Entscheidungsdatum
04.09.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W272 2293914-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.04.2024, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.08.2024, zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.04.2024, Zahl römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.08.2024, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt.römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. wird stattgegeben. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wird römisch 40 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.römisch IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 06.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.11.2022 gab der BF zusammengefasst an, dass er in Kabul geboren und gelebt habe sowie 12 Jahre die Grundschule besucht habe. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter und 8 Geschwister leben alle in Afghanistan. Der BF habe die Universität besucht und es habe einen Anschlag gegeben, bei dem mehrere Freunde des BF getötet worden seien. Aus Angst um sein Leben habe er sein Heimatland verlassen.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) nahm den BF am 01.02.2024 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich ein. Dabei gab der BF zu Protokoll, dass er Tadschike sei, die Sprache Dari spreche und gesund sei. Er habe durchgehend in Kabul Stadt mit seiner Familie gelebt und nach wie vor leben im Familienhaus, seine vier Brüder und seine Mutter. Seine Schwestern seien verheiratet und leben bei ihren jeweiligen Ehemännern. Er habe in Afghanistan nie gearbeitet und sein Lebensunterhalt sei von seinem Vater und Bruder in den USA finanziert worden. Sein Vater sei im Jahr 2019 an einer Krankheit verstorben. Als Fluchtgrund nannte der BF die Machtübernahme der Taliban. Die Taliban habe die Universität angegriffen und mehrere Studenten getötet.
Der BF legte im Rahmen der Einvernahme eine Kopie seiner Tazkira, einen Dienstvertrag XXXX sowie eine Deutschkursbestätigung vor.Der BF legte im Rahmen der Einvernahme eine Kopie seiner Tazkira, einen Dienstvertrag römisch 40 sowie eine Deutschkursbestätigung vor.
3. Das Bundesamt wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 15.04.2024 (zugestellt am 23.04.2024) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt I. und II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen den BF (Spruchpunkt IV.). In Spruchpunkt V. wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.).3. Das Bundesamt wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 15.04.2024 (zugestellt am 23.04.2024) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen den BF (Spruchpunkt römisch IV.). In Spruchpunkt römisch fünf. wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
Das Bundesamt führte begründend zusammengefasst aus, dass der BF in Afghanistan keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und auch im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung drohe. Die aktuelle Sicherheitslage im Allgemeinen und in Kabul sei als ausreichend sicher festzustellen; es seien nur in geringer Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle feststellbar. Der BF könne über den Flughafen nach Kabul zurückkehren und verfüge dort über eine hinreichende Existenzgrundlage.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 17.05.2024 (eingebracht am 17.05.2024) innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde. Der Bescheid wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft.
Dies begründete der BF im Wesentlichen damit, dass er Afghanistan aufgrund der zunehmenden Gewalt und Bedrohung durch die Taliban verlassen habe. Während seines Studiums an der Universität in Kabul sei es zu einem Angriff gekommen, bei dem mehrere seiner Freunde getötet worden seien. Der BF habe zudem vor der belangten Behörde klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Taliban hasse und sie als Terrorismus betrachte. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan drohe dem BF asylrelevante politische Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner gegen die Taliban gerichteten Einstellung. Der BF lehne die Herrschaft der Taliban und ihre Werte ab. Auch mit Verweis auf die diesbezüglich bestehenden Länderberichte sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der BF aufgrund seines nunmehr bestehenden Profis als verwestlichter Mann im Falle einer hypothetischen Rückkehr in das Visier der Taliban kommen würde und in asylrelevanter Intensität diskriminiert beziehungsweise unverhältnismäßig bestraft werden würde. Der BF brachte zudem ergänzend vor, dass er seit einigen Monaten Interesse am Christentum entwickelt habe. Sein Ziel sei es, mehr aus der Bibel zu lernen und ein Christ zu werden. Die mögliche Konversion zum Christentum stelle eine erhebliche Gefahr für sein Leben in Afghanistan dar. Überdies wäre dem BF – bei Nichtvorliegen von asylrelevanter Verfolgung – jedenfalls subsidiärer Schutz zuzusprechen gewesen.
6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 18.06.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
7. Am 01.08.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des BF, seines gewillkürten Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari durch. Ein Freund des BF wurde als Zeuge befragt. Die belangte Behörde nahm unentschuldigt nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan in das Verfahren ein. Der BF legte zwei Deutschkursbestätigungen und eine Beschäftigungsbewilligung vor.
8. Mit Eingabe vom 08.08.2024 gab der BF eine abschließende Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung ab und betonte erneut, dass er nicht mehr an die Prinzipien des Islams glaube und seine Religion gewechselt habe und dadurch im Falle einer Rückkehr erheblich gefährdet wäre aufgrund seiner religiösen Einstellung einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Es sei ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht zumutbar, die islamische Religion wieder anzunehmen und seinen neuen Glauben zu unterdrücken, weil er fester Bestandteil seiner Identität geworden sei. Im Falle der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, sei dem BF jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weil im gegenständlichen Fall komme zur dramatischen Versorgungslage und der angespannten Arbeitsmarktsituation hinzu, dass der BF keine Ersparnisse oder finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch Familienangehörige habe, zumal seine Eltern verstorben seien und sein in den USA lebender Bruder seine eigene Familie zu finanzieren habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zum Verfahrensgang des BF:
1.1.1. Der BF ist ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger. Er heißt XXXX und wurde am XXXX in Afghanistan, in Kabul geboren. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist gebürtiger sunnitischer Muslim. Seine Erstsprache ist Dari. Außerdem spricht er etwas Englisch und Deutsch. Seine Identität steht fest.1.1.1. Der BF ist ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger. Er heißt römisch 40 und wurde am römisch 40 in Afghanistan, in Kabul geboren. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist gebürtiger sunnitischer Muslim. Seine Erstsprache ist Dari. Außerdem spricht er etwas Englisch und Deutsch. Seine Identität steht fest.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
1.1.2. Der BF besuchte 12 Jahre die Grundschule, welche er 2011 abschloss und danach verschiedene Englischkurse von 2014 bis 2017 in Kabul. Außerdem besuchte er zwischen 2018 bis 2019 zumindest 13 Monate eine Privatuniversität und erhielt ein Diplom in Informatik und studierte 2020 auch ein Semester (vier Monate) an der staatlichen Universität Wirtschaft in Kabul. Sein Lebensunterhalt wurde von seinem Vater und später von seinem in der USA aufhältigen Bruder finanziert. Der Vater verstarb im Jahr 2019 und war Mitarbeiter in der De Afghanistan Bank. Er lebte durchgehend mit seiner Familie (Eltern bzw. Mutter und Geschwister) bis zur Ausreise 2021 in Kabul.
1.1.3. In Afghanistan, in Kabul-Stadt, leben seine vier Brüder ( XXXX ) im Familienhaus sowie seine drei Schwestern ( XXXX ), die verheiratet sind und bei ihren jeweiligen Ehemännern leben. Die Mutter des BF starb im Juli 2024. Sein Bruder XXXX ca. 46 Jahre alt lebt seit ca. 5 Jahren in der USA und sein Vater verstarb bereits 2019 an einer Krankheit. Den Kontakt zu seinen Familienangehörigen hält der BF regelmäßig telefonisch aufrecht.1.1.3. In Afghanistan, in Kabul-Stadt, leben seine vier Brüder ( römisch 40 ) im Familienhaus sowie seine drei Schwestern ( römisch 40 ), die verheiratet sind und bei ihren jeweiligen Ehemännern leben. Die Mutter des BF starb im Juli 2024. Sein Bruder römisch 40 ca. 46 Jahre alt lebt seit ca. 5 Jahren in der USA und sein Vater verstarb bereits 2019 an einer Krankheit. Den Kontakt zu seinen Familienangehörigen hält der BF regelmäßig telefonisch aufrecht.
1.1.4. Der BF reiste im April 2021 von Afghanistan in den Iran aus und weiter in die Türkei, wo er ca. 1 Jahre lebte und arbeitete. Danach reiste er nach Griechenland sowie weiter über Mazedonien, Serbien, Ungarn bis nach Österreich und stellte am 06.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit gegenständlichen Bescheid vom 15.04.2024 (zugestellt am 23.04.2024) wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen den BF (Spruchpunkt IV.). In Spruchpunkt V. wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.).1.1.4. Der BF reiste im April 2021 von Afghanistan in den Iran aus und weiter in die Türkei, wo er ca. 1 Jahre lebte und arbeitete. Danach reiste er nach Griechenland sowie weiter über Mazedonien, Serbien, Ungarn bis nach Österreich und stellte am 06.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit gegenständlichen Bescheid vom 15.04.2024 (zugestellt am 23.04.2024) wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.) und erlies eine Rückkehrentscheidung gegen den BF (Spruchpunkt römisch IV.). In Spruchpunkt römisch fünf. wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
1.1.5. Der BF ist gesund und leidet an keiner schweren (lebensbedrohenden) psychischen oder physischen Erkrankung.
Er ist arbeitsfähig und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.1.6. In Österreich verfügt der BF über keine Familienangehörigen. Der BF besuchte im Bundesgebiet Deutschkurse und hat Deutschkenntnisse auf A2 Niveau. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bei XXXX und einem monatlichen Entgelt von EUR 1.800 brutto (Vollzeit 40 Std/Woche seit 10.01.2024).1.1.6. In Österreich verfügt der BF über keine Familienangehörigen. Der BF besuchte im Bundesgebiet Deutschkurse und hat Deutschkenntnisse auf A2 Niveau. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bei römisch 40 und einem monatlichen Entgelt von EUR 1.800 brutto (Vollzeit 40 Std/Woche seit 10.01.2024).
1.2. Zum Fluchtvorbringen und zu einer möglichen Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat:
1.2.1. Der BF ist als geborener sunnitischer Muslim in Afghanistan aufgewachsen und ist es nie wegen der Religionszugehörigkeit zu Konflikten in der Familie oder mit afghanischen Behörden oder der Taliban gekommen.
Der BF hat in Österreich nicht glaubhaft seine Glaubensrichtung gewechselt. Er kam im August 2023 in Linz bei einem Bücherstand im öffentlichen Raum mit dem Christentum und den Zeugen Jehovas in Kontakt und entwickelte ein Interesse für das Christentum. Der BF trifft sich regelmäßig mit einem Mitglied der Zeugen Jehovas zum Bibelunterricht und besucht auch Treffen „Gottesdienste“ der Gemeinde der Zeugen Jehovas.
Er hat ein geringes Wissen über das Christentum und die Zeugen Jehovas. Der BF ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht getauft und konvertierte noch nicht aus einem innerem Entschluss zum Christentum und die christliche Glaubensüberzeugung ist nicht derart ernsthaft, sodass sie Bestandteil der Identität des BF wurde. Dem BF wird dies auch nicht von afghanischen Behörden oder Privatpersonen unterstellt. Der BF missioniert nicht und erzählte auch seiner Familie nicht von den Treffen mit den Zeugen Jehovas. Es wird davon ausgegangen, dass sich der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen wird. Der BF tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder Religion generell auf. Er hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Glaubensabfall gewertet werden würden.
1.2.2. Dem BF droht in Afghanistan auch aus anderen Gründen keine Verfolgung bzw. Bedrohung durch die Taliban oder anderen Gruppierungen. Er war nie politisch oder journalistisch oder menschenrechtsaktivistisch tätig und nie in Haft sowie auch nicht in sonstiger Weise straffällig. Der BF lebte von Geburt an bis zu seiner Ausreise 2021 in Kabul in Afghanistan, ohne dabei in das Blickfeld der Taliban geraten zu sein.
1.2.3. Dem BF droht bei Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Herkunftsgebiet aktuell auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zum Militärdienst. Der BF hat keine militärische Ausbildung und ist auch nicht Angehöriger von Sicherheitskräften. Ein allgemein gesetzlich verpflichtender Grundwehrdienst besteht in Afghanistan nicht, sondern besteht die Taliban-Sicherheitsstruktur aus freiwilligen Berufssoldaten.
1.2.4. Auch drohen ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit und wurde eine solche Gefährdung von ihm auch nicht glaubhaft gemacht.
Ferner droht dem BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan wegen seinem Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen seines zweijährigen Aufenthalts außerhalb Afghanistans sowie wegen seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder sonst konkrete individuelle psychische oder physische Gewalt.
1.2.5. Aufgrund der mit der Machtübernahme der Taliban verbundenen, volatilen allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und der aktuell schlechten, ungewissen weiteren Versorgungslage würde dem BF derzeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr drohen, durch Übergriffe von Taliban-Kämpfern auf die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden oder in eine ausweglose oder existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Dem BF steht eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationen
- die aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation zu Afghanistan aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System), Version 11 vom 10.04.2024;
- UNHCR-Position zum internationalen Schutzbedarf von Menschen, die aus Afghanistan fliehen (aktuelle Situation; Mangel an umfassenden Informationen; Frauen und Mädchen; andere Profile; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausgrenzung) und
- EUAA Country Guidance: Afghanistan Common analysis and guidance note May 2024
auszugsweise wiedergegeben:
Politische Lage
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vergleiche VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vergleiche REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vergleiche DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vergleiche HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vergleiche Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vergleiche REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vergleiche REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vergleiche VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vergleiche UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vergleiche 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020).Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vergleiche JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vergleiche UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 29.8.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vergleiche RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vergleiche BAMF 30.6.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vergleiche BAMF 30.6.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vergleiche VOA 6.5.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vergleiche AMU 22.11.2023).
Internationale Anerkennung der Taliban
Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vgl. VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vgl. OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vgl. KP 23.2.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vergleiche VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vergleiche OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vergleiche KP 23.2.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).
Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vgl. AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vgl. VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vgl. REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vgl. VOA 29.11.2023).Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vergleiche AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vergleiche VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vergleiche REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vergleiche VOA 29.11.2023).
Sicherheitslage
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnet