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L1010 StadtrechtNorm
B-VG Art117Leitsatz
Keine Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Gemeinderats und des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 14.04.2024; verfassungskonforme Anordnung der Direktwahl des Bürgermeisters durch eine Verfassungsbestimmung der Innsbrucker WahlO 2011; keine Rechtswidrigkeit der gleichzeitigen Durchführung der Wahl des Innsbrucker Gemeinderates und der Wahl des Bürgermeisters; keine unzulässige Einflussnahme staatlicher Organe durch Fokussierung auf die Bürgermeisterwahl in Wahlwerbung und medialer Berichterstattung ; keine Bedenken gegen die Auszählung der Wahlkartenstimmen durch die Gemeindewahlbehörde und nicht durch eine Sprengelwahlbehörde; kein Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältniswahl durch den Ausschluss von der Mandatsvergabe bei einer Wählergruppe mit einem Stimmenanteil von weniger als 4%; kein hinreichend substantiiertes Tatsachenvorbringen hinsichtlich der ungewöhnlich hohen Anzahl von Vorzugsstimmen auf "vorausgefüllten Wahlkarten", der "verlorengegangenen" Wahlkarten, der Verlegung des Hauptwohnsitzes einer Spitzenkandidatin sowie der Weitergabe von SprengelwahlergebnissenRechtssatz
Landesverfassungsgesetzliche Anordnung der Direktwahl des Bürgermeisters durch die Innsbrucker WahlO 2011 (IWO 2011):
Art117 Abs6 B?VG ermächtigt in der Landesverfassung, also durch den Landesverfassungsgesetzgeber, die Einrichtung der Direktwahl des Bürgermeisters vorzusehen. Art38 Abs2 Tir LandesO 1989 ordnet sowohl Landesverfassungsgesetze als auch Verfassungsbestimmungen in einem Landesgesetz der Landesverfassungsgesetzgebung zu. §1 Abs3 IWO 2011 ist eine Verfassungsbestimmung in einem Landesgesetz und damit Teil der Landesverfassung iSd Art117 Abs6 B?VG. Die Direktwahl des Bürgermeisters ist damit in Übereinstimmung mit Art117 Abs6 B?VG landesverfassungsgesetzlich angeordnet.
Keine Rechtswidrigkeit der gleichzeitigen Wahl des Innsbrucker Gemeinderates und der Wahl des Bürgermeisters:
Gemäß §1 Abs4 IWO 2011 sind die Wahl des Gemeinderates und die Wahl des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck gleichzeitig durchzuführen. Der Wahlvorschlag einer Wählergruppe für die Wahl des Bürgermeisters wird jeweils im Anschluss an ihren Wahlvorschlag für die Wahl des Gemeinderates kundgemacht.
Die Ausgabe einer Wahlkarte und eines Wahlkuverts gemäß §35 Abs4 IWO 2011, die Ausfolgung eines Wahlkuverts und je eines amtlichen Stimmzettels für die Wahl des Gemeinderates und für die Wahl des Bürgermeisters für die Stimmabgabe im Wahllokal gemäß §54 Abs3 IWO 2011 sowie die Anlegung eines Wählerverzeichnisses gemäß §23 Abs1 IWO 2011 und die Kundmachung der Namen der in diesem eingetragenen wahlberechtigten Personen eines Hauses gemäß §26 IWO 2011, vermögen nichts daran zu ändern, dass es sich bei der Wahl des Gemeinderates und der Wahl des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck (schon auf Grund des Aufbaus und der Struktur der IWO 2011) um zwei (eigenständige) Wahlen handelt und auch die unter einem vorgenommene Kundmachung für beide Wahlen nichts daran ändert (VfSlg 20.273/2018).
Nach der IWO 2011 sind für die Einbringung eines Wahlvorschlages für die Wahl des Bürgermeisters keine Unterstützungserklärungen erforderlich. Vielmehr muss ein Wahlvorschlag für die Wahl des Bürgermeisters gemäß §41 Abs4 IWO 2011 von mehr als der Hälfte der Wahlwerber aus der Wahlwerberliste des von der Wählergruppe für die Wahl des Gemeinderates eingebrachten Wahlvorschlages unterfertigt sein.
Bei der von der anfechtungswerbenden Partei – unsubstantiiert – angesprochenen Wahlwerbung von Wählergruppen und medialen Berichterstattung, die sich auf die Bürgermeisterwahl fokussiert habe, handelt es sich um keine im Wahlanfechtungsverfahren nach Art141 B?VG aufzugreifende (unzulässige) Einflussnahme staatlicher (bzw kommunaler) Organe auf die Wahlwerbung.
Keine Bedenken gegen die Auszählung der Wahlkartenstimmen durch eine Gemeinde- und nicht eine Sprengelwahlbehörde:
Wenn die anfechtungswerbende Partei moniert, das Ergebnis der Wahlkarten sei – entgegen der Regelung des §2 Abs2 IWO 2011 über die Bildung von Wahlsprengeln – als "eigenes Sprengelergebnis – WK (Wahlkarten)" ausgewiesen worden, übersieht sie, dass ein derartiger Sprengel für die in Rede stehenden Wahlen nicht eingerichtet war. So findet sich in der kundgemachten Anordnung der Hauptwahlbehörde, mit der gemäß §47 Abs1 IWO 2011 der Ort (Wahllokal) und die Zeit der Stimmabgabe (Wahlzeit) in den Wahlsprengeln bestimmt worden sind, kein derartiger "Wahlkartensprengel". Auch in der Kundmachung der Wahlergebnisse wird ein solcher Sprengel nicht angeführt. Vielmehr ergibt sich aus den Wahlakten, dass die Auszählung der Wahlkartenstimmen im Einklang mit §§58 ff IWO 2011 nicht durch eine Sprengelwahlbehörde, sondern durch die Gemeindewahlbehörde erfolgt ist.
Kein Verstoß der 4%-Sperrklausel gegen die Grundsätze des Verhältniswahlrechts:
Eine Regelung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie (zwar keine Einteilung in mehrere Wahlkreise vorsieht), jedoch in Gestalt einer ausdrücklichen Sperrklausel eine im Ergebnis vergleichbare Grenze mit dem Ziel zieht, dass nur Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung Mandate erhalten. Maßgeblich ist allein, ob die Ausgestaltung des Wahlrechtes in seiner Gesamtheit – in seinen einzelnen Komponenten (Wahlkreiseinteilung, Zahl der Mandate, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Parteien) und in deren Zusammenspiel – in einer Weise geregelt ist, dass den Grundsätzen der Verhältniswahl entsprochen ist (und es damit zu keinem Systemwechsel zum Mehrheitswahlrecht, aber es sehr wohl zu Abweichungen von der strikten mathematischen Proportionalität, also zu Verstärkungseffekten zugunsten von Groß-, Mittel- oder Kleinparteien kommen kann).
Es kann demnach im vorliegenden Fall der Wahl des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck, für die nach der IWO 2011 keine Wahlkreiseinteilung vorgesehen ist und 40 Mandate auf Grund des d'Hondtschen Verfahrens verteilt werden, nicht erkannt werden, dass es gegen die Grundsätze der Verhältniswahl verstößt, wenn eine Wählergruppe mit einem Stimmenanteil von weniger als 4 % der abgegebenen gültigen Stimmen von der Mandatsverteilung ausgeschlossen ist.
Ein Verstoß gegen Art117 Abs2 B?VG wegen einer Abweichung von der Tiroler Landtagswahlordnung 2017 scheidet schon deshalb aus, weil §73 Abs1 IWO 2011 nicht die "Bedingungen des Wahlrechtes und der Wählbarkeit", also das aktive und passive Wahlrecht, sondern die Ermittlung der Mandate anhand der abgegebenen Stimmen regelt.
Keine unrichtige Bezeichnung der Fassung des §3 IWO 2011 in der Kundmachung:
Das Vorbringen, dass sich die Kundmachung über die Ausschreibung der Wahlen auf die IWO 2011 idF LGBl 45/2023 und nicht auf die Fassung LGBl 77/2023 beziehe, geht schon deshalb ins Leere, weil in der Kundmachung lediglich die für die Wahlausschreibung relevante Bestimmung des §3 IWO 2011 genannt wird. Eine Rechtswidrigkeit der – nach dem Inkrafttreten der Novelle LGBl 77/2023 – mit Kundmachung vom 10.01.2024 ausgeschriebenen Wahlen kann die unrichtige Bezeichnung der Fassung dieser Vorschrift – die im Übrigen sowohl zum Zeitpunkt des Beschlusses als auch zum Zeitpunkt der Kundmachung der Wahlausschreibung unverändert tatsächlich idF LGBl 116/2020 in Geltung stand – nicht bewirken.Das Vorbringen, dass sich die Kundmachung über die Ausschreibung der Wahlen auf die IWO 2011 in der Fassung Landesgesetzblatt 45 aus 2023, und nicht auf die Fassung Landesgesetzblatt 77 aus 2023, beziehe, geht schon deshalb ins Leere, weil in der Kundmachung lediglich die für die Wahlausschreibung relevante Bestimmung des §3 IWO 2011 genannt wird. Eine Rechtswidrigkeit der – nach dem Inkrafttreten der Novelle Landesgesetzblatt 77 aus 2023, – mit Kundmachung vom 10.01.2024 ausgeschriebenen Wahlen kann die unrichtige Bezeichnung der Fassung dieser Vorschrift – die im Übrigen sowohl zum Zeitpunkt des Beschlusses als auch zum Zeitpunkt der Kundmachung der Wahlausschreibung unverändert tatsächlich in der Fassung Landesgesetzblatt 116 aus 2020, in Geltung stand – nicht bewirken.
Kein hinreichend substantiiertes Tatsachenvorbringen hinsichtlich der ungewöhnlich hohen Anzahl von Vorzugsstimmen, der "verlorengegangenen" Wahlkarten, der Verlegung des Hauptwohnsitzes einer Spitzenkandidatin erst "Ende des Jahres 2023" sowie der Weitergabe von Sprengelwahlergebnissen:
Die bloße Behauptung, dass die Vergabe von Vorzugsstimmen für zwei – in der Wahlanfechtungsschrift namentlich nicht genannte – Kandidaten einer Wählergruppe auf eine "Vorausfüllung von Wahlkarten" zurückzuführen sei, ist bloß abstrakt gehalten. Ebenso wird in keiner Weise dargelegt, inwiefern die Nichtübermittlung einer Wahlkarte iSd §57 Abs1 IWO 2011, die jedem Wahlberechtigten freisteht, auf eine Manipulation des Wahlverfahrens schließen lasse. Konkrete Fälle, in denen Wahlberechtigte an der Übermittlung der Wahlkarte bzw an der Stimmabgabe gehindert worden seien bzw dass Wahlberechtigten beantragte Wahlkarten nicht ausgefolgt worden oder rechtzeitig übermittelte Wahlkarten unberücksichtigt geblieben seien, werden nicht dargelegt. Das Anfechtungsvorbringen entzieht sich daher in diesen Punkten einer Beurteilung durch den VfGH, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.
Nach §6 Abs1 lita IWO 2011 ist – in Übereinstimmung mit Art117 Abs2 B?VG – in den Gemeinderat jeder Unionsbürger wählbar, der in der Stadt seinen Hauptwohnsitz hat, es sei denn, dass er sich noch nicht ein Jahr in der Stadt aufhält und sein Aufenthalt offensichtlich nur vorübergehend ist. In der Anfechtung wird gerade nicht dargelegt, inwiefern der Aufenthalt iSd §6 Abs1 lita IWO 2011 "offensichtlich" nur vorübergehend gewesen sein soll, sondern vielmehr bloß eine Behauptung aufgestellt und keinerlei konkretes Tatsachenvorbringen erstattet.
Ebenso wenig ist das Vorbringen hinreichend substantiiert, wonach die anfechtungswerbende Partei aus verschiedenen Gründen eine unrichtige telefonische Weitergabe von Sprengelwahlergebnissen bzw eine unrichtige Eingabe solcher Ergebnisse in Datenbanken für "möglich" erachte. Im Übrigen betrifft dieses Vorbringen die zahlenmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses der Wahl des Gemeinderates, die gemäß §79 Abs5 IWO 2011 zunächst einem Überprüfungsverfahren vor der Hauptwahlbehörde vorbehalten ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Wahlanfechtung, Gemeinderat, Bürgermeister, Wahlkarten, Verhältniswahl, Kundmachung, Wahlwerbung, Wahlrecht freies, Wohnsitz, Stimmenabgabe, Landesverfassung, Gemeinderecht, Wahlen, WahlkreiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2024:WI1.2024Zuletzt aktualisiert am
07.10.2024