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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §302 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der T-GmbH in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Jänner 1992, Zl. 6/2-146/91-08, betreffend Aufhebung von Bescheiden in Ausübung des Aufsichtsrechtes gemäß § 299 BAO (Berufungsvorentscheidungen hinsichtlich Körperschaftsteuer 1985 und 1986), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende GmbH betreibt ein Wirtschaftsberatungsunternehmen. Im Zuge einer Betriebsprüfung für den Zeitraum 1984 bis 1986 wurde unter anderem festgestellt, daß die mit 25 % beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführerin, Dr. St. als einzige Dienstnehmerin der Beschwerdeführerin Vergütungen im Gesamtausmaß von S 3,106.200,-- für 1985 und S 1,713.500,-- für 1986 erhalten hatte. Dr. St. war darüberhinaus noch an zwei weiteren Wirtschafts- und Steuerberatungs-Gesellschaften mbH, nämlich der R-GmbH mit 100 % und der W-GmbH mit 75 % beteiligt; weiters betrieb sie zusätzlich als Einzelunternehmerin eine Wirtschaftstreuhänderkanzlei.
In der vorliegenden Beschwerde wird ausdrücklich und wiederholt darauf hingewiesen, daß sie "im direkten thematischen Zusammenhang" mit der unter 92/13/0058 protokollierten Beschwerde betreffend die R-GmbH steht. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 27. Juli 1994 als unbegründet abgewiesen. Ebenso wie die Beschwerdeführerin verweist auch der Gerichtshof auf das eben zitierte verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches sowohl hinsichtlich des maßgebenden Sachverhaltes als auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung mit dem vorliegenden Beschwerdefall vergleichbar ist.
In beiden Fällen wurden Vergütungen an Dr. St. vom Prüfer als überhöht angesehen und als verdeckte Gewinnausschüttungen beurteilt. Es handelte sich dabei insbesondere auch um zusätzlich zum laufenden Lohn gewährte Leistungsprämien (Tantiemen), die zunächst rückgestellt und erst Jahre später ausbezahlt worden waren. Die Beurteilung als verdeckte Gewinnausschüttung wurde damit begründet, daß keine konkreten Vereinbarungen über die Vergütungen vorlägen und auch das Ausmaß der Vergütungen unangemessen hoch sei.
In beiden Fällen ergingen Körperschaftsteuerbescheide, mit denen der Auffassung des Betriebsprüfers gefolgt wurde (im vorliegenden Beschwerdefall für die Jahre 1985 und 1986). Die Bescheide wurden mit Berufung bekämpft, in denen beantragt wurde, die "festgestellte verdeckte Gewinnausschüttung" aufzuheben. In der Folge kam es am 20. November 1990 zu einer Besprechung mit dem Amtsvorstand, bei der beide Fälle unter Hinweis auf vorangegangene Schriftsätze vom 27. Oktober 1990 - dieser enthielt einen "Vergleichsvorschlag" betreffend die Angemessenheit der Vergütungen - bzw. 29. Oktober 1990 erörtert wurden. Das Ergebnis der Besprechung wurde in einem Aktenvermerk festgehalten, wobei ein Großteil der Vergütungen von Dr. St. als angemessen bezeichnet und steuerlich anerkannt wurde. Für den vorliegenden Beschwerdefall wurde zusätzlich darauf hingewiesen, daß Dr. St. im gesamten Prüfungszeitraum nur zu 25 % beteiligt und somit nicht "entscheidungsautonom" gewesen sei.
Die Berufungsvorentscheidungen, die im Sinne des Ergebnisses der Besprechung in Aussicht gestellt worden waren, wurden erlassen. In ihnen wurde ausgesprochen, daß der jeweiligen Berufung teilweise stattgegeben werde; eine Begründung enthielten die Berufungsvorentscheidungen nicht.
In beiden Fällen wurden die Berufungsvorentscheidungen gemäß § 299 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 BAO im Dienstaufsichtsweg aufgehoben; mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte die Aufhebung der die Beschwerdeführerin betreffenden Berufungsvorentscheidungen (Körperschaftsteuer 1985 und 1986).
Gegen diesen Aufhebungsbescheid wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst vertritt die Beschwerdeführerin die Rechtsansicht, daß die Bescheidaufhebung nach Ablauf der im § 302 Abs. 1 BAO vorgesehenen Jahresfrist erfolgt sei. Diesbezüglich wird in der zitierten Bestimmung normiert, daß Maßnahmen gemäß § 299 Abs. 1 und 2 BAO nur bis zum Ablauf eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides zulässig sind. Das Überschreiten dieser Frist begründet die Beschwerdeführerin damit, daß unter Rechtskraft nur jene im materiellen Sinn verstanden werden könne.
Demgegenüber vertritt jedoch der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß bei der Frist des § 302 Abs. 1 BAO auf die formelle Rechtskraft des aufzuhebenden Bescheides abzustellen ist (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2906 f, sowie die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die vor allem dahin geht, daß die Oberbehörde von ihrem Aufsichtsrecht bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft Gebrauch machen könne, woraus zu schließen sei, daß der im Zusammenhang mit der Fristbestimmung des § 302 Abs. 1 BAO verwendete Begriff "Rechtskraft" als Rechtskraft im materiellen Sinn zu verstehen und damit der Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Bescheidzustellung maßgebend sei, überzeugt den Gerichtshof nicht: Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzubilligen, daß unter dem Begriff "Rechtskraft" sowohl jene im materiellen als auch jene im formellen Sinn verstanden werden kann, es sprechen aber doch gewichtige Argumente dafür, die im § 302 Abs. 1 BAO gewählte Wortfolge "nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides" im Sinne der bei Stoll a.a.O. zitierten hg. Rechtsprechung zu verstehen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber zwischen der "Erlassung eines Bescheides" und dem Eintritt seiner Rechtskraft zumindest insoweit unterscheidet, als er sich dabei einer differenzierenden Ausdrucksweise bedient. Im Zweifel gebührt einer Gesetzesauslegung der Vorzug, bei der davon ausgegangen wird, daß der Gesetzgeber innerhalb eines Gesetzes gleiche Begriffsinhalte mit gleicher Terminologie umschreibt. Hätte der Gesetzgeber bei der Regelung der Fristbestimmung des § 302 Abs. 1 BAO die Rechtskraft im materiellen Sinn im Auge gehabt, so wäre es näher gelegen, statt der Worte "nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides" analog zu § 255 Abs. 2 BAO die Worte "nach Erlassung des Bescheides" zu verwenden.
Aber auch die grammatikalische Auslegung der Wortfolge "nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides" läßt erkennen, daß der Gesetzgeber von einem Zeit- bzw. Geschehnisablauf NACH Erlassung des Bescheides ausgeht, der den Eintritt zusätzlicher Rechtsfolgen, nämlich den "Eintritt der Rechtskraft" zur Folge hat. Das Wort "Eintreten" deutet nämlich auf eine prozessuale Situation hin, die bis dahin nicht bestanden hat.
Schließlich spricht aber auch der Sinn der in Rede stehenden Bestimmung, sohin die teleologische Interpretation, für das in der hg. Rechtsprechung vertretene Auslegungsergebnis. Gemäß § 289 Abs. 2 BAO ist die Abgabenbehörde zweiter Instanz berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen. Dieses umfassende Bescheidänderungsrecht verpflichtet die Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Erlassung einer objektiv richtigen Berufungsentscheidung. Es besteht keine einschränkende Bindung an das Berufungsbegehren. Demselben Ziel, nämlich der Erlassung objektiv rechtsrichtiger Bescheide, dient die Ausübung des Aufsichtsrechtes gemäß § 299 BAO. Die beiden Bestimmungen unterscheiden sich allerdings vornehmlich in zwei Punkten:
Erstens ist die Ausübung des Aufsichtsrechtes eine Ermessensentscheidung und zweitens soll die im Interesse der Rechtsrichtigkeit gebotene Bescheidänderung nicht von der überprüfenden, sondern von der überprüften Behörde herbeigeführt werden. Sowohl die Ermessensübung als auch die Art, mit der die Bescheidänderung herbeigeführt werden soll, sprechen dafür, in der dienstaufsichtsbehördlichen Bescheidaufhebung eine ergänzende Bescheidänderungsmöglichkeit zu erblicken. Wenn für die Oberbehörde ohnedies die Möglichkeit besteht, im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens für die Erlassung eines rechtsrichtigen Bescheides zu sorgen, benötigt sie nicht das Instrument der Dienstaufsicht. Erst wenn feststeht, daß der erstinstanzlichen Bescheiderlassung kein Rechtsmittelverfahren folgt, entsteht die Notwendigkeit, die Rechtsrichtigkeit eines fehlerhaften Bescheides durch eine dienstaufsichtsbehördliche Maßnahme herbeizuführen. Diese Überlegung spricht dafür, das als Ergänzung vorgesehene dienstaufsichtsbehördliche Bescheidänderungsinstrument gedanklich und zeitlich an den Eintritt jener Umstände zu knüpfen, die der primären Bescheidänderung in einem Rechtsmittelverfahren entgegenstehen. Dies ist der Eintritt der Rechtskraft im formellen Sinn. Daß die Aufsichtsbehörde von ihrem Bescheidaufhebungsrecht schon VOR diesem Zeitpunkt Gebrauch machen kann, steht einer so verstandenen Fristbestimmung nicht entgegen. Die Zulässigkeit prozessualen Handelns vor Beginn einer dafür vorgesehenen Frist ist nämlich nicht ausgeschlossen (vgl. auch § 273 Abs. 2 BAO). Der Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, von seiner Rechtsprechung abzurücken.
Was das übrige Beschwerdevorbringen betrifft, genügt es, auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 27. Juli 1994 zu verweisen, in denen ausführlich dargelegt wurde, daß die Berufungsvorentscheidungen von der belangten Behörde schon mit Rücksicht auf das Fehlen jeglicher Begründung aufgehoben werden durften, wobei auch die Gründe für die Relevanz dieses Verfahrensmangels dargelegt wurden. Weiters hat der Gerichtshof im eben zitierten Erkenntnis ausgeführt, daß der (im übrigen wenig aufschlußreiche) Aktenvermerk über die Besprechung vom 20. November 1990 die fehlende Begründung der Berufungsvorentscheidungen nicht ersetzen konnte und daß auch nicht davon auszugehen war, daß durch den "Vergleichsvorschlag" eine Einschränkung des Berufungsbegehrens vorgenommen worden war. Schließlich enthält das zitierte Erkenntnis noch Ausführungen darüber, daß Abmachungen, wie sie in den beiden Beschwerdefällen zwischen den Organwaltern der Abgabenbehörde und dem Abgabenschuldner offenkundig getroffen wurden, ohne abgabenrechtliche Bedeutung sind.
Bei ihrem Beschwerdevorbringen betreffend die Angemessenheit und steuerliche Abzugsfähigkeit der Vergütungen an Dr. St. übersieht die Beschwerdeführerin, daß das von der belangten Behörde als Aufhebungsgrund aufgegriffene Fehlen der Begründung der beiden Berufungsvorentscheidungen einer diesbezüglichen Nachprüfung ihrer Rechtmäßigkeit entgegensteht. Wie das umfangreiche Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und auch im Beschwerdeschriftsatz zeigt, ist die Angemessenheit der Vergütungen keineswegs so offenkundig, daß sie keiner eingehenden Begründung bedurft hätte. Ob die Vergütungen tatsächlich unangemessen hoch waren, wird erst im fortzusetzenden Berufungsverfahren betreffend Körperschaftsteuer 1985 und 1986 festzustellen sein. Für die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheidaufhebung genügt es gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO, daß anderslautende Bescheide hätten erlassen werden können.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1992130057.X00Im RIS seit
11.07.2001