bestehen. Er habe Angst, dass ihn die Kurden, welche auch die Kontrolle über Manbidsch hätten, ihn rekrutieren würden. Auf Nachfrage würden die Kurden bereits seit 2016 in Mandbisch präsent sein. Die Fragen, ob er politisch tätig sei oder gewesen sei, in seinem Heimatland aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme gehabt habe oder gröbere Probleme mit Privatpersonen gehabt habe oder ob er an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen habe, wurden vom BF verneint.
Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF an, dass die Freie Syrische Armee im Jahr 2012 nach Manbidsch gekommen sei und anschließend der IS die Kontrolle über diese Region übernommen habe. Seit Anfang 2016 hätten die Kurden die Gebietshoheit über Manbidsch. Er habe immer Angst gehabt, auch seitens der syrischen Streitkräfte rekrutiert zu werden. Überdies sei die Sicherheitslage schlecht und der habe die Schule über einen Zeitraum von 12 Jahren umsonst besucht, da es ihm nicht möglich gewesen sei, weiter zu studieren. Er suche sowohl für sich selbst als auch für seine Familie einen sicheren Ort, sich dauerhaft niederzulassen. Auf die Frage, ob es weitere Gründe gebe, warum er Syrien verlassen habe, erklärte der BF, dass aktuell die Bedrohung so groß sei, dass türkische Soldaten in Manbidsch einmarschieren würden. Er befürchte außerdem auch, von der Freien Syrischen Armee einberufen zu werden. Die Frage, ob er in der Heimat den Grundwehrdienst abgeleistet habe, wurde vom BF verneint. Sein Militärbuch befinde sich nach wie vor in Syrien und er habe versucht, davon Fotos zu erhalten. Auf Nachfrage, wann er sich das Militärbuch ausstellen habe lassen, replizierte der BF, dass er sich dieses im Jahr 2010 vor der Krise ausstellen habe lassen. Er könne sich aber nicht an das genaue Datum erinnern. Nachgefragt, ob er einen Einberufungsbefehl erhalten habe, replizierte der BF, dass ihn der Bürgermeister über seine Wehrdienstverpflichtung informiert habe, er habe diesbezüglich aber keine schriftlichen Dokumente erhalten. Zur Frage, wieso er es konkret ablehne, den Militärdienst für die reguläre syrische Armee zu erhalten, brachte der BF vor, dass er im Zuge dessen Waffen tragen müsste und er dies ablehne. Befragt, seit wann er diese Einstellung habe, entgegnete der BF, dass er seit Beginn der Krise keine Waffen tragen wolle. Auf Nachfrage, welcher konkrete Zusammenhang mit der Krise bestehe, dass er keine Waffen tragen wolle, erklärte der BF, dass sie von allen Organisationen inklusive der Kurden und des Regimes rekrutiert werden könnten und auch auf Zivilisten schießen würden. Die Frage, ob er persönlich von den Kurden, der Freien Syrischen Armee oder den Türken zum Kampf aufgefordert worden sei, wurde vom BF verneint. Es habe jedoch Checkpoints gegeben, an denen man immer wieder belästigt worden sei. Auf Vorhalt, wieso er sich ein Militärbuch ausstellen habe lassen, obwohl er ein Problem mit Waffen und Schüssen habe, gab der BF an, dass dies vor der Krise gewesen sei. Zum weiteren Vorhalt, dass auch die Gefahr bestanden hätte, dass er zu einem Kampfeinsatz geschickt werden könnte, führte der BF an, dass ein Angriff gegen ein anderes Land nicht dasselbe sei wie gegen die eigene Bevölkerung zu kämpfen. Zum weiteren Vorhalt, dass auch Anhänger des IS oder der Freien Syrischen Armee als Teil der eigenen Bevölkerung betrachte, obwohl diese dem Land schaden würden, entgegnete der BF, dass er und seine Familienmitglieder keine Waffen tragen wollen würden und den Waffengebrauch ablehnen würden. Es gebe aber viele Syrer, die bereit seien, mit diesen Gruppierungen zu kämpfen. Die Frage, ob er in Syrien Kontakt mit Islamisten gehabt habe, wurde vom BF verneint. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, den Militärdienst ableisten zu müssen. Befragt, was ihm widerfahren könnte, wenn er rekrutiert werden würde, brachte der BF vor, dass er vielleicht inhaftiert werden würde, aber nicht genau wisse, was mit ihm passieren könnte. Die Frage, ob er sich damit beschäftigt habe, welche Konsequenzen ihm im Falle einer Wehrdienstverweigerung drohen könnten, wurde vom BF verneint. Auf die Frage, woher er wisse, dass er inhaftiert werden könnte, erwiderte der BF, dass es viele Freunde gebe, die den Militärdienst nicht abgeleistet hätten, man aber sicher inhaftiert werden würde. Die Frage, ob er Aufschübe für den Militärdienst gehabt habe, wurde vom BF verneint. Auf die Frage, wie es ohne Erhalt eines Aufschubes möglich gewesen sei, dass er sich das Militärbuch bereits im Jahr 2010 abgeholt habe und erst im Jahr 2012 maturiert habe, brachte der BF vor, dass er sich damals noch nicht im wehrfähigen Alter befunden habe.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein syrischer Personalausweis, ein syrischer Familienregisterauszug vom 16.11.2021, ein Militärbuch, eine Bescheinigung des Gymnasiums vom 21.7.2012, eine Heiratsurkunde und ein Auszug einer gerichtlichen Registrierung der Eheschließung in Vorlage gebracht.
Mit Bescheid des BFA vom 24.1.2023, Zl.: 1293468203/220131395, wurde der Antrag des BF vom 15.4.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Mit Bescheid des BFA vom 24.1.2023, Zl.: 1293468203/220131395, wurde der Antrag des BF vom 15.4.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und diesem gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass die syrische Armee auch teilweise in diesen Gebieten präsent sei, in den kurdisch kontrollierten Gebieten aufgrund fehlender administrativer Strukturen des syrischen Regimes kein verpflichtender Wehrdienst herrsche und auch keine Wehrpflicht Kampagnen durchgeführt werden würden. Des Weiteren würden auch nach wie vor die Eltern und die Geschwister des BF in seiner Heimatregion XXXX leben. Des Weiteren werde in den Länderfeststellungen das Höchstalter für den kurdischen Wehrdienst mit 24 Jahren angegeben, welches der BF bereits deutlich überschritten habe. Für den Fall, dass er dennoch von den kurdischen Kräften eingezogen werden würde, sei anzuführen, dass den Länderfeststellungen entnommen werden könne, dass Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ normalerweise im Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz erfolgen würden. Eine Pflicht des BF zur Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen könne nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Des Weiteren werde festgehalten, dass der BF das Risiko, in Syrien rekrutiert zu werden, nicht allzu hoch eingeschätzt habe, da er bis zum Alter von 23 Jahren, sohin ca. fünf Jahre nach Erreichen des Wehrdienstalters in Syrien verblieben und erst im Jahr 2017 ausgereist sei. Begründend wurde ausgeführt, dass aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass die syrische Armee auch teilweise in diesen Gebieten präsent sei, in den kurdisch kontrollierten Gebieten aufgrund fehlender administrativer Strukturen des syrischen Regimes kein verpflichtender Wehrdienst herrsche und auch keine Wehrpflicht Kampagnen durchgeführt werden würden. Des Weiteren würden auch nach wie vor die Eltern und die Geschwister des BF in seiner Heimatregion römisch 40 leben. Des Weiteren werde in den Länderfeststellungen das Höchstalter für den kurdischen Wehrdienst mit 24 Jahren angegeben, welches der BF bereits deutlich überschritten habe. Für den Fall, dass er dennoch von den kurdischen Kräften eingezogen werden würde, sei anzuführen, dass den Länderfeststellungen entnommen werden könne, dass Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ normalerweise im Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz erfolgen würden. Eine Pflicht des BF zur Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen könne nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Des Weiteren werde festgehalten, dass der BF das Risiko, in Syrien rekrutiert zu werden, nicht allzu hoch eingeschätzt habe, da er bis zum Alter von 23 Jahren, sohin ca. fünf Jahre nach Erreichen des Wehrdienstalters in Syrien verblieben und erst im Jahr 2017 ausgereist sei.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der BF fristgerecht Beschwerde und legte im Wesentlichen dar, dass die belangte Behörde aufgrund der Zuziehung mangelhafter, da teilweise unvollständiger Länderberichte zu dem Schluss gelange, dass der BF keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht habe. Wie sich aus den Länderberichten ergebe, unterliege die Rekrutierungspraxis in der Heimat des BF großer Willkür. Der BF sei von mehreren bewaffneten Parteien aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Die Feststellungen der Erstbehörde würden auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung basieren. Der belangten Behörde sei in erster Linie vorzuwerfen, das Vorbringen des BF nicht unter ausreichender Berücksichtigung fallbezogener, aktueller Länderberichte zu Syrien bzw. nicht unter Heranziehung ihres eigenen Amtswissens gewürdigt zu haben. Die belangte Behörde habe sich lediglich oberflächlich und mit nicht nachvollziehbarer Begründung mit den eigenen Länderfeststellungen auseinandergesetzt. Die unrichtigen Feststellungen hätten in weiterer Folge zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der BF fristgerecht Beschwerde und legte im Wesentlichen dar, dass die belangte Behörde aufgrund der Zuziehung mangelhafter, da teilweise unvollständiger Länderberichte zu dem Schluss gelange, dass der BF keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht habe. Wie sich aus den Länderberichten ergebe, unterliege die Rekrutierungspraxis in der Heimat des BF großer Willkür. Der BF sei von mehreren bewaffneten Parteien aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Die Feststellungen der Erstbehörde würden auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung basieren. Der belangten Behörde sei in erster Linie vorzuwerfen, das Vorbringen des BF nicht unter ausreichender Berücksichtigung fallbezogener, aktueller Länderberichte zu Syrien bzw. nicht unter Heranziehung ihres eigenen Amtswissens gewürdigt zu haben. Die belangte Behörde habe sich lediglich oberflächlich und mit nicht nachvollziehbarer Begründung mit den eigenen Länderfeststellungen auseinandergesetzt. Die unrichtigen Feststellungen hätten in weiterer Folge zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
In einer Stellungnahme wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ausgeführt, dass die Berichte der EUAA ausführen würden, dass die Region um Manbij unter der gemeinsamen Kontrolle des syrischen Regimes und der kurdischen Armee stehe. Der Vater und der Bruder des BF hätten einen Checkpoint in der Nähe des Elternhauses des BF oft passieren müssen und seien regelmäßig angehalten sowie befragt und belästigt worden. Die syrischen Soldaten würden den Vater des BF auch über den Aufenthalt des BF und seines Bruders befragen. Voraussetzung dafür, dass der BF nicht rekrutiert werde, wäre jedenfalls, dass der BF bereits vor seiner Rückkehr eine Befreiungsgebühr bezahlt habe. Fest stehe, dass der BF eine Befreiungsgebühr nicht geleistet habe und er aufgrund seiner finanziellen Situation nicht in der Lage wäre, die Gebühr von mehreren tausend Dollar zu bezahlen.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.6.2024 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch im Beisein der Rechtsberatung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen befragt und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe darzulegen.
In einer Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters des BF vom 19.08.2024 wurde auf die ACCORD Anfragebeantwortung vom 07.09.2023 verwiesen, aus der sich ergebe, dass die Heimatregion der BF zwar grundsätzlich unter kurdischer Kontrolle stehe, das Regime jedoch trotzdem eine gewisse Präsenz in der Region habe und es insbesondere zahlreiche Checkpoints des Regimes gebe. Das syrische Regime habe nur 300 m vom Elternhaus des BF entfernt einen Checkpoint. Es handele sich um einen Kontrollpunkt bei einer Mittelschule.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogenrömisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF
Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er wurde im Dorf XXXX Manbij, Provinz Aleppo, geboren und besuchte dort 12 Jahre die Grundschule. Anschließend war er in der Landwirtschaft tätig. Von 2017 bis 2021 war der BF in der Türkei aufhältig. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er wurde im Dorf römisch 40 Manbij, Provinz Aleppo, geboren und besuchte dort 12 Jahre die Grundschule. Anschließend war er in der Landwirtschaft tätig. Von 2017 bis 2021 war der BF in der Türkei aufhältig.
Seine Ehefrau sowie sein Sohn sind nach wie vor in der Türkei aufhältig und der BF steht mit diesen über WhatsApp in regelmäßigen Kontakt. Die Eltern und die Geschwister sind nach wie vor im Dorf XXXX Manbij, Provinz Aleppo wohnhaft und der BF steht mit diesen in regelmäßigen Kontakt. Seine Ehefrau sowie sein Sohn sind nach wie vor in der Türkei aufhältig und der BF steht mit diesen über WhatsApp in regelmäßigen Kontakt. Die Eltern und die Geschwister sind nach wie vor im Dorf römisch 40 Manbij, Provinz Aleppo wohnhaft und der BF steht mit diesen in regelmäßigen Kontakt.
Die Stadt Manbij, im Gouvernement Aleppo, sowie das gesamte Umgebungsgebiet einschließlich des Herkunftsortes des BF steht unter der Kontrolle der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte („SDF“ - Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES). An der Grenze des Bezirkes Manbij sind Regierungstruppen stationiert, diese dienen nur zur Abschreckung der Türkei und sind nicht in der Lage, Personenkontrollen oder Rekrutierungen durchzuführen.
Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der BF befindet sich mit 30 Jahren nicht mehr im wehrfähigen Alter für die kurdischen Streitkräfte.
Im Jahr 2012 wurde der BF einer Grunduntersuchung zur Musterung unterzogen und übernahm im selben Jahr sein Wehrdienstbuch, hat aber keinen Einberufungsbefehl erhalten.
Der Herkunftsort des BF steht unter der Kontrolle der Kurden und ist er in seinem Herkunftsbezirk daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, zum verpflichtenden Wehrdienst der syrischen Armee einberufen zu werden.
Die Arabische Republik Syrien kann in den AANES-Gebieten (grundsätzlich und jedenfalls außerhalb von Regimeenklaven) keine Wehrpflichtigen zum Wehrdienst und auch keine Reservisten zum (Reserve-)Dienst einberufen.
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen über verschiedene Länder nach Österreich, wo er am 20.1.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 24.1.2023 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Der BF ist gesund und in Österreich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF
Der BF war in Syrien nie einer individuell konkreten Verfolgung oder Bedrohung seitens kurdischer Milizen oder syrischer Streitkräfte ausgesetzt.
Im Falle einer Rückkehr nach Syrien besteht für BF sowohl gegenwärtig, als auch zukünftig an seinem Herkunftsort nicht mit maßgeblich Wahrscheinlichkeit die Gefahr, einer unmittelbar konkreten Zwangsrekrutierung durch das syrische Regimemilitär oder einer Verfolgung durch das syrische Regime ausgesetzt zu sein.
Hinsichtlich der Ableistung eines Wehrdienstes bei den kurdischen Milizen, dies aus nach einer allfälligen Zwangsrekrutierung durch die kurdische SDF, liegt aktuell keine Asylrelevanz vor.
Der BF hat nicht glaubhaft machen können, dass dieser im Zuge der Ableistung eines Militärdienstes bei den kurdischen Milizen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit völkerrechtswidrige Handlungen vornehmen müsste, zudem konnte der BF auch nicht glaubhaft machen, dass dieser im Falle einer Verweigerung des Militärdienstes bei den kurdischen Milizen einer asylrelevanten Bestrafung ausgesetzt wäre.
Weiters kann auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden, dass der BF bei einer Rückkehr an seinen Herkunftsort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer sonstigen asylrelevanten Verfolgung unmittelbar konkret zum Opfer fallen würde, etwa, weil ihm dort eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde.
Der BF hat zudem auch weder durch das Vorbringen der Illegalität der Ausreise aus Syrien oder der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich noch der Angabe der Herkunft aus einer von der Regierung als oppositionsgeprägten erachteten Region hinreichend glaubhaft darlegen können, dass ihm bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien zum gegenwärtigen oder zukünftigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ihn unmittelbar, konkreten asylrelevanten Verfolgung drohen würde. Es liegen auch sonst keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung des BF in seiner Heimatregion aus anderen Gründen vor.
Die Heimatregion des BF ist ohne Kontakt zu Behörden des syrischen Regimes sicher erreichbar, etwa über den Grenzübergang Semalka- Faysh Khabur (AANES/SDF Gebiet).
Auch unter Berücksichtigung sämtlicher Ausführungen hat der BF das Vorliegen einer ihn persönlich gegenwärtig oder auch zukünftig unmittelbar drohenden asylrelevanten Gefährdung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit insgesamt nicht ausreichend konkret darlegen können bzw. hat dieser das Vorliegen einer solchen Gefährdung insgesamt nicht glaubhaft machen können.
Der BF ist im Falle einer Rückkehr nach Syrien zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht unmittelbar konkret persönlich aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023). Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden (AA 2.2.2024).
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen (SOHR 8.5.2023). Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen (CFR 24.1.2024). Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden (CNN 3.2.2024).
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen CFR 24.1.2024). Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023, wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen. Israel habe daraufhin Artilleriefeuer auf die Abschussstellungen gerichtet. Beobachter machten iranisch kontrollierte Milizen für den Raketenbeschuss verantwortlich. Israel soll im selben Zeitraum, am 12.10.2023 und 14.10.2023 jeweils zweimal den Flughafen Aleppo sowie am 12.10.2023 den Flughafen Damaskus mit Luftschlägen angegriffen haben; aufgrund von Schäden an den Start- und Landebahnen mussten beide Flughäfen daraufhin den Betrieb einstellen (AA 2.2.2024).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus (Barron 6.10.2023). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 2.2.2024). Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Erdbeben 2023 in der Türkei und Nordsyrien machte die tatsächliche Regierung fast unmöglich, weil die Opposition Schwierigkeiten hatte, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen (CFR 24.1.2024).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah (AA 2.2.2024). Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vgl. CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesil